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in 2013
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ABHANDLUNGEN
DER
PHILOSOPHISCH-PHILOLOGISCHEN CLASSE
DER KÖNIGLICH BAYERISCHEN
AKADEMIE mn WISSENSCHAFTEN.
ZEHNTER BAND.
IN DER REIHE DER DENKSCHRIFTEN DER XXXIX. BAND.
UNCHEN,
1866.
VERLAG DER *^ AfciD^^^IE,
IN COMMISSION BEI G. FRANZ.
Druck von F. Straub in München.
As
Inhalt des X. Bandes.
Seite
Die Syracusanischen Stempelsclineider Phrygillos, Sosioii und Eumelos. Ein Beitrag
zui" Geschichte der giiechischen Stempelschueidekunst. Mit einer Tafel Ab-
büduDgen von Franz Streber ......... 1
Demosthenes' Vertheidigung des Ktesiphon. Ein Beitrag zum Verständniss des
lieduers von Leonhard Spengel . . . . . . . .27
üeber eine gallische Silbermünze mit dem angeblichen Bilde eines Druiden von
Franz Strcher . . . . . . . . . . .99
Aus den Herculanischen KoUen. Philodemus IIEPI EY2EBEIA2. Yon Leonhard
Spengel . . . . . . . , . . . . .127
Aristotelische Studien. I. Nikomachische Ethik. Von Leonhard Spengel . .169
Der Periplus des Pontus Euxinus. Nach Münchener Handschriften. (Mit einer
Karte.) Ingleichen der Paraplus von Syrien und Palästina und der Paraplus
von Armenien (d«s Mittelalters). Von Georg Thomas . . . .221
Die Tesserae gladiatoriae der Kömer von Friedrich Ritschi . . . .291
Beiträge zur Geschichte der Antikensammlungen Münchens von W. Christ . .357
lieber die wahre und bleibende Bedeutung der Naturphilosophie Schellings von
Hubert Beckers . . . . . . . . . . .401
Ueber die Verfassung und Verwaltung China's unter den drei ersten Dynastien. Von
J. H. Plath . .. . ' " . . .451
Aristotelische Studien. II. Endemische Ethik, Grosse Ethik, Politik. Von Leonhard
Spengel ............. 59o
Gesetz und Recht im alten China nach chinesischen Quellen. Von J. H. Plath 67:)
Die Könige von Tibet. Von E^nil Schlagintweif , 797
Die
Syracusanischen Stempelsclmeider
PMYGILLOS, SOSION und EUMELOS,
Ein Beitrag zur
Gescliiclite der griecliischen Stempelsclmeidekunst
von
Franz Streber.
Mit einer Tafel Abbildungen.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth.
Die
Syraciisanischeii Stempelsclineider
PHRYGILLOS, SOSIOU und EÜMELOS.
Ein Beitrag zur
Geschichte der griechischen Stempelschneidekimst
von
Franz Streber.
Gelesen in der philos. pliilog. Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften
am 14. Juni 1862.
Unter den zahlreichen grösseren und kleineren Schriften, womit
Raoul-Rochette das Gebiet der Archäologie in manigfacher Weise berei-
chert hat, wird seine Abhandlung über die griechischen Stempelschneider
für alle Zeiten einen ehrenvollen Platz einnehmen. War vor ihm nur
ein einziger Name bekannt, der mit Sicherheit einem griechischen
Stempelschneider zugeschrieben werden dm^fte, nämlich der auf den
Münzen der Stadt Cydonia in Greta genannte NEYANT02, und war
man bis dahin einzig nur auf die Vermuthung beschränkt, dass die
Namen anderer Künstler theils durch Monogramme angedeutet, theils
in den mehr oder minder vollständig ausgeschriebenen Eigennamen, die
man als Namen von Magistratspersonen zu deuten pflegt, enthalten
seien, so ist es Herrn Raoul-Rochette gelungen, bestimmte Regeln fest-
zustellen, wonach die Zeichen und Namen der Künstler von denen der
Münzvorsteher und Magistrate wenigstens in einzelnen Fällen unter-
schieden werden können; und wenn für die Zukunft in einer Kunst-
geschichte diejenigen Meister nicht mit Stillschweigen übergangen
werden wollen, die das Schönste und Vollendeste hervorgebracht haben,
was die Stein- und Stempelschneidekunst aller Jahrhunderte zu leisten
1*
im Stande war, so inuss liiebei die dem Umfange nach kleine, dem
Inhalte nach aber reiche Schrift: ,, Lettre ä M. le Duc de Luynes sur
les graveurs des monnaies gi'ecques" zu Grunde gelegt werden. Es ist
Herr Raoiü - Rochette, der uns in Choikeon, Euklides, Eumenos,
Evaenetos, Kimon, Kleudoros, Philistion und Pro kl es zuerst
diejenigen Künstler vorgeführt hat, welche die schönsten Münzen von
Grossgriechenland und Sicilien geschnitten haben.
Bei der Schwierigkeit des Gegenstandes jedoch konnte, zumal erst
eine neue Bahn zu brechen war, nicht vermieden werden, dass nicht
hie und da sich ein Irrthum einschlich; einzelne bis dahin unbekannte
Gepräge Hessen hoffen, dass etwaige Zweifel gelöst, manche Lücke
ergänzt werde. Einen Beitrag hiezu sollen nachstehende Mittheilungen
liefern.
L /
Raoul-Rochette nennt unter den Stempelschneidern Siciliens einen
Nouklides^). Er glaubt diesen Namen auf zwei Tetradrachmenstücken
von Syracus gefunden zu haben, welche Torremuzza, das eine aus der
Sanunlung des Aloysio Maria Gravina, Priors zu S. Calogero, das andere
aus dem Museo Lucchesi zu Girgenti, in Beschreibung und Abbildung
mitgetheilt hat.
Die Abbildung des ersten Stückes bei Torremuzza, Tab. LXXIII.
Fig. 3 zeigt folgendes Gepräge:
Vorderseite: 2IPAK02IiiN Frauenkopf von der linken Seite, mit
Ohrgehänge und ohne Halsband; die Haare auf dem Scheitel
gekämmt, über der Stirne durch eine schmale mit den Buchstaben
NOY gezierte Binde, am Hinterkopfe durch ein breites Tuch
zusammengehalten, an den Schläfen aber in wellenförmigen Locken
geordnet; umgeben von vier Delphinen.
Rückseite: Eine jugendliche Gestalt von der linken Seite in einem
Wagen stehend, in der erhobenen Rechten den Stimulus in die
Höhe haltend, lenkt vier springende Pferde, von denen das erste und
dritte den Kopf etwas rückwärts, das zweite aufwärts, das vierte
vorwärts beugt, lieber den Pferden, dem Wagenlenker entgegen-
1) Raoul-Rochettc , Lettres eur les graveurs, pag. 29.
schwebend, eine geflügelte Nike mit einem Kranze in beiden
Händen. Unter den Vorderfüssen der Pferde AIJA. Im Ab-
schnitte eine Aehre. Abbildung Fig. 1.
Auf dem zweiten Exemplare erblicken wir nach der bei Torremuzza
Tab. LXXni. Fig. 2 gegebenen Zeichnung nachstehende Bilder und
Aufschriften :
Vorderseite: Frauenkopf von der linken Seite mit Ohrringen und
Halskette; die Haare ordnen sich in wellenförmigen Locken an
der Stirne und den Schläfen rückwärts, am Hinterhaupte auf-
wärts; umgeben von drei Delphinen.
Rückseite: Eine jugendliche Gestalt von der rechten Seite in einem
Wagen stehend, in der Rechten die Zügel, in der ausgestreckten
Linken den Stimulus vorwärts haltend, lenkt vier Pferde, von
denen drei gleichmässig vorwärts springen , während das vierte
bereits im Laufe innehält. Ueber den Pferden, dem Wagenlenker
entgegenschwebend, eine geflügelte Nike mit einem Kranze in
beiden Händen. Im Abschnitte ein Seeungeheuer von der
rechten Seite, daneben JüOY.
Wir haben sonach zwei verschiedene Exemplare, auf welchen neben
dem Namen der Stadt noch die drei Buchstaben ]^0Y vorkommen.
Torremuzza suchte hierin den Namen einer Magistratsperson. Da nun
auf mehreren Münzen von Syracus sich der Name EVMHNOY findet
und zwar theils auf der Stirnbinde des Frauenkopfes ^) , wie auf dem
ersten, theils im Felde der Münze entweder neben dem Kopfe der
Vorderseite^) oder unter dem Viergespanne der Rückseite"^), wie auf
dem zweiten der vorliegenden Tetradrachmenstücke, so glaubte er den
Namen derselben Magistratsperson wieder erkennen und die drei Buch-
staben NOY durch EvfirjNOY ergänzen zu sollen'*).
Diese Ergänzung hat nun allerdings, wie ich später zu zeigen
hoffe, soweit sie sich auf das zweite Exemplar mit dem Seeungeheuer
und den daneben stehenden Buchstaben NOY bezieht, einige Wahr-
1) Torremuzza, Numi vet Sicil. Tab. LXXII. Fig. 7. Huiiter, Tab. 52, Fig. XIV.
2) Torremuzza, Tab. LXXII. Fig. 8 und 10.
3) Loc. cit. Tab. LXXII. Fig. 11.
4) Loc. cit. pag. 75.
6
scheiiiliclikeit für sich, bei dem erstgenannten Exemplare jedocli ist sie
mistatthaft, denn die Bnclistaben NOY auf der Stirnbinde des Frauen-
kopfos biklen nicht, wie hier vorausgesetzt wü-d, die End-, sondern,
wie der Augenschein lehrt, die Anfangs-Buchstaben eines Namens.
Letzteres hat Raoul-Rochette richtig erkannt. Er behauptet daher
1) dass in den auf der Stirnbinde des Frauenkopfes angebrachten drei
Buchstaben der Name eines Stempelschneiders angedeutet sei und
2) dass uns die auf der Rückseite des nämlichen Exemplares befind-
lichen Buchstaben AIJA das Mittel an die Hand geben, den Namen
des Stempelschneiders NOY zu ergänzen; man müsse nämlich, glaubt
er, die Aufschrift der Vorderseite mit der der Rückseite verbinden.
Der vollständige Name sei NOYxAIJA. ^) Aber auch diese Erklärung,
so annehmbar sie für den ersten Augenblick scheinen mag , bedarf,
weil sie sich auf Prämissen stützt, die der Sicherheit entbehren, einer
näheren Prüfung oder vielmehr einer Berichtigung.
Die Richtigkeit zwar des ersten Satzes, dass durch die drei Buch-
staben, welche auf der Stirnbinde des Frauenkopfes angebracht sind,
die Anfangs-Buchstaben des Namens eines Stempelscheiders angedeutet
seien, kann nach der Analogie mit anderen Geprägen und nach den
vielen Belegen, die Raoul-Rochette hiefür vorgebracht hat, nicht in
Zweifel gezogen werden. Aber anders verhält es sich mit dem zweiten
Satze, denn gegen die Annahme als ob die Buchstaben NOY auf der
Vorder- und AIJA auf der Rückseite zusammengehörten und sonach
gelesen werden konnte isOYxAlJA, erheben sich grosse Bedenken. Es
lässt sich liiefür meines Wissens niclit eine einzige Parallelstelle an-
führen. Wenn Raoul-Rochette bemerkt, dass Eigennamen auf Münzen
von Grossgriechenland und Sicilien öfter getrennt und sodann auf beide
Seiten des Stempels vertheilt sind, und er hiefür als Beleg auf die
Münzen von Laos, Agrigent und Abacaenum hinweist, deren Legenden
AAl-NO^, AKPA-IA^, ABAK-AINON zur Hälfte die Vorder-, zur Hälfte
die Rückseite einnehmen ^j, so ist hiebei mit Unrecht von dem Unter-
schiede Umgang genommen, der zwischen Städte- und Personen-Namen
1) Haoul-Rooliotte, Lettre, i)ag. 29.
■J.) Itaoul-llochette, loc. cit. pag. 29 Note 6.
besteht. Ist eine solche Trennung schon bei ersteren eine Seltenheit,
so war sie doch noch motivirt insoferne ja auch die Typen, wie bei-
spielweise der Kopf des Zeus und der Blitz oder Adler, der Kopf des
Apollo und die Leier, der Kopf des Mercur und der Caduceus u. s. w.,
wenn gleich durch die Vorder- und Rückseite der Münze getrennt,
dennoch ein zusammengehöriges Ganze ausmachen. Ein solcher Grund
fällt aber bei Personen-Namen hinweg. Die Hinweisung auf eine Münze
von Croton, woselbst der Name einer Magistratsperson ßO/.^ürOF gleich-
falls getrennt und zweigetheilt geschrieben ist, nämlich B0I2-K0Y, ist
darum unstatthaft, weil hier die getrennten Silben nicht, was doch im
vorliegenden Falle allein als entscheidend betrachtet werden könnte,
die eine auf der Vorder-, die andere auf der Rückseite angebracht
sind , sondern beide auf der einen und derselben Seite stehen und nur,
was übrigens sehr oft wiederkehrt, durch das Bild der Münze, hier
durch den Schwanz des Adlers, von einander getrennt sind.
Zu diesen inneren Gründen, wonach die Richtigkeit der gegebenen
Deutung sehr in Frage gestellt werden muss, kommen noch äussere,
die ihr vollends jede sichere Basis entziehen. Die Erklärung Raoul-
Rochette's stützt sich nämlich einzig auf die in dem Werke von Tor-
remuzza gegebene Abbildung des dereinst im Besitze des Priors von
S. Calogero befindlichen Tetradrachmenstückes. Ich habe aber allen
Grund die Abbildung gerade dieser Münze für ungenau zu halten und
anzunehmen, dass die als Schmuck der Stirnbinde angebrachten Buch-
staben NOY auf dem Originale selbst gar nicht vorhanden sind.
Ein solcher Ausspruch klingt nun allerdings hart und von Seite
desjenigen, der das Original nicht selbst vor sich hat, mehr als zuver-
sichtlich, zumal die Zeichnungen de Bella's, — wenn sie auch den
Charakter der Originale nicht getreu wiedergeben und aus denselben
namentlich der Stjl und die künstlerische Vollendung der einzelnen
Gepräge in keiner Weise wieder erkannt werden können, im Allgemeinen
dennoch den Anforderungen der Billigkeit entsprechen, und der Heraus-
geber des grossen, auch jetzt noch verdienstlichen Werkes: ,,Siciliae
populorum et urbium regum quoque et tyrannorum veteres nummi Sara-
cenorum epocham antecedentes", der doch die Münze, die er beschreibt,
sicherlich selbst vor Augen gehabt hat, einer flüchtigen Behandlung seines
8
Stoffes und einer Ungenauigkeit in seinen Forschungen nicht beschuldiget
werden kann: aber wenn das Original gerade an der Stelle, die hier
niaasgebend erscheint, minder gut erhalten ist, wie leicht konnte da,
sei es von dem Zeichner, sei es von dem Herausgeber, ohne dass wir
desshalb den Verdiensten des einen oder der Umsicht des anderen zu
nahe treten, was in der That undeutlich war als deutlich wiedergegeben
und so bei der Verwechslung auch nur eines einzigen Buchstaben ein
Ergebniss festgestellt werden, welches, weil unrichtig in den Prämissen,
nothwendig auch eine unrichtige Schlussfolgerung nach sich ziehen musste.
Es wird sich nur darum handeln, ob diess wirklich der Fall ist,
ob de Bella und Torremuzza in der That ein Exemplar vor sich hatten,
welches nicht vollständig gut erhalten war, und gegebenen Falls, welche
von den Buchstaben, ob alle drei, ob zwei oder nur einer derselben
ganz oder theilweise verwischt gewesen.
Ich habe nun schon bei einer anderen Gelegenheit ^) darauf auf-
merksam gemacht, dass die Münchener Sammlung ein Tetradrachmen-
stück besitzt, welches bei der vorliegenden Frage ein entscheidendes
Gewicht in die Wagschale legt. Dasselbe ist geeignet, jeden Zweifel
hierüber zu lösen. Ich stelle desshalb auf der anhangenden Tafel beide
Exemplare, das bei Torremuzza abgebildete und das in der Münchener
Sammlung befindliche, zur Vergleichung nebeneinander. Letzteres zeigt
nachstehende Typen und Aufschriften:
Vorderseite: 2I0N Frauenkopf von der linken Seite
mit Ohrgehänge und ohne Halsband, die Haare auf dem Scheitel
ffekämmt, über der Stirne durch eine schmale mit den Buchstaben
(j)Pr gezierte Binde, am Hinterkopfe durch ein breites (netz-
förmiges) Tuch zusammengehalten, an den Schläfen aber in
grossen, wellenförmigen Locken geordnet, umgeben von vier
Delphinen, einer auf der Vorder-, die drei anderen auf der
Rückseite des Kopfes.
Rückseite: Eine jugendliche Gestalt von der linken Seite in
einem Wagen stehend, in der Linken die Zügel, in der erhobenen
Rechten den Stimulus in die Höhe haltend, lenkt vier springende
1) Kunstblatt. Jahrgang 1832. S. 163.
Pferde , von denen das erste und dritte den Kopf etwas rückwärts,
das zweite aufwärts, das vierte vorwärts beugt. Ueber den Pfer-
den, dem Wagenlenker entgegensch webend, eine geflügelte Nike
mit einem Kranze in beiden Händen. Unter den Vorderfüssen
der Pferde .... IJA. Im Abschnitte eine Aehre. Gew. 17, 15
Grm. Abbildung Fig. 2.
Vergleichen wir beide Exemplare, das Münchener und das bei Tor-
remuzza abgebildete, miteinander, so ist, insoweit aus der den Styl
und Charakter nicht genau wiedergebenden Zeichnung de Bella's ein
Schluss gezogen werden kann, die Uebereinstimmung beider eine so
auffallende, dass wir unzweifelhaft zu der Behauptung berechtiget sind,
beide seien Ausjjrägungen des einen und desselben Stempels. Das gilt
namentlich, worauf es hier vor Allem ankommt, von dem Bilde der
Vorderseite. Nicht zu reden von dem von anderen ähnlichen Geprägen
etwas abweichenden Profile des Frauenkopfes, worüber wir aus den an-
gegebenen Gründen zwischen unserem Originale und der Zeichnung de
Bella's nicht wohl eine Vergleichung anstellen können; die Anordnung
der Haare auf dem Scheitel des Hauptes, die zierliche Form der wellen-
artigen Locken an den Schläfen, die Gestalt des einfachen mit drei
Buchstaben geschmückten Bandes über der Stirne, die Rundung des
Tuches, welches den reichen Haarwuchs am Hinterkopfe zusammenfasst,
die schmalen Bänder, womit dieses Tuch selbst wieder unterbunden ist,
das Ohr mit den anhangenden Ohrringen, das hier nicht wie bei vielen
anderen Frauenköpfen auf den Tetradrachmen derselben Stadt ganz oder
theilweise von dem Schmucke der Haare zugedeckt wird, sondern
unter jenen wellenförmigen Locken und zwischen der Stirn- und Nacken-
binde frei hervortritt, endlich selbst die eigenthümliche Anordnung der
vier den Frauenkopf umgebenden Delphine, — ich sage : eigenthümlich,
denn wir finden nicht etwa, wie es zuweilen vorkömmt ^), deren drei auf der
Vorder- und einen auf der Hinterseite des Frauenkopfes, oder wie dies öfter
der Fall ist ''^), je zwei an der Vorder- und zwei an der Rückseite, oder end-
lich wie es am häufigsten wiederkehrt^), je zwei vor dem Gesichte, den
1) Torremuzza, Tab. LXXIII. Fig. 12.
2) Torremuzza, Tab. LXXII. Fig. 8, 10, 11. LXXIII. Fig. 7, 8, 17. Tab. LXXIV. Fig. 2, 6.
3) Torremuzza, Tab. LXXII. Fig. 1—4, 6, 7, 9, 11. Tab. LXXII. Fig. 4, 5, 13.,
Abb. d. I. Cl. d.k. Ak.d. Wies. X.Bd. I. Abth. 2
10
dritten neben dem Hinterhaupte und den vierten unter dem Halse, sondern
auf unseren Exemplaren ist, abweichend von allen übrigen, der eine Delphin
vor dem Frauenkopfo angebracht, während die drei anderen, und zwar alle
drei einer gleichen Richtung folgend und unmittelbar hintereinander
gestellt, ihren Platz auf der entgegengesetzten Seite gefunden haben —
alle diese charakteristischen Merkmale des Münchener und des von Tor-
remuzza mitgetheilten Exemplars stimmen so genau miteinander überein,
dass wir dasselbe nothwendig auch von den drei Buchstaben, womit
hier und dort das Stirnband des Kopfes geziert ist, annehmen müssen.
Da nun diese Buchstaben auf dem Münchener Exemplare vollkommen
deutlich sind, so nehme ich keinen Anstand zu behaupten, dass auf
dem von Torremuzza mitgetheilten Exemplare nur der dritte Buchstabe
gut erhalten, der zweite dagegen theilweise, der erste ganz verwischt
ist, und daher auf demselben nicht NOY sondern gleichfalls dfpy gelesen
werden müsse ^), Hiemit fällt aber alles was für die Existenz eines grie-
chischen Stempelschneiders Nouklides vorgebracht werden kann, hinweg.
Raoul-Rochette gedenkt zwar noch eines zweiten Exemplars, das er
einem Künstler Nouklides zuschreiben zu müssen glaubt. Er verweist
nämlich auf ein bei Torremuzza Tab. LXXHI. Fig. 2 abgebildetes Tetra-
drachmenstück mit den nämlichen dem Stirnbande eines Frauenkopfes
eingezeichneten drei Buchstaben NOY ^). Wäre diese Hinweisung richtig,
so läge noch immerhin einiger Grund vor für die Annahme eines
Stempelschneiders NOY, dessen Name wenigstens möglicher Weise mit
Nouklides ergänzt werden könnte; allein der sonst so gründliche und
vorsichtige Archäologe hat sich hier eine Ungenauigkeit zu Schulden
kommen lassen, zu der er offenbar nur durch den Umstand verleitet
1) Wir sind zu einer solchen Annahme, wenn es noch eines weiteren Beweises bedürfte, um
80 mehr lierechtiget, als die Zeichnungen bei Torremuzza auch sonst manche Ungenauig-
keiten darbieten. Ich mache beispielweise nur darauf aufmerksam, dass, offenbar unrichtig,
nicht nur auf dem vorliegenden Tetradrachmenstücke, sondern auch auf einigen anderen
Münzen der Name der Stadt 2:iPAK0ZIilN mit 1 geschrieben ist. Ebenso muss Tab. X.
Fig. 4 und Tab. LXXV. Fig. 5 statt EYAO und YAIN sicherlich EYJS gelesen werden.
2) Le nom de Nouclides est grave precisement de la meme maniere que celui de Sosis, c'est
ä savoir, les trois initiales NüY sw le devant du bandeau de la meme tele, teile que nous
l'offrent deux medailles du receuil de Torremuzza iab. LXXIII. n. 2 et 3. Raoul-Rochette,
loc. cit. p. 29,
11
wurde, dass Torremuzza irrthümlicli die beiden Exemplare des Priors
von S. Calogero und des Museums Lucchesi wegen der vermeintlich
gleichlautenden Aufschrift svfirjNOY zusammengestellt hatte. Das hier
von Raoul-Rochette citirte zweite Exemplar ist nämlich kein anderes
als das von Torremuzza aus der Lucchesischen Sammlung zu Girgenti
in Abbildung mitgetheilte und von uns bereits Eingangs beschriebene
Tetradrachmenstück mit den drei auf der Rückseite unmittelbar neben
dem Seeungeheuer angebrachten Buchstaben NOY. Von einer Inschrift
auf der Stirnbinde des Frauenkopfs ist hier keine Spur vorhanden und
kann eine solche um so weniger gesucht werden, als der besagte Frauen-
kopf mit einer Stirnbinde überhaupt gar nicht vorgestellt ist. Hiemit
ändert sich aber der Sachverhalt wesentlich ; denn wenn auch immer-
hin zugegeben, ja geradezu behauptet werden darf, dass sich die neben
dem Seeungeheuer angebrachten Zeichen auf den Namen eines Stempel-
schneiders beziehen, was nöthigt uns denn, vorausgesetzt, dass die Buch-
staben auf dem Originale selbst ganz deutlich sind, in denselben gerade
die Anfangs und nicht vielmehr die End-Buchstaben eines Eigennamens
zu erkennen? Konnte nicht Torremuzza richtig gesehen haben, wenn
er annahm die ersten Buchstaben dieses Namens seien entweder durch
Abnützung verwischt worden oder, da sie ihren Platz nur am äusser-
sten Rande der Münze gefunden hatten, schon beim Ausprägen gar nicht
zum Vorschein gekommen, und demnach, eingedenk, dass auf den
Münzen von Syracus der Name Eumenos öfter wiederkehrt, die mangel-
hafte Schrift mit sviiriNOY ergänzt hat? Allerdings müsste in diesem
Falle vorausgesetzt werden, dass der Stempelschneider, da das Seethier
und die Buchstaben NOY auf gleicher Linie nebeneinander stehen, das
Wort EYMHNOY in zwei Zeilen, die ersten vier Buchstaben unter, die
drei letzten neben dem Seethiere, erstere sonach in eine untere, letztere
in eine obere Linie gesetzt und EYMHNOY geschrieben habe, allein das
ist auch auf anderen Exemplaren, auf welchen Eumenos genannt ist,
wirklich der Fall. Die Münchener Sammlung besitzt ein Tetradrachmen-
stück mit der Aufschrift EYME^OY (sie), ein ähnliches Exemplar mit
der Aufschrift EYMHNOY (sie), hat Raoul-Rochette ^) in Abbildung mit-
1) Lettre ä M. le Duo de Luynes, PI. II. Fig. 13.
12
«etheilt. Gesetzt aber auch, die Aufschrift NOY enthalte nicht die
Ende-, sondern die Anfangsbuchstaben eines Eigennamens, was berech-
tiget uns denn, diese drei Zeichen, da sie, als Anfangs-Buchstaben eines
Namens auf einem anderen syracusanischen Exemplare als dem vorlie-
genden , wenigstens meines Wissens , gar nicht mehr vorkommen , mit
Nouklides, wofür uns gar kein Anhaltspunkt gegeben ist, zu ergänzen?
Gewiss, Raoul-Rochette selbst hätte, wenn er nicht durch die ungenaue
Zeichnung des erstgenannten Tetradrachmenstückes irre geleitet worden
wäre, weder die Buchstabon NOY auf dem zweiten Stücke mit Nouklides
ergänzt noch diesen Namen überhaupt in das Verzeichniss der Stempel-
schueider Siciliens aufgenommen.
Doch lassen wir die Deutung der Buchstaben NOY ganz dahin ge-
stellt, jedenfalls tritt uns nunmehr an ihrer Statt in den Buchstaben
(DPY, womit das Stirnband des Frauenkopfes auf dem erstgenannten
Tetradrachmenstücke geschmückt ist, der Name eines bisher unbekannten
syracusanischen Graveurs entgegen, und es kann nur noch die Frage
entstehen, ob uns nicht die Möglichkeit gegeben ist, diese Anfangssilbe
des Eigennamens zu ergänzen.
Dass es unthunlich sei die Buchstaben der Vorderseite mit denen
der Rückseite zu verbinden und demzufolge nach dem Vorgange Raoul-
Rochette' s etwa zu lesen <pPYxAIJA, ist bereits erwähnt worden. Wir
haben vielmehr auf den beiden Seiten zwei verschiedene Namen vor uns,
d. h. an unserer Medaille haben zwei verschiedene Künstler, der eine
die Vorder-, der andere die Rückseite gearbeitet, ein Vorkommniss wovon
sich auf sicilianischen Münzen mehrere Beispiele finden, sei es, dass zwei
Künstler von Anfang an an derselben Medaille gemeinschaftlich arbei-
teten , oder dass ein jüngerer Graveur den bereits vorhandenen Stempel
eines älteren Kunstgenossen benützte, und nur entweder die Vorder-
oder die Rückseite neu gravirte.
Wir müssen demnach die Aufschrift <t>PY in anderer Weise ergänzen,
und da kömmt uns ein in neuerer Zeit für das Münchener Kabinet
acquirirtes Stück von nachstehendem Gepräge zu Hilfe.
Vorderseite: 2Y-PAK-02-1-0N Frauenkopf von der linken Seite,
die Haare auf dem Scheitel abwärts gekämmt, an den Schläfen
dagegen in grossen wellenförmigen Locken rückwärts und am
Hinterhaupte aufwärts gerichtet, mit einer Aehre als Haarkranz und
einer Kornblume (?) über der Stirne, mit schlangenartigen Ohrringen,
und einem schmalen, vornan mit einer Frucht (?) geschmückten
Halsbande, umgeben von vier Delphinen; unten 'bPYriAA,
Rückseite: Eine jugendliche Gestalt mit Flügeln an den Schultern
von der rechten Seite, in einem Wagen stehend, mit der Rechten
die Zügel zurückziehend, mit der vorgestreckten Linken sie nach-
lassend, lenkt vier gleichmässig sj^ringende Pferde. Ueber letz-
teren, dem Wagenlenker entgegenschwebend, die geflügelte Nike, in
der ausgestreckten Rechten einen Kranz, in der gesenkten Linken (?).
Im Abschnitte zwischen einem Delphine und den Buchstaben
EY& die Scylla von der rechten Seite, in der Linken den über die
Schulter gelehnten Dreizack , die Rechte vorwärts gegen einen
Fisch ausgestreckt. Gew. 17,02 Grm. Abbildung Fig. 3.
Das nämliche Tetradrachmenstück mit dem vollständig ausgeschrie-
benen Namen des Stempelschneiders Phrygillos findet sich auch im brit-
tischen Museum. Leake hält dasselbe für das Werk eines Stempel-
schneiders Cjrillus und gibt hievon nachstehende Beschreibung:^)
Female heade to 1. ; in the hear ears of corn and a fruit of poppy ;
in front of necklace an oval fruit or pearl; below the neck
KYPIAA (Cyrillus , artist's name) ; around , between the four
dolphins and the head, 2YPAK02I0N.
R. Quadriga to r. ; winged charioteer, crowned by Victory, flying
to 1. ; in exergue Scylla to r. ; stretching forth right hand to-
wards fish; above which dolphin and EYQ (artist's name).
Vergleichen wir jedoch diese Beschreibung mit dem Exemplare der
Münchener Sammlung, so liegt der Grund der scheinbaren Verschieden-
heit nur in der minder guten Erhaltung des Originals des brittischen
Museums. Sicherlich muss auch auf diesem (PPYFIAA statt KYPIAA ge-
lesen werden, "^
Angesichts dieser beiden Exemplare kann ein Zweifel darüber, wie
die drei Buchstaben, welche auf dem erstgenannten Vierdrachmenstücke
1) Leake, Numismata hellenica , Insular Greece, pag. 73.
14
als Scliinuck der Stirnbinde angebracht sind, zu deuten seien, fernerhin
nicht mehr bestehen. Wir haben zwei Münzen die, wie Typen und
Aufschrift bezeugen, in derselben Stadt, und wie der Fabrik und dem
Style nach geurtheilt werden muss, ohngefähr zu derselben Zeit
geschlagen sind, die eine mit den Anfangsbuchstaben <t>pr, die andere
mit dem vollständigen Namen (pPYriAAO:^. Beide ergänzen sich gegen-
seitig. Der Umstand, dass auf dem einen Exemplare die Buchstaben «PPY
gleichsam versteckt und dem Auge des nicht sorgfältigen Beobachters
entzogen, der Stirnbinde des Frauenkopfes eingezeichnet sind, berech-
tiget uns zu der Annahme, dass der auf dem anderen Exemplare voll-
ständig ausgeschriebene Name (l>PYriAAO^ nicht einer Magistratsperson,
sondern gleichfalls einem Stempelsclmeider angehöre, und wieder umge-
kehrt überhebt uns der vollständig ausgeschriebene Name des zweiten
Exemplars jeden Zweifels wie die drei Buchstaben auf der Stirnbinde
zu ergänzen seien. Die Verschiedenheit der Ausdrucksweise schliesst
keinen Widerspruch in sich; sie ist die nämliche, die wir auch von
anderen Stempelschneidern Siciliens angewendet finden, wenn z. B.
Evaenetos seinen Namen bald mit den Anfangsbuchstaben, bald voll-
ständig ausgeschrieben, das eine Mal mit ganz kleinen kaum bemerk-
baren Buchstaben auf einem Täfelchen, das andere Mal mit deutlichen
Buchstaben im Felde der Münze angebracht hat.
Nähere Nachrichten über diesen Phrygillos fehlen uns gänzlich,
er muss aber zur selben Zeit gelebt haben, wie die übrigen bisher
bekannten Künstler, welche die schönen Medaillen von Syracus und
Catana geschnitten haben, nämlich Kimon, Euklides, Evaenetos und
Eumenos. Hiefür spricht schon das Stylgefühl überhaupt und die
Vergleichung der einzelnen von den genannten Künstlern vorliegenden
Arbeiten insbesondere. Diese Annahme findet aber auch ihre Bestätigung
in positiven Gründen. Wir entnehmen sie aus den Münzen selbst.
Die Vorstellung auf der Rückseite des vorliegenden zweiten Exem-
plars, auf welchem der Name (l>PYriAA02 vollständig ausgeschrieben
erscheint, ist dadurch bemerkenswerth , dass der Wagenlenker mit Flü-
geln an den Schultern gebildet und im Abschnitte die Scylla zwischen
zwei Fischen vorgestellt ist. Raoul-Rochette glaubt in diesem Stempel,
da neben der Scylla noch die Buchstaben EY& angebracht sind, die
15
Arbeit eines Künstlers Euthymos erkennen zu sollen. Ob mit Grund
oder nicht können wir dahin gestellt sein lassen ; genug, derselbe Revers,
der hier mit einem von Phrygillos gravirten Averse in Verbin-
dung gebracht ist, kehrt auf einer Medaille, deren Vorderseite Eumenos
geschnitten hat, wieder^). Wir schliessen hieraus, dass Phrjgillos, wenn
nicht gleichzeitig, doch jedenfalls nahezu zur selben Zeit gelebt hat, wie
Eumenos. Eumenos wird aber wieder, wie Raoul - Rochette nach-
gewiesen hat^), gleichzeitig genannt mit Evaenetos, Kimon und
Euklide s. Ja, wenn nicht Alles täuscht, so liefert selbst das erste von
uns beschriebene Stück den Beweis , dass Phrygillos, wie mit Euthymos
so auch gemeinschaftlich mit Euklides gearbeitet habe; denn die auf
der Rückseite unter den Füssen der Pferde befindlichen Buchstaben ija
oder wie Torremuzza gelesen hat, AIJA bilden offenbar nicht den Anfang,
sondern das Ende eines Eigennamens. Dies lehrt der Augenschein.
Hinter dem Buchstaben A ist kein Raum mehr für eine weitere Schrift.
Soll aber der Anfang der Aufschrift ergänzt werden, so kann es nur
durch einen Eigennamen geschehen, der erstens auf ides oder lides
endet i^nd zweitens vollständig ausgeschrieben nicht mehr als sieben
oder acht Buchstaben umfasst; denn da diesem Namen der Platz unter
den Vorderfüssen der Pferde angewiesen ist, und wir mit Sicherheit
annehmen dürfen, dass der Stempelschneider den Anfang der Schrift
nicht über die Eüsse des vordersten Pferdes hinausgerückt, sondern in
ein wohlbemessenes Verhältniss zu der Anordnung des Gesammtbildes
gebracht habe, so können auf unserem Exemplare nicht mehr als vier
oder fünf Buchstaben verwischt sein. Der Name EYKAEUA würde den
Raum in entsprechender Weise ausfüllen. Endlich war Euklides , wenn
nicht der vorzüglichste, jedenfalls einer der vorzüglichsten Stemjiel-
schneider in Syracus. Die Frauenköpfe, denen er entweder auf einem
Theile des Kopfschmuckes, der Opistosphendone, oder dem Helme,
oder auf einer gesonderten Rolle oder endlich auf einem Diptychon
in feinen, für ein unbewaffnetes Auge kaum sichtbaren Linien seinen
Namen beigeschrieben, sind das Zierlichste und Anmuthigste und
1) Torremuzza, Tab. LXXII 8 und 10. Mionnet nr. 744 und 747. Raoul-Rochette Lettre,
PI. II. Fig. 16.
2) Lettre ä M. le duc de Luynes, p. 20 et 24.
16
in künstlerisclier Beziehung Vollendeste, was vielleicht jemals mit dem
Grabstichel ist gearbeitet worden. Aber auch die Rückseite unseres
Kxemi)lares , die Anordnung des Ganzen, die Zeichnung der Pferde, die
Lebendigkeit ilirer Bewegung, die Manigfaltigkeit ihrer Stellung, die
Feinheit der Ausführung, ist das Werk eines ausgezeichneten Künstlers.
Es wäre des Euklides vollkommen würdig. Von demselben Stempel-
schneider ist unstreitig auch die Rückseite der bei Torremuzza, Aucta-
rium, Tab. I. Fig. 3 abgebildeten silbernen Medaille, und des Gold-
stückes, wovon uns derselbe Verfasser Tab. LXIX. Fig. 2 eine Abbil-
dung gibt.
II.
Einen zweiten bisher unbekannten Stempelschneider nennt uns ein
Tetradrachmenstück der Münchener Sammlung von nachstehendem Gepräge:
Vorderseite: 2 YPAK0-2W-N. Ein von vier Delphinen umgebener
Frauenkopf von der linken Seite, mit Stirnbinde, worauf ^ü^I,
ÜN
und mit schlangenförmigen Ohrringen, die Haare auf dem Üsheitei
gekämmt, unter der Stirnbinde und an den Schläfen ;■ i. zwei
Reihen übereinander wellenförmig gelockt, am Hinterhaupte auf-
wärts gebunden, mit doppeltem Halsschmucke, nämlich einer
dünnen Schnur mit anhangender Frucht (?) und darunter einer
Kette von Perlen.
Rückseite: Eine jugendliche Gestalt von der linken Seite in einem
Wagen stehend, mit der Linken die Zügel anziehend, mit der
vorgestreckten Rechten den Stimulus haltend und zugleich die
Zügel nachlassend, lenkt vier springende Pferde, von denen drei
den Kopf in gleicher Höhe halten, das vierte aber denselben etwas
senkt. Ueber den Pferden, dem Wagenlenker entgegenschwebend,
eine geflügelte Nike mit einem langen Zweige in beiden Händen.
Gew. 17,285 Grm. Abbildung Fig. 4.
Eine ähnliche Münze scheint Raoul-Rochette vor Augen gehabt zu
haben, als er den Namen Sosis in das Verzeichniss der Syracusanischen
Stempelschneider eintrugt). Er beschreibt zwar die Münze selbst nicht
1) Raoul-Rochette, Lettre, p. 28.
17
näher, sondern verweist nur auf Noehden, a selection of ancient coins,
führt aber an, dass auf dem Vordertheile des Diadems, womit der P'rauen-
kopf einer Sjracusanischen Münze geschmückt ist, die drei Buchstaben
2Si2 zu lesen seien ^). Leider habe ich von dem citirten Werke nur
die zwei ersten Hefte zur Hand, bin daher nicht in der Lage die da-
selbst gegebene Beschreibung und Abbildung vergleichen zu können;
allein nach den Mittheilungen Raoul-ßochettes und nach den Bemerk-
ungen , die er beifügt , muss ich wohl annehmen , dass es von dieser
Münze zweierlei Stempel gibt, die zwar im Wesentlichen übereinstimmen,
in Einzelnheiten aber von einander abweichen, dass sonach der Stempel,
den ich hier zur Vorlage bringe, unedirt sei. Noehden liest nämlich,
wie Raoul-Rochette bemerkt, auf dem Stirnbande des Frauenkopfes nur
die zwei Buchstaben 2Si, Raoul - Rochette dagegen behauptet, dass die
beigefügte Abbildung deutlich noch einen dritten Buchstaben, nämlich:«',
erkennen lasse und dieser Buchstabe unter den beiden ersteren ange-
bracht sei-). Ist diese Angabe genau, so stimmen zwar das Noehden' sehe
und das Münchener Exemplar erstens bezüglich der beiden Anfangsbuchstaben
2Si, und zweitens Betreffs der Anordnung der Legende in zwei Linien
untereinander, sonach in zwei wesentlichen Merkmalen überein, sie
unterscheiden sich aber dadurch von einander, dass dort unter den
Buchstaben ^ii, also in der zweiten Linie, der Buchstabe 2 erscheint,
während hier die untere Zeile durch die zwei ganz deutlichen Buch-
staben SiN gebildet wird und für einen Buchstaben 2' gar kein Raum
mehr übrig bleibt.
Raoul-Rochette glaubt, dass der nämliche Name in den Buchstaben
2Q, welche auf anderen Syracusanischen Geprägen im Felde der Münze
neben dem Bilde der bogenspannenden Diana angebracht sind, wieder-
kehre , und ergänzt diese beiden Buchstaben : 2^212, wie mir jedoch
scheint, beides ohne hiefür einen irgendwie überzeugenden Grund bei-
zubringen, denn was die hier erwähnten Syracusanischen Münzen mit
dem Bilde der Diana anbelangt, so müssen wir, da diese einer ganz
1) Le nom de Sosis se lit, exprime par les trois initiales, £Sl£ , sur la partie anterienre du
diademe dont est coiffee une Tete de femine. Raoul-Rochette, loc. cit.
2) Xoehden n'a lu que les deux lettres iSi, quoique sa graveure offre bien distiuctement une
lettre de plus, £, au dessous des deux premieres. Raoul-Rochette, loc. cit. p. 28. Note 1.
Adh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. 1. Abth. 3
18
anderen nnd zwar viel jüngeren Zeit angehören als unsere Tetradrachmen,
die Buchstaben lii aber selbstverständlich in sehr verschiedener Weise
ergänzt werden können, gänzlich dahingestellt sein lassen, ob sie von einem
o-leichnamiyen Künstler «ravirt sind oder nicht, was aber die Leerende 2Si2I2
betrifft, so bringt Raoul-Rochette auch hiefür keinen anderen Grund,
als dass der Name Sosis unter den Griechen Siciliens öfter vorkomme,
dass sich ein Syracusaner dieses Namens beim Aufstande gegen Hiero-
nymus besonders hervorgethan , derselbe Name endlich sich auf einer
Syracusanischen Münze mit dem Bildnisse Gelos oder vielmehr, wie
neuere Forschungen ergeben ^) mit dem Portraite, des Agathokles, voll-
ständig ausgeschrieben findet.
Unser Exemplar enthebt uns , zunächst bezüglich der Endsilbe des
fraglichen Namens , der blossen Vermuthungen. In der oberen Zeile
steht ganz deutlich 2£i2, in der unteren unterscheiden wir eben so
deutlich und selbst dem unbewaffneten Auge erkenntlich die beiden
Buchstaben iJiV, nicht mehr und nicht weniger. Von einem 2ii2I2, der
die Stempel der vorliegenden Münzen geschnitten hätte , kann daher
nicht weiter mehr die Rede sein. Nur darüber könnte möglicher Weise
noch ein Zweifel entstehen , ob die erste Zeile nur aus den erwähnten
drei Buchstaben 2^2 bestehe, oder ob auf dieselben ursprünglich noch
ein vierter und welcher? gefolgt sei, ob demnach 2Q2-iiN zu lesen oder
nach dem zweiten 2, noch ein Buchstabe einzuschieben sei. Eine ganz
sichere Lösung dieser Frage wird nun allerdings, da in der ersten Zeile,
wie gesagt, nur drei Buchstaben ganz deutlich sind, so lange ver-
schoben werden müssen , bis ein anderes , besser erhaltenes Exemplar
des nämlichen oder eines verwandten Stempels zum Vorschein kömmt;
wenn wir jedoch einerseits die Gestalt der Stirnbinde, der die Buch-
staben eingezeichnet sind, andrerseits die Art und Weise, wie die Buch-
staben auf derselben vertheilt wurden, näher in's Auge fassen, so ist
offenbar nicht blos für einen vierten, wenn auch schmalen Buchstaben noch
hinlänglich Platz vorhanden , ' sondern es erscheint sogar unwahrschein-
lich, dass der Stempelschneider den zwischen dem dritten Buchstaben
und den über den Schläfen aufsteigenden Locken befindlichen Raum,
\) (JiuH, Hornano, Iconografia nurnism. dei Tiranni di Siracusa. Palermo 1858.
19
der ohngefähr den vierten Theil der Stirnbinde , soweit diese zwischen
den Haaren sichtbar ist, einnimmt, sollte leer gelassen haben. So
viel ich zu unterscheiden vermag, zeigt sich auf dem Originale selbst
noch die Spur eines vierten schmalen Buchstabens, Ich lese daher,
wie bereits Noehden aus mir unbekannten Gründen — Raoul-Rochette
sagt: nach blosser Conjectur — gethan hat, ^üII-iiN.
Der Name Sosion hat nichts Befremdendes. Er kömmt auch
anderwärts, beispielweise auf den Münzen von Dyrrhachium vor ^). Dass
aber in demselben auf unserem Denkmale der Name des Stempelschnei-
ders zu erkennen sei , wird nach den von Raoul-Rochette über diesen
Gegenstand vorgelegten Erörterungen ohnehin Niemand mehr in Zweifel
ziehen. Wenn Sosion seinen Namen auf die Stirnbinde des Frauenkopfes
gesetzt hat , so folgte er hierin nur dem BeisjDiele des Stempelschneiders
Kimon'^) und des oben erwähnten Phrygillos; und wenn er den-
selben in zwei Zeilen theilte, so haben Euklides^) und Evaenetos*)
das Gleiche gethan, jener, indem er EYKA, dieser, indem er EYAIN,
EIJA ETO
zwar nicht auf die Stirnbinde eines Frauenkopfes aber auf ein länglich
viereckiges Täfelchen schrieb. Wenn Sosion endlich seinen Namen der
Stirnbinde anstatt, wie Kimon, in Einer fortlaufenden Linie vielmehr
in zwei und zwar ungleich langen Zeilen, nämlich 2ii2l, d. i. vierBuch-
SiN
Stäben in der ersten und zwei in der zweiten Zeile eingeschrieben hat,
eine Raumvertheilung , die zunächst durch die künstlerische Anordnung
der über der Stirne und den Schläfen w^ellenförmig gelockten Haare
motivirt war : so steht unser Stempel auch hierin nicht als vereinzeltes
Beispiel da. Der Stempelschneider Eumenos hat auf einer bei Torre-
muzza ^) und Hunter ^) abgebildeten Medaille von Syracus seinen Namen
ganz in derselben Weise, nämlich EYMH d. i. vier Buchstaben in der
NOY
1) Mionnet. Snppl. Tom. III, p. 351. n. 297, p. 352, n. 308.
2) Torremuzza, Tab. LXXII, Fig. 2 et 5.
3) Hunter. Tab. 52, Fig. XVIT. Baoul-Rochette, Tab. I, Fig. 2.
4J Hunter, Tab. 53, Fig. III. Raoul-Kochette, Tab. I, Fig. 6.
5) Torremuzza, Tab. LXXII, Fig. 7
6) Hunter, Tab. 52, Fig. XIV.
20
ersten und drei in der zweiten Zeile auf der Stirnbinde des Frauen-
koi)fes angebracht. Icli betone diese anscheinend kleinlichen Be-
merkungen , weil sie uns zugleich belehren , dass S o s i o n , was übri-
gens schon die Anordnung der Bilder, der Styl der Zeichnung, die
Form der Buchstaben, die Behandlung des Reliefs, kurz die ganze
Beschaffenheit der Münze erkennen lässt, ein Zeitgenosse des Eumenos,
mithin auch des Phrygillos, Kinion, Evaenetos, Euklides und
E u t h y m o s gewesen sei.
III.
Den vorstehenden Mittheilungen glaube ich noch die Beschreibung
nachstehender in der Münchener Sammlung befindlichen Syracusanischen
Silbermünze beifügen zu sollen.
Vorderseite: ^YPAKO^ION. Ein von vier Delphinen umgebener
Frauenkopf von der linken Seite mit schlangenförmigen Ohr-
ringen und einer Halsschnur , an deren Ende eine Furcht (?) ;
die Haare auf dem Scheitel gekämmt, über der Stirne mit einer
schmalen, am Hinterhaui^te mit einer etwas breiteren Binde zu-
sammengehalten, an den Schläfen aber in wellenförmigen Locken
geordnet. Im Felde der Münze, hinter dem Kopfe, EYMHAOY.
Rückseite: Eine jugendliche Gestalt von der linken Seite, mit
Helm auf dem Haupte und Köcher an der Schulter, in einem
Wagen stehend, mit der Linken die Zügel anziehend, mit der
vorgestreckten Rechten dieselben nachlassend, lenkt vier gleich-
massig sj)ringende Pferde, von denen drei den Kopf in gleicher
Höhe halten, das vierte aber denselben etwas abwärts senkt.
Ueber den Pferden, dem Wagenlenker entgegenschwebend, eine
geflügelte Nike mit einem langen Zweige in beiden Händen.
Gew. 12,562 Grm. Abbildung Fig. 5.
Ich habe zwar dieser Münze schon an einem anderen Orte^), wenn
auch damals nur im Vorbeigehen, gedacht, sie scheint mir aber, wir
\) Kunsthlatt 1822, Xr. 42. S. 1G2.
21
mögen nun unser Augenmerk zunächst nur auf die Aufschriften oder
auf die künstlerische Behandlung der Typen richten, so eigenthümlich
und, wenn wir sie mit verwandten Stempeln vergleichen , von denselben
so sehr abweichend und mit ihnen dennoch wieder so übereinstimmend
dass es wohl gerechtfertiget scheint, wenn ich auf dieselbe nochmal und
zwar etwas ausführlicher zurückkomme.
Was an dieser Münze Jeden , der sich näher mit den schönen
Stempeln von Sjracus und ihren vielen Varietäten vertraut gemacht
hat , zuerst befremden muss , ist der im Felde hinter dem Frauenkopfe
angebrachte Name EYMHAOY. Dieser Name kömmt nämlich meines
Wissens auf einer anderen Sjracusanischen Münze nicht mehr vor.
Dagegen gibt es aber eine so bedeutende Anzahl von Tetradrachmen
derselben Stadt , auf denen der Name des Künstlers E u m e n o s , und
zwar in sehr verschiedener Weise, bald auf der Vorder- bald auf der
Rückseite, bald auf beiden Seiten zugleich, entweder durch die Anfangs-
buchstaben angedeutet oder auch vollständig ausgeschrieben, in letzterem
Falle bald mit H, bald mit E erscheint, dass man unwillkührlich auf
die Vermuthung gebracht wird, auch auf dem vorliegenden Exemplare
müsse EYMHNOY statt EYMHAOY gelesen werden.
Diese Vermuthung dürfte sich für den flüchtigen Beobachter nahezu
zur Gewissheit steigern, wenn er unsere Zeichnung mit dem bei Hunter,
Tab. 53 , Fig. 1 abgebildeten Exemplare vergleicht. Dort wie hier der
Name der Stadt über dem Frauenkopfe im Halbkreise, der Name des
Künstlers hinter dem Kopfe gradlinig, jener mit 0, dieser mit H ge-
schrieben; dort wie hier der Frauenkopf in gleicher Weise ge-
schmückt, die Haare über jder Stirne durch eine schmale, am Hinter-
haupte durch eine etwas breitere Binde [zusammengehalten ; dort wie
hier die gleiche Anordnung der vier Delphine, zwei derselben, einander
entgegengestellt, vor dem Gesichte, der dritte unter dem Halse, der
vierte neben dem Hinterhaupte ; kurz zwischen beiden eine auffallende
Uebereinstimmung. Auf dem Hunter' sehen Exemplare steht aber nicht
EYMHAOY sondern ganz deutlich EYMHNOY.
Nichts desto weniger müssen wir die Annahme als ob auch unser
Exemplar für eine Arbeit des Stempelscheiders Eumenos zu halten
wäre, als unstatthaft zurückweisen. Fürs Erste ist die Schrift desselben
•)•)
mit einziger Ausnahme des ersten Buchstabens desjenigen Namens, in
welchem wir den des Künstlers zu suchen haben, vollkommen gut
erhalten und so rein und scharf ausgeprägt, dass auch an irgend
eine Fälschung gar nicht gedacht werden kann. Das gilt namentlich
von dem Buchstaben A. Dieser kann mit i\' gar nicht verwechselt
werden. Auf unserem Exemplare steht deutlich nicht EYMHNOY son-
dern EYMHAOY. Zweitens ist die Uebereinstimmung beider Exemplare,
wenn wir auf einen näheren Vergleich eingehen, doch nicht so gross,
dass wir dadurch zu der Annahme bestimmt werden könnten, unsere
Münze müsste, w^eil auf der Hunter' sehen der Stempelschneider Eumenos
genannt ist, gleichfalls von Eumenos und nicht vielmehr von einem
bisher unbekannten Künstler Eumelos gravirt sein. Ich will hier,
da an den Sjracusanischen Medaillen häufig zwei Künstler gearbeitet
haben , gar kein Gewicht darauf legen , dass die Rückseite der
Hunter' sehen Medaille von der des Münchener Exemplars ganz ver-
schieden ist — der Wagenlenker erscheint dort mit unbedecktem
Haupte, hier mit dem Helme; dort treibt er mit der Gerte in der
erhobenen Rechten die Pferde vorwärts, hier hält er in der vorge-
streckten Rechten die Zügel; dort haben alle vier Pferde den Kopf in
gleicher Höhe, hier erscheint das äusserste Pferd mit gesenktem Ko2)fe;
dort steht unter der Quadriga der Name des Graveurs, hier ist der
entsprechende Raum leer gelassen, — betrachten wir die Vorderseite
für sich allein , richten wir , da die feineren Unterschiede der Gesichts-
bildung und der Behandlung der Haare doch nur an den Originalen
selbst geprüft werden können, unser Augenmerk auf die Nebentjpen
und vergleichen wir einerseits die schlanke Gestalt der sich krümmenden
Delj)hine, die dünne, kleine und ganz ungleich behandelte Schrift
namentlich in dem Worte 2YPAK02I0N, die wechselnde Höhe der ein-
zelnen Buchstaben, die unregelmässige Entfernung derselben von ein-
ander auf dem Münchener Exemplare; andrerseits die breiten und nur
wenig gekrümmten Delphine auf der Hunter' scheu Medaille und die
grossen, schönen und regelmässigen Schriftzüge daselbst, wonach alle
einzelnen Buchstaben gleich hoch und gleich weit von einander entfernt
erscheinen: so liegt in der künstlerischen Behandlung dieser beiden
Stempel fürwahr kein Grund, geschweige eine Nöthigung, in beiden
23
Arbeiten die Hand desselben Meisters zu erkennen. Endlich haben sich
von Eumenos noch so viele Stempel, namentlich von verschiedenen
mit aller Sorgfalt durchgeführten Frauenköpfen erhalten, dass der auf-
merksame Beobachter wohl in den Stand gesetzt wird, seine Erzeugnisse
von den Arbeiten , zwar nicht aller aber doch solcher Künstler zu
unterscheiden , die in Bezug auf feinen Geschmack und technische Ge-
schicklichkeit weit hinter ihm zurückstanden. Von seinen schönen und
regelmässigen Buchstaben war bereits die Rede. Er wusste sie, um
den gegebenen Raum in entsprechender Weise auszufüllen , stets in
geschickter Weise zwischen den Nebentypen einzufügen. Seine Frauen-
köpfe treten immer in starkem Relief hervor. Die Augenbraunen wölben
sich in feiner Bogenlinie. Der Mund ist wie zu freundlichem Lächeln
halb geöffnet. Vor Allem aber ist es die künstlerische Anordnung des
Haupthaares und der üppigen, zuweilen von einem reich verzierten
Tuche umschlungenen, zumeist ohne sichtbares Band in schönen Wellen-
linien sich begegnenden Locken, worin er, manchmal selbst bis zur
Manierirtheit , seine Meisterschaft zu zeigen suchte. Wie ganz anders
erscheint dagegen die künstlerische Behandlung des Frauenkopfes auf
der mit dem Namen EYMHy/OY bezeichneten Medaille. Das flach gehal-
tene Relief, die bereits erwähnte Ungleichheit der Schriftzeichen, die
dürftige Anordnung des durch ein schmales Band zusammengehaltenen
Haarschmuckes, die dünnen Locken über den Schläfen, die parallel
nebeneinander gestellten Haare am Hinterhaupte, die langgezogenen
Augenbraunen , die scharf geschlitzten Augenlieder , die nahezu gerad-
linige Oberlippe ! Sollten wir hierin ein Werk des Eumenos erkennen ?
Möglich, ja, wenn wir das Hunter'sche Exemplar in Vergleichung ziehen,
sogar wahrscheinlich, dass der Stempelschneider unserer Münze ein
Werk des Eumenos vor Augen hatte und dasselbe so gut er vermochte
nachzubilden suchte, aber der Frauenkopf unserer Münze ist nimmer-
mehr eine Arbeit des kunstreichen Eumenos.
Wir sind daher vollkommen berechtigt, neben Eumenos noch einen
Eumelos in das Verzeichniss der sicilianischen Stempelschneider ein-
zutragen. Er mag einer etwas jüngeren Zeit angehören wie Eumenos,
kann aber doch nicht sehr viel später gelebt haben , theils weil er den
Namen 2YPAK02I0N noch mit 0 statt mit ii schreibt, theils weil die
24
Sitte der Künstler ihren Namen vollständig auf die Münze zu setzen
bald %vieder ausser Gebrauch kam.
Was das Bild der Rückseite betrifft, beschränke ich mich auf die
Bemerkung , dass ein Wagenlenker mit dem Helme auf dem Koj^fe nicht
zu den oft wiederkehrenden Darstellungen gehört. Einen ähnlichen
Tjpus finden wir jedoch auf einer Silbermünze von Camarina. Die
Gruppirung der Pferde zwar ist verschieden, auch hält die geflügelte
Nike daselbst zwei Kränze statt des langen Zweiges, der Wagenlenker
aber erscheint genau wie auf unserer Münze. Den Helm mit dem
Helmbusche auf dem Kopfe und den Köcher an der Schulter zieht er
mit der Linken die Zügel straff an, um das im inneren Kreise der
Bahn laufende Pferd etwas zurückzuhalten, während er mit der vorge-
streckten Rechten den Zügel nachlässt, um dem äussersten Pferde freien
Lauf zu geben. Noehden ^) glaubt in dieser Gestalt die personificirte
Stadt Camarina erkennen zu sollen, ob mit Grund, müssen wir dahin-
gestellt sein lassen.
Blicken wir nochmal auf die vorstehenden Untersuchungen zurück,
so ergibt sich:
1) dass für die Zukunft die Namen Nouklides, Kyrillos
und Sosis aus dem Verzeichnisse der Syracusanischen Stem-
pelschneider zu streichen und an ihrer Stelle Phrjgillos,
Sosion und Eumelos einzusetzen seien;
2) dass diese gleichzeitig mit Euklides, Eumenos, Euthjmos,
Evaenetos und Kimon gelebt und gewirkt.
Es ist das dieselbe Zeit, in der eine Aenderung in der Form der
griechischen Schriftzeichen vor sich ging und sich die Buchstaben £i
und H allmählig Eingang verschafften. Die fraglichen Münzen selbst
liefern uns hiefür die Belege. Auf den hier vorgelegten Stempeln des
Phrjgillos , Sosion und Eumelos ist der Name der Stadt noch in der
älteren Weise, nämlich 2YFAK02I0N mit 0 geschrieben. Eben so auf
1; Noehden, Selection of aiicient coins, p. 13, Plate 3.
25
mehreren Tetradraclimen , die Eumenos gravirt hat ^) , während hin-
wieder auf anderen Medaillen, die aus der Hand des nämlichen
Eumenos hervorgingen, deutlich 2YPAK0^ISiN mit n zu lesen ist 2).
Der Name des Eumenos selbst ist auf einem Exemplare der Münchener
Sammlung^) EYMENOY mit £, gewöhnlich aber EYMHNOY mit H,
geschrieben. Wenn die Zeichnung bei Torremuzza, Tab. LXXII, Fig. 6,
woran wir zu zweifeln keinen genügenden Grund haben, genau ist,
so erscheint sein Name in beiden Schreibweisen, sogar auf der einen
und derselben Münze, auf der Vorderseite EYMENOY, auf der Rück-
seite EYMHNOY. Auf den Medaillen der Stempelschneider Kimon und
Evaenetos finden wir bereits regelmässig die Schreibweise 2TPAK0IISiN
und KATANAIiiN mit dem jüngeren Si.
1) Vgl. Hunter, Tab, 53, Fig. I et V. Raoul-Rochette, loc. cit. PI. II. Fig. 15.
2) Vgl. Raoul-Rochette, loc. cit. PI. II, Fig. 11, 13, 14.
8) Auch bei Torremuzza, Tab. LXXII, Fig. 8.
Abh. d. T. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth.
Demosthenes
Vertheidigung des Ktesiphon.
Ein Beitrag zum Verständniss des Redners
von
Leonhard Spengel.
Vorgetragen in der Sitzung der philos.-ijhilol. Classe vom 4. Januar 1862.
Demosthenes
Vertheidigung des Ktesiphoii.
Ein Beitrag zum Verständniss des Redners
von
Leonhard Spengel.
Demosthenes Rede über die Krone, dem Namen nach eine Verthei-
digung des von Aeschines angeklagten Ktesiphon, der That nach eine
Verherrlichung seiner selbst und seiner gesammten politischen Thätigkeit,
ist anerkannt auch die Krone aller seiner Reden. Der Eindruck der-
selben ist nicht bloss bei der ersten Leetüre, er ist auch bei wieder-
holtem Lesen ein überwältigender; wie gross musste dieser in jenen
aufgeregten Zeiten aus dem Munde des Redners selbst auf seine Zuhörer
sein? Die Erzählung, Aeschines habe den Rhodiern bemerkt: d^av^id^sTs
7t(Sg rJTTrjfjbai, xa^o ovx rjxovöazs v/iisTg tov ^tjqCov sxsivov, wenn Sie auch nur
eine Sage ist, drückt die hinreissende Gewalt seines Gegners deutlich
genug aus,^) und stimmt mit dem überein, was er in der Klage selbst
sagt §. 174, jener sei ösn'dg Uysiv, seine Reden seien l6yoi xaloL
Hätten wir diese Vertheidigung allein, nicht zugleich auch die Klage
des Aeschines, die Aeusserungen des Demosthenes in den übrigen Reden,
viele mehr oder weniger eingehende Bemerkungen späterer, so müssten
wir jede Angabe unsers Redners gläubig hinnehmen, und es wäre nicht
erlaubt, einen Zweifel über irgend eine Thatsache auch nur leise geltend
zu machen ; der Mangel richtiger Schlussfolge würde kaum hier oder
dort einiges Bedenken erregen. Man hat das lange genug gethan und
1) Vgl. Schäfer II, 448.
30
darf sich nicht wundern. Die Rede genügt sich selbst, sie braucht und
will nichts anderes, ist vollendet und gerundet, das hohe Selbstgefühl
des Sprechenden, die feste Zuversicht auf seine gerechte Sache und den
Sieg, die Verachtung, mit welcher er den Gegner behandelt, so weg-
werfend, dass man an ihn nicht weiter denkt, die Politik im reinsten
und erhabensten Geiste aufgefasst, um die eindringende Fremdherrschaft
von Hellas abzuwehren, das Alles macht, dass man der Bewunderung
voll ist, und Anderes ausser der Rede mehr eine Störung des Gesammt-
eindruckes als ein Erforderniss scheint.
In neuerer Zeit hat man nicht versäumt, auch das übrige mit in
den Kreis zu ziehen, jedoch fast nur um auf Kosten des Gegners etwaige
Blossen des Redners zu decken und ihn noch mehr zu verherrlichen.
Der glückliche Ausgang des Processes, welcher dem Kläger nicht einmal
den geforderten Theil Stimmen gewährte und ihn in die Strafe eines
böswilligen Calumnianten verurtheilte, der unbestechliche nie ermüdende
Eifer für das Wohl seines Volkes, sein Hass gegen makedonische Despotie,
endlich sein edler Tod für die Freiheit, alles dieses in Verbindung mit
der ausgezeichneten Beredtsamkeit schien ihn nicht bloss zum Märtyrer,
sondern auch zum Heiligen zu erheben,^) und so durfte keine Makel an
dem was er that und sprach, hängen bleiben, jeder Ausspruch galt als
eine Weissagung, und da attische Redner so gerne übertreiben, so war
es nicht schwer, den Gegner noch mehr zu brandmarken und schwärzer
zu malen, als Demosthenes selbst gethan hat.
Es mag frevelhaft scheinen, diese Bewunderung unangenehm zu
stören und mit kaltem Verstände an dem herrlichen Kunstwerke zu
mäkeln ; vielfacher Widerspruch und Verdammniss wird nicht ausbleiben,
aber mancher falsche Glaube ist gefallen, manche Ansicht der Einsicht
gewichen ; Aufgabe der Philologie ist, die grossen ehrwürdigen Gestalten
des Alterthums wie nicht zu erniedrigen, so auch nicht über Gebühr
erhöhen und in einem falschen heiligen Scheine leuchten zu lassen,
1) Niebuhr über Xenophons Hellenica, und in demselben Sinne mehr oder minder die neuern;
richtiger urtheilt über Dem. I. I. Reiske, er hatte aber auch zu seiner Zeit allein die
Rhetores Aldi studirt und alle auf den Redner bezüglichen Stellen mit grösster Sorgfalt
ausgezogen; das hat gewiss nicht wenig dazu beigetragen, die Sophistik genau zu durch-
schauen und sich von ihr nicht täuschen zu lassen.
31
sondern in ihrem wahren Lichte darzustellen; eine der gewöhnlichen
Annahme entgegengesetzte Auffassung wird Andern sicher Gelegenheit
geben , sorgfältig zu prüfen und gründlicher und tiefer als bis jetzt
geschehen zu forschen.
Hier ist zuerst der Irrthum hervorzuheben , welcher ein antikes
rhetorisches Kunstwerk einer geschichtlichen Darstellung gleich setzt
und glaubt, wie diese müsse auch jenes nur Wahrheit aussagen. So
sehr wir dieses mit Recht von unsern Rednern fordern, so wenig ist es
im Geiste der antiken Welt. Die Beredtsamkeit der Alten will nichts
als überreden, nsidsiv, und ist wenig um die Mittel besorgt diesen Zweck
zu erreichen.^) Wie man in einem poetischen Werke eines geschicht-
lichen Stoffes wenig historische Wahrheit suchen darf,^) ebenso in einem
rhetorischen. Die Sophistik hat sich mit ihrer Kunst rdv rjtTO} Xöyov
xQsiTTO) Ttoistv iu die Rhetorik geflüchtet und dort aufs üppigste gewuchert ;
ein Verständniss der Theorie dieser ist daher zur richtigen Beurtheilung
unentbehrlich. Je tüchtiger ein Redner ist, um so mehr weiss er Allem,
was er sagt, den Schein der Wahrheit aufzudrücken, dass der Zuhörer
nicht im Stande ist zu unterscheiden und von dem Gehörten hingerissen
auch überzeugt fortgeht; der tüchtigste wird es also auch am besten
wissen, und ist er selbst Gegenstand des Streites, dann wird auch seine
Persönlichkeit zumeist hervortreten, den Mittelpunkt des Ganzen bilden,
alles Andere um ihn herum verschwinden, dass man nur ihn sieht und
hört und von ihm eingenommen ist. Erst ruhige Betrachtung und sorg-
fältige Prüfung des Einzelnen, Vergleichung der gegenseitigen Aussagen
1) 7r£t5-w (ff xovcpou tarv xai vovv ovx i/ov.
2) Wir kennen den zweiten messenischen Krieg nur aus Pausanias IV, 14 — 24. Wer sich die
Mühe nehmen will, den Verlauf und die verschiedenen Kämpfe zu vergleichen, wird sehen,
wie schön symmetrisch Alles gehalten ist. Herrliche poetische Schilderungen, Alles aus
Rhianus Gedicht, das Pausanias in Prosa aufgelöst hat und in welchem man noch manche
Hexameter erkennen kann. Historisch ist ausser dem Namen des Helden Aristomenes nichts,
als dass die Spartaner Messenien unterjocht haben. Wie viel Wahres mag in Isokrates
Euagoras enthalten sein? Allerdings etwas mehr, als in dessen Helene und Busiris. Die
Geschichte selbst wurde durch rhetorisirende Historiker entstellt, Theopompus scheint den
Reden des Dem. öfters gefolgt zu sein, vgl. Demegor. p. 23. Den ersten messenischen Krieg
erzählt Pausan. IV, 4— 13 nach Myron von Priene, man möchte auch diesen gleich Rhianus
für einen Dichter halten, dieselbe beabsichtigte Concinnität, bis ins Tragische gestaltet,
daher auch Neuere ihren dramatischen Stoff daraus geholt haben; Wahres darf man auch
hier gar nicht suchen, Alles trägt den Charakter des Unglaublichen und Poetischen.
32
und deren Gründe, verbunden mit der erforderlichen Kenntniss der
Theorie der Beredtsamkeit wird eine unbefangene Beurtheilung geben
und Vieles im andern Lichte erscheinen lassen, als man es früher gesehen
hat. Auch ist unser Verfahren nicht -neu, neu ist vielmehr nur diese
falsche Vergötterung, Die Alten mit Rhetorik und Ilhetoren besser
vertraut, haben oft einen Beweiss von Schwäche gefunden, wo man
jetzt, weil der Redner ganz anders spricht als er vielleicht denkt, über-
zeugende Kraft zu sehen glaubt; ihnen lag seine viel gerühmte Ssivörr^g
nicht in der Wahrheit dessen, was er sagt, sondern darin, dass er Allem,
was er sagt, auch wenn es nicht wahr ist, überzeugende Kraft zu geben
und auf den Zuhörer zu wirken versteht. Es geht dadurch nichts ver-
loren, wie man vielleicht glaubt, es wird vielmehr gewonnen, die falsche
Bewunderung geht in eine wahre über, man muss die Kraft des Redners
anstaunen, wodurch er Allen überlegen ist und wie er in dieser Bezie-
hung in der Tliat mit Verachtung auf seinen Gegner herabschauen kann.
Aeschines Rede xard KrrjOKpm'tog ist einfach ; einem kurzen exordium
1 — 8 folgen die drei Klagepunkte, welche das naqdvof.iov enthalten, 1) dass
Demosthenes vnevdvvog sei, 2) dass die Ausrufung nicht iv ^sdxQoj statt-
finden dürfe, 3) dass Demosthenes einen Kranz nicht verdiene, in vier
Abschnitten chronologisch durchgeführt. Dieses die confirmatio 9 — 167.
Das übrige besteht aus der Widerlegung möglicher Einwürfe, nqoxaza-
l/jipsig, bezüglich der drei betheiligten Personen, und bildet das, was die
Theorie mit dem Worte confutatio bezeichnet, 168 — 259, conclusio 160.
Die Vertheidigung des Demosthenes vn^Q KTrjOKpm'Tog hält sich fast aus-
schliesslich an den letzten Klagepunkt, oti ovx a^iog Jrjfxoodtvrjg ms(pdvov,
geht in der Beweisführung des ä^iota Xsysiv §. 60 — 109 absichtlich nur
bis auf den Wendepunkt des Friedens, um hier die beiden ersten unbe-
quemen Artikel einzuschalten und kurz abzumachen, fährt dann wieder
mit seiner Politik §.160 fort, dem Anfange des Krieges, der Verbindung
Thebens mit Athen, was sein Werk war, und weiss durch eine glänzende
Darstellung Alles zu begeistern und mit sich fortzureissen ; sei der Aus-
gang auch unglücklich gewesen, die Tendenz, nqoaiQsoig, war edel und
BS
Athens würdig. Darin lag das Erliebende, es handelte sich jetzt nicht
mehr um das naQÜvoi-iov des Psephisma, sondern um Anerkennung oder
Verwerfung der Politik des Demosthenes, d. h. des gesammten Kampfes
der Athener gegen Philippus. Eine Verurtlieilung des Ktesiphon wäre
eine indirecte Anerkennung der makedonischen Herrschaft gewesen, was
nie und nimmer geschehen durfte. Der gedrückten Stimmung, in wel-
cher damals unter Alexander die Athener sich befanden, ist es wohl
zumeist zuzuschreiben, wenn der Kläger auch nicht einmal ein Fünftheil
Stimmen erhielt und in Folge dessen selbst in eine Strafe verur-
theilt wurde.
Von der Interpretation, welche der Redner den Worten der Eides-
formel j giebt : xal dxQoäooiiai rov ts xaTrjyÖQov xul rov dnoXoyovixs'vov ofxoicog
d/ji(poiv, sagt Dissen : explicatio horum verborum egregia , ut est omnino
virtus Demosthenis in explicatione rerum, vielmehr ist sie spitzfindig
und erst hineingetragen , an sich sind die Worte nicht dafür und nicht
dagegen; Sinn und Bedeutung der Formel war allein to ßr] nqoxaTsyvw-
xi'vai i^irjSiv, t6 ttjv evvoiav i'orjv di.i(poT£(joig dnodovvai. Keine der vorhandenen
Reden macht je eine solche Forderung, überall ist der Vertheidiger froh,
die l'orj siivoia ZU erlangen.'^) Wie die streitenden Parteien ihre Reden
einrichten sollen, damit hat dieses audiatur et altera pars nichts zu thun,
dazu waren besondere Bestimmungen nöthig, z. B. dass man nicht f^co
Tov TTQdyinaTog rede u. dergl. Wenn der Kläger die Forderung stellt,
der Vertheidiger solle die Klage Punkt für Punkt widerlegen, damit er
nicht von dem eigentlichen Gegenstande abziehe und die Richter täusche,
1) To ö/^oicjg d/ucpotg uxQoda aOrha i. So 2 allein, die übrigen säinmtlich dxQoda&ai, beides
kann hier stehen, dass aber Dem. nach den Worten des Gesetzes dxQodaead-cci geschrieben
hat, ist schon im Rh. Mus. 1828 S. 390 bemerkt worden. Isocrat. antid. 21 na^' v/ity . .
of/.pvycu y.aii-' i'xciaxov ivicvxov r\ ^t]y Ofioibjg uxqoua la&ai, rtöu xarriyopovi'iwy xai rwy dno-
Xoyov^uivoiv. Plat. Demod. p. 532 Bkk. ri riyug i'ytxtv >j /Qoyoy dficpoTtQOig SiSoaxhca roig
uyzidixotg i] ofiyviiv jovg SiXuGTug dxQodatax^ai. 6/iioCii>g djj,(poTi(>(xiv. Aeschin. 2, 1.
2) Andocides 1, 6 fordert allerdings mehr (dzoZfxca ovy vfidg w äydpeg tvvoiav nktCa> naqa-
a/ia&cu t/Lioi zu dnoXoyovfiiyu) ij zoig xccztiyoQoig , ti^ozag ozi xdv «f 'iaov dxpodad-e,
dvdyxTj zw dnoloyov fitj'op i'Xurzoy t'/ny und Lysias 19, 2 hat das wörtlich übertragen, aber
beide sind am Ende doch froh, wenn die Richter nur nicht der Rede des Klägers allein
trauen, sondern auch den Beklagten anhören, §. 7 lixog vfxdg iazi /x^nw zotig zuty xcmj-
yoqiov 'Aoyovg niazovg ^ytiadai,. 9. zd<it ät v/uaiy (^iofxca fxtz' ivi'oiug fxov itjy dxQouaiy z^g
anokoyiag noiijaaa&ai.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X.Bd. I. Abth. 5
o-i
dieser aber der Forderung ausweicht und zu seiner Reclitfertigung jene
Worte des Gesetzes vorbringt, so ist dieses ein oifenes Bekenntniss,
dass er durch einen rhetorischen Kunstgriff zu erhalten sucht, was er
auf rechtlichem Wege nicht erlangen kann, und es ist um so bedeu-
tender, als der Gegner davor gewarnt und den Erfolg vorausgesagt hat.
Demosthenes glaubte wohl selbst nicht an diese Art Exegese, aber er
hatte sie nötliig und konnte auf seine Zuhörer wirken, wenn er sein
Verfahren an die Worte des Gesetzes knüpfte und damit vertheidigte.
Hätte er alles Recht auf seiner Seite gehabt, so würde er auch den vom
Gegner vorgeschlagenen Weg befolgen und triumphirend behaupten, wie
er gerade dadurch beweisen könne, dass Alles gegen ihn Vorgebrachte
Lüge sei. Der Kläger hat ihm wirklich Gelegenheit gegeben, nicht in
der Rede, wohl aber in der yqatpi], und Demosthenes weiss im Verlaufe
diese klug zu seinem Vortheile zu verwerthen, §. 56.
§. 3 — 7. Es ist Sitte der Redner, und die Theorie schreibt dieses
besonders vor, ^) scheinbare oder wirkliche Nachtheile, die sie durch den
Gegner erleiden, skaTzcSaeig , um sich das Wohlwollen der Richter zu
erwerben, möglichst hervorzuheben. Auch Demosthenes versäumt es
nicht, davon Gebrauch zu machen und erwähnt von vielen, nolld, beson-
ders zwei, ovo xal fxeydXa. Aber das erste ist falsch, es ist vielmehr
umgekehrt; er verliert nicht die Zuneigung des Volkes, er erhält nur
den Kranz nicht, weil Ktesiphon einen illegalen Antrag gestellt hat, aber
der Gegner verfällt, wenn er nicht die erforderliche Zahl Stimmen
erhält, nicht nur in eine Geldstrafe, sondern erleidet auch die driiüa
xatd TT^ögra^iv. Trefflich aber weiss er der Sache die Wendung zu geben,
als würde eine Verurtheilung Ktesiphons auch ihn verurtheilen und ihn
um das Höchste, die Gunst seines Volkes bringen. Scheinbarer ist das
zweite, vorausgesetzt, dass das, was der Gegner vorgebracht hat, nur
Xoidoqiui sind;'^) anders dagegen verhält es sich, wenn es Gründe und
1) Anaximenes c. 36, vgl. die Anmerkung daselbst p. 245.
2J xö)v fiiy '/.oL&oQLMi' xcd Ttöv x(XTriyoQi,ix)y uxoviiv ri^iü)? ist nicht zu tadeln; es ist nach grie-
chischer Sitte aus dem Allgemeinen das Specielle hervorzuheben und vorzusetzen, oder dem
Speciellen das Allgemeine folgen zu lassen, demnach Schmähungen und Klagen überhaupt,
denn an sich sind beide verschieden §. 123, wie er vorher sagt rji r«fft y.al t^ unoXoyicc,
oder wie Ztv xal Ü-toi. Bei der Häufung der verschiedenen Ausdrücke, wie dem Redner
35
Beweise sind, die widerlegt werden sollen. Sehr schön wird hier wie
anderswo (9. 34. 50. 59. 126. 256) die Schuld von sich selbst reden
zu müssen, nach der Lehre der Theorie, dem Gegner zugeworfen und
dieser dafür verantwortlich gemacht. Ktesiphon kann in eine Geldstrafe
verurtheilt werden, und deswegen stellt er dessen Sache zugleich als die
seinige dar, aber die Art, wie er dieses ausdrückt: Trävrcov /lUv ydq dno-
ÖTfQsto^ai XvTTijQov ioti xal ;(aAf7roV, aXXu)c; rs xav vn^ ex^Qov T(p tovto Ovi^ißaivrj . .
zeigt die Uebertreibung wie die Schmeichelei deutlich genug ; fast könnte
man glauben, es wäre erträglicher vom Freunde als vom Feinde solches
zu erleiden ; besser sagt Cicero pro Quinctio 95 acerbum est ab aliquo
circumveniri, acerbius a propinquo, und so ist auch im Folgenden die
Vermuthung, Solon habe nicht aus Misstrauen den Eid der Geschwornen
angeordnet, sondern nur damit sie dem Beklagten gleiches Gehör und
wohlwollende Gesinnung schenken, nicht aufrichtig gemeint; er will den
Richtern zu verstehen geben, dass keiner von ihnen ungerecht urtheilen
könne und hat diesen Gedanken schön rhetorisch durchgeführt.
9 — 17. Vorläufige Bemerkungen über das Verfahren des Gegners.
Es ist nicht wahr, dass Aeschines in seiner Rede mehr als die drei
Klagepunkte, welche aus dem nqoßovXevf-ia folgten, ausgeführt habe ; der
dritte aber on ovx a^iog Jrjfioo^s'vrjg forderte die Nachweisung des poli-
tischen wie des Privatlebens ; also muss man sagen Älo%ivrjq novov xarrj-
yoQTjos nsQi wv sSicoxs, was er beweisen wollte , hat er bewiesen , voraus-
gesetzt dass seine historischen Angaben nicht ersonnen, sondern wahr
sind. Er hätte den dritten Klagepunkt ganz übergehen und mit den
zwei ersten' zufrieden sein können; dann musste Ktesiphon verurtheilt
werden , weil sein Antrag entschieden naqdvoiiov war. ^) Daraus sieht
man, wie der Redner der Sache eine ganz andere Wendung zu geben
weiss ; es würde dann Alles, was Demosthenes sagt, von selbst wegfallen,
weil von seiner Person gar nicht gesprochen war, er hatte sich über
die svd^vvai und das xrjQvyfxa allein zu vertheidigen.
diese xurriyoqiK des Aeschines erscheint, 8 r«? uiziui; v.ai rag dcaßokdg, 13 tiqos zeig loi^oqiug
. . iriv 6t nofjLnikcv . . 14 fnrjQSiav xui vß^iy xcü XonfoQiav xal Tiqonrikaxi,(S fiov . . 18 uhiag
xid axwf/fiara xtd koi&oQÜts . . drängt sich leicht die Vermuthung auf, ob nicht auch hier
ein stärkeres Wort derselben Bedeutung, nämlich xaxtjyoQiWf gestanden habe, vergl.
Isokrat. 11, 40, wo dieselbe Verwechslung stattfindet.
1) Vgl. Syrianus unten zu §. 56.
5*
36
Kühn ist das Anerbieten des Deniosthenes §. 10 und ein solcher
rhetorischer (Irund konnte seine Wirkung nicht verfehlen ; vgl, Aristot.
rhet. II, 2o, aber schlau ist die Forderung, weil das was Aeschines über
sein Privatleben gesagt hat, nicht wahr ist, sei auch Alles über sein
öÖentliches gleich falsch. Und doch hat Aeschines Recht, seine innige
Verbindung mit Timarchus kann er nicht leugnen und auch Anderes
war bekannt genug, aber wer kümmerte sich in dieser wichtigen Sache
um solche Kleinigkeiten? — Wenn nachher gesagt ist tovto navtaXwg svrj^eg
o)(^tig, so muss man fragen, wo Aeschines etwas der Art gesagt hat
oder auch nur sagen konnte ; es ist unmöglich , nachdem dieser ihm
selbst vorgeschrieben hat, in welcher Ordnung er ihn widerlegen soll.
10 — 13. Wie Demosthenes spricht auch Antiphon VI, 7 — 10, man
möchte an eine Nachbildung denken, wäre nicht dieses Verfahren in der
Vertheidigung ebenso gewöhnlich wie natürlich gewesen ; auch dieser
Redner sagt, dass alle Beschuldigungen extra causam nichts helfen und
ihre besondere Klage erfordern. So schön auch Alles ist, was Demo-
sthenes vorbringt, es gehört nicht hierher und geht den Gegner nichts
an, sonst könnte man damit einen Jeden, welcher ein xpi^cfiofia naQävofiov
beantragt hat, vertheidigen ; auch dass persönliche Feindschaft im Hin-
tergrunde liegt, beweist nichts ; ein Freund wird ihn sicher nicht an-
klagen ; der Kläger hat seine Klage zu beweisen, aber der Redner weiss
die politische und persönliche Feindschaft geschickt vorauszustellen und
die eigentlichen Rechtsgrüude . der Klage, um welche es sich hier handelt,
zurückzudrängen und vergessen zu machen. Aeschines hat §. 220 — 7
bereits die erforderliche Erklärung gegeben.^)
1) §.12. die Stelle ist noch nicht vollkommen hergestellt, sie unterliegt aber jetzt, nachdem
man genau weiss, was in S steht, nicht mehr den Schwierigkeiten, die man vordem in ihr
gefunden hat. Zuerst muss aus jenem ovx f/ti statt ovx i'vi hergestellt werden, der Dativ
Tfl noXn, welcher zur Aenderung die Veranlassung gegeben zu haben scheint, gehört zu-
gleich auch zu i^ixr,v (l^iup, wie sonst r^ noXti oft mit vc£i.og verbunden ist und auch Antiphon
an der angeführten Stelle 6, 10 sagt, üan ](UQi,xog aiiov itvca r^ no'Ati. Ferner hat S
nqoaiQtaw für t-n^qtiuv, dieses ist allerdings falsch, scheint aber eine Wiederholung des
vorausgehenden nQouiQeaig, und in^Qtouv eine aus dem Folgenden genommene Correctur; wir
erhalten dadui'cli einen genau zusammenhängenden Gegensatz rj TiQouiqiOi? avrij i/S-qov
fiiv \nQoiiiQtaii'\ f'^ft y.ai v'ßgw y.ul Xoi^oQi'ay xal nQon/]^itxiafj.6y i fiov xui nupra rä xoikvxk,
tüv (livtoi xar tjyoQKÜp . . ovx i'/ti t(j noXti Sixtjv u^iav ^aßfiy. Da im Folgenden
^ii in 2 vom ersten Stand fehlt, sieht man, dass Alles nur einen zusammenhängenden Satz
37
Bis jetzt (9 — 16) ist gegen Aeschines nicht das Mindeste bewiesen,
und aus dem Gesagten folgt gar nichts, gleichwohl behauptet der Redner,
daraus sehe man, dass alle Klagen des Gegners widerrechtlich und falsch
seien: ntivra (isv Toivvv Tcc xaTr^yoQriJXsva ofioi'cDg ix tovtüjv äv zig l'Soi
OVTS dixaiwq ovt' stv^ dXrjd-siag ovSsf^iiäg elQrjiiia'va. Hier kann niemand
das Rhetorische verkennen, aber auch jeder wird gestehen, dass Demo-
sthenes von dem Lehrsatze der Theorie, Aufgabe des exordium sei, um
sich bei den Richtern beliebt zu machen , unter anderm auch adver-
sarium in odium, in invidiam, in contemptionem adducere, die wirk-
samste Anwendung zu machen verstanden habe.
§. 18 — 41. Zustand Griechenlands im phokischen Kriege, der Friede
des Philokrates, die Gesandtschaften an den Philippus. Alles ist klug
berechnet, um des Beifalls seiner Zuhörer sicher zu sein, weil Alles so
wie diese es nur wünschen konnten , dargestellt ist. Die kläglichen
Zustände der Hellenen in jener Zeit sind der Wahrheit nach geschildert,
und in ihnen ist das Verderben und der Unterffang- Aller zu suchen
und zu finden. Die Worte vfxsig ovtw SisxeiOxf^s wgrs tPcoxb'ccg /uv ßovXsO^m
Ocod-fjvai xaiTieQ ov öixaia TToiovvrag OQWVTsg, Or^ßaioig 6' oTiovv äv ecptjOif^rjvai
na^ovotv, zeigen den Unverstand der Athener und die dvaia^rjToi &t]ßaToi
haben diesen sicher nichts Besseres gewünscht; dass aber solchen pia
desideria die Wirklichkeit, wenn die eigene Ohnmacht durch fremde
Hilfe sich des wehrlosen Gegners bemächtigt hatte, nicht nachstand,
hat der Ausgang bewiesen.^) Wie ganz anders war es nach dem Siege
über die Perser, und noch nach Vertreibung der Tyrannen aus Athen
bildet: ov yÜQ ilcpaiQtiaf^cti rd nqogiX&tiv .... ovit . . ogS-wg f'/oi> . . ovtt noXirixov, eine
lebendige Rede statt oiirt yuQ . . oq&ü? i'/oy . . d<paiQ(iaS-ca t6 nQogt'/^t^iiy. — Der Zu-
sammenhang des Gedankens besteht in dem Gegensatze: weit entfernt, dass Aeschines, wie
er es jetzt macht, mich vom Gerichte zu entfernen sucht und daselbst nicht auftreten lässt,
musste er vielmehr jedesmal tioq' avrtl tu n^uy^fcrct mich vor Gericht ziehen und anklagen.
Uebrigens hatte Dem. selbst in dem früheren Processe gerathen §. 301 , die ovvtiyoQoTn'iig
des angeklagten Aeschines nicht anzuhören, cf. §. 75, 337 — 40, Aeschines 2, 1, in Timo-
crat. p. 755. — 14. tiai fojuoi nsQt ncivriav [xul Ti/^cuoiai,] y.icl dyiuvig X(ci xQiasig tiixqk xal
fxtyuXa i'/ovaca rdnt,Ti/xut. Die eingeschlossenen Worte unterbrechen die Folge vofxoi, äyuiyts,
xqiaug, Hermogenes übergeht sie ganz und sie sind jetzt störend. Sind sie der Zusatz in
einem Exemplare, welches wie 2 die Worte tjix^u . . Te<7ii.Tifxia nicht hatte? Denn die
Erwähnung der Strafen durfte nicht fehlen. 17. f'trrt S'dvuyxulov . . nQoaTjxoy iatos, gerade
so wie Phil. II, 4, vgl. Demegor. S. 39.
1) Aeschin. 2, 142.
{/.n] l^ivi]OixaxeTv)\ Solche veränderte Gesinnungen maclien den Verfall eines
Volkes recht anschaulich. AVas zur Entschuldigung beigefügt ist: ovx
dXoyoyg ov^' ddtxiog avroTc 6qy>Cö^(^'>'oi' oIq yaQ €vTvxr]xeGav iv Asvxxqoiq, ov
i^teTQuoc fx£XQi]rTo. ist keine Rechtfertigung, es ist nur den Zuhörern zu
gefallen gesprochen. Ganz falsch aber ist, dass offenbar die Thebaner
zuletzt, um den Krieg los zu werden, sich den Athenern hätten in die
Arme werfen müssen, und Philippus, um dieses zu hintertreiben, diesen
Frieden, jenen Hilfe angeboten habe. Wie hätten die Thebaner das thun
können, da die Gesinnung der Athener gegen sie ihnen nicht unbekannt
war, und diese als oviifxaxoi auf Seite ihrer Feinde standen — nicht aus
Liebe zu den Phokern , sondern wie Demosthenes sagt , nur aus Hass
gegen die Thebaner — ? Diese hatten längst ihren Blick nach Makedo-
nien gewendet, nur von dort konnten sie einigermassen die Erfüllung
ihrer ebenso sinn- und masslosen Wünsche hoffen; Demosthenes hat die
Worte wohl nur gesprochen, weil sie der Eitelkeit seines Publicum, das
gerne solches glaubte, schmeichelten, die Schuld des Gegners aber, der
solches verhinderte, in dessen Augen gewaltig steigerten.
Dieses ist demnach so wenig wahr, als dass die Athener den Krieg
mit Philippus im Interesse aller Hellenen, vntQ tmv näoi 0v[.i(peQ6vTm>, wg
fQyo) (favsQov ysyovsv, geführt und nur deswegen sich zum Frieden herbei-
gelassen haben, weil sie von den andern Griechen weder mit Geld noch
mit Truppen unterstützt worden seien. Der Krieg hätte im Interesse
aller Hellenen geführt werden können und sollen, aber die Athener
haben immer nur auf sich, nicht auf die anderen gesehen und darum
auch später, als es höchst nothwendig war, mit vereinten Kräften frem-
den Einfluss abzuwehren , die gewünschte Hilfe nicht gefunden ; die
Schuld hatten sie sich selbst zuzuschreiben.
Vergebens leugnet Demosthenes jede Theilnahme an der Herstellung
des Friedens: iyto ö" ovdkv ovSapLov}) Er kann es um so mehr, als er
bald dieses Friedens wegen als Kläger "aller seiner Mitgesandten auf-
1) Aeachines hat. dem Dem. niemals vorgeworfen, was dieser §. 22 sagt r^f eiQtjftj? «l'rto?
ytyivri(j(iui, oder 20. th' ifii w? ovTog &ußa'/.Xif cf. 24, wohl aber rij? av^iA.a](i(i? cciTtog,
und damit hatte es seine Richtigkeit. Wie man den Demosth. in Schutz zu nehmen
sucht, mag man nachlesen bei Winiewsky p. 74 — 6, Brückner S. 147 — 50, Westermann
III, 33. Vergl. Schäfer II, 156.
39
getreten , später aber die Seele aller Politik gegen den König geworden
ist; es sind jetzt mehr als sechzehn Jahre verflossen und die einzelnen
Umstände jener Verhandlungen mochten wohl keinem einzigen der Richter
mehr gegenwärtig sein.^) Wenige Jahre nach dem Frieden gesteht er
seine Theilnahme selbst zu,-) und die grosse Aufmerksamkeit, die er den
Gesandten des Philippus bei deren Anwesenheit in Athen schenkte,
beweist, wie viel ihm an der Sache gelegen war. Der Gegner hatte
seine unmittelbare Theilnahme an dem Frieden und Verbindung mit dem
Philokrates aus den Acten aufgedeckt, wogegen kein Leugnen hilft ; auch
kann das kein Tadel sein ; der Wunsch nach dem - Frieden war allge-
mein, und erst als dadurch Ereignisse ganz gegen die Erwartung der
Athener eintraten, suchte sich jeder loszumachen und wollte weder von
dem Frieden, noch von dem Antragsteller desselben, Philokrates, etwas
wissen.^)
Die Verhandlungen darüber liegen ausführlich in den beiden Reden
über die Gesandtschaft vor. Da diese vier Jahre nach den Thatsachen
1) Daher die Vorsicht des Aeschines 3, 59 — 61.
2) 15. p.345. Gegenüber solchem Geständnisse ist die Behauptung in unserer Rede 22. tovtoyp
ToiovTioy wziov xui in' ctvTije z^g ili.rj^'i-tiug ovTu) Stixfvfiivmf nur ein Beweis, wie der
Redner keine Versicherung spart, um sich Glauben zu verschafien, an Wahrheit ihm aber
gar nichts gelegen ist. Es scheint dieses ein dem Dem. geläufiger Ausdruck gewesen zu
sein, den auch Aeschines persiflirt, 3, 207. ohyaQ/txovg vn' amrjg rtjs dkijO-tiag <fnjQh9/uti/ovg.
60. ißV uvrog 6 iTjg a'/.rjfi^ikcg ^oyiGfiog iyxcnaXctfj.ß(!i/>] (wie §. 59. o Ti uv avrog 6 loyiciiog
v.l^jl)\ deutet die Variante o uvxog vielleicht auch hier auf avirig Trjg (ci.rj&tiug'> Im Dem.
p. 303 §. 226 steht jetzt aus erster und zweiter Recens. ini rijg lAi^d^tiag , wo vordem aus
der dritten das herkömmliche in' avr^g r^g gelesen wurde.
3) Wenn man ohne Rücksicht auf Person, weder für noch gegen Dem. und Aeschines, aber
ebenso weder für noch gegen die Athener und Philippus eingenommen, die Thatsachen
und damaligen Verhältnisse unbefangen im Grossen aufi'asst, kann man über die häufig-
widersprechenden Angaben der lügenhaften Redner — xaxov xoqaxog xaxd wct — fast in
allem Wichtigen ins Klare kommen. Einzelne Winke und sorglos hingeworfene Bemerkun-
gen verbreiten oft mehr Licht als lange Beweise und ausgearbeitete Reden, welche darauf
ausgehen, das Wahre zu verhüllen oder zu verdrehen. Wenn bei der ersten Gesandtschaft
die av/^nQiaßsig sich berathen, wie sie zum Philippus sprechen sollen, und Kimon sagt ort
cpoßoLTo fi}] dixat.okoyovfiii'og ntQiytpoiro ^fiiiäy 6 4'ihnnog , so musste es mit den Rechts-
gründen der Athener schlecht aussehen, sonst konnte nicht einer ihrer Gesandten in ver-
traulicher Rede solche Angst bezeugen; das ist ein Gewissensbiss , hervorgegangen aus
eigener Schuld, die gerade jetzt sich kundgiebt, wo das Wahre entschieden werden soll.
Geht man diesen Weg, unbekümmert um das, was sich daraus ergeben wird, so gelangt
man zwar nicht zu idealen Anschauungen, aber doch zu etwas, was der historischen Wahr-
heit sicher näher liegt, als die oft herrlichen Schilderungen der Neuern.
40
ftillen, so ist in widersprechenden oder zweifelhaften Angaben ihr Zeug-
niss im Allgemeinen gewichtiger, als das unserer vier volle Olympiaden
später gehaltenen Reden.
Der Vorwurf des Aeschiues, Demosthenes habe den Frieden über-
eilt, und die Rückkehr der Gesandten, die ausgeschickt worden, um die
Hellenen zum Kriege gegen Philippus aufzufordern , nicht abgewartet,
scheint durch die Versicherung, es seien überhaupt keine Gesandten
damals ausgeschickt worden, vollständig widerlegt und zurückgewiesen ;
man habe längst die Erfahrung gemacht , dass man von den andern
Griechen nichts zu hoflen und zu erwarten habe: oms ydg i]v nQsaßsCa
ngdg ovSsva^) dnsüraXf^isvtj t6t£ twv "EXhjvwv, uXXd naXai Tidvtsg ijOav i^sXrj.
Xsyi-isvoi, ovx^^ ovTog vyiig tisqI tovtcov siqyjxsv ovSt'v. Aber vor 13 Jahren
hatte er über dieselbe Sache ganz anders gesprochen; damals sagte er
in der Volksversammlung am 19 Elaphebolion (CVIII, 2) seien in Folge
der Einladung der Athener die Gesandten der andern Hellenen zugegen
gewesen, IG p. 34 G i<fisorrjx6T(ov tcöv ngsoßscov xal dxovovTwv ovg dno T<av
^EXXhvwv ixereTcäfixpaads, und wenn auch der Gegner dieses §. 57 — 8 als
eine Lüge erklär.t , es beweist jedenfalls , dass Demosthenes sich wider-
spricht und damals noch nicht so niedrig von den andern Hellenen
dachte, als er in unserer Rede sich ausdrückt.-) Was der Redner sonst
noch zu seinen Gunsten anführt, sind keine Beweise, sondern nur dxoru ;
namentlich ist der Grund: es sei eine Schmach den Athenern zuzumu-
then, die andern Griechen zum Kampfe gegen Philippus aufzufordern
und doch zugleich mit diesem über den Frieden zu unterhandeln, was
in Form einer vuotfogd schön durchgeführt ist, absichtlich ans Ende
gesetzt, damit die erwünschte Wirkung, den Gegner verhasst zu machen,
erreicht werde. Es ist einleuchtend, dass die Athener dem Anerbieten
des Königs nicht sofort trauten, und ihre Gesandten erst dann zurück-
rufen konnten, wenn die Friedenspräliminarien gegenseitig anerkannt
und vollkommen gesichert waren. Aber der Redner versteht es, seinem
1) I)ie zweite Recension hat od'()*V«? d. h. zu keine i\'hyrj 'E'Al/jywv, g'ewiss aus Correctur, weil
es das natürliche ist; alier der Singular drückt weit mehr aus, wie bei uns: zu niemandem,
statt zu keinem der Hellenen; anders Cobet var. lect. p. 319.
2) Was die Neuern Alles zu Gunsten des Dem. darüber erdacht und angefülirt haben, zuletzt
Schäfer II, 200 — 9, der in den nqiaßti? Theoren finden will, ist durchaus nicht überzeugend.
41
Zuhörer die ethisclie Seite vorzuhalten, der dadurch vollkommen über-
zeugt wird. Auf diese Weise kann er die sichersten Thatsachen bestrei-
ten, und man sieht, was ein rhetorischer Beweis für eine Kraft hat,
wenn er am rechten Orte und in rechter Form vorgebracht wird. Das
ist eine dem Demosthenes ganz eigene Kunst, die kein anderer griechi-
scher Redner auch nur entfernt ihm nachzumachen versteht und die
den Hörer wie den Leser begeisternd mit sich fortreisst.
Die nächsten drei Anschuldigungen sind es, auf welche Demosthenes
alles Gewicht legt; er hat jetzt noch wie vor 13 Jahren die festeste
Ueberzeugung, dass Aeschines — an der Spitze der Gesandten — wis-
sentlich und nicht getäuscht, sondern von Philippus erkauft und besto-
chen, den Zugang in das Innere von Griechenland geöffnet und dadurch
die Entscheidung der Phokischen Angelegenheiten diesem in die Hände
gespielt habe , darum auch für alle Folgen verantwortlich , überhaupt
Verräther des Vaterlandes und Urheber dessen Unterganges sei.^) Die
drei Anschuldigungen aber sind, dass erstens die Gesandten in der
TtqsaßsCa rj inl rovg oQxovg nicht eilten den Philippus zu beeidigen und ihn
zu hindern, auf Kosten Athens inzwischen Eroberungen in Thrakien zu
machen; sie haben absichtlich lange gezögert, um jenem die erforder-
liche Zeit zu seinem Unternehmen zu gewähren; zweitens, dass sie
auch nach eingeholter Ratification des Friedens nicht sogleich die
Athener Von dem Zuge nach Thermopylae, den Philippus vor hatte, in
Kenntniss setzten, sondern bei ihm blieben, bis er die nöthigen Vorbe-
reitungen vollendet hatte ; endlich drittens — und hierin liegt aller
Schwerpunkt der gesammten Anklage — dass nach der Rückkehr der
Gesandten am XVI Scirrophorion in der Volksversammlung, als Philippus
Ankunft in Pjlae Misstrauen und Furcht mi Volke veranlasst hatte,
Aeschines durch falsche Versprechungen die Athener beschwichtigte
und von jedem thatkräftigen Eingreifen abhielt, wodurch Alles verloren
gegangen sei; dazu habe der König den Aeschines noch besonders
bestochen 33. fjua^omm %6v xatäTTZvOrov TOVTOvl, ovxsti xoiv^ ^istcc töSv akXutv
TiQäaßsaiv dXX' IdCa xa&* amov}) Diese drei Punkte erfordern demnach
eine nähere Betrachtung.
1) 25. 6 <fiXinnu) nuvTu awaytovil^ofiivog, für nuyru hat 2 re rrju iiQtji/ijv, war vielleicht ton?
2) Woher weiss Dem. dieses? Es ist nichts als leere Einbildung und den Angaben seiner
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 6
42
Die erste Gesandtschaft nach Makedonien hatte den Zweck, den
König einziüaden Bevolhnächtigte zum Abschluss des Friedens nach
Athen zu schicken. Dieses geschah, die Gesandten des Philippus waren
in den Volksversannnlungen des XVIII und XIX ElapheboKon, in welchen
Friede imd Schutz und Trutzbündniss genehmigt wurde , zugegen ; sie
nahmen deu Kid der Athener, später auch deren Bundesgenossen in
Empfang. Hätten nun auch sie gleichfalls den Athenern im Namen
ihres Königs den Eid geleistet, so war die Ratification des Friedens
vollendet, der König wie die Athener gebunden, und alle späteren
Klagen , welche wir lesen , fielen von selbst weg , sie waren unmöglich.
Aber das geschah nicht; es wurde eine besondere Gesandtschaft abge-
ordnet, um unmittelbar vom Könige selbst die Bestätigung des Friedens
zu erhalten. Hat der schlaue Philippus das bedungen , um Zeit für
weitere Eroberungen zu gewinnen, oder gab es Schwierigkeiten, welche
über die Vollmacht seiner Gesandten hinausgingen , oder war es Miss-
trauen der Demokratie, welche den dovXot, des dsonvxrjQ nicht den Glauben
schenkte, dass deren Aussage den König binden könne?
Von Philippus ging dieses Verfahren nicht aus ; das würde und
könnte Demosthenes nicht verschweigen ; auch war es dann nicht noth-
wendig, die Gesandten zu diesem Zwecke zu bestechen, wie er behauptet.
Anstände mag es vielleicht gegeben haben, in Betreff der Phoker, des
Kersopleptes u. A., aber sie waren nicht der Art, den Frieden überhaupt
in Frage zu stellen, es konnten nur Wünsche der Athener sein, sonst
wären die Gesandten des Philippus nicht berechtigt gewesen, diese zu
beeidigen; auch sagen das die Redner nicht, sie betrachten diese zweite
Gesandtschaft als sich von selbst verstehend; es war also Sitte und
altes Herkommen, dass wie die Athener den Gesandten des Philippus,
so dieser den Gesandten der Athener den Eid leisten musste.
Auf die erste Klage des Demosthenes ist Folgendes zu erwidern.
Hat er wirklich, wie er behauptet, schon Alles vorausgeahnt und des-
wegen den Antrag gestellt, die Gesandten sollten so schnell als möglich
abreisen, so ist es seine Schuld, dass er so lange wartete. Er selbst
frühern Rede widersprechend; dort spielt Philokrates dieselbe Rolle wie Aeschines, ja er
ist es, welcher das Psephisma gegen die Phoker beantragt, wodurch Alles nach seiner
Ueberzeugung verloren ging p. 356.
43
hat die makedonisclien Gesandten bis Theben begleitet, was nicht ge-
schehen durfte, weil dadurch Verzögerung von einigen Tagen eintrat;
er musste beantragen , dass sogleich nach der Ratification des Friedens
von Seite der Athener, also bald nach dem 19 Elaph. die athenischen
Gesandten den Philippus aufsuchen. Er hat aber vierzehn Tage gewartet
und erst den dritten Munjchion seinen Antrag gestellt.^) Wenn er nun
§. 30 sagt Ol xqrjtstol TtQs'oßsig ovzoi xax^fjvro sv MaxsSovfa TQSig oXovq /.ifjvaq
k'(og rjld-s ^iXiTCTtog ix 0Qäxrjg nävta xaTaOTQSipcc/xsvog rdxsT l^dv rinsQcov dexa,
oixotcbg ^) 6i TQiwv rj TsrtäQcov elg tov ^EXXr^OTtovrov dcpix^ui xal rd /&)(»/« OwGai
Xaßovzag Toi'g oqxovg nqlv ixt'ivov i^sXstv aihd, SO ist das nichts als eine
maasslose Hyperbel, welcher ihr rechtes Maass anzuweisen wir noch im
Stande sind. Waren die Gesandten drei volle Monate in Makedonien
sitzen geblieben bis Philippus von seinen Eroberungen aus Thrakien
zurückkam , und hatten sie von Athen aus 23 Tage gebraucht , um
dahin zu kommen , also ebenso viel um zurückzukehren , so waren sie
nahezu fünf Monate abwesend. Früher hatte er die ganze Zeit ihrer
Abwesenheit p. 359. 390 berechnet zgeTg firjvag oXovg dnoSrjfiriOavTsg —
man sieht die Steigerung! — aber sie waren den 13 Skirroph. wieder
in Athen, also 70 Tage aus. Aeschines hatte nachgewiesen, dass Kerso-
bleptes — darauf bezog sich alle Klage — bereits vor der Abreise der
Gesandten aus Athen den 24 Elaph. sein Reich durch Philippus ver-
loren habe, dieser also nicht durch ihre Verzögerung gefallen sei;
Demosthenes hält es nicht der Mühe werth, darauf ein Wort zu sagen,
beklagt sich aber, dass Aeschines das Beeret über die sofortige Abreise
nicht vorlesen Hess , was gar nicht nothwendig war , und weiss dem
Tadel, dass er die makedonischen Gesandten zu sehr gehöfelt habe,
eine komische Wendung zu geben , um daran ein^n ganz unerwarteten
Schluss zu knüpfen rd nixqd OvficpSQOvrä trig Tiolscog eSsi ^is (pvkdtTStv, zd 6'
oXa wg7i€Q ovzoi neuQaxsvai; ov Sr]nov. worauf CS nicht ankam und wovon
gar nicht die Rede war.
Bedeutender ist, dass die Gesandten auch' nach der Ratification des
1) Aeschin. 2, 92.
2) So auch 2 für fjia'D.oi', was nur die dritte Familie gibt; letzteres ist die gewöhnliche cor-
rectio und kündet sich schon dadurch als eine rhetorische Aenderung für das ungewöhn-
liche ofioioig an. Beides of^oitog, fiaXKoy cfi, eigenthümliöh bei Niceph. (xreg. p. 829. Bonn,
6*
44
Friedens durch Philippus niclit nacli Hause eilten und Anzeige von dem
bevorstehenden Zuge nach Pylae machten; der König habe sie absicht-
lich unter scheinbaren Vorwänden, bis seine Rüstungen vollendet gewesen,
bei sich behalten, auch den Demosthenes, der allein abgehen wollte, zu
bleiben gezwungen, damit die Athener von seinem Vorhaben nichts
erführen und gegen ihn auszögen. Wie viele Zeit dadurch verloren
ging, ^vird nicht angegeben. Ist die Angabe p. 390 richtig, dass vom
Tage ihrer Abreise aus Athen bis zur Ankunft Philippus aus Thrakien
nach Pella fünfzig Tage verflossen waren, so bleiben noch zwanzig Tage
für die Beeidigung des Königs, seiner Bundesgenossen und für die Rück-
reise nach Athen. Von langen Rüstungen, zumal er soeben erst vom
Kriege kam , kann demnach nicht die Rede sein , ebenso wenig von
einem grossen Versäumniss der Gesandten. Dem Könige musste, abge-
sehen von dem ihm von dem Redner untergelegten Grunde, allerdings
viel an deren Gegenwart gelegen sein ; nichts konnte den Glanz und
Ruhm mehr erhöhen, und seinem Vorhaben, die langwierigen Streitig-
keiten Griechenlands ohne Schwertstreich in Ordnung zu bringen, mehr
Recht gewähren, als wenn man ihn auf dem Zuge dahin von den Ge-
sandten des ersten griechischen Staates — denn die der übrigen haben
gewiss nicht gefehlt — umgeben ankommen sah.^)
Die meiste Wahrscheinlichkeit hat die dritte Anschuldigung, und
sie ist in beiden Reden als das Hauptverbrechen hervorgehoben, durch
die falsche Versicherung ^des Aeschines in der Volksversammlung am
XVI. Scirr. , Alles werde nach ihrem Wunsche gehen , wenn sie sich
ruhig verhalten und den König gewähren lassen, seien die Athener zur
1) §. 32. p. 236. iniiS)} ydq äfioai rr^v tl^tjvtiy o 4>iXi,7inog. Jetzt wissen wir, dass ^ und die
dritte Familie (öfj.o'/.6ytjaa geben; Dindorf und Yoemel haben es aufgenommen, auch Funk-
häncl Zeitschr. f. Alt. 1856. S. 214 billigt dieses. Nur die zweite Recension, d. h. der
August, und seine Genossen haben oiifxoae, ich zweifle nicht, aus Conjectur, aber einer
nothwendigen. Hier ist^nur von dem die Rede, was Philippus gethan hat. nachdem die
athenischen Gesandten — nQtaßtia )j inl lovg oQxovg — zu ihm gekommen waren. Aller-
dings wurde der Friede von Philippus erst später in Pherae, nicht in Makedonien beschworen
und insofern ist ü/xodt selbst historisch falsch, aber der Zusammenhang lehrt, dass Dem.
hier nur sagen will, was nach der Ankunft der athenischen Gesandten in Makedonien
geschehen ist, ein actus des Philippus nach der Wegnahme Thrakiens. Dieses aber ist
nicht oj/j,ok6yri(rt zrjv iiQtivriv , das war längst geschehen, sondern uif^ocf xnv tiqrivriv. Der
B,edner anticipirt das Factum, wie Phil. III, 15,
45
Unthätigkeit verleitet, Phalaecus am XXII zur Unterhandlung mit Phi-
lippus und Uebergabe aller festen Plätze und Zugänge genöthigt, da-
durch aber diesem die willkürliche Entscheidung aller Angelegenheiten
in die Hände gespielt worden ; ein thatkräftiges Auftreten der Athener
in Verbindung mit den Phokern hätte ihm den Eingang nach Griechen-
land verschlossen.
Die Berechnung der Tage 57. p. 359 hat etwas verführerisches;
es ist wohl möglich , ja wahrscheinlich , dass der Volksbeschluss der
Athener an jenem Tage nicht ohne Einfluss auf Phalaecus geblieben ist.
Hätten nun die Phoker wirklich gegen das Eindringen des Philippus
die Athener um Hilfe angegangen, so hätte die Klage eine ganz andere
Bedeutung. Demosthenes spricht zwar von phokischen ngsoßeiq, welche
in jener Versammlung zugegen waren und deren Ergebniss nach Hause
meldeten , aber er würde nicht verschweigen , wenn sie bei Rath und
Volk beglaubigt gewesen wären und öffentlich um Hilfe nachgesucht
hätten.^) Aeschines sagt deutlich, es seien nur SqonoxrjQvxsq, geheime
Berichterstatter gewesen. Phalaecus hatte schon früher weder den Athe-
nern noch den Spartanern vertraut, und eine ganz sichere Ueberlieferung
lehrt den Zwiespalt zwischen dem Volke und dem Machthaber von
Phokis anschaulich genug. Konnten die Athener bei diesem Zustande
der Phoker, nachdem sie soeben Frieden und ein Schutz- und Trutz-
bündniss mit dem Könige geschlossen hatten, feindlich und zwar offensiv
auftreten , oder wären sie auch nur im Stande gewesen , so rasch ein
Heer aufzubieten — Demosthenes hat uns ja §. 26 im Vertrauen ver-
rathen , wie es bei ihnen aussah — um Philippus abzuschlagen ? Der
Redner behauptet es allerdings, er verjagt den Philippus, schliesst ihm
alle seine Häfen, dass er im eigenen Lande nicht mehr sicher ist und
bei den Athenern um Frieden betteln muss ! ^) Aber niemand , der —
unbekümmert um solche Prahlereien — unbefangen die Zustände und
Verhältnisse untersucht , wird sich davon überzeugen ; es hätte dem
Könige höchstens mehr Gold gekostet, um Phalaecus und seine Söldner
1) A. Schäfer II, 258. Aeschines 2, 130—4.
2) p. 389 §. 153, coli. p. 442 §. 315, und dieses sagt Dem. nachdem er kurz vorher bemerkt
hatte p. 387 §. 149 rovxo cT' riv ro ätworurov rov nqog 'Pi'/.mnoy noXtfiov, ovx ^^vvaad-t xuxüq
rjvixa ißovXi<j{f-€ ixtlvov nouiy.
46
an sich zu ziehen und zu befriedigen ; und die Athener , ebenso isolirt
wie Demosthenes sie in der Rede über den Frieden schildert, waren als
erklärte Feinde dann seinen und aller Griechen Angriffen preisgegeben.
Philippus hatte dem Bündnisse gemäss sie aufgefordert , mit ihrem
Heere zu ihm zu stossen und gemeinsam die Angelegenheiten in Ord-
nung zu bringen. Die Athener fürchteten , er möchte in Attica ein-
fallen und antworteten ihm mit der axsvaywyrj. Das geschah durch den
Einfluss der Partei, welcher Demosthenes sich hinneigte, wenn er auch
noch nicht ihr Haupt war. Natürlich konnte diese offenbar feindliche
Demonstration nach dem unmittelbar abgeschlossenen Vertrage den König
nicht vermögen, ihnen Vortheile einzuräumen, die sonst seine Klugheit
ihnen zugestanden hätte ; ^) er neigte sich jetzt mehr den Thebanern zu,
ärger konnte er sie nicht kränken.
Aber Philippus hätte nie die Athener zufrieden stellen können ; um
das zu thun , musste er die Thebaner vernichten und wie die Phoker
behandeln, was ausser seinen Planen lag, und auch dann hätte er nur
ihren Hass gestillt, aber keineswegs ihre Eitelkeit befriedigt! Sie hätten
es ihm nie verzeihen können , dass durch einen Fremden und nicht
durch sie, die Hegemonen Griechenlands , die Ordnung und Ruhe her-
gestellt worden wäre ; dieser Verdruss und Aerger leuchtet überall her-
vor, 64. p. 361. TovTOäV dsivoreqa ov ysyovsv ovS^ fiei^a) rrgäy/naT^ i(p' rj/xcSv iv
ToTg "EÄltjOiv, ot/xai J' ov6' iv ir&3 tiqöoO-sv %q6vu). zr^XixovTwv fisvroi xal toiovtcov
Tigayudraiv xvQiog slg dvrJQ (J}(hnnoQ ytyovs did rovrovg ovOrjg zfjg 'A^rjva/cov
Tcökscoc, fi TiQosGTuvai, %(Jöv ^EXkrj voor ndxQiov xal f^irjösv roiovrov tvsqi-
ogdv yiyvoixevov. Aeschines Angaben 2, 136 — 41 lassen durchschauen,
dass es dem Könige Mühe kostete, den Hass der Thessaler und Thebaner
gegen die Phoker noch etwas im Zaume zu halten und er nahe daran
war sich mit ihnen zu verfeinden.
Der Plan, die Phoker unter dem Vorwande dem delphischen Gotte
zu helfen , aus dem Amphiktyonenbunde zu streichen , sich an deren
Stelle zu setzen und so merklichen Einfluss auf die Innern Angelegen-
heiten Griechenlands zu gewinnen , war gewiss längst gefasst und das
Ziel seines vorläufigen Strebens. So etwas hatten die Athener in ihrer
1) Daran mit Schäfer II, 273 zu zweifeln ist kein Grund.
47
Verblendung und Kurzsichtigkeit nie geahnt, und weil er zuerst die
Hand zum Frieden geboten hatte, glaubt der Redner, die Gewährung
dessen sei eine besondere Gnade, die nian ihm angedeihen lasse, welche
man ihm, wenn er ihren Wünschen und Forderungen sich nicht füge,
sofort wieder entziehen konnte. In diesem Sinne hatte er sich schon
früher geäussert 151, p. 388 und denselben Gedanken, zum Beweise
dass er von dessen Wahrheit vollkommen durchdrungen war, wiederholt
er auch jetzt §. 30 ov yd^ av fjipaT' amwv TiaQovTon' fj!.iwv, rj ovx av coQxt^o/xer
avTÖv, wOTS Tfjg elQrjvrjg av 6irjfi,aQTrjX£i xal ovx dv dficforsQa slx^, xccl r/yV si^rjvrjv
xal id X«?'«- ^^11 kann sicher sein, dass wie die erste Alternative nie
eingetreten wäre, d. h. Philippus sich durch keine Gegenwart der Ge-
sandten in seinen Eroberungen hätte stören lassen, so auch die zweite
nie erfolgt wäre ; die Athener waren froh auch ohne solche Zugaben
dßn Frieden gesichert zu sehen. Erst jetzt, lange nach den Ereignissen,
werden solche Reden gewiss mit grösstem Beifall der Zuhörer vorge-
tragen , in der Wirklichkeit aber sind sie leer und bedeutungslos : und
so muss man es dieser rhetorischen Kunst, welche Alles vermag, auch
zu gut halten, wenn Aeschines selbst für die Zerstörung Thebens durch
Alexander verantwortlich gemacht wird (41. xal xoinwv .. dnävTcav aihog
(üv ahiog), während, unser Redner, der die Thebaner zumeist zum Abfalle
von jenem Margites bewogen hatte, sich wahrscheinlich von aller Schuld
frei fühlte.
Die Stelle über die Verräther 42 — 9, 61, ist schön, und wie fast
Alles, was der Redner Allgemeines sagt, muss man dieses anerkennen,
die Frage ist nur, ob die Anwendung auf das Specielle, die Individuen
eine richtige ist. Man ist von der Wahrheit des allgemeinen Satzes
bereits so eingenommen, dass auch das Einzelne, welches diesem sub-
sumirt wird, nicht mehr zweifelhaft scheint und als selbstverständlich
gerne mit in den Kauf genommen wird. Die eigentliche Schandtafel
dieser Verräther erscheint am Ende 295. j). 324 , zehn Landschaften
Griechenlands werden aufgezählt, und von den vier mittlem je zwei,
von den drei ersten und letzten immer je drei, im Ganzen also sechs-
undzwanzig Verräther namentlich gebrandmarkt mit dem Schlusssatze
iniXsixpH fi£ ks'yovTa rj rjfisQa rd rüJv nqodotwv ovöfiara, lauter Leute ohne
Herz und Sinn für das Vaterland, allen Menschen und Göttern verhasste
4B
Wüstlinge, denen ihr Eigennutz und sinnlicher Genuss die höchste Glück-
seligkeit gewesen.
Zur Beurtheilung dessen kommt uns das Zeugniss des Polybius
erwünscht , welcher mit der Geschichte seines Volkes wohl vertraut,
gelegentlich des iVristaenus den Begriff eines Verräthers erläutert. Dieser
hatte die Achaeer — die Namen haben gewechselt, die Sache war die-
selbe geblieben, nur grossartiger als vordem aufgetreten — von dem
damaligen makedonischen Philippus weg zur Verbindung mit den Römern
geführt und dadurch von dem gänzlichen Untergange gerettet. Dieses
bringt ihm die frühere Zeit in Erinnerung, er schenkt den geschmähten
Männern eine Ehrenrettung und findet es von Demosthenes tadelnswerth
(17, 14) diÖTi TiixQoraTov oveidog rotg inKpaviGraToig zcSv ^EXXr'jVbov slxfj xal
ttxQiTcog TTQosgQiips. Für Alle könne man viel zu ihrer Rechtfertigung
vorbringen, besonders aber für die Arcadiens KsgxidSg, "Isqoivviiog, Evxa/ji-
ni'Sac, und die Messeniens, ot ^iXidöov rov &£oTg sx^qov naUsg Ns'wv xal
Qqaovloxog. Sie haben mit Hilfe Philippus ihr Vaterland von dem Druck
der Lakedaemonier erlöst und diesen abgerungen was sie mit Gewalt
sich angemasst hatten, dass ihr Volk wieder aufathmen konnte und
einen Begriff von Freiheit bekam. Hätten sie zur Ausführung dessen
makedonische Besatzung aufgenommen oder die Verfassung zu ihren
Gunsten gestürzt, so könnte man sie mit dem Namen Verräther bezeichnen,
d 6k zrjgovvTsg rd TiQÖg rag naiQidag Si'xaia xqCOei ngayuaTcav distpeqovto vofit-
^ovTsg ov tavTo Ovfitfsqov 'A^tjvaioig slvai xal Talg iavrwv TioXsOtv, ov örJTiov 6id
Tovro xaXsiOü^ai nqodorag ixQtjV avTovg vno Jrifiooif'svovg. 6 äk ndwa fiergwi'
TTQog To zTjg 18 lag nargidog OvfX(päQov, xal ndvrag ^yovfievog Snv zovg "EXXrjvag
unoßXensiv ngog H^rjvaiovg, d 8k 'fit], nQoSorag djioxaXslv , ayvosTv ixoi doxsT xal
TCoXv naganaisiv trjg dXtj^si'ag, o nsTtoi'rjxs JrjfioO^s'i'rjg. -auch habe der Erfolg
das Verfahren der geschmähten Männer vollkommen gerechtfertigt; nur
die Hochherzigkeit und der Edelsinn des Philippus- habe die Athener
nach der Schlacht bei Chaeronea geschont, sonst hätte die Politik des
Demosthenes sie noch in weit tieferes Unglück gestürzt ; d Ss fir] did trjv
zov ßaOiXe'cog [xsyaXoipvxiav xal (piXodo^iav xal noQqwriQü) rd tfig aTvxi'ag av
avToTg riQovßrj 6id trjv JrjfiooO^svovg noXitsCav}) Kann man im Poljbius den
1) Man sieht, wie auch hier Polybius Auffassung weit von der des Dem. abweicht, welcher
49
Peloponnesier nicht verkennen, der seine Landsleute gegen ungerechten
Schimpf und Schande vertheidigt, so ist doch auch der Tadel nicht
ungerecht, dass Demosthenes viel zu sehr Athener und zu wenig Hellene
gewesen, dass er jedem, der nicht dem beistimmte, was er für das
Rechte hielt, einen Bestochenen , einen Verräther schalt , dass er durch
seine Heftigkeit dem Volke nicht den Nutzen brachte, welcher der
besonnenen Politik eines Phokion gewiss nicht entgangen wäre. Die
Sonderpolik der Kleinstaaten war zu beklagen, aber die Schuld lag nicht
an den gedrückten kleinen Landschaften, sondern an der Herrschsucht
der Lakedaemonier ; für jene gab es kein anderes Mittel als Hilfe von
aussen zu suchen; von den Athenern hatten sie nichts zu erwarten,
dieses hatte längst die Sache der Megalopoliten bewiesen ; auch sie haben
immer nur auf ihren Vortheil gesehen, forderten aber die Hilfe aller
Griechen, wenn sie selbst ins Gedränge kamen. ^)
Von den an unserer Stelle erwähnten ist an dem Verrathe des
Lasthenes und nach Theopompus auch an Timolas ^) nicht zu zweifeln ;
ob auch Simos , ist sehr in Frage gestellt ; Aristoteles , welcher da er
selbst am makedonischen Hofe lebte, diese Verhältnisse besser als Demo-
sthenes kennen musste, sagt (Pol. 5, 6.) , im Frieden könne eine Ver-
fassung gestürzt werden, wenn die beiden streitenden Parteien der Macht
eines Vermittlers vertrauen und dieser sich dann zum Herrn beider auf-
wirft : SV Si zfj iiQrjvrj did Tijv dmGriav rrp' nqo.; dXXi^Xovg iyx^iQi^ovOi rrjv
fpvXttxrjv OTQaTiwTaig xal aq^ovTi fisOiöiin, og ivCots yivsxai xvQioq dfKfOJSQmv, omq
Gvväßrj iv AaqiOGr] inl Tr~g twv 'AksvaSüiv dQX^j9 '^'ö'' tis^I ISTfiov. SimOS war
demnach kein Verräther, wohl aber selbst von Philippus verrathen. Wenn
nun Demosthenes nicht nur neutral Gebliebene (§. 64), sondern auch
solche von Philippus Betrogene nach eigener Logik in die Zahl der
Verräther setzt, darf man sich nicht wundern, wenn er in Griechenland
zu seiner Zeit Alles voll von Verräthern, (poQd nqodoxm', sieht, wie es
glaubt, dass die Athener durch seine Politik noch am besten von allen Griechen davon-
gekommen seien und namentlich die Arkader und Messenier erwähnt §. 64. p. 246.
1) Vgl. Orelli Lectiones Polybianae, Zürich 1834. p. 13, welcher den Dem. gegen Polybius in
Schutz nimmt und jene Sünderpolitik verwirft, ohne zu bedenken, dass diese durch das
Verfahren der Spartaner und Athener unvermeidlich geworden war.
2) Die dorische Form hat 2' p. 324, sie ist also gewiss auch hier herzustellen, auch bei Polybius
steht TifioXai/.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 7
50
seit Menschengedenken nie gewesen ; denn gewiss die wenigsten waren
mit seiner und der athenischen Politik überhaupt einverstanden.
Und Aeschines? ist er ein Verräther? UnmögKch wäre es nicht,
dass er von Philippus bestochen gegen besseres Wissen und Gewissen
gesprochen hätte , aber Deniosthenes hat es keineswegs bewiesen ; hun-
dertmal behauptet er es, beruft sicli auf den allgemeinen Glauben, Alle
wissen es von selbst, dass er bestochen sei. Sieht man die Beweise
an, so findet man nur slxöra, so schwach, dass es fast scheint, man
habe nicht gewusst, was ein Beweis sei, und es sei Sitte unsers Redners
gewesen, wie nach Polybius die fremden, so auch die einheimischen,
welche andere jiolitische Ansicht hatten, als TVQodotca, (Modenol zu bezeich-
nen und dadurch jede Opposition vor dem Volke verstummen zu machen.
Jedenfalls würde sich daraus die auffallende Erscheinung hinreichend
erklären, dass von elf Gesandten Demosthenes der einzige nicht besto-
chene gewesen sei.^) Dass Aeschines nach dem Processe sich nach dem
freien Rhodus begab und dort eine Rhetorenschule hielt, spricht wenig
für die Versicherungen unsers Redners, und dass man eine andere Politik
als die des Demosthenes befolgen konnte, ohne im Solde des Philippus
zu stehen, lässt sich aus Phokion und Isokrates leicht darthun.-)
ÜOTSQOV vi-uv, cJ ävSqeg ^Ax^rjvaioi, doxst fuodxorög Aloxivrjg rj ^t'vog slvai
l4?.e^(<v6Qov; uxoveig ä XäyovOiv; von den drei in den Schoben überlieferten
Iv'klärungen ist die launigste und darum auch die bekannteste, djass
Demosthenes absichtlich fxiadcoTog gesprochen habe, um das allgemeine
Geschrei fiiadcordg zu erzwingen, wie auch heut zu Tage ein ßa^ßa^og,
der das Wort nach seiner Art accentuirte , von jedem Griechen sofort
dieselbe Antwort erhalten wird. F. A. Wolf bemerkte, dass die Fran-
zosen so etwas nicht glauben können , die parlamentarischen Engländer
dagegen solchen Spass wohl verstehen ; auf moderne Art über die Sache
zu urtheilen und zu entscheiden sei verkehrt. Für einen Scherz scheint
die Sache doch zu ernsthaft, auch ist die Quelle zu trübe. Wäre das
1) A eschin. 3, 82 lör fxofov ('«yiaQodSxrjToy ovofxtil^oi'Ttg rrj -nuXti.
2) ril. avxt 'PiXiTinnv itvov ovr' 'J'lBi^civi^Qov (piXov tiTioifi' ilv ty(u ai. da hier von der ^tvUt
'A'lh^uy^Qov allein die Rede ist, so ist diese Stellung auffallend, man erwartet 4>ih'7i7iov
cpi'f.ov Ovr' 'A'A. '^ifov, wie cpiXog y.cd ^ivog verbunden ist hier und 46, ebenso cpiXi« y.(ä ^tytit.
Vielleicht ist (pikoy ein falscher Zusatz und ftVoj/ auf beide Namen zu beziehen.
51
Geschichtchen wahr, so müsste das Wort ^uoißondg, wie es sehr leicht ge-
schehen konnte, am Ende des Satzes stehen, weil eine solche Correction
von Seite der Zuhörer unmittelbar erfolgte ; jetzt in der Mitte konnte
es nicht absichtlich falsch gesprochen sein , ehe Demosthenes den Satz
vollendet hatte; dieses ist für mich entscheidend. Dissen meint, das
Ganze sei erst der schriftlich ausgegebenen Rede beigefügt worden ; im
Gerichte habe Demosthenes das nicht gesagt, da die Anhänger des
Aeschines auch wieder dagegen rufen konnten. Fragen solcher Art
wai'en im Gerichte nicht so ungewöhnlich, wie man aus Arist. Rhet.
111, 1 8 sieht ; hatte aber das Publicum aus Ueberzeugung gesprochen,
so war der Process schon aus , noch ehe er angefangen hatte. Dass
Demosthenes auf seine Partei gestützt, einer günstigen Antwort gewiss,
eine solche Frage wagen konnte , scheint nicht unglaublich , und die
dritte Erklärung der Schollen ist besonders zu beachten: rivi^kiog, ds
(p)]Oiv wg oTi fihog iorl roig qi^toqGi, xal ^laXiOra z(7} Jrjf.io6^£V£i, rd di.i(pißoXa mc
lül^ioXoyrifjLsva kafißdvHv. der hat seinen Redner jedenfalls besser als die
Neuern verstanden.^)
Ist die yQa(prj §. 54 — 5 auch nicht acht, so muss doch die Folge,
in welcher die drei KlagejDunkte daselbst aufgezählt sind, die richtige
sein, nämlich 1) die Person des Demosthenes, 2) svOvvai, o) xt^Qv'^ig,
und es ergab sich diese gewissermassen aus dem Psephisma des Ktesi-
phon; sonst könnte Demosthenes nicht sagen §.56. rrjv aihrjv Toihoi noi-
rjGd(.ievog rcov ysyqamisi'iav rd^iv ttsqI ndvvcov sQiJo xad^ t'xuOrov scps'^rg. Im
Gerichte hat Aeschines eine andere Ordnung befolgt 1) ev^vvai, 2) xr^gv'^tg,
3) 'ÖTi ovx a'iiog Jrjiuoo^s'vrjg. in dieser fordert er soll ihn Demosthenes
widerlegen, wogegen dieser sich am Eingange verwahrt und an die
ygacpr] hält, .die ihm Gelegenheit gibt, zuerst von sich, d. h. seiner Politik
und seinen Verdiensten zu reden, und das was er nicht widerlegen kann,
den zweiten und dritten Punkt, als Nebensache und unbedeutend in den
Hintergrund zu stellen, um dann wieder mit dem Erfolge seiner Politik,
der Verbindung Athens und Thebens weiter zu fahren , und doch be-
haupten zu können, er befolge ganz die Ordnung, welche der Kläger
beachtet habe. Man muss auch hierin die Gewandtheit des Redners
1) Vergl. Scliäfer II, 23G.
52
bewundern. Wie sehr er sich bemüht, was ihm ungelegen kommt, als
untergeordnet zu behandeln, sieht man deutlich aus den Worten §. 58.
To di /.Dj TTQOcyQcxiliavTa insiSdv 6(7^ rag sv^vvag OTtxpavovv , xcei dvemsiv iv
TO) O^eaTQO) TOI' OTi(parov xsXsvOai, xoivcoveTv fiiv Tqyovfxai xal zovro xoTg neno-
kitevi.ievoig, sTts ec^iog sipi rov Orstfdvov xal zfjg dvaQQrjGswg zyg iv rovroig
eiTe xnl /.d], fti (.levroi xal rovg vofxovg dsixrsov elvai (xoi doxsl, xa^^ ovg ravra
YQdcffif f^rji' TovTO). Die beiden Punkte haben mit Demosthenes Verdiensten
nicht die mindeste Berührung; sie hängen ganz allein von den Gesetzen
ab und müssen nach ihnen allein entschieden werden ; da aber diese
ihm entgegen sind, will er sie als blosse Formalität betrachten, die
seinen Verdiensten gegenüber wenig Bedeutung habe, und stellt daher
diese auch hier wieder voraus. Ganz schön und richtig ist die Bemer-
kung des Syrianus ^) Rhet. IV, 205. xQi] ^^ rovg /^isrd rixvrjg sQyd^sOd-ai Tovg
Xoyovg STiixsi^ovvrag ralg dnoi^si^soi GvfXTcXsxeiv xdg im(poqdg, dXXd firj £^u> rov
TTQoxstijsvov ßad(^8iv , iinsq (xrj fxsXXoifxsv zd rov Aloxivov naS^eTv, xa^^ savrwv
(paGiv d/xco/jisvoi xoviv. xal ydq Aloyjvrjg ev to7 xazd KzrjOixpcSvTog ovx dgxeO^sig
naqdvoiiov SsT^ai rd yQatpev xaxd Tov JrjjnoG&e'rovg xpt'jcpiGi^ia, dXXd ngog&slg, oog
ovSt a^iog Gzstfdvov 6 ^rjfioG^svrjg, TtQocpaGiv to) dvridixco rfjg rwr olxsioov noXi-
revfxaTcov Sie^odov xexoQrjyrjxsv afp&ovov £1 St: nsql fxövov sGtyj t6 xqivofievov
(l. e. TTQoxfi'fxsrov, Tiaqdvofxov) , ■d-ätrov av stXe JrjfioGx^svrjv TifiaQ^otf.
Widerlegung der drei Klagepunkte des Aeschines.
A. Dass Demosthenes durch Wort und That stets das Wohl seines
Volkes befördert, Ktesiphon also von ihm Wahres ausgesagt habe 57 — 109.
Aeussere Politik während des Friedens bis zum Ausbruche des Krieges
1) Aus Syrianus Rhet. gr. IV, 725 könnte man schliessen, dass er bereits unsere yqacp^ vor
sich hatte, doch ist es nicht ganz sicher, auch bringt er manches Unrichtige vor; für das
Auffallende xptvSitg yquq^d? ei? rd Stifioaia yqdfj.fxura xaraßdlXtafhai hat er xpivSrj yqufj.-
fiata, und fofio? d'i tazif ö xtokvcjy xptvSrj ilgcpiqiiv y^dfifiara, dieses stimmt nicht mit
unserm Actenstücke. Aeschines selbst sagt in seiner Rede über diese Sache §. 50 ndviig
yuQ untiyoQivuvaiv ol vofxoL fxridivu xptv^Tj y(>uf/,fiara iyyQatptiv iv roig (fr/ /uoaioig
iprjfpia/xadL und es ist schwer zu glauben, dass er in der yq^^pn einen andern Gedanken
und andere Worte gebraucht habe. An eine Aenderung wie etwa iptvd^ tig rd &rjf^6aiu
xpricpCa (lata (oder «tV to drj/j.oawf) yqufxfiara darf man bei dem Zustande dieser Urkunde
nicht denken. Weit wichtiger wäre, dass Apollonius Alex. synt. p. 42 Bekk. den Titel eines
I)hilippischen Briefes anführt /i«(TtAit}? Maxufovow <i>i'/.in7iog 'JOrii'uiMv r^ ßov'/.rj xui rui (ftjfiio
^(aCqtiy, wenn man beweisen könnte, dass dieser aus §. 37. 77 genommen sei; mit p. 158
stimmt er wenigstens nicht.
53
mit Philippiis 60 — 191. Die Darstellung, dass Athen sich an die Spitze
gegen den König stellen musste 62 — 72, ist ausgezeichnet und vorzüglich
gelungen ; sie wird dem Redner immer die Zuneigung aller Leser gewin-
nen, aber nicht das ist es , was ihm Aeschines zum Vorwurfe machte,
dass er nicht mit Philippus die Griechen unterjocht habe oder neutral
geblieben sei, das fiel ihm nicht ein, wohl aber, dass er in seiner Politik
unverzeihliche Fehler begangen , dass er sich habe bestechen lassen
103 — 5. Wenn es 69 heisst: dXXd xi ixQ^l^' 1^^ noisTv; rjörj yccg a' fQOJTw
nüvza TccXX^ dcpslg 'Afi(pinoXiv, Ilvdvav, ÜOTiöaiav , "AXövvr^Oov ovSsvog Toihojv
j.i€fivriiiai' 2sQQiov S^ xal Joqi'Gxov xal rrjv nsnaQr'j&ov rtoQd^rjOiv xal o'ö' aXXa
rj TCoXiq rjSixrjro, ovS^ sl ysyovev oida. xahoi Gv y' ((prjGd^ä fis tavxa Xsyovxa dg
sX^Q<xv sfißaXsTv Toi'TovGi, EvßovXov xal 'ÄQiOTocpwvxog xal Jionsid^ovg rcov ttsqI
xovtoav ipt^y)iGf.iäTon' Övtmv, ovx ifxijiiv, w Xsycav fv^fQÜig u ri dv ßovXrj^r^g. ovSe vvv
tcsqI Tovrm' sqw. SO ist diese Figur , die naQdXsixpig, hier allerdings sehr
geeignet ; sie wird nämlich nach der Vorschrift der Rhetorik gebraucht :
si planum non potest fieri aut facile potest reprehendi , ut utilius sit
occulte fecisse suspicionem quam eiusmodi intendisse actionem quae
redarguatur. Diese Orte waren durch den Frieden dem Könige gesichert,
und so kann von einem ddixsTox^ai, nicht die Rede sein. Aber die Kühn-
heit des Redners muss man bewundern, welcher, weil er keinen beson-
dern Antrag darüber gestellt hat, leugnet, die Athener zum Hass ange-
trieben und mit Philippus verfeindet zu haben. Aeschines sagt das in
der erhaltenen Rede nicht, muss es aber im Gerichte vorgebracht haben.
Wir müssten Philipp. II. III, de Cherson. , die allen Hass predigen und
die Sehnsucht nach dem Kriege ausdrücken — in den spätem nicht
erhaltenen Reden hatte sich diese Feindschaft gewiss nicht gemindert
— nicht haben, wenn wir hier ihm und nicht seinem Gegner Glauben
schenken sollten.^) Man sieht, dass ein attischer Redner im Momente
seiner Begeisterung Alles was er früher gesprochen hatte, wenn es ihm
ungelegen kam, vergessen und verleugnen konnte.
UoTsqov ravra ndvra noiwv )^6ix€i, xal naQSOnovSei xal h'Xvs ttjv siQt'jVijV i^
ov ; wenn die Oligarchen Euboeas wie Kallias persönlich zu Philippus
eilten, seine Hilfe ansuchten und er sie unterstützte, so hatte er — der
1) Vgl. Schol. zu p. 250, 24.
54
Dualismus war nuu einmal in jener Insel — dadurch den Frieden so
woniii' g'ebroclien, als die Athener, wenn sie die Demokraten stärkten
und die Oligarohen vertrieben. Dass der König Vieles that, was die
Athener besorgt machen musste, und dass er seinen Einfluss auf ihre
Kosten sich zu heben suchte, ist gewiss, aber das war kein Friedensbruch. ^)
Nach 7o — !). lo9 hat Philippus den Frieden direct durch die Weg-
iKiluiu' athenischer Schiffe gebrochen, und die Ursache des Krieges wird
§. 7() auf dieses Factum gelegt. Man erwartet, dass der König Kauf-
fahrteischiffe geplündert und nicht wieder herausgegeben habe ; Justinus
IX, 1 kann daza berechtigen; doch Diodor, sagt nichts, auch aus Philo-
chorus bei Dionysius lässt sich nichts abnehmen, und der Redner konnte
in seiner Weise selbst nach voller Rückgabe der Schiffe in der That-
sache allein schon eine gewünschte Anschuldigung finden. Ebenso
erwartet man, dass in dem Briefe des Philippus'^) athenische Redner
mit Namen bezeichnet werden , um wenigstens dem Demosthenes eine
einleuchtend perfide Interpretation zu ersparen ; um so auffallender ist
es, wenn ein späterer ihm eine solche durch Verschweigung der Namen
unschuldigerweise angehängt hat; aber mag dem sein wie ihm wolle,
die Behauptung unsers Redners, Philippus habe nur deswegen seiner
nicht erwähnt, oVt T(Sv dSixrjfiaTon' av e/iisfivrjTo toSv cahov, sl' Ti tcsqI ifiov
YsyQciqff toihcov yccQ sxoßfp' «W ^'^^ romoiq ijvavriovfirjv, ist ebenso lächerlich,
als sie von nicht gewöhnlicher Eitelkeit zeigt. '^) .
"Warum Philippus Ijyzantium belagert habe, erklärt Demosthenes 87.
ÖQcov 6' ")%i oizo) ndvcoov dv^QoSnoov nksiOno XQ^l^^^' sneiOrdxTo^, ßovkofisvog rfjc
I) Vgl. Demegorien S. 80.
2J Die lieidcn ]5riefe des Philijipns sind noch das Beste von den TIrkunden unserer Rede, sie
Ijezeiclmen den Charakter des Königs und sein Benehmen gegen die Athener ganz treffend.
Schäfer II, 472 meint es sei der Brief gewesen, welcher den Frieden aufkündigte, da er
den erhaltenen für u nacht erklärt.
3) §. 83. xcd (Hvriqov x/jQvy/uajog rjtfi] fxm rovinv yiyvofitfov. Da dieses im offenen ^^'ider-
spruche mit dem steht, was unten §. 223 gesagt ist, so scheint die leichte Aenderung der
Handschrift der zweiten Reo. ytvofxtpov ganz sicher und sie hat Beifall gefunden; ich halte
sie jedoch nicht für richtig. Dem. könnte die erste Bekränzung nicht verschweigen; denn
ihm ist daran gelegen, vollständig zu berichten, und Je mehr er vorbringen kann, desto
besser. i'mtQ vqortQOP fiiy 'jQiarovixog, vw d't KTriaufiov yiyqucptv ovroaC umfasst den ganzen
Zeitraum und heisst von der ersten bis zur letzten Bekränzung; diese Bezeichnung erwartet
man auch hier. Ist ö'tvTiQov vielleiclit ein Missverständniss aus d""" d. h. tituqtov?
Photius p. 80.5, wo falsch Jti/^OTt'/.ovg steht. Vgl. Winiewsky p. 250 sq.
OiTOJTOfiniag xi'giog yeviGd-ai, naqtXdmv inl QQdxrjq Bvi^avtiovQ Oi'i^ifidxovg ovtac
aihfo id fi^v TTQCüTov Gv/iTroXi^/iitv rdv nQog v/iüg n6Xijj.ov, (og J' ovx ijS^sXov ovd'
im TovTOig scptxOav Trjv Ovf^tnaxiocv TCSTToirjO^ai, Isyovrsg dXrjO)~', x^^Q^xw/LUi ßaXdftiVog
TTQog vfj noXsL xal i.irj%avrjiia'c^ imöTr'jGag snoXioqxsi. Die Aufforderung des
Königs an die Bjzantier ist nur vom Redner gewiss mit voller Zustim-
mung seiner Zuhörer zum Besten gegeben;^) Diodor 16, 74, der liier
wohl dem Ephorus folgt, gibt als Grund an, weil sie den von ihm
belagerten Perinthiern geholfen haben, Perinthos aber habe er ange-
griffen svavriovfis'vrjv atho), jtQog J" 'Ad-rjvaiovg (XTtoxXCvovOav. Alexander in
dem Briefe an Darius bei Arrian 2, 14 hebt hervor xal yuQ Us^iv^mg'^)
sßorjd^riOaTs ot -vdv sfj.6v nazsQa r]Sixovr. Pausan. 1, 29, 10. Pseudodem. p. 153.
Nicht den Perinthiern, erst den Bjzantiern kamen die Athener zu Hilfe.
Das Verdienst letzte gerettet zu haben, eignet sich Demosthenes in der
Art zu, dass keinem zweiten an diesem Ruhme irgend ein Antheil zuge-
standen wird, 80. 87 — 94. Wer war es, ruft er aus, der ihnen zu Hilfe
kam und sie rettete, wer der den Abfall von ganz Hellespont hinderte?
Ihr, wenn ich sage Ihr, so meine ich den Staat. Wer aber war es, der
im Staate dafür durch Reden, Anträge, durch Thaten gewirkt und sich
ganz dieser Sache hingegeben hat? Niemand als ich. Daraus erwuchsen
dem Staate grosse Vortheile , und ihr wurdet von den Bjzantiern und
Perinthiern mit Ehrenkronen beschenkt. Das hat mein Streben, das hat
meine Politik bewirkt ; ihr habt schon Viele bekränzt, aber noch nie ist
der Staat durch Andere bekränzt worden, diese Ehre verdankt man
mir allein.
Niemand würde es wagen, gegen solche Versicherungen dieses Ver-
dienst unsers Redners ungestraft anzutasten, hätte nicht die Geschichte
uns hier die nähere Erklärung aufbewahrt; wir müssten dieses wie
vieles andere, gutmüthig annehmen, jetzt lernen wir dadurch den Redner
als solchen in seiner Uebertreibung kennen, nachdem der Zufall uns
wenigstens so viel erhalten hat, dass wir das Wahre von dem Falschen
auszusondern und das Richtige zu durchschauen vermögen. Als Philippus,
lesen wir im Phokion bei Plutarch c. 14, mit seiner ganzen Macht gegen
1) Dieses erkennt auch Schäfer II, 465, wieder ein einleuchtendes Beispiel wie Redner mit der
Geschichte umgehen.
2) Im Pseudocallist. 2, 5 p. 60 steht zweimal Zaxvvd-ioi.
56
Hellespont aufgebrochen war, um den Cliersonnes, Perinth und Bjzanz
iu seine Gewalt zu bringen, und die Athener beschlossen hatten, den
liedrängten Hilfe zu leisten, brachten es die Redner dahin, dass dem
Chares der Oberbefehl übertragen werde. Dieser aber brachte mit seiner
Flotte nichts zu Stande, die Städte nahmen ihn nicht einmal auf, und
so irrte er Allen verdächtig umher, die Bundesgenossen besteuernd und
\on den Feinden verachtet. Das Volk von den Rednern angetrieben
zeigte seinen Unwillen und bereute es, den Byzantiern Hilfe geschickt
zu haben. Da trat Phokion auf die Bühne und sagte , nicht den Bun-
desgenossen, welche misstrauen, sondern dem Feldherrn, welchem man
misstraue, müssten sie zürnen ; denn diese machen euch selbst bei jenen
gefürchtet, die ohne euch nicht gerettet werden können. Durch ihn
bewogen änderte das Volk seine Gesinnung, gab ihm eine neue Macht
nach dem Hellespont, und dadurch wurde die Rettung von Byzanz be-
wirkt , oTTfQ fi£Yi'o'T)jV QOTTip' ircoiTjos TiQoq To (j<i)dfjvai t6 Bv^ävriov, denn der
Ruhm des Phokion war weit verbreitet, und als Leon, einer der ersten
und ausgezeichnetsten Männer von Byzanz , welcher mit ihm die Aka-
demie besucht hatte, für ihn sich verbürgte, öffnete man ihm die Thore
1111(1 nahm die Athener freundlich auf; Philippus, der unbesiegbar schien,
musste leer abziehen , ovro) fiiv ovv 6 (DiXinnog i^snsos tov "EkXrjOTidvTov tots
xal xaTfifQor/jd^rj, Soxwv a/^iaxog rig sivai xal dvavTaym'iGToq.
Wie steht es nun nach dieser Angabe um die ruhmvollen Phrasen
des Redners? Wenn er es gewesen, wie nicht zu zweifeln, welcher an
der Spitze der kriegerisch gesinnten Partei zuerst das Volk den Byzan-
tinern Hilfe zu leisten aufgefordert hatte, so war er es auch, der dem
schlechten Chares die Führung des Krieges übertragen, ot qr'jroQSQ rjycovi-
oavTo tov XdqrjTa GTqarrjydv dn:oOTalr~vai, er es, der als dieser seine Sache
schlecht machte, den Byzantiern zürnte und es bereute, sie unterstützt
zu haben, 6 äTjUog vno rwv QrjroQCov jraQo'^vroasvog r'jyaväxTsi xal fXiTsvösi roTg
Bv^avrioig 7i8f.npag Tr]v ßorj^eiav. Der Ruhm des glücklichen Gelingens fällt
allein dem Phokion zu, nicht dem Demosthenes, der den Untergang der
Stadt nicht verhindert hätte. ^) Dieses zugleich ein einleuchtendes Beispiel,
1) Die Plutarchisclie Stelle hlieb niehi unbekannt, aher niemand hat an die Folgerungen
gedacht, die sich nothwendig aus ihr gegen Dem. ergeben. Wieniewsky p. 189. Dissen
57
welclier Unterschied zwischen einem Historiker und einem Redner ist,
wie letztere durch Verschweigen die Geschichte entstellen, und was
Andere redlich und mühevoll errungen haben, für sich in Anspruch zu
nehmen kein Bedenken tragen.
Das schöne Epimetrum 95 — 101, dass die hochherzige Gesinnung
der Athener alles Unrecht, das sie früher von den Euboeern und Byzan-
tiern ^) erlitten hatten, vergessen und im Unglücke ihnen helfen mussten,
zeugt wieder von dem idealen Geiste unsers Redners, der auch einem
natürlichen Triebe und egoistischer Tendenz eine höhere liberale und
menschenfreundliche Bedeutung unterzulegen versteht; denn dass die so
genannte edle Sitte der Athener, der Unterdrückten sich anzunehmen,
ihren Ursprung nur darin hatte, das Gleichgewicht zu erhalten, damit
der Sieger nicht zu mächtig werde, ist schon früher nachgewiesen worden.^)
p. 249. Man meint Plut. habe Chares Verdienste zu Phokions Gunsten entstellt; Boehnecke
und Schäfer 11, 480 sagen sogar, auf ausdrückliehen Rath des Dem. sei es geschehen, dass
ihm dieser Oberbefehl übertragen worden. Sie beziehen die Worte des Corn. Nep. Phoc. 2,
wo ihm Undank vorgeworfen wird, auf unser Ereigniss: auctus adiutuuque a Demosthene
eum quem tenebat, ascenderat gradum, cum adversus Charetem enm subornaret. Das mag,
wenn anders die Notiz Wahres enthält, früher einst gewesen sein, als die Verhältnisse
beider noch leidlicher waren. Man lese nur Plutarchs Lebensbeschreibung und man wird
den schneidenden Gegensatz, der zwischen beiden war, nicht verkennen. Phokion, damals
schon über sechzig Jahre alt, ist durch sich und nicht durch die Eedner Führer der Flotte
und dadurch Retter von Byzantium geworden. Man wird jetzt auch Aeschines Worte 256
besser würdigen tig ztji' dka^oytCcty dnoßMifjafTtg ozcty cp^ Bvt,avriovg fxiv ix riäv /tipojy
ngidßtvactg i^tXia^'tai. xujv 4'ilimiov.
1) 95. xard xmv Evßoiwy y.cd riäv Bv^Kvziiüv. Aeschines hat nicht gegen dieEuboeer gesprochen,
sondern gegen die dortigen Tyrannen, Kallias, Philistides, Cleitarchus ; Dem. setzt, um das
Gehässige zu vermeiden, absichtlich den allgemeinen Namen. Von den Byzantiern findet
sich bei Aeschines nichts, daher man glaubt, er habe diese Ausfälle in der geschriebenen
Rede ausgelassen; um sich im Exil keine Feinde zu machen. Dissen p. 258. 394. Schäfer
Beilagen S. 76. Die Erwähnung beider sammt den Thebanern §. 238. 240 bezieht sich auf
den Krieg und den Kampf bei Chaeronea. Es wäre möglich, dass die Worte xcd rmv
BvliavTi(üv ein fremder Zusatz sind, der weil oben von beiden gesprochen worden, auch hier
gefordert würde; doch lässt sich nichts Sicheres darüber angeben. — §. 86. rü viy.av ot'
ißovXtvtad-t war vielleicht ozi ßovXtvoiaS-i"? — 88. toiitwv cTt yiypo/Liii'U)!' oti /jiy nQogrjxt
noiitv vfu-ug ovxit' igiorrjaw. 2 nQogrjxei, was richtig scheint und mit yiyi'ofj.ivuiv über-
einstimmt; als allgemeiner Satz gesprochen auch jetzt noch für die Athener gültig — was
ihr, wenn das geschieht, thun müsst — • hat es mehr Kraft und Bedeutung — 97. qjiqtw
rf' ort civ 6 ^eog di4ü ytvvaiu}g. 2 icy o, d. h. wie bei Stobaeus o «V, schob Yen. £, 233 «
äy, wohl entstanden aus dem attischen «V.
2) Ueber die Demegor. S.U. Im Gegensatze von den oben aufgezählten an fxv^Ccc ('riQn über-
Abh. d. I. Gl. d. k. Ak. d. Wiss. X.Bd. I. Abth. 8
58
Innere Politik 102 — 9 ; das Trierarchen-Gesetz des Demosthenes
war gewiss gut; den Vorwurf des Aeschines §. 222 hält Dissen §. 268
für eine Lüge uud erst später eingeschoben ; ersteres ist nicht möglich,
weil Aeschines sagt, er habe es publice nachgewiesen. Wir vermögen
weder darüber, noch über Dinarchus Aeusserung, Demosthenes habe von
den Reichen drei Talente bekommen, um noch manche Aenderung im
Gesetze vorzubringen, zu urtheilen, müssen daher solche Angaben auf
sich beruhen lassen,^) die Einrichtung aber als wohlthätig und frucht-
bringend anerkennen.
Klug berechnet ist was er §.110 sagt, dass er mit der Darstellung
seiner Politik, gleich als wollte er nicht weiter davon reden, hier ab-
brechen und zu dem naQävofiov übergehen müsse, obschon er dadurch
die wichtigsten Ergebnisse seiner politischen Thätigkeit stillschweigend
übergehe : xairoi rd ^syiOTd ys TtöV jTeTioXitevixsvcov xai usnQayfJts'viov i^iavt^y
TiaQuXsiTKo ; er thue das in der Ueberzeugung , dass jeder, wenn er auch
nichts davon sage, das Bewusstsein davon für ihn in der Brust trage.
Natürlich denkt er nicht daran davon zu schweigen, aber er hat sich
dadurch die Möglichkeit gegeben, die Gesetzesfragen kurz abzumachen,
um dann sofort wieder in aller Ausführlichkeit von sich und der durch
ihn bewirkten Verbindung der Athener und Thebaner sprechen zu können.
B. sv^vvai 110 — 9. Als Ktesiphon den Antrag stellte, den Demo-
sthenes auch deswegen zu bekränzen, weil er sein Amt so trefflich ver-
waltete und aus eigenen Mitteln bedeutende Schenkungen dazu gemacht
habe, war dieser noch im Amte, er hatte von den zur Verwaltung er-
haltenen Staatsgeldern noch keine Rechnung abgelegt; selbst die Cautel
fehlte idv koyov dnodoj^ und so war der Antrag entschieden naqdvofiov.
Jetzt ist natürlich Alles längst abgemacht, die Staatsgelder sind gehörig
verrechnet, die freiwilligen Beiträge richtig nachgewiesen, und Demo-
sthenes kann gar nicht begreifen , was denn der einfältige Gegner
eigentlich wolle, spricht weites und breites von Dingen, um die es sich
nicht handelt und welche gar nicht hieher gehören. Es ist dieses ein
gangenen Fällen wird §. 101 doch anerkannt, dass jetzt auch das Interesse Athens bethei-
ligt war vniq uvxrjg ZQonoy tivct rrig ßovXijg oilarjg.
1) „Wem soll die Nachwelt glauben, welche ein Urtheil aus den Berichten lügenhafter Redner
bilden will?" Boeckh Staatsh. I, 741.
59
lehrreiches Capitel, aus welchem man den lügenhaften Charakter der
attischen Redner am besten kennen lernen kann ; nichts ist klarer und
einfacher als die Darstellung des Aeschines §.9 — 31, gleichwohl beginnt
Demosthenes seine Widerlegung mit den Worten: tcJi' /i^v ovv X6yu)v ovg
ovTog ävw xat xdru) Siaxvxwv sXsys tisqI rwv TragaysYQc^l^ilis'von' vo/bicov, ovts fid
Tovg ^eovg vfiäg oi[.ua /.lav^äreiv, ofV avcog rjdvvdßrjv ovvstvai Tovg noXXovg,
dnXcog 6b rrjv oQd-rjv ttsqI twv SixaCmv SiaXs^oficci. Natürlich , da er darüber
reden muss, den wahren Bestand aber nicht sagen will, spielt er den
Verwunderten, begreift nicht, was der Gegner wolle, beweist in vollem
Ernste, dass man für das, was man schenke, nicht zur Verantwortung
gezogen werden könne, Aeschines also unsinniges Zeug schwätze, und
Schliesst seine Beweisführung so : 6 Sä naiXTtdvrjgog avdQbanog xal &eoTg ix^Qog
xal ßdOxarog ovrmg noTog Tig av sl'rj , nqdg &€u!v; ovxl o roiovtog; man wird
nicht sehr irren , wenn man überhaupt überall , wo die Redner nur
schmähen und schim^^fen, die Ursache in dem Mangel wirkliche Gründe
vorzubringen sucht. Hier hat selbst Dissen p. 277 erkannt, dass Alles
nur Chikane ist, die Alten sprechen sich ganz klar darüber aus.^)
C. xrjqvyixa 120 — 1. Nicht viel anders wird es sich mit der gesetz-
lichen Bestimmung, der dvdQQrjOig, verhalten. Das Sophistische kann
man schon daraus erkennen, dass Demosthenes sich den Schein gibt,
als wäre es dem, welcher bekränzt wird, ganz gleich, wo er bekränzt
werde, die Ausrufung im Theater aber geschehe nur, damit das Volk
der Athener von den Hellenen gepriesen und geachtet werde, demnach
zur Ehre des Volkes , nicht des Gekrönten ; dabei wird dem Gegner
Unwissenheit vorgeworfen dXXd uQog ^tcov ovrco Oxaidg sl xal dvaCod-rjXog,
Aloxivrj. Jeder sieht das Falsche, aber die Kühnheit und die Kunst des
Verdrehens, um Alles zu seinen Gunsten zu wenden, muss man bewun-
1) Schol. in Theonem I, 260, Rhet. VI, 36, VII, 17. 291 und die von Reiske zu p. 264 citirten
Stellen. — Die falschen Schlüsse im Einzelnen nachzuweisen, muss dorn avifmerksamen und
vernünftigen Leser überlassen werden; wer einmal auf den eigentlichen Sachverhalt auf-
merksam gemacht ist, wird von selbst sehen, dass nicht das Mindeste daraus folgt, so sehr
er sich auch den Schein gibt, als wolle er strenge beweisen; darin liegt eben das sojjhi-
stische Verfahren des Redners, z. B. 110. tV« roivvv tldtJTt ori ccvtos ovrog fioi /nciQTvQit,
t(p' olg ov/ vntvS^vyog f^v tax tcpav iöaii-ui, ((!ri(puvova&ia7) luß(üp uvnyftaS^i ro ipricpiafj.u oXov
t6 yQucpti' fioi. oig yäq ovx (yQuiparo roxi npoßovXsvfieerng, rovroig « ^imxai. avxocpavtöii'
(pavrjairui.
8*
60
dem : die einzig richtige Erklärung hat schon Aeschines gegeben : ovS'
ivaiii'of tov (J'j;/ttoy alX^ svavxCov ^EkXt^vwv, tV ry^urv OvvsidwOiv oiov avdga Ti/KJäfisv.
Ktesiphon wollte durch die Ausrufung im Theater dem Demosthenes die
günstige Stimmung aller Hellenen erwerben und dadurch auch wieder
auf die seines eigenen Volkes wirken.
Da die Entscheidung dieser Frage von der Kenntnissnahme der
Gesetze abhängt , welche uns nicht erhalten sind , beide Redner aber
einander vorwerfen, dass sie nur abgerissene Stücke der Gesetze dem
Volke vortragen und diese verdrehen, nicht das ganze Gesetz,^) so wird
ein sicheres Urtheil über das Einzelne uns unmöglich ; was man bis jetzt
gegen Aeschines vorgebracht hat,^) ist jedenfalls unhaltbar und nicht
schwer zu widerlegen. Eine absichtlich falsche Interpretation hatte
dieser gewiss nicht vorgebracht ; er wusste, dass er es mit einem Gegner
zu thun hatte, der ihm, auch wenn er das Recht offenbar für sich hatte,
durch Kunst und List den Boden zu untergraben verstand. Er hätte
diese dväggr^aic ganz übergangen, wenn das Gesetz nicht entschieden für
1) Aesch. 35. ^Qtjaoyrca rov p6/uov fitQft, riri yXinrovxi^ rrjv uxqoaaiv vfiiuv y.cü naqi'^ovrai vo/j.op
ovdii' n^og^xovru t^&s rrj yQctcprj. Dem. 121. rt ovy w TakccinioQt avxoffcivritg; ri Xoyovg
nXchztig; ri auvrov ovx ikXtßoQi,^ii,g . . yo/nnvi [itTunoioJv , rmv d" clcpaiqüii' fxtqrj, ovg oXovg
6iy.iaov i^y uvnyiyvoiaxta&ni.
2) Bissen und besonders Franke in Jahns Jahrb. 1838. XXII, 378—82. Vgl. Schäfer III, 214.
Dass beide Redner dasselbe dionysische Gesetz citiren, ist anerkannt, dagegen zwjifelhafti
ob nach den AVorten des Gesetzes ,«^i9-' vno ruiv cpv^triöv tj dtjfioTuJy clyayoQtvta&ai artqja-
yovfu.eyoy, f^i^d-' vn üXkov (xriSkvog die Exception so lautete wie sie Dem. anführt, nlr^v idv
tiyag 6 67j(j.og ^ »J ßovX^ xptjcpiarjxca. Im letzten Falle haben die (pvkixai, (Tij^uorttt oder äXkoi,
tiyfg die Genehmigung des Volkes einzuholen, es kann nicht das Volk verstanden werden,
welches sich selbst die Erlaubniss gibt; die ityixni aricfMyoi sind, wenn auch nicht aus-
schliesslich, doch gewiss zumeist und zunächst gemeint. Dieselbe Schlussform hat Aeschines
auch 3, 30. Hat aber Dem. die Worte der Exception Sw^Qi^äriv gegeben und nicht etwa
blos den Gedanken erweitert — auffallend ist der Zusatz ^ <j' ßovX^ und der Pluralis rivag
— so kann eine ardaig ex ambiguo und die Controverse entstehen, ob jenes tivdg auf die
vorher genannten zu beziehen ist, und dieses ist das natürliche, oder ob es unabhängig
davon für sich allein steht, und Volk und Kath jeden beliebig dort bekränzen kann. Dann
aber ist ausser der Zweideutigkeit, welche jedes Gesetz vermeiden muss und welche man
hier am wenigsten erwartet, auch der Widerspruch mit dem ersten Gesetze. Hat das Volk
sich selbst die Beschränkung der Ausrufung gesetzlich aufgelegt, alXoxii äi (irjSccfiov, so ist
es auch gebunden, diese so lange zu halten bis solche gesetzlich wieder aufgehoben ist.
Dass Dem. in die Sache gar nicht weiter eingeht und den Gegner einfach mit Spott und
Hohn abfertigt, ist wenigstens kein eTUpfehlendos Zeichen, dass die Wahrheit wirklich auf
seiner Seite ist.
61
ihn gewesen wäre, und er konnte es, da das erste, das vttsvS^vvov allein
genüg-te, um das nuqdvonov zu beweisen; es wäre seinerseits einfältig
gewesen, etwas hervorzuheben, was an sich falsch war, er würde seinem
Gegner nur eine erwünschte Waffe dargeboten haben. Die ganze Stelle
über den vöjxog Jiowoiaxog 35 — 48 hat Aeschines vielleicht erst später
als TiQoxaTdhjXpig seiner Hede beigegeben, nachdem er im Gerichte erfah-
ren, dass Demosthenes aus diesem seine Vertheidigung führte ; daher die
Erklärung, dass dieser hier keine Anwendung finde. Das eigentliche
Gesetz mag wohl bei den Athenern wie oft stillschweigend umgangen
worden sein, aber es bestand und konnte von jedem der wollte geltend
gemacht werden.
Demosthenes erklärt was Aeschines sagt, nur für Schimpf, Schmä-
hung und Ungezogenheit 122 seqq., aber er soll ihm auch hier nicht
za kurz kommen, ov /itjv ovS^ svzaviha iXarrov s'xon' Sixaiog Sotiv dnskx^sTv,
und so ist es; so boshaft wie Demosthenes hat es Aeschines nicht ge-
macht, keineswegs weil er nicht wollte, sondern nur weil er nicht
konnte, und im Vergleiche mit ihm ein Stümper ist; zu solch gehässigen
Ausfällen, wie wir sie 127 — 31 lesen, welche zeugen wie unbarmherzig
die Alten gegen einander sind, war kein Grund. Die Schlussworte der
Rede des Gegners eignen sich allerdings mehr der Schau- als der Redner-
bühne, sie sind ihm aber eine erwünschte Veranlassung zu schmähen;
denn anderes ist es nicht. Die Schilderung was Vater und Mutter des
Aeschines in ihrer Jugend gewesen sind §. 129 — 30 wird durch die
wiederholte Versicherung: dlXa ndvzsg Taaoi zavra, xäv sym /xr] le'yco^) . .
rrjv 6i firjTe'^a Os/^ircäg rrdw FXavxo&iav (snoi'rjOe) r^v "EfXTiovOai' anavTsg lOaOi
xaXov/iiivrjV sx rov ndvra noielv xal ndoxsiv drjXovoTi ravvrjg rrig snwvv^iCag vv^ov-
oav. nud-sv ydq aUo^ev; nicht glaubwürdiger. Jetzt sind beide längst
todt ; vor siebenzehn Jahren im frühern Processe CIX, 2 lebten sie noch,
der Vater 94 Jahre alt.'^) Wer von den Richtern oder Anwesenden
1) Diese ganze Stelle hat nur Aug. I (die zweite Eecension) erhalten, in - und den übrigen
fehlen diese Worte wohl nur durch Zufall, weil auch der nächste Satz mit «AA« beginnt,
woraus man sieht, dass auch diese zweite Rec. sich auf nicht verächtliche Quellen stützt.
2) Acschin. 2, 147. Damals wusste Dem. von der Mutter seines Gegners noch nichts Der-
artiges, was er hier mittheilt, sonst würde er es netganQ. 249 p. 419 nicht verschwiegen
haben; auch dass der Vater Sclave gewesen, war ihm damals noch unbekannt, er weiss
nur cTtcTßffzwj/ 6 nurrJQ ygct/^/xarcc, o»? tyoi TuJp Tig saßvr i ^wy dxovto, also Schulmeister,
G2
moclite noch etwas von deren Jugend wissen? Wenn gleichwohl Alle zu
Zeugen aufgefordert wurden, so ist dieses nichts als eine verbrauchte
rhetorische Formel, mit deren Hilfe man dem gutmüthigen Zuhörer alles
rnglaubliche glaublich zu machen suchte und deren Erklärung wir dem
Domosthenes selbst p. 1024 §. 53 — 4 und Aristoteles verdanken Rhet.
lil, 7 Trnaxoi'Oi 6s ri ot dxQoaial xal o) xaxaxoqun; XQ<avtai ol XoyoYQd<fOi tiq
d oi<x oidfv: ccTrarzfc i'GaOiv of^ioXoyeT yciq 6 äxovcov aiOxvvofisvog, oncag fisTs'xi]
oimfQ xal ot aXXoi TiävTsg. Auch hat man schon im Alterthum es als eine
böswillige Verläumdung angesehen Rhet. gr. VI, 383 dXX" cJe r] fxmr]Q oov
ToTc /Jft^yjf (JnoTc ya/to/c] ovx siQon'sia wc (paOi rivsg, dXXd dXXrjyo^ia xard Of/xvö-
ir^ta dnoifsvyovOa i6 aiGXQov Ti^-g dxoXccOiag, fj Xsyei XQ^iOO^cci tvv firjrsQa avTov,
WC (fi^Oi ip£v66/j,£rog- Xs'yszai ydg [xiq eivai Toiavrrjv, ei xal öid tovg
TQidxovra zvqdvvovg 6 ^Az q 6 fxtqr o g tov SrJ/xov i^sns'as t£ xal STisvrjZSvGs.
Nicht viel mehr Wahrheit enthalten die nächsten Worte : dxph ydq noxe —
6x1)1 Xs'yo}; x^^? A*^*' oi'v xal ttqo^ijV af.i' 'A^rjvaTog xal QrjrcoQ yeyovs. AuS Demo-
sthenes selbst können wir nachweisen, dass jenes x^^ii xal nQcprjv für den
Qi^TcoQ wenigstens den Zeitraum von zwanzig Jahren umfasst, woraus
noch keineswegs folgt, dass Aeschines nicht schon viel früher als Redner
aufgetreten ist. Solche Beispiele zeugen recht anschaulich, wie leicht
die Aussagen der attischen Redner täuschen und mit welcher Vorsicht
man ihnen trauen darf; nicht überall ist das Uebertriebene oder Falsche
so handgreiflich.^)
nicht der Knecht eines Schulmeisters. Ueber dieses und anderes hat am richtigsten bereits
Stechow de Aeschinis oratoris vita geurtheilt, auf welchen zu verweisen genügt. Es scheinen
diese Vorwürfe überliaupt nicht etwas so seltenes zu enthalten; denn dasselbe wird auf-
fallend genug auch von Epikurus gesagt. Diog. X, 4. xai yaQ avv t^ f^rjZQi nsQioyrcc
ftvTOf fig rcl oixid'ia xa()-(tQ fiovg di'uy ii'ujay.tiv , xai avv tm narqi yQu/xfiara di-
d(i(rxtiy XvTiQov rwog fiia&a^Cov. oder ist dieses nur eine Nachbildung aus Aeschines Leben?
1) §. 130. Die Worte oi'di yuQ mv i'Tv;(ty ^y, «AA" ocg 6 dtj/nog xKruQuruu wollte H. Schäfer
hinauf nach n^op^^at^ca Xuyov? setzen und freute diese seine Vermuthung durch die älteste
Quelle yq Z bestätigt zu finden. Nach meinen Untersuchungen stammen die in yQ I
bemerkten Varianten nicht aus alter üeberlieferung, sondern sind das Product eines der
Rhetorik sehr kundigen Kritikers und darum mit grösster Vorsicht anzuwenden. Hier ist
die Umstellung auch nicht nothwendig, die Worte beziehen sich auf ravta f^tv ovv iaaui,
nach welchen sie auch stehen könnten. lieber die Bedeutung von thu i'Tvxtv ist viel
geschrieben, vgl. Roth Philol. X, 334. Funkhänel Z. f. A. 1857, 403—5, ich halte sie für
gleich mit ovdi yuQ tiw Tv/6yTu)f ^v. es sind aber ol rv^oyttg die nächsten besten Leute
gewöhnlichen bürgerlichen Standes, im Gegensatze davon stehen die Sclaven, ois 6 dijfxo;
xuTUQarai.
63
Aus dem politisclien Leben des Gegners werden zunächst drei Hand-
lungen hervorgehoben, 132 — 7, um zu beweisen, dass Aeschines stets
gegen sein Vaterland für Philippus arbeitete. Dass er in der exxXrjoia
das Volk überzeugte, Demosthenes Verfahren gegen Antiphon sei allen
Grundsätzen der Demokratie zuwider und dieses ihn freiliess , kann
keinen Verdacht auf ihn werfen, weil er durch Gründe den Demosthenes
widerlegen und das Volk überzeugen musste, sonst hätte dieses den
Antiphon nicht frei gelassen.^) Wenn aber der Redner sofort schliesst,
der Areopag habe den Aeschines für einen TCQoSövrjg erklärt, weil er
nicht diesen, sondern Hyperides zum Sprecher für das delische Heilig-
thum gewählt habe, so ist dieses nichts als ein starker Paralogismus,
welchen die alten (nicht die neuern) Erklärer recht wohl begriffen und
nachgewiesen haben. ^)
Wünschenswerth wäre uns besonders eine nähere Kenntniss des
Zusammentreffens des Demosthenes mit Python und deren gegenseitigen
Reden. Unter den vielen Gesandtschaften, die Philippus während des
Friedens nach Athen schickte, scheint es die von Hegesippus erwähnte.^)
1) Wann geschah dieses? Boeckh glaubt, bald nach der du(if)i^(p>]<ng CVIII, 3, vgl. Schaefer
II, 346, aber damals war erst Friede gemacht, und es ist nicht wahrscheinlich, dass wenn
je Philippus sich damals zu einem Zwecke mit diesem Menschen einliess. Die Anschuldi-
gung geht von der Furcht der Athener für ihr Arsenal aus, und es ist charakteristisch,
dass bei' Aristoph. Acharn. v. 887 der Sykophant dem Dochte feil bietenden Boeotier die
Klage an den Hals wirft, dass er das Arsenal anzünden wolle; die Anschuldigung war also
eine nicht seltene. Ist Plutarchs Angabe Dem. 14 aus andern Quellen oder nur aus flüch-
tiger Ansicht unserer Rede? Dort packt Dem. den Antipho dennoch, obschon das Volk ihn
frei gelassen hat und führt ihn zum Areopag, dieses nennt Plut. atpod^cc ttQuarox^uTi,xov
noXitivfia, nach unsern Redner hat der Areopag selbst den Menschen aufgesucht und dann
als schuldig getödtet. Jene Worte können sehr leicht aus §. 132 w? if dtifiox^aria dtwa
noidi genommen sein und man darf aus diesen nicht schliessen, was Boehnecke und Schaefer
II, 361 gethan haben.
2) Rhet. gr. V, 283. VII, 322. ovtoj xui Jrj/x. iv rw n. ari(p. nrcQu^oyiCtrai jov Aia](ivriv. gjtjal
yuQ ovTüjg' ovxovv ort rovrov ju.tkXofTog '/.iysiy anrikuatv avrw o ^ovlr^ xui nQogixu^ty irtQU)
Xiytiy, t6t£ xui riQoSoTriv livui, xui xuxovovf vyuv unicpijt'aTO. rovg fxtv yu^ nQodoTug
ix ßuXXea d^a i 6 fj,oi.oytit ui, ro &£ rovg txßuXXofiiyovg ncivruig tlvui nQodorug
ovx (iXi]S-ig. Sopater rV, 406. Vielleicht waren, was schon Dem. Worte anzudeuten scheinen,
mehrere Candidaten vorgeschlagen, aus welcher der Areopag wählte; dieser hatte seine
Wahl jedenfalls nicht motivirt, sonst würde Dem. nicht säumen, dieses anzuführen. Des-
wegen sind auch Westermanns Vermuthungeu „Untersuchungen über die Urkunden" S. 67,
nicht anzunehmen. Selbst das unächte Zeugniss sagt nur 'Ynt^Cdrjy ü^iov fiyui fxüX'kou.
3) Schaefer II, 352—61.
64
Für den Aescliines war gewiss das , was er damals siDracli , so wenig
conipromittirend, als es früher seine Rede für die Aufnahme des Phi-
lip])us in den Amphiktyonenbnnd gewesen ist, und einige der Alten
haben irrig geglaubt , es handle sich hier um diese Thatsache ; dann
wäre der Tadel des Demosthenes als völlig unbegründet erwiesen. Auch
damals machte ihm sein Gegner ein grosses Verbrechen daraus und
behauptete, er sei der einzige von den Athenern gewesen, der das ge-
than, selbst Philokrates habe so etwas nicht gewagt, während wir wissen,
dass er im Grunde selbst nichts anderes gewollt und gesprochen hat.
Fiel das Ereigniss, wie es scheint, in die ersten Jahre des Friedens, so
sehen wir aus den letzten drei Staatsreden , was er bis dahin gegen
Philijjpus vorzubringen hatte; anderes kann er also auch damals nicht
gegeben haben, wir müssten es in diesen finden. Wenn er aber rüh-
mend sagt, er habe Python so widerlegt, dass selbst die Gesandten der
Bundesgenossen des Philippus sich erhoben und für die Athener erklär-
ten, so ist es, wenn anders dieser Angabe zu trauen ist, nicht unmög-
lich, dass er in dem einen oder andern controversen Punkte, dergleichen
sicher nicht fehlten, den Python zurecht wies und auch die Zustimmung
dieses oder jenes Gesandten erlangte; mehr war es wohl nicht.
Am schwersten scheint der Vorwurf zu wiegen, dass Aeschines mit
dem vom Demosthenes als Spion des Philippus aufgegriffenen und nach-
her hingerichteten Anaxinus eine geheime Zusammenkunft gehabt habe.
Wäre dieses im erklärten Kriegszustande vorgefallen, so würde es von
Bedeutung sein, aber es geschah, wie aus Demosthenes selbst hervor-
geht,^) während des Friedens, zu einer Zeit, wo die Kriegspartei, d. h.
Demosthenes und sein Anhang den Bruch mit Gewalt herbeizuführen
suchten, und so verliert auch dieses Zeugniss seine Bedeutung, zumal
Demosthenes wegen dieses seines gewaltsamen Verfahrens später in der
ixxlrjaia viel Anschuldigungen von Aeschines zu erleiden hatte, diesem
also gewiss nichts weiter anhaben konnte.
Das sind also die drei gravirendsten Handlungen des Aeschines, von
denen §. 131 gesagt ist u vnhq tcov ixU-qwv ^avsQÜ^g dneötix^rj nQäzTcov, Sie
beweisen alle nichts, und wenn er §. 138 an diese die Bemerkung
1) Schaefer II, 461.
65
anknüpft: fivqia toivvv st^q' sinsTv e'j^mv tisqI avrov naQaXsCnu), SO ist dlGSeS
nichts als eine alte Formel der Redner, wenn sie sonst nichts mehr
vorzubringen wissen, §. 50. 100. Der Vorwurf, welcher hiebei den
Athenern gemacht wird, dass sie so indifferent seien und die Redner,
welche zu ihrem Besten sprechen und handeln, von den Gegnern gerne
verleumden lassen, beweist nichts, als dass Demosthenes keinen Wider-
spruch ertragen will und jede Opposition als im Solde des Feindes
stehend betrachtet.
Diese Beispiele aus dem Leben des Aeschines fallen vor den Aus-
bruch des Krieges §. 139, in der Zeit des Krieges selbst hat er nichts
für das Wohl Athens gethan, keinen einzigen Antrag gemacht, entweder
weil er, sagt Demosthenes, an meiner Politik nichts auszusetzen und
Besseres zu geben wusste, oder weil er vom Feinde gewonnen das
Bessere nicht mittheilen wollte; dagegen hat er Uebel genug zugefügt,
er hat den Amphiktyonenkrieg hereingebracht und dadurch ganz Hellas
ins Unglück gestürzt. Die ausführliche Begründung dessen liegt dem
Redner so sehr am Herzen , dass er , um die Reinheit seiner Gesinnung
und die Wahrheit dessen, was er sagen werde, zu beweisen, von Neuem
die Götter zu Zeugen aufruft §.141.^) Es ist ihm dadurch die Gelegen-
heit gegeben, die weitere Darstellung seiner Politik, welche er oben
absichtlich, um die beiden andern Klagepunkte kurz einzuschieben, un-
terbrochen hatte, wieder aufzunehmen und den ganzen Inhalt der fol-
genden Rede für sich und seine Person in Anspruch zu nehmen.
Demosthenes urtheilt von der Erzählung und den Aussagen des
Aeschines nicht am besten §. 140 xovg noUovg dvdXwos Xoyovg rd twv jifi-
(fiGOtbäV Twv AoxQÖüv dis'§i(üv Soyixaxa, wg diaOZQsipwv TdXrj^s'g. to J' ov loi-
ovTov , nox^ev ; ovdenoT^ ixvCipl] Ov raxei nsnqayfiäva OsavTtp , ovx ovtco noXld
igsTg. Aber obschon er die Beweise aus den Urkunden des Archivs in
den Händen hält und die Zuhörer selbst die Thatsachen noch im Ge-
dächtnisse haben, ist er dennoch besorgt und meint, man könnte den
Menschen für zu unbedeutend halten, um ihm so Ungeheures zuzutrauen,
gerade so wie damals als er durch seine falschen Aussagen die Phoker
1) Wie gewöhnlich solche Betheuerungen gewesen sind, kann man aus dem ähnlichen Schwüre
Ivleons bei Aristoph. eq. 770 — 4 erkennen. — §. 141. ii . . t'inoifxt, xui linof t6t\ Cod. 2
hat xcd tinov xui. war vielleicht tlnoifit, (ilnov xcd tot' . .)?
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 9
G6
ins Verderben gebracht hat. Aeschines habe den Philippus nach Grie-
chenhmd geführt ndvxcüv sfg dnJQ luylotav ahtog xaxwv, er, Demosthenes,
habe das sogleich durchschaut und in der Versammlung gerufen: nöXsfiov
elg Tijv Hmxtjv eidysig, Aloxivrj, n;öX£f.iov ^Aix(fixvvovix6v , aber eigens dazu be-
stellte Leute hätten ihn nicht reden lassen, andere sich über diesen
Vorwurf gewundert und gemeint, nur politischer Hass bringe solche
Anschuldigungen gegen Aeschines vor; sie sollten aber jetzt aus seinem
Munde vernehmen, was man sie damals nicht anhören Hess und erfahren
wie schlau und fein Alles angelegt und ausgeführt wurde §. 144 "jtig
6' tj <pvGig (ü d. jI. yf'/oj'f lomcüv rwv n^aYi-idroov, xccl xivog svsxa zavza GvveOxsv-
död^ij xal Tiwg sTiQdxO-)] , vvv dxovOaTs, insiSrj tots excoXv^rjzs- xal ydq av
nQciyna Ovvtsd-iv öipsO^s xal fieydXa wfpsXrjOsO^s ixqog lOToqiav rtov xoivwv,
xal ooij d£iv6ri]g »Jv iv Tf," (PiUnnu) d^sdösoO^e. Dieses ist so gesprochen, dass
man annehmen muss, jetzt zum erstenmal enthülle Demosthenes seinen
Athenern das ganze Intriguengewebe, wodurch Aeschines dem Philippus
Griechenland in die Hände spielte. Aber das lautet höchst befremdend
und unglaublich. Dass Aeschines den Demosthenes in der exxhjoia wider-
legt habe, sagt er selbst §. 126 ifiov (pavsqwg ivccvziov vßcSv s^elajxovTog,
damals war unser Redner durch die Kriegserklärung gegen Philipjjus
und die Unterstützung der Byzantier bereits an der Spitze der Leitung
des Staates und blieb es auch nachher lange genug. Wie sollte er nun,
auch zugegeben, was schwer zu glauben ist, dass man ihn damals nicht
habe zu Wort kommen lassen, diese ganze Zeit hindurch nicht Gelegen-
heit genug gehabt haben, seine Entdeckung und Ueberzeugung den
Athenern wiederholt auszusprechen? Entweder wir haben hier einen
rhetorischen Kunstgriff, wodurch um die Aufmerksamkeit der Zuhörer
zu fesseln, oft Gesagtes als neu angekündigt wird, oder Demosthenes
hat, wenn er wirklich nie davon geredet hat und jetzt nach neun
Jahren zum erstenmal die Ränke aufdeckt, sie früher selbst nicht
gekannt, jetzt erst aufgefunden und sich combinirt.
Und in der That, ich kann in seinen Angaben nicht finden, was er
beweisen will, es sind nur Vermuthungen und unerwiesene Behauptungen,
aber etwas anderes folgt aus den Erzählungen beider Redner unwider-
legbar, woran weder Aeschines noch Demosthenes dachte, was keiner
erkannte und glaubte, die heillose Zerrüttung der griechischen Stämme
67
in sich, ihr gegenseitiger Hass und die Vernichtungssucht sammt deren
völligen Ohnmacht, und dies wars, was den Philippus nach Griechenland
geführt und die weitern Ereignisse hervorgebracht hat.
Die nächste Schuld tragen die Athener selbst durch das Aufhängen
der Schilde im neuen Tempel: xQ^oäg donCSag dvs'&rjxsv (rj noXig) ngög töv
xaivdv V€(ov TiQiv i'^ccQäOaOd-cci, xal iTisy^äipafisv to UQogrjxov (!) snCyQanixa • l4^rj-
vaToi and Mrjdcov xal Orjßaiwv ors tdvavzia rolg "EXlrjGiv s/xdxovro. Statt das
traurige anderthalbhundertjährige Denkmal der Vergessenheit zu über-
liefern, hatten sie nichts Eiligeres zu thun, als dem alten Hass neue
Gährung zu geben. Die Thebaner antworteten durch die lokrischen
Amphisseer; denn dass diese von ihnen nur vorgeschoben waren, sieht
man aus ihrem spätem Benehmen, sie haben sich von den Amphiktyonen
zurückgezogen, um nicht gegen die Lokrer einzuschreiten. Diese trugen
bei dem Bunde auf eine Strafe von fünfzig Talenten gegen Athen an.
Hätten, was niemand wissen konnte, die Thebaner selbst das gethan, so
wäre von Amphissa, also auch von allem Folgenden nie die Rede ge-
wesen, und man sieht schon hieraus, wie nichtig der Vorwurf ist, dass
Aeschines und Philippus das alles längst abgemacht hätten. Wenn aber
Demosthenes die Angabe des Aeschines Lügen straft, weil keine Ladung
an Athen ergangen sei, §. 150 ovdsfxCav dixrjv zdjv Aoxqm> sTtayövTcov rjixTv,
Ov6^ d vvv ovTog nQO(paöCt,£Tai, Xsymv ovx dXrjS^fj. yvmösGd-s J" sxsT&ev.
ovx ivrjV dvev tov UQogxaXsGaOd-ai ör'jTiov roTg AoxQoTg Si'xrjV xavd rr^g noXscag
TsXs'GaG^ai. rCg ovv sxXyjTsvGsv rjixdg; snl noiag aQxr/g; slrri töv eldora, ösT^ov.
dXX^ ovx av s^oig , dXXd xsvfj 7rqo(pdG8i zavTrj xaT£%Q(Jö xal xpsvdst. SO Ist
das nur wieder ein Beisj^iel mehr, wie wenig man den Beweisen und
festesten Behauptungen unsers Redners glauben darf; die Antwort liegt
nahe und sie ist schon von Andern gegeben,^) Eine Ladung an Athen
konnte nicht ergehen, weil die Klage durch Aeschines Verfahren sich
von selbst aufhob. Dass der athenische Pylagoras seine Stadt in Schutz
nahm, war Pflicht; dass er, als alte Vorwürfe, namentlich die Verbin-
dung mit den Phokern, hervorgesucht wurden, die Amphisseer selbst
als Frevler gegen den delphischen Gott anschuldigte, ist natürlich und
1) Droysen S. 572. Franke de decretis Amphictyonum p. 7 calumniatur h. 1. Demosthenes.
Schäfer II, 501.
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r>8
kann ebenso wenig getadelt werden. Dio Bebauung des heiligen Landes
ist, wenn nicht schon lange vorher, doch wie begreiflich im unheiligen
phokischen Kriege vorgenommen worden;^) auffallend ist nur, dass jetzt
in P'riedenszeiten sieben Jahre lang das ungeahndet blieb und es des
Aeschines bedurfte, um den religiösen Fanatismus der Delphier so plötii-
lieh, denn unbekannt war ja die Sache doch nicht geblieben, anzufachen.
Gegenseitige nationale Erbitterung wird auch hier vorzüglich gewirkt
haben. liiitten die Amphisseer im Bewusstsein ihrer Schuld nachgege-
ben, so war die Sache abgemacht, aber sie wussten wohl, was der grie-
chische Bund zu bedeuten habe, zumal sie auf die Unterstützung Thebens
rechnen konnten, ja vielleicht auch die Athens zu hoffen hatten. Hatte
nun Deraosthenes wirklich wie er versichert gleich anfangs die Sache
durchschaut, so nmsste seine ganze Thätigkeit darauf gerichtet sein,
den ausgebrochenen Streit zu schlichten und eine Einmischung des
Königs zu verhindern, mit welchem sie jetzt nicht wie vordem im
Frieden , sondern bereits im Kriege lebten. Dieses war um so mehr
ermöglicht, als auch die Thebaner den Amphisseern wohlgesinnt, arg-
wöhnisch aber gegen Philippus waren , eine thätige Verbindung beider
Staaten würde die innere Ruhe leicht hergestellt haben. ^) Statt dessen
finden wir, dass Demosthenes es ist, welcher die Athener von jeder
Theilnahme am Bunde zurückhält und damit den übrigen Amphiktyonen,
zumal auch die Thebaner sich zurückgezogen hatten, die Entscheidung
überlässt; ja es scheint, dass Athener wie Thebaner gleich anfangs die
Lokrer in ihrem Widerstände gegen die Amphiktyonen bestärkt, viel-
leicht sie später selbst unterstützt haben. Diese Politik des Demosthenes
war demnach jedenfalls verkehrt und falsch ; sie führte nothwendig von
selbst dazu, dem mächtigsten Bundesmitgliede, dem Könige, die Executive
zu übertragen, welcher nicht säumte zu kommen, da er wieder unter
dem religiösen Vorwande, dem Gotte zu helfen, seine Zwecke verfolgen
konnte. Unmöglich kann man also annehmen, dass Demosthenes gleich
1) Die Lokrer behauiiteten nach Dem. §. 150 das Land sei ihr Eigenthum gewesen.
2) Nicht mit Unrecht sagt Aeschines §. 129 roiv fity '^tuif r^f rjyifj.ovUii' rr^g (vatßeiac: tj/uiv
n(((iud'id'o)x6rü)v , r^g di JrjfxoaO^ti/ovs d'M()od'oxiug t/UTiodwi' ytytvrjfiivrig. nur lege man kein
besonderes Gewicht auf das Wort dmQniioxiug, jeder wirft dem andern Bestechung vor und
betrachtet seinen Gegner als den eigentlichen Sündenbock alles Unlieils.
69
anfangs gesehen habe, was folgen würde ; jetzt erst zeigte es sich , wie
gefahrlich es gewesen , den Philippns in den Bund aufzunehmen , und
Deniosthenes mochte , wenn er sich anders dessen noch erinnerte , nun
erkennen, mit welchem Unrechte dieses ihm einst nichts als r^ sv JsXcfmg
axid gewesen ist.
Was ist nun nach jenen scharfen Vorbemerkungen §. 140 — 4 die
so lehrreiche Entdeckung, welche er gleich nach der Rückkehr des
Aeschine* aus Delphi seinen Athenern mitzutheilen verhindert wurde,
die sie aber jetzt vollständig §. 145 — 59 vernehmen sollen? Einfach,
dass Philippus den Athener Aeschines , mit dessen Volke er im Kriege
war, bestochen habe, jene Rede gegen die Amphisseer zu halten, damit
er von dem Bunde zu Hilfe gerufen werde und dann seine Waffen gegen
Athen wenden könne.
Hat Demosthenes dieses bewiesen, so ist der Verrath des Aeschines
und seine Verworfenheit unwiderleglich. Ausgangspunkt ist ihm , dass
Aeschines seine Rede nicht zufällig sondern absichtlich, längst vorberei-
tet,^) also bestochen gehalten habe, und damit ergibt sich alles Uebrige
von selbst. Es ist das unerwiesen, das nQwrov xpsväog. Um wirklich zu be-
weisen , musste er darthun , dass auch das Aufhängen der Schilde im
delphischen Tempel und die Gegenreden der Amphisseer von Philippus
und Aeschines angestiftet worden ; denn jenes war nur die Folge von
diesem. So verkehrt und übertrieben es ist, wenn Aeschines alles Un-
glück, das Griechenland getroffen hat, von der Politik des Demosthenes
ableitet, weil seit jener Zeit alles Unheil auftritt — post hoc, non propter
hoc — ebenso verkehrt ist es, wenn Demosthenes die Quelle alles Uebels
und Verderbens in Aeschines und seiner Vertheidigungsrede in Delphi
findet; die Athener, welchen er Stumpfsinn vorwirft und dass sie mit
Blindheit geschlagen seien, wenn sie das nicht sähen, waren keineswegs
so hirnlos, wenn sie bei den Deductionen ihres Redners gegen Aeschines
1) Schäfer II, 502 findet einen Beweis der Schuld des Aeschines darin, dass er die alten Ur-
kunden zur Hand hatte und seine Rede, wie Dem. es ausspricht, wohlbedacht und vora\is-
berechnet war. Das Factum war jedem Gebildeten bekannt, die Acten konnten aus dem
delphischen Archive sogleich vorgelegt werden; schwerlich ist jenes in>jX&i /uoi tnl Ttjy
yi'cofirji/ so strenge zu fassen; die Sache war natürlich vorher mit dem Hieromneniou und
den andern Pylagoren Athens besprochen und abgemacht.
70
oft ungläubig die Köpfe schüttelten.^) Seine Darstellung ist nichts als
ein koyoc evTTQocionog , wie er selbst die Rede seines Gegners nennt, nur
mit dem Unterschiede, dass die des Aeschines facta, die des Demosthenes
ficta vorbringt, welche eine strengere Prüfung nicht aushalten, und doch
ist es gerade diese, welche sich besonderer Zustimmung erfreut und den
Aeschines fast allgemein zum Verräther gestempelt hat. Alles dient nur
dem Zwecke, die Verruchtheit der That recht hervorzuheben, ohne welche
Philippus nie nach Griechenland gekommen wäre. Darum wtrden die
Zustände des Königs als höchst ungünstig geschildert, er konnte kein
Ende des Krieges mit Athen finden, sl fxr] 0r]ßaiovg xal &sTTccXovg ix^govg
non^osie T1J TtoXsi, als wüsste nicht jeder, dass Thessaler nie Freunde,
Thebaner stets Feinde der Athener gewesen seien ; sein Land habe durch
athenische Kaper unendlich gelitten, weder Ein- noch Ausfuhr sei mög-
lich gewesen. Da sei ihm nichts übrig geblieben, als im Bunde ein
Scandal anzuzetteln, damit die Amphiktyonen selbst ihn bitten, nach
Griechenland zu kommen und ihm die Pässe zu öffnen. Hätte er die
Einleitung dazu durch einen aus seiner Partei getroffen, so würden
Thessaler und Thebaner es bemerkt und sich in Acht genommen haben,
darum hat er den Athener Aeschines bestochen, der sich dann trüge-
rischer Weise zum Pylagoras wählen liess, die kurzsichtigen und dummen
Hieromnemonen (! ?) zum Besten hielt und so seinen Verrath ausführte.
Das ist der Beweis; Demosthenes mag von der Wahrheit dessen, was er
sagte, im Innersten seines Herzens vollkommen überzeugt gewesen sein,
dass Alles nur so und nicht anders sich habe verhalten können, poli-
tischer Hass liess ihn in seinem Gegner nichts Besseres erkennen ; wir
haben die Pflicht, wenn bekannte Thatsachen so grob entstellt sind wie
hier geschieht , '^) solch gänzlich unverbürgten Vermuthungen nicht
1) §. 142. 159 oV 0710»? nori ovx £t't9-j)? U^ovrt? clnKtTQcieprjTf, rf^ctv/xa^w, Ti'Arji/ noXv ti axoTog tag
i'oixtv tcti tiuq' vfj,ii' nqo iTjg ulrjO-tiag.
2) Dahin dürfen wir auch §. 151 rechnen TiQognsaopTag ol Aoxqoi (xixqov (incwrag xuTtixoynacty,
rwclg di xai avyijQnccaay twp leqofj,ytifi6v(üv. Der Verfasser der Dekrete §. 155, der seinen
Redner kannte, redueirt dieses auf ein bescheidenes Maas: xtxuAvxaai fxird ßütf, rivtlg cTi
x((i rtxQuvfiuTixaai. Dass aber auch dieses noch zu viel ist, lernen wir aus Aeschines §. 123
xcä ti fxi) &(>6/xoi f^o'Mg t^icpvyofiii' lig Ji'Mpovg, ixwSwtvaufitv ilv dnoMo^ui und Aescliines
ist hier Autorität; denn ihm liegt daran, das Verbrechen der Lokrer recht hervorzuheben,
und er hätte es gewiss nicht verschwiegen, wenn auch nur einige Verwundungen vorge-
71
deswegen Glauben zu schenken, weil es Demosthenes ist, der diese
vorbringt.
Aber der Redner hat Urkunden, welche für ihn zeugen §, 142
YQcef.iiiiaT' e'xtov sv T(p driJ.ioG(oj xsi/^isva, £§ mv zavT^ eTiiSsi^oo Oacpcag, und sie
werden §. 154 — 7 vorgelesen! Die erhaltenen Dekrete sind unächt, in-
dessen haben auch die ächten dem Gedanken nach, wie sich versteht,
nichts Anderes gegeben, auch der Brief des Philippus an die Bundes-
genossen enthielt nur die Aufforderung dem Gotte zu helfen ; alle diese
Acten konnten stillschweigend umgangen werden, weil aus ihnen nichts
folgte, was nicht jeder von selbst wusste, sie werden nur deswegen
angeführt, um den Zuhörern wiederholt ins Herz prägen zu können;
das Alles hat Aeschines gethan, an Allem diesem ist er allein Schuld,^)
und Demosthenes hat nach so grossem Anlaufe mit allem Aufwände
rhetorischer Kraft §.140 — 59 nichts als den Fehlschluss hervorgebracht:
Aeschines hat durch seine Rede die Amphiktjonen zum Kriege gegen
die Amphisseer veranlasst, dadurch aber auch diesen die Veranlassung
gegeben, den Philippus nach Hellas zu rufen, also — war Aeschines von
Philippus bestochen.'^)
Veranlassung zu Allem was folgte, war Aeschines durch seine Rede
allerdings , aber nicht mehr als die Amphisseer , welche gegen Athen
klagten, nicht mehr als die Athener selbst, welche thöricht genug die
Thebaner durch die Amphisseer zu klagen veranlasst hatten, Ursache
aber war, um es noch einmal zu sagen — denn noch konnte, wenn
einige Einsicht und ernster Wille bei den Athenern und Thebanern vor-
fallen waren. Ebenso falsch ist §. 152 nu^tX&iüv wg ini KiQQaiav iQQwafi-ca cpQnaug nokka
KiQt^cdois xcd AoxQoig Ti\v 'Ehhiiay y.aTa'Aa[jL^uvti, wenn das nicht etwa heissen soll, nach der
Bestrafung und Vernichtung Amphissas.
1) Höchst naiv ist, wenn er den Brief des Königs vorlesen lässt, tV' ti(f^T€ xui ix rnvrrig
aacpCig otl rr^v fj.ii/ uXi^x'f-rj nQücpaaiy rüy nQccyficcrtüv, t6 kcvt ini ztjv 'EXXu^u xai rovg Oijßtüovg
xui vfxag tiqutt(w, untxQvnrtro, xotva tfi xui roig AficpixTvoai So'Suvtu ■noitlv ngoginoitiTO,
und dann wieder sagt ÖqüS-' oti tpivyei rüg l&iag nQO(päattg, tig cfi rüg 'JfMcpixrvovixug xaru-
(ptvyti, gleich als hätte Philippus sagen sollen, es sei auf die Athener allein abgesehen.
Es geschieht nur, um mit einem desto kräftigeren Ausfalle gegen Aeschines das Ganze
schliessen zu können.
2) Dieses und nichts anderes folgt aus Dem., während eigentlich zu beweisen war: Aeschines
war bestochen, also hat er so gesprochen, eine Logik, die bei Rednern nicht selten ist.
Wie die Neuern nun daraus weiter schliessen, mag man z. B. bei Schaefer II, 505 sehen.
72
banden gewesen wäre, die Sache geschlichtet und Philippus fei'ne ge-
halten werden — der innere Verfall und die Uneinigkeit der Staaten in
und nntei' sich , ihre Herrschsucht , Eifersucht und Verblendung , die
nicht sahen , dass welche Wunden sie den andern zubrachten , sie nur
dem ganzen griechischen Leibe und somit sich selbst zufügten, eine
Verkehrtheit, welcher die gerechte Strafe nur zu bald folgte , wie alle
zerrissenen Stännne, wenn ihnen einmal der Gedanke der Einheit abhan-
den gekommen ist, die sichere Beute eines schlauen mächtigen Nachbars,
tler nie ausbleiben wird, unrettbar verloren sind.
Demosthenes spricht im nächsten §. 160 — 231 von der durch ihn
bewirkten ovf.inaxia mit den Thebanern, welche frühere Staatsmänner
stets gewünscht, aber nie durchgesetzt hätten; wenn sein Gegner damit
nicht einverstanden sei , so tadle er auch zugleich die Politik eines
Aristophon und Eubulus. Dieser tadelt nicht das Bündniss an sich,
sondern dass es mit zu grossen Opfern Athens erkauft worden und die
Thebaner von selbst durch die Noth gedrängt die Athener kommen
Hessen. Aber Alles, was Aeschines hier wider Demosthenes vorbringt,
zeugt nur von Hass und Feindschaft und ist ohne alle Gewähr. Gewiss
war es nicht die Thätigkeit und Beredtsamkeit des Demosthenes allein,
welche die Thebaner den Athenern zuführte und mit ihnen verband, es
kam zu Stande Sid tov xmqdv, did zöv tpoßov töv TisQiOrdvTa amovg, did zrjv
vfxetsQuv do^av, wie Aeschines sagt, aber ohne Demosthenes und seine
Rührigkeit hätte das Alles nicht gewirkt und Theben sich mit Philippus
gegen Athen vereinigt, das Bündniss kam demnach ebenfalls auch did
Tdc JrjfioG^e'vovg SrjfxrjYOQiag ZU Stande.^) Falsch ist sicher die Angabe
§. 141 (Di/imnov i^") öröfiaxi noXefiovvTog vfiiv, t^I d" fQyo^ noXv fiäXkov f.uOovvTog
Grißaiovg, wg avrd rd ngdyixaTa SsSijlwxe. Mochte der König noch SO sehr
den Thebanern zürnen, nicht mit ihnen (sie Waren noch seine ovfifiaxoi),
sondern mit den Athenern lag er im wirklichen Kriege, und Athen nach
der bei Byzantium erlittenen Schlappe zu demüthigen, musste seine erste
und grösste Sorge sein. War aber der Krieg einmal in die Nähe der
1) liier wie an vielen Stellen haben beide Redner Recht, aber beide nur einseitig; Aeschines
•weil er den P^influss der Beredtsamkeit des Dem., dirscr weil er den xciiQog nicht erkennen
will und sich allein Alles zuschreibt §. 212.
73
Athener gerückt, so durften sie kein Opfer scheuen, die andern Griechen
und vor allen die Thebaner, welche dann den Gefahren zunächst aus-
gesetzt waren, an sich zu ziehen; da konnte von Bedingungen setzen
keine Rede mehr sein, und Demosthenes Verfahren war für die dama-
hge höchst gefährliche Lage Athens wie die einzig natürliche, so auch
die einzig richtige Politik, Wundersam bleibt nur, dass er allein es
gewesen sei, der das erkannt habe ; dass in jenem Momente nach der
Nachricht der Einnahme Elateias ^) in der Versammlung alle Redner und
Feldherren, die Reichen, ja Alle, die es gut und ehrlich mit dem Vater-
lande meinten, rath- und kopflos gewesen seien , dass ausser ihm kein
Mensch aufzutreten und ein Wort zu sagen gewusst habe. Indessen
Demosthenes kann es nun einmal nicht lassen, allen Andern gegenüber
sich als den einzigen einsichtsvollen und unbestochenen Politiker zu
rühmen, der überall dem Philippus aufgesessen sei und daher auch all
sein Thun und Lassen ihm abgelauscht habe ; das habe ausser ihm nie-
mand gethan, daher auch damals niemand die nöthige Abhilfe gewusst.
Die Gründe, welche er auffindet, warum Philippus Elateia eingenommen,
sind untergeordnet und nicht die wahren, den einfachsten und natür-
lichsten verschweigt er ; der König musste die Feste, welche die Strasse
beherrschte , wenn er weiter nach Boeotien und Attica ziehen wollte,
besetzen, um sich den Rückzug zu sichern; dieser strategische Grund
allein erklärt Alles genügend, wir brauchen die Vermuthungen des
Demosthenes nicht. Wenn Aeschines sagt, nachdem Philippus Nikaea
den Thebanern genommen und den Thessalern übergeben, den Krieg in
1) Auch Hyperides hatte eine Schilderung von dem Eindrucke jener Kunde gegeben, fand aber
nicht den Beifall wie die des Dem. Theon prog. 2. Rhet. gr. I, 167. — §. 176 ol/xca xai
rd dioyrcc Xiyiiv do^tiy xai xov y.ivSvvov . . dtcckvatiy. ist hier vielleicht absichtlich do^tiv,
wegen axontiy «AA« jMjj (piXoytixtir? denn eigentlich erwartet man i'^iiv, wie kurz vorher
§. 172 ov&ey jxaXloy i'fxtXXiv o ri /q^ (xQ'I^"^) fioalv tiaiad-cci ov&' vfiiv i'^tiv avfißovXtvfiy.
p. 57 §. 3 ol[M((i . . liv i&t).>3arjTt Tov 9oQvßtty xcti (pikofdxeiy dnoaxKVTog dxovnv . .
i^iiv xai ktyiiy xai avfißovXtvtiy. p. 140 §. 36 olfiai i'^nv . . tintiv. — In dem falschen
Decrete §. 181 <i>iXt,nnog o MaxtSoviov [ßuaiXtvg] hat nur die zweite Recension (Aug. I etc.)
das eingeschlossene Wort; es war also einfach im verächtlichen Sinne o Maxtdioy, wie
§. 155 ähnlich nQog •Pihnnoy röy Maxtdoya derselbe Falsarius (dort aber von den Amphi-
ktyonen noch auffallender) gesagt hat. Auch j). 183 tx fMixQov xai tov rv/öytoi yiyoye
uyt'Aniaroig \^fj.iyag] scheint es, dass das Wort absichtlich vermieden werden und dasVerbum
im prägnanten Sinne genügen soll.
Abh. d. I. Cl.d.k.Ak.d.Wiss.X.Bd. I.Abth. 10
ihr Land gespielt und Elateia befestigt habe, evrav^" ijSrj, iml z6 6siv6v
r^TtrtTo avrtöy, j.i£r(7T£f.npccrro \4i^tpatovc , xai vfieig s^t'^Xx^frs xal sigj^eiTS fig rag
^/ßag ii- ToTg onXoic dtfOxevaGf^isvoi xal ol InTZfig xal ot ns^ol ttqIv nsgl GVfi-
f.iaxiag /.iiai' /.tovov Oi'XXaßtJv yQ'iipf^i ^ rjfioOd-svrjv, 6 ß' tigdycov rjv vfiag elg
rdc Qi'.ßag xatqoc xal (fößog xal /(»«m övfiinaxiag dXX^ ot' JrjfioGi^t'vr^g , SO ist,
falls damit bedeutet werden soll, die Thebaner hätten aus eigenem An-
triebe die Hilfe der Athener angerufen, dieses dem ganzen Hergange,
wie ihn Demosthenes erzählt und wie er auch sonst beglaubigt ist, ent-
gegen ; enthalten aber die Worte tiqIv . . Jrj/^ioo^s'vrjv dennoch Wahrheit,
so folgt daraus nur, dass das Psephisma, welches Dem. §. 181 vorlesen
lässt, noch nicht den eigentlichen Antrag auf die avfifiaxi'a enthielt, diese
vielmehr, was ganz natürlich und einleuchtend ist, erst nachdem er mit
den übrigen athenischen Gesandten in Theben selbst die Thebaner auf
Athens Seite gebracht hatte , geschlossen und urkundlich ausgefertigt
worden ist.^) Dieses geschah aber durch die Thätigkeit des Demo-
sthenes, so dass alle diese Angaben des Aeschines absichtlich das Ver-
dienst seines Gegners verschweigen.
Demosthenes ist sich vollkommen bewusst, dass die Verbindung mit
Theben für Athen damals die einzig vernünftige und richtige PoHtik
gewesen sei, er hebt dieses §. 188 — 210 mit allem Nachdrucke ,• aller
rhetorischen Kunst und Begeisterung hervor; auch jetzt noch können
weder Aeschines noch sonst jemand einen bessern Rath, den man hätte
befolgen sollen, auffinden, sein Verfahren sei unter jenen Umständen das
beste, das einzige Athens würdige gewesen. Indem er sich mit Verach-
tung von seinem Gegner abwendet, der gar nicht werth sei, dass man
sich viel mit ihm abgebe §. 196 — 8, sucht er die Richter (er selbst
nennt es ein nägaSo^ov, eine vmqßoXt]) zu überzeugen, dass wenn auch
jeder den unglücklichen Ausgang vorausgewusst , wenn Aeschines ihn
mit lauter Stimme voraus verkündet hatte , man doch nicht hätte ab-
stehen dürfen , sondern der Ehre wegen den Kampf wagen müssen.
Es ist dieses eine der erhabensten Stellen der ganzen Rede §. 199
— 210, in welcher das Ehrgefühl der Athener, ihr hochherziger Sinn
1) Ganz willkürlich ist Dissens Annahme p. 375; haeccine manifesta mendacia potuisse coram
iudicibus dici? Immo cum ederet orationem, haec et talia addidit. Vgl.Schaefer II, 520, 1. 522.
75
und das alte Herkommen, dass ihre Stadt von jeher der Schutz und
Hort gegen innere und äussere Angriffe auf die Freiheit der Hellenen
gewesen , recht eindringlich , der Kampf demnach als nothwendig und
unvermeidlich geschildert ist. Das ist das xaXdv, welches Theopompus,
Panaetius, die Alten überhaupt an ihrem Demosthenes bewundert haben,
wodurch er über dieses irdische Leben hinaus zu Höherem und Geistigem
zu entflammen weiss, dass jeder Einzelne sich selbst vergisst, Ehre und
Ruhm des Vaterlandes für das Höchste hält und freiwillig diesem Alles
zum Opfer bringt.
Die Thatsachen liegen im Allgemeinen klar und deutlich vor in den
Aussagen der beiden Redner selbst, von denen zwar jeder einseitig ist,
aber eben deswegen den andern ergänzt oder berichtigt, dann durch
sichere Angaben der Zeitgenossen, des Phokion, Theopompus, Aristoteles.
Philippus, der nach Schlichtung der delphischen Wirren mit seinem
Heere in Elateia stand, hatte in Theben durch Gesandte eine Verbindung
gegen Athen beantragt oder wenigstens deren Neutralität und freien
Durchzug nach Attica gefordert. Gegen Athen zu ziehen war wohl
gleich anfangs sein Gedanke, er musste darin um so mehr bestärkt
werden, da man von dort aus auf den Rath des Demosthenes den Am-
phisseern 10000 Miethtruppen unter Chares überlassen hatte. Das war
höchst unklug, oder glaubte Demosthenes mit dieser geringen Mann-
schaft den Philippus in Phokis aufhalten und besiegen zu können ? Fast
scheint es so. Sie haben dadurch, wie Aeschines ihm mit Recht vor-
wirft, nur ihre eigene Macht geschwächt und den Plänen des Königs in
die Hände gearbeitet; jene zehntausend wären in Chaeronea weit nütz-
licher gewesen, hätte man sie nicht in Amphissa geopfert. Die Ge-
sandten erklärten, wenn der König im phokischen Kriege voii den
Thebanern den freien Durchzug nach Athen als Bedingung seiner Hilfe-
leistung gesetzt hätte, so würden sie ihm diesen damals mit Freude
zugestanden haben; es sei aber ungereimt, jetzt nachdem er sie von
dem drückendem Kriege befreit und ihnen so viele Wohlthaten erwiesen
habe, was er damals im Vertrauen auf sie nicht gefordert, zu ver-
weigern. ^)
1) Aesch. 3, 146—7. Aristot. Rhet. 2, 23.
10*
76
Man tsielit, die Zeiten hatten sich geändert; allerdings verdankten
sie dem Könige sehr viel, aber er hatte ihnen nicht genug gegeben,
anderes wieder genommen, und die Bestrafung der Lokrer, welche von
Thebanern und Athenern unterstützt worden , war für sie höchst em-
ptindlich, sie galt auch ihnen ; gerade diese zufällige Verbindung mochte
dem Demosthenes seine schwere Arbeit erleichtern; es gelang seiner
feurigen Ueberredungsgabe , in ihnen das Nationalgefühl, dass Griechen
ein Volk seien und als solche gegen aussen stehen und fallen müssen,
zu beleben und die Thebaner zu einem Schutz- und Trutzbündnisse
gegen Philippus zu bewegen, gewiss der höchste und schönste Sieg, den
die Beredtsamkeit des Demosthenes je errungen hatte. Das kam auch
dem Philippus ganz unerwartet, er hatte auf den Hass beider Völker-
schaften sicher gerechnet und fand sich jetzt getäuscht; er sah, dass
das edle Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit noch nicht erloschen
war und musste befürchten, dass der ganze Peloponnes sich gegen ihn
erhebe ; er lenkte ein und liess sich selbst zu einem Friedensbündniss
mit Athen herbei — gleich anfangs, wie es scheint, nicht erst nachdem
die verbündeten Athener und Thebaner zwei glückliche Treffen gegen
ihn geliefert hatten — aber Demosthenes , welcher sich jetzt auf dem
Höhepunkt seiner Macht fühlte, wollte von keinem Vergleiche, der ihm
ja doch nur abgezwungen und momentan scheinen mochte, . etwas wissen
und wies alle Unterhandlungen zurück. Ruhe, Vorsicht und kalte Ueber-
legung waren überhaupt nicht seine Tugenden, und wer sich ein klares
Bild seines Wesens und Charakters, wie solches uns in dessen öffent-
lichen und coiitroversen Reden kenntlich genug vorliegt, geschaffen hat,
weiss von vorne herein, dass Demosthenes nicht der Mann war, welcher
das, was mit äusserster Anstrengung gewonnen worden, leichthin preis-
geben , die Einigkeit wieder in alten Hader und Hass umgeschlagen
sehen wollte, dass er vielmehr, die eigenen Kräfte überschätzend, durch
zwei glückliche Treffen ermuthigt, jetzt den Zeitpunkt gekommen wähnte,
die makedonische Macht für immer aus Griechenland zu verjagen. In
einem solchen Momente sich zu massigen, mochte auch andern Männern,
so leicht es uns ist jetzt darüber zu urtheilen, schwer fallen. Eine
völlige Besiegung des Philippus und festes Zusammenhalten der Griechen
konnte die Weltgeschichte ändern, es gab keinen Alexander.
77
Schön schildert Theopompus (Phit. Dem. 18) die damaligen Zustände
mit den W orten : t6 /.iH' ovv ovi^cfftgov ov distfvys roiig rwv Orjßaitov XoyiO(iodg^
dlX' iv o/^if-iaotv exaOTog st'xf icc xov 7XoX£f.iov ösivd, sri tcov (Jimxixwv rqavfidxüiv
vsagwv nc(Qui.iav6vTMV • r dk rov ^r^roQog 6v%'a[xtg, fti'g (prjGc OsoTTO/iTiog, ixqniiXovGa
xov x^vf-iov avxböv xal diaxaCovOa xvv (fiXoxijxCav iTVsOxöxrjOs xoTg aXXoig anaOiv,
mOxs (foßov xal XoyiOi-tov xal %dQiv ixßaXalv avxovg iv-d-ovOiöivxag vno xov
Xoyov TZQog x6 xuXdr. ovxw Si ßsya xal XaixjiQov i(pdvrj x6 xov QrjxoQog e'qyov,
üioxe xov [xiv (t>iXiTiTTOV £vi)^vg inixriQvxsvsOi) ai dsö iisvov slqr^vtjg, oQ&rjV
6e xrjV 'EXXdda ysvs'od^ai xal Ovvs^avaOxrivai TiQog x6 /is'XXov, vnrjQsxsTv 6^ /.irj
l-iovov Tovg Gxqaxrjyovg r<>~ ^rji^ioO^t'vsi rcoiovvxag x6 nQogxaxx6f.i£Vov , dXXd xal xovg
BoiwxdQX^?} dioixsiG^ai xs xdg sxxXrjGiag dndGag ovdiv tjxxov vn sxsivov xoxs rag
Orjßaiwv rj xdg 'A^rjvaicov dyanm^itvov nao^ di.i,(poxsqoig xal dvvaGxsvovxog ovx
dSixcog ovSi nag' d^iav , wgjisQ dnocpaivsxai QtojioiJinog, dXXd xal ndvv nqog-
rjxövxwg. Wie herrisch hiebei Demosthenes sich benahm , gegen Boeotar-
chen wie gegen Athener, wie gering er in seinem Hochgefühle die Stra-
tegen achtete, welchen Terrorismus er übte , lernt man aus Aeschines
§.145 — 51. Plutarch und die Neuern ^) haben Unrecht dem Theopompus
zu widersprechen, nur wenn dieser sein Urtheil aus Aeschines allein
genommen — und die ausserordentliche Aehnlichkeit ist nicht zu ver-
kennen — wie er auch aus Demosthenes Reden Vieles entlehnt hat,
kann er nicht als besonderer Zeuge gelten; selbst Demosthenes Lob
könnte blos aus unserer Rede gezogen sein. Die Stimmung und Gesin-
nung des Demosthenes und seiner Anhänger in jener Zeit erkennt man
am deutlichsten aus Plut. Phoc. c. 16. IjSrj Jt TXQog (DiXmnov ixrcsnoXsiiw-
fX£V(i)v TtttVxdTcaGi xal GXQaxrjywv avxov firj Tiaqovxog Sxs'qoov inl xov tioXs^ov tjqtj-
(is'vwv, (lüg xax&TiXsvGtv dno xcSv vrjGcov, tzqcoxov /.icv snaid^s xov ätjfxov eiQtjvixcSg
k'xovxog xov WiXinnov xal (poßot'im'vov xov xivövvov iGxvQÖog Ss'/sG^at
xdg S laXvGsig' xai xivog dvxixgovGavxog avxcTi xwv sicoO^öxwv xvXivösiGüai naql xrjv
"^HXiaiav xal GvxocpavxsTv xal elnovxog, Gv 6i xoXfiag w (Dcaxiuiv dnoxqsTiaiv 'A&r]-
vai'ovg i'jSrj xd önXa did xsiqiSv s^ovxag; aywys, sircs, xal xavx^ sidcog oxi noXs/xov
fiiv ovxog iyo) Gov, eiQrjvrjg d^ ysvofisvrjg Gv ij^iov dq^sig. mg dh ovx snsi/d-sv , dXX
6 JrmoG^^svYjg ixqdxsi xsXivwv cJg TtoQQiaxdxm xrjg 'Axxixr^g S^sG^ai jxdxrjv xovg 'A^rj-
vaiovg, (a xäv, l'cprj , /ir] nov /j^axcofisd-a Gxonwfxsv, dXXd Ttwg vixrjGofisv. ovxw ydq
1) Schacfer II, 524.
für«/ finxQcir 6 rroXff^ioc, ii]xTa>f.isvoig 6^ rrccv dsl dsivov syyik ticcqsOti. Dies ist
gewiss nicht aus Aeschiiies, wie man es vielleicht oben von Theopompus
sagen wird, und enthält zugleich die geeignete Antwort auf das, worauf
Dem. §. 195 so grossen Werth legt. Phokion war kein Freund von den
grosssprechevischen Rednern , welche das leichtfertige Volk aufgeblasen
machten und zu verwegenen Unternehmungen über seine Kräfte verlei-
teten, er Hess es an beissendem Spotte nicht fehlen. Bei einer solchen
Gelegenheit mochte er gegen Demosthenes die cap. 9 erwähnte Aeusse-
rung fallen lassen: riöv 6h dwirroXiTsvof^isvbov avro) QijTOQwv JrjfJoG^s'vovg fxkv
fiTTOiroc, uTTOxtsrovöi Os 'A^t^valoi (P(axicav, äv fxavüioiv, eins, Gh öh äv
OcocfQorcöOir.^) IIoXvsvxtov dh tov 2(prjTTiov oQwv iv xavi-iari GvußovXsvovra roTg
jt&r^vaioig noksfisTv tiqoq <I>iXi7i7rov, ska vu' aG^f-iarog noXXov xal iSQÜrog ars Sr]
xat vne'QTTaxvv ovra TioXXdxig iniQQOifovvTa rov vdarog, a^iov e'(p7] tovtoj ttiGvsv-
Gavtag v/.iäg xprjipiGccGd^cci tov ttoXs/iov, ov ti oTsG^s Ttoit'JGsiv iv tm &ü)Qaxi xal
Tfj aGm'di räv noXe/iiMi' f'y/i'c ottojv, övs XsyoiV n^ög vficcg d 8Gx8Tttai xivdvvsvsi
Tiviyr^vut. Nichts zeigt schneidender den Gegensatz der beiden trefflichen
Männer, die mit gleicher Liebe und Aufrichtigkeit ihrem Vaterlande
anhingen , aber der eine aller Begeisterung bar , jeder Selbsttäuschung
ferne, betrachtete die Dinge wie sie in Wirklichkeit waren und wollte
mit Ruhe und Besonnenheit nachhelfen, der andere, nur vom Ideale der
Vorzeit und dem was Athen einst gewesen, begeistert, schätzte alles
Andere gering und fühlte sich berufen , der Schöpfer jener geträumten
£vSaißovia ZU werden.^) Da Demosthenes nur Redner, Phokion Feldherr
war, Hess sich eine wahre Eintracht beider Patrioten nicht leicht er-
warten.
Nach diesen historischen Erinnerungen wird es nicht schwer halten,
das Auffallende und Uebertriebene — naQuSo'^ov, imsgßoXt] — dessen, was
unser Redner sagt, des rhetorischen Schmuckes entblösst, auf sein rechtes
Maas zurückzuführen, ohne das Schöne und Begeisternde der Darstellung
1) Vollständiger Apophth. p. 188 elnoxrsi'ovai ae '^.9-. täv {ittv~<n, xai eine, f/^i f^iv iiiv fxctywOi,
(jt dt (iv (!ü)(fQoi'b}(jL, wonach die Worte iay fxayojai entschieden dem Dem. in den Mund
gelegt werden; dann ist das verbum zweideutigen Sinnes; wenn sie einmal in Hitze gera-
then, zornig werden. Sonst möchte man jene Worte dem Phokion zuschreiben: ja wohl,
wenn sie einmal ganz von Verstände kommen, dich aber wenn sie einmal ganz zu Ver-
stand kommen.
2) In Mid. §. 143.
79
zu verkennen. Es war ruhmwürdig und im Geiste der Vorzeit, dass
Athen, nachdem der Frieden gleichviel durch wessen Schuld in Krieg
umgeschlagen , gegen Philippus sich muthig erhob und durch die Ver-
bindung mit Theben diesem eine so achtungswerthe Stellung abgewann,
dass der besonnene König es für angemessen hielt , den Athenern den
Frieden anzubieten. Dieses Angebot durften sie, wenn sie anders nicht
ihre Kräfte denen des Gegnern entschieden überlegen sahen, was durch-
aus nicht der Fall war, nicht schnöde von der Hand weisen, der Ehre
des Landes war Genüge geleistet, Aufgabe war, die griechischen Ver-
hältnisse durch grösseres Ineinandergreifen zu einem festeren Bunde
gegen aussen zu regeln und zu schützen. Demosthenes sagt von Frie-
densanträgen des Philippus kein Wort, natürlich; nach dem unglück-
lichen Ausgange des Kampfes kommen diese seiner Vertheidigung höchst
ungelegen, und nach Sitte der alten Redner schweigt er lieber gänzlich
davon; Aeschines sieht hierin richtig den grössten Vorwurf, den man
machen könne , aber er hat Näheres darüber anzugeben versäumt und
dadurch, dass er seinem Gegner wieder unedle Motive unterlegt', sich
selbst geschadet; dass aber von Seite des Philippus Friedensanträge
gemacht worden, ist nicht zu bezweifeln, und dadurch erledigen sich
die Betheuerungen des Redners grossentheils von selbt. Wenn er be-
hauptet: si ydg rjv anaöi nqoSrjXa rd fiäXXovta yev/jOeO^ai, xal nQofjSsöav
anavtsg xal Gv TzqovXsysg . . ovd^ otnoog dnoOTare'ov Tjj noXei tovzwv rjv, il'ntQ
r] 66§r]g r] ngoyorcov rj fisXXovTog alcovog six^ Xoyov, SO ist einfach ZU erinnern:
hätten die Athener gewusst , dass Philippus siegen würde , von ihnen
dagegen tausend fallen, zweitausend gefangen würden, so hätten sie den
angebotenen ehrenvollen Frieden hübsch angenommen und wären unver-
sehrt nach Hause gezogen ; aber Demosthenes , indem er dieses Aner-
bieten verschweigt, weiss wie einst seine Zuhörer, so jetzt seine Leser
durch die Idee der Ehre und des Ruhmes zu begeistern , dass sie von
diesem xakov befangen, ohne weiter nachzudenken, seiner begeisternden
Rede sich ganz hingeben. Rhetorisch schön aber gehaltlos ist auch was
folgt §. 201 Tioi d" 6(f,&akiJioig itQog Jiog swqwfxsv av Tovg dg trjv noXiv dv^Qco-
novg atpixvovfie'vovg, el rd fiiv ngäyfiara elg ortsq vvvl nsgieOrrj , riyefuav ö^ xal
xvqiog -i^Qs^rj (^(XiTZTiog dndvTwv, tov d' vnkq tov firj yevi'O&cci tuvt^ dycova iregoi
Xfoqlg rjixbäv rjoav Tisnoirjusvoi; dazu, müssen wir sagen, wäre es gar nicht
80.
gekommen, es handelte sich einen festen Frieden, den Philippus ange-
boten, Demosthenes weggeworfen hat, zu erlangen, und so wenig der
frühere Friede die Athener zu Verräthern der Grriechen gemacht hat,
so wenig würde es der neue gethan haben. Wer aber hätte für die
Freiheit gegen Philippus kämpfen sollen? Dieses ist nur willkürlich er-
sonnen ; der Redner fingirt sich Hellenen, welche für die Unß,bhängigkeit
Griechenlands gegen Philijjpus auftreten, während er die Athener mit
diesem gegen die Griechen verbunden sich vorstellt, um nach einer so
grellen Fiction recht pathetisch sprechen zu können.
Man darf erwarten, dass er gerade da, wo er vom Geiste der Vor-
zeit spricht, welchem zu folgen er auch sein Volk aneiferte, seiner eigenen
Person nur einen bescheidenen Antheil zugestehen wird; die Wirkung
wird um so grösser, wenn das Volk an sich schon von dieser edlen und
hochherzigen Gesinnung belebt ist und nicht einen vonnöthen hat, der
es erst lehre zu tliun, was Ehre und Anstand fordern. Demosthenes
hat dieses seinem Publicum gegenüber mit der ihm eigenen Kunst nQoq
XctQiv Xiysiv §. 206 ausgedrückt; keineswegs gehe das von ihm aus, er
habe seinerseits nur auch dazu geholfen, das Seinige dazu beigetragen:
« jW^r Toivvv TOtr' insyieiQovv Xs'yeiv , o5c syco n qoY^yuyov vf^iäg a^ia rcov ttqo-
yorav (pQorsTv, ovx s'ot' oOrig ovx dv slxoToyg smTint'^Oeie fxoi. vvv J" iytß (.ikv
vfiexsQag rag roiavTug TiQoaiQsOsig dnotpaivM xal dsCxvvfxt, ozi xal ttqo sfxov tovt'
iiyi^s ro (fQowina rj nöhg, vrjg fievroi, äiaxoviag vfjg i(p^ ixccGroig twv nsTVQay-
fi£vw%' xal iixavT^i ixsreivuC (pr]fii. Absichtlich weist er diese untergeord-
nete Stellung nur hier sich zu ; wie ganz spricht er sonst überall in
dieser Rede ! Er deutet es nicht blos an , sondern sagt es gerade aus,
dass Alles von ihm ausgegangen, dass er Alles gewesen sei. Eine auf-
fallende Uebertreibung, nur um den Contrast stärker zu bezeichnen, ist
das nächste rfjg fxkv alg TÖ naqdv Tifxfjg i/j,^ dn:oOT€()fjOai yXi'x^rai, rd 6' slg
anavta töv kotnov %q6vov iyxoSixia vjxwv dcpaiQttzai , als ginge mit diesem
Kranze alles Heil und aller Ruhm Athens verloren. Der Tadel über den
excursus des Aeschines (§. 177 — 92): rqonaia xal fidxag xal naXaid foya
Ü.tyi-g o.v Tivog ngogtösTvo 6 naquiv dyah' ovtoOi; ist ungerecht ; es verdiente
allerdings starke Rüge, dass die Athener mit iln-en Ehrenbezeigungen so
verschwenderisch waren. Die Schilderung der Richter afia xfl ßaxrrjQia xal tm
oi'ußfj/.o) konnte aus dem Philokieon der Wespen noch vervollständigt werden.
81
Dass die Thebaner das athenische Heer in ihre Stadt aufgenommen
haben §. 215, ist nichts so Ausserordentliches; auch die Bjzantier
hatten, als Phokion ihnen zu Hilfe eilte, dasselbe gethan ; es waren wohl
auch nur Bürger, nicht ^s'voi, denn vor diesem Gesindel hatte man
Schrecken. Demosthenes lobt die Athener ihres Wohlverhaltens wegen,
sie haben, nach dem ürtheile der Thebaner, drei Cardinaltugenden be-
wiesen, dvdQia, öixaioGvvrj, oo}(pQoat'rrj , nur die vierte fehlt noch, um den
Begriff der Gesammttugend zu vollenden; wir wollen, weil Demosthenes
sie absichtlich für sich behalten hat, auch die ootfia ihnen nicht ab-
sprechen , gewiss ebenfalls mit Zustimmung der Thebaner , dass sie
nämlich so klug gewesen sind, die Verbindung mit Theben zu Stande
zu bringen. Den rhetorischen Glanz und das Streben, an sich gering-
fügigen Dingen grosse Bedeutung zu leihen, wird in diesem wie im Vor-
ausgehenden niemand, wenn er einmal darauf aufmerksam gemacht ist,
verkennen.^)
Die starken Ausfälle gegen Aeschines §.223 — 31 sind um so mehr
1) Höchst verfänglich ist das §. 217 gestellte Dilemma; Aeschines würde sagen, er habe zu
den Göttern gefleht, den Athenern das Zuträgliche zu gewähren, nach dem spartanischen
Gebete r« fjti' t'ad^kd didov, dass diese, wenn Philippus den Frieden anbiete, vernünftiger-
weise ihn annehmen. Das §. 139 gegebene Dilemma (der Vorwurf, dass sein Gegner nicht
sogleich gegen ihn aufgetreten, ihn widerlegt oder Besseres vorgebracht habe, wird stets
wiederholt) hat Aeschines gründlich widerlegt; in einem Freistaate ist niemand genöthigt,
das von einem Andern Gesprochene oder Ausgeführte öffentlich zu missbilligen, er kann es
stillschweigend thun. Noch ein Beispiel einer solchen divisio ist §.124 — 5. — In den Worten
oTt rnvz' in^uTzixo y.ul t,^Xov xid jfUQug xtci inuiviMV rj nokig lijt' fxiarij findet Cobet var.
lect. p. 128. 383 ein vetus et turpe vitium und corrigirt naiüvwv. Ich habe diese Aen-
derung wahrscheinlich genannt, Demeg. p 7, zweifle aber jetzt an deren Richtigkeit, sie
ist keineswegs nothwendig; in Athen war eine grosse Masse .ftVot, Nichtathener , auf diese
bezieht sich das Wort inawiDv, der eigentliche Ausdruck in dieser Sache §. 80. 86. 94. 108.
216. Die übrigen Aenderungen in unserer Rede, welche die novae lect. geben sind: §. 82
ö'tiöj? (xij anifitv statt uniuifjitv. §. 35 oic, ^tv i)(9^Qdg rjxs für rjxti. §. 114 t'i rw rirtx
(CQ^riv (c^Xovri, inepte nfu. §. 153 rovSaiipyrig für to y' i'^aixprrig. §. 164 — 5 naqay.alovaiv
für nuQuy.a'f.toov(jiv , und doch weiss er, was er in den var. lect. noch nicht wusste, dass
diese Decrete erst in später Zeit fabricirt worden sind! §. 218 will er statt iv' iMrjXi, <j
tfj.rl avyt/iKi . . . tC (tTifiyqdaaTo die gewöhnliche grammatische und schulgerechte Ord-
nung: tl^rjri t( rj .. dnnqyuaaro; ein Verkennen alles oratorischen Rhythmus. Besser wäre
es gewesen, er hätte über ctnrjQyciaaro ein Wort gesagt; so nämlich hat .S und was mehr
ist, selbst attische Inschriften, Schaef. ad p. 1359, 1. §. 304 ovdtig . . i'xixQir' ccr, weil in
2 ixi XQK"^' steht, will er ovSti'tg. §. 313 iv riow ovv av viai'ixog xcti ntjvixa; statt
vtaviug x<n nrjvixa kafxriQog ;
Abb. d. I. Gl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 1 1
82
zu beachten, als die Vorwürfe, welche dem Gegner getnacht werden,
nicht nur ungegTündet sind, sondern Demosthenes auch hierin wieder
dessen, was er dem andern zur Last legt, sich selbst schuldig macht.
I)ie zwei Psophismata des Demomeles und Hyperides waren, wie
man annehmen muss, vor der Schlacht bei Chaeronea beantragt ; damals
befand sich die Kriegspartei im allgemeinen Siegesjubel, und es ist
keineswegs zu verwundern, dass Diondas den fünften Theil Stimmen
nicht bekam, wohl aber, dass er es wagen konnte, in einer solchen
Zeitstimmung mit seiner Klage aufzutreten.^) Aeschines Klagie ist keine
actio iudicati, wie uns der Redner glauben machen will; dieses hat
bereits Bissen p. 381 bemerkt, und war Diondas Einspruch, yQocfpr] ^«ga-
v6f.i(ov, vor der Schlacht, so konnte er manche Vorwürfe, auf welche sich
Aeschines stützt, gar nicht vorbringen. Die tadelnden Gründe, warum
Aeschines nicht damals statt oder mit Diondas gegen ihn aufgetreten
sei, haben auf diesen Gegenstand, die Symmachie mit Theben, denn nur
davon ist jetzt die Rede, gar keine Anwendung und sind ganz willkür-
lich: d?.V ovx rjv olfxai tots o vvvl ttoisT, ix 7iaXai(Sv XQOvav xccl xjjrjtpiOiJiaTOJV
jxoXhSv ixXs^avxa . . diaßdXXsiv, xal fxsTsveyxorTa rovg XQovovg xal TCQOcpäOfig dvrl
TfüV dXrjx^cüV xpsvSstg fisra^ävta roTg nsTXQuynevoig doxetv vi Xs'ysiv. ovx rjv töts
Tavra, dXX' snl Ttjg dXrj^eiag syyvg twv sqyoav , sn fji€fivr]fi£V<i}V vfiwv xal {xovov
ovx iv vaig x^qoIv ^'xaOra i^ovroav -ndvtsg iyCyvovT^ äv ol Xdyoi. Von einer Ver-
drehung der Zeiten und Urkunden kann um so weniger die Rede sein,
als Aeschines für diese Periode überhaupt gar keine Urkunde vorge-
bracht hatte; Demosthenes kann nur ^ie frühern Zeiten meinen, für
welche er oben ihm diesen Vorwurf bereits gemacht hatte, er verwech-
selt also boshaft selbst die Zeiten. Da aber die Klagen noch bei Leb-
zeiten des Philippus eingereicht wurde und die sechsjährige Verzöge-
rung des Processes gewiss nicht Schuld des Klägers war, so ist auch
dieser Tadel ungegründet; damals war alles iyyvg rwv sqywv. Was aber
der Redner unmittelbar anfügt: dionsq Tovg nag" amd rd nqdyiiax" iXiyxovg
(fvyojv vvv r'jxsi ^tjroQüiv dywva vofii^wv, wg ys [loi t^oxsT, xal oi'xl twv tistto-
XiTsvfiävoiV s^eraöiv uoirjOeiv vfxag, xal Xoyov xqi'Oiv, ovxl tov vrj noXsi Gvfi-
1) Aus §. 249 könnte leicht die Vermuthung entstehen, Diondes sei nicht vor, sondern nach
der Schlacht als Kläger aufgetreten.
8
Q
(psQovtog eofod-m, diese subjective Meinung ist im Grunde nichts als ein
Spott; oben §. 121 nannte er es (fdovov 6ixrjv, das hatte noch Sinn.
Dass Aeschines es in der Kunst der Rede mit dem (^eivog, y6r]g, oo(piGv7]g
(§. 276) nicht aufnehmen konnte, das wusste er sicher am besten, so
gut wie Demosthenes, welcher seine Ueberlegenheit auf diesem Gebiete
deutlich genug zu verstehen gibt, indem er die rhetorische Schwäche
seines Gegners ironisch höhnt. ^)
Das Aergste ist, was §. 227 — 31 folgt. Demosthenes war gleich
nach dem Friedensschlüsse von Neuem wider Philippus und die make-
donische Herrschaft aufgetreten und hatte dieselbe ununterbrochen sech-
zehn Jahre hindurch als der entschiedenste Gegner bekämpft. Es musste
daher den meisten Zuhörern unglaublich, ja geradezu falsch scheinen,
wenn Aeschines beweisen wollte, Demosthenes sei ein besonderer Beför-
derer des 108, 2 geschlossenen Friedens gewesen , gegen welchen er
doch alle möglichen Mittel in Anwendung gebracht habe. Um sich
Glauben und Eingang zu verschaffen, gebraucht Aeschines 59 — 61 das
Gleichniss, sie sollten denken, es wäre wie wenn sie nach langer Zeit
in Gedanken an Erübrigungen zur Abrechnung zusammenkämen; zeuge
nach gehöriger Annahme aller einzelnen Posten die Rechnung zuletzt
auch gegen alle Erwartung, dass keine Activa vorhanden sind, so zweifle
doch niemand an der Richtigkeit des Ergebnisses und jeder gebe seine
frühere Meinung von Ueberschüssen als eine irrige auf. Wenn nun er
aus den Urkunden nachweise, dass Demosthenes, der fiioo^pCXinnog, um
jenen Frieden zu Stande zu bringen, mehr Psephismen als Philokrates
selbst beantragt habe u. s. w., so sollen auch sie dem glauben und ihre
bisherige Meinung über Demosthenes, als habe er nie etwas für Philippus
gethan, für jene Zeit als eine irrige anerkennen.
Nichts ist einfacher und deutlicher als dieses naqddsiyixa^ Aeschines
spricht nur von der Theilnahme des Demosthenes an dem philokratischen
Frieden, sonst nichts, und dass im Gerichte nichts Anderes gesagt wurde
1) Aeschines hatte ein angenehmes Organ der Aussprache, dessen Eindi'uck Dem. fürchtete;
er hatte schon zwölf Jahre früher dieselbe Bemerkung gemacht p. 408 §. 217 fitjSi yt ti
xuXov xui fitya ovTog (p&iy^txui, fJ.rj^' ti (ficvlov t'yw. ov yd^ Qtjr oqüjv ov&t Xoyixii/ x^iaiv
Vfxäg Tt'ifxhqov , tintg tv cpQOPiiit nQogtjxn noitlv , u^'k vntQ n^ay fj.aKUP xi'l. p. 405.
§. 206. 337.
11*
8-t
als was wir in der geschriebenen Rede lesen, darf als unbezweifelt
behanptet werden. Demostlienes aber verdreht dieses, als wäre es
allgemein von den beiden Rednern und dem Volksurtheile über sie
gesprochen, dass er athenisch, Aeschines makedonisch gesinnt sei, und
als würde jetzt von den Richtern gefordert, sie sollten ihre Meinung
über beide ändern, den Demosthenes für einen Freund und Anhänger
des Philippus, den Aeschines für den der Athener halten: eha ao(pi-
^erai xctl (fi^ol TCQocr^xsiv rig f^ih' oTxo^tv »;W s'xovtsg dö^rjg nsgl vficov dj^slrjOai
. . cAfcrdadv^f Tot'vi'V (ag Oax/^QOi' (og soixsv iorl (fvOei o zi av /.itj 'iixaCcog ^ ttstiqu-
yj-iivor. ex yceg aihov rov Ootpov tovtov nafyadsiyiiarog ojfioXdytjxs vvvl vfiag vnuQXsiv
€yrü}Oi.u'rovg e/j.^ /.liv Xäysiv vnhq rrjg naxQiSog, ainov ä' vn^Q (ViXiTinov ov yccQ
äv /,i€ran:ei^€iv v/uccg iCrjrei fxrj Toiavzrjg ovörjg rfjg vnccQxovOrjg vTioXrjtpscog ttsqI
sxareqov. So wird das , was Aeschines in vollster Berechtigung gesagt
hat, was heute noch jeder als wahr und unbestritten anerkennen muss,
zu einer förmlichen Invective gegen ihn selbst, und Folgerungen werden
daraus gezogen, an welche er nicht gedacht hat. Weiter und offener
kann die Sophistik nicht getrieben werden , und dieses geschieht in
einem Momente, wo unser Redner selbst seinem Gegner Sophistik, Ver-
drehung, Verläumdung und jede Falschheit zum Vorwurfe macht! Das
ist die öeivoTTjg, die Ueberlegenheit und Gewandtheit des Demosthenes,
welche das Einfachste und Richtigste, was sein Gegner sagt, zu eigenem
Vortheile und zum Nachtheile jenes auszubeuten versteht. Ehre macht
ein solcher dolus malus nicht und wird selbst durch politischen wie
persönlichen Hass und Leidenschaft nicht entschuldigt.^)
So wenig man hier dem Demosthenes beistimmen kann, wenn er
tadelt, was nicht zu tadeln ist, oder anderes als wichtig hervorhebt,
was sein Gegner nur nebenbei bemerkt hat, wie §. 232, so gegründet
ist die folgende Belehrung, §. 233 — 9, welches seine und des Königs
Stellung gewesen, wie er die Macht des Staates möglichst vergrössert
1) Zu bemerken ist, dass selbst Dem. §. 231 die (pLXavd-Qwnia des Philippus nach der Schlacht
gegen die Athener anerkennt, aber sie sei nicht von Herzen gegangen, sondern nur Ver-
stellung gewesen, ^V td Xoi,nd rmv nQayfxdnov exttyog nt^ißcMo/xfyog inkdiriTo. Die Griechen
hatten sich tapfer geschlagen, das musste dem Könige, der Muth. und Tapferkeit zu schätzen
verstand, Achtung abgewinnen, aber er hatte noch Grösseres vor, den Zug gegen die Perser,
dazu bedurfte er der Unterstützung der Hellenen, zumeist der Athener; und in diesem Sinne
ist der Verdacht unsers Redners vielleicht nicht ganz ungegründet.
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habe ; das ist acht politisch , erhebt freudig das Herz des Lesers und
entschuldigt für viele Schwächen der Rede. Auch der Beweis ex tov
ivavTiov §. 240 , was die Gegner sagen würden , wenn Theben , Euboea,
Byzantium nicht mit Athen , sondern mit Philippus verbunden wären,
mit welchen Vorwürfen sie ihn überhäufen würden , ist vollkommen
gültig; denn gerade daraus erkennt man die Richtigkeit seiner Politik. ^)
Schön und hinreissend ist die Schilderung, dass was von ihm abhänge,
der Staat nicht besiegt worden, dass er überall den Sieg über die
Gesandten des Philippus davongetragen , dass er Alles , was von ihm
gefordert werden könne, geleistet, dass Philippus nicht ihn, vielmehr
er den Philippus besiegt habe, weil er sich von diesem — nicht bestechen
Hess. Man vergisst über diese bezaubernde Vertheidigung das Wich-
tigste , dass der Staat die Niederlage überhaupt nicht erlitten hätte,
wäre von Demosthenes nicht der angebotene Frieden zurückgewiesen
worden.
Dass nach dem unglücklichen Ausgange der Schlacht die Friedens-
partei oder die makedonische , wie man sie nannte , gegen den Urheber
des Kampfes sich erhob, ist begreiflich. Nach dem was Demosthenes
§. 248 — 50 erzählt, ist ihm die Zuneigung des Volkes auch jetzt noch
geblieben, alle Anordnungen zum Schutze des Landes gegen etwaige
Angriffe des Königs geschahen nach seinen Anträgen, die täglichen
Klagen seiner Feinde blieben erfolglos, sie erhielten nicht das Fünftheil
Stimmen ; damit ist thatsächlich bewiesen, dass die Mehrheit des Volkes
auch jetzt noch ihn als ihren Führer anerkannte. Anders spricht
Aeschines §. 150 rovg i^^v nQootovg XQ^vovg vnorqonog rjv o avi^Qwnog xai
1) Es ist wie schon Andere bemerkt haben, höchst wahrscheinlich, dass Aeschines das Beispiel
von dem tuTqog §. 245 erst im Gerichte aus dem Munde des Vertheidigers vernommen und
in Form einer nqoy.urulrjxpig nachher seiner geschriebenen Rede §. 225 — 7 eingeflochten
habe; Dem. thut sich zu viel darauf zu gut, t fxßfjoyriji t tha yip Ityng; hätten die Zu-
hörer das Beispiel schon von dem Kläger vernommen, so würde er schwerlich so sprechen.
'Aber die Antwort des Aeschines ist nicht so ungeschickt; die Worte öaiig xov dr^^ov d-vj-
ntvaui Svvuiro, lovg dt y.ui^ovg i'y o/g acil^iaAm rjv tiiv nokir, unodoiro, rovg ö" tvcpQorovf-
rag xioXvoi & laßäki^ioy av fj.ßovXtv tiv , deuten jenen Moment an, als Philippus den
Frieden angeboten, Dem. und sein Anhang diesen abgewiesen hatte, wogegen die Opposition
nicht aufkommen konnte. Dem. will von diesen Friedensanträgen begreiflicher Weise nichts
wissen und verschweigt daher diese gänzlich. — §. 234 steht im Widerspruche mit Phil.
III, 40, wo das Einkommen und die Macht Athens ganz anders dargestellt wird.
8G
TXttQioii' y««?-»'»;»; ent t6 ßi]f.icc higt^vocfidax« vfiag ainov ixt'Xsvs xsiqotovsiv , v^siq
6i xctici j.iiv ToiK TiQCüTovg x?o''ovg ovd' e/ii i« ipi^cpiOijiaza iiaxs to J rjixoü^tvovg
smyQciiffiv oroiia, cxXXn NnvöixXsT tovto ngogsrärTSTs , vvvi c5" ijdr^ xal ortipa-
yovü&ni d^Ku. Damit stiniint auch Plut. Dem. 21 überein: totg di ipr^tpia-
uccOir ovx *«i'rö»' ((Xk' €v /.u'qh tcSr (piXcov i'xaöTov inäyQaifsv i'§oi(avi^6^i£VOV
lor i6iov 6i(i(.K)it( xal t rjv tvxt]v, i'cog av^ig dvsÖ-aQQyjOs (DiXinirov TsXsvTrj-
aavTog. Wäre dieses wahr, so gäbe es keine glänzendere Rechtfertigung
dessen , was Aeschines über den daificjv unsers Redners gesagt hatte,
aber es scheint aus diesem übertragen und daher unzuverlässig; dass
es jedoch in Athen nach der Schlacht höchst stürmisch zugegangen,
beweisen Plutarchs Worte Phok, 16 y€voi.u'vrjg Si iJTtrjg xal xwv ^oqvßo-
TTOiüJy xtd rtü}TeQiOT(iov rwr ev aöret, rov XaQidr^/nov iXxdvrcov inl xo ßfjfitt xai
OxQccxrjY^Tv d^iovvxav i(foßiqS-iqOav ol ßa'XxiOxoi, xal xifv s^ jigsiov ndyov ßovXrJv
txovxsg ev X(^ ^f/f^t^V <^*o;W^^oi xal SaxQvovxeg (.loXig snsiOav smxQsipai xo) (pMxion't
xi]v TiöXtv 6 6^ xrjv n^v dXXvjV xov (I^iXijxtiov noXixsiav xal (piXaviJ^Qwniav (jiexo
äfiv TiQogda'x^a^ai. Diese beachtenswerthe Ueberlieferung lässt einen tiefern
Blick in die damaligen Zustände der Stadt werfen.
Was über die xvxfj weitläufig gesagt ist, §. 252 — 75 , zeigt wieder
die Kunst und Ueberlegenheit des Redners. Aeschines betrachtet ihn
me einen bösen Dämon, der Alles, was er berühre, ins Unglück stürze,^)
als einen jener Leute, vor welchen Hesiodus warne und sage
noXXdxi xai ^vfinaGa TiöXig xaxov dvÖQog snavQsT,
ög xsv dXixgaivr] xal dxdod-aXa fxrjxavdaxai,.
Die Zweideutigkeit des griechischen Wortes xvxrj gibt unserm Redner
Gelegenheit in ganz anderm Sinne davon zu sprechen , die dyvwfioovvrj
und ßaoxavCa Seines Gegners anzustaunen, und da nach dem Glauben
der Alten auch der Staat gleich den Individuen sein Fatum, seine xvx,iq
hat, diese als incommensurabel zu scheiden, dagegen sein und des
Aeschines Lebensschicksal neben einander und gegenüber zu stellen,
ergetzlich aber auch boshaft genug, da er einer wohlhabenden Familie
entstammte , Aeschines aber in Dürftigkeit erzogen sich kümmerlich.
1) §. lo7. tÖv d'uifj.oi'a xal trjy tv/i/v riii' av/unci()i(xo'/.ov!^ovacii' tw avS-^mnio (pv'i^a^aa&ui. ovTt
noXtg yuQ oiii' iifiuiirjg «V/yp ovöii-s noijioTt xukuig anr^kku^t Jr^fiüaihivti avfjißov'Au) XQI'^"'
fxtyog. §. 135.
87
wie es scheint, fortzubringen hatte, zuerst im Dienste des Vaters, dann
der Mutter,^) dann als Schreiber, später Schauspieler, 2) endlich Redner.
Das Ganze ist unter dem Vorgeben von Milde und Zartgefühl mit allem
Spott und Hohn durchgeführt; bedeutend kann scheinen, was von der
letzten Lebensstufe des Aeschines gesagt wird: Toiaikrjv ydg dlov noh-
Tsiav , STisiSi'j TioTs xcd to?t' snrjXds Ooi noirJGai , Jt' rjv sihvxovOrjg f^ikv ryg
7ittT(}C6og Xaybi ßi'ov eCrjg 6eömg xal TQefiMV xal uel TrXr^yr^OfO^ai TTQogSoxcöv €(p'
olg GavT^) GvvfjSsig döixoTvxi, iv olg J" rjTvxr'Oav ot aXXoi, ^qaOvg mv v(f)' dnavTcov
(üiliai. xaizoi oOng x'^'Wi' noXncäv dTcodavovrmv sddqqrjOs, %i ovxog na^sTv vno
TMv CüivTcov öixaiog soriv ; doch ist CS nur Uebermuth. Dass die Opposi-
tion, durch die Kriegspartei zurückgedrängt und eingeschüchtert, nach
der Schlacht gegen ihn ihr Haupt erhob, ist ihm ein des Todes würdiges
Verbrechen.^)
Nach diesen Personalien kehrt der Redner wieder zu den Staats-
verhältnissen zurück §. 270 — 5 und weist, wenn je eine Schuld darin
zu finden, diese dem Gegner zu, nicht ohne den grössten Tadel gegen
das inhumane Verfahren des Aeschines auszusprechen, Dass Demosthenes
unter dem Vorwande, durch den makedonischen Druck haben Alle
gelitten, Barbaren und Griechen, wie kannst du also sagen, dass die
1) Aus §. 259 — 60 könnte man schliessen, dass Dem. sich über die Tt^errj selbst, lustig macht
und diese verspottet; dass dem nicht so ist, beweist §. 265 triXii?, tym tJ" tTikov/urjy. Nur
der Ministrant wird lächerlich gemacht, wie auch jdas Schulmeistern etwas Gemeines ist,
in die Schule zu gehen dagegen anständig, tdiifccaxsis yqa^ifiara, iyai 6' icpoiruiv. Ob Röth's
Erklärung (II, 598, not. 892. 904. Lobeck p. 646. 1041) der unverständlichen Formel iit^g
(CTTrjg, arrrjg v'rjg = es lebt der Vermisste, der Vermisste lebt, richtig ist, müssen Sprach-
kundige entscheiden. Die Weihung mag sich an Tod und Auferstehen des Dionysos oder
Osiris anknüpfen; dass es aber nicht blosser Todtencultus ist, sondern Alles auf die Person
geht, welche sich von den Sünden reinigt und der Gottheit nälier tritt, lehrt die grie-
chische Formel deutlich genug.
2) Das Glied i/oQevt?, iyaH d" txoQtjyovr kennt - nicht, auch nicht die Rhetoren des II. Jahr-
hunderts; es würde als Beispiel der Liturgie passen und Aeschines war l'^uQ/og, nQorjytfioji'.
Aber auch das letzte i^tTnnrig, iyü) cT* iavQizTov ist nichts als ein noch älterer Zusatz eines
launigen Lesers, wie ich Gel. Anz. 1838. p. 1005 — 7 und Rhet. gr. II, XVIII bewiesen habe.
Die Sache hat kein Bedenken, Dem. hat früher p. 449 es ausgesprochen , aber die Concin-
nität verwirft diesen Zusatz, da überall nur ein Satz angeführt werden kann. Ein Beispiel,
wie schon in früher Zeit diese Reden allerlei Zusätze und Aenderungen erlitten haben.
3) §. 266 verdankt wohl erst dem Erfolge des Processes sein Entstehen und war im Gerichte
nicht gesprochen. §. 269 vntC'/.rifx/uai, während in demselben Sinne vorher vnulrjqju gesagt
ist. haben jene zu merken, die bei den Attikern Alles gleich machen wollen.
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«rr'xy<«T« von mir ausgehen, alle Verantwortung ablehnt, ist dem, was
er oben gesagt hat , widersprechend ; dass er seinen Gegnern , welche
damals von der Kriogspnrtei überstinnnt Alles annehmen mussten und
mit nichts durchdringen konnten, zuruft, ihr selbst seid Schuld, ihr
wäret Alle in allen Versammlungen zugegen , hättet ihr etwas Besseres
gewusst, so hättet ihr es vorgebracht, ist nicht nur ungerecht, sondern
auch Hohn; so konnte ein Kleon und Hjperbolus und jeder Demagog
sich vertheidigen und behaupten , Alles was sie durchgesetzt und das
Volk angenommen habe , hätten auch ihre Gegner gebilligt dlr]&etag
/^T-T»;/<tro/ di^Xordn xal Tftj ^rjSh' f'xsiv Hnstv ßäXxMv. dass er durch den Unter-
schied der Begriffe von ddixTu^m, d/xdgtrjfia, dTvxwa, wie sie die Theorie
der Rhetorik aufgenommen hat. Alles was geschehen als unbedeutend
darzustellen sucht, da man niemandem ein Unglück, das ihn getroffen
(«Vi'x»^,««) ^'iim Vorwurfe mache, und nun mit den Worten schliesst:
AiOx't'^tC Toirvv toOovxov vnsgßsßkrjxsv anavrccq dvd-QbSnovg (ofidrrjTi, xal Ovxoipavria,
wOTS xal UV aihoc wg aTVxrjjndKav ffiifivrjTO, xal xam' i^iov xarrjyoQsT. ist arge
Sophistik ^) und zu den vielen ein Beispiel mehr , wie unser Redner in
Momente, wo er seinem Gegner ovxocpavzi'a vorwirft, sie selbst anzuwen-
den nicht verschmäht; aber Alles dieses ist so einnehmend und bezau-
bernd dargestellt, dass wie die Richter so auch jetzt noch die Leser
davon hingerissen werden und das Gesagte als völlig erwiesen erachten.
Demosthenes fühlt sich beleidigt, dass Aeschines die Athener vor
ihm warnt §. 176 (pvXdtTsiv i^ik xal rriqetv ixskevOfV , oTtcog firj naQaxqovOofxai
iii^d' s^aTtazrjOo) , Sfirdv xal ydrjra xal oocfiOrrjv xal rd roiain^ ovofid^cov. aber
Alle kennen ihn xal noXv tovto) (laXXov rj sfiol vofxi^srs raHa nqogsivai. man
könne von der SsivoTrjg eines Redners eigentlich gar nicht sprechen, das
hänge nur ron dem Publicum ab, ob es den Redner annehme oder nicht,
und keineswegs vom Redner;^) wenn indessen auch ihm ng efineiqta
1) Aeschines hat nicht pfesagt, es seien nur ctTv/i]juara, keine nSixrjfxaru, sondern die rv^i,
der böse Dämon des Dem. habe alles Unglück herbeigeführt; das ist etwas ganz Anderes,
er hat sich auf Ilesiodus berufen und ist weit entfernt, den Dem. von dem däcxilv frei
zu sprechen.
2) Derselbe (iedanke kehrt, was zu l)eachten ist, im Epitaphius wieder p. 1393 §. 14 Keich-
thum, Stärke u. a. steht in der Macht derer, die diese Vorzüge besitzen, rj St rmv koymf
89
Toiamrj innewoline, so habe er diese nur für das Volk, nie dagegen oder
in eigenem Interesse angewendet, Aeschines aber für die Feinde und
zum eigenen VOrtneile, z^'^v 6i zovroif tovvavrCov ov inovov to) Xsy^iv vtt^q rmv
iXxhgcov , äXXd xal sl' rtc iXvnijös ti Tj nQogsxqovGs nov , xard rovTOiV. ov ycicQ
avtij dixatcog, ovd" £(p' ä gv/li^sqh rfi ttöXsi y^qrixai. Dieses ist eine deutliche
Beziehung auf die Klage gegen Timarchus , welche Demosthenes nicht
verschmerzen kann ; er hätte besser gethan , diese Andeutung hier und
unten §, 507. 308 zu unterlassen, die Zuneigung für jenen Wüstling
ist kein empfehlendes Zeugniss für ihn , der einst selbst gegen solche
Leute gesprochen;^) auch kann dem Aeschines sonst nicht der Vorwurf
gemacht werden, dass er XoyoyQäcpoü, gewesen oder Andere angegriffen
habe; jene dvziyQacpr] ist natürlich und vollkommen gerechtfertigt. Ein
Redner, fährt Demosthenes fort, müsse frei von Leidenschaften gegen
Andere sein, nur der Hass gegen die Feinde des Volkes sei gerecht;
dass aber sein Gegner mit dieser Klage gegen ihn auftrete, sei doch zu
schlecht, näoav s'xti xaxiav , er habe nur ^.öyav iniSsi^iv Ziva xal (ponaOxicxg
beabsichtigt; nicht auf den XSyog und zovog zfjg (fwvrjg, sondern auf die
Gesinnung komme es an , diese mache den Redner , Liebe und Hass
müsse er mit dem Volke gemeinsam haben.
Zu bemerken ist hier, dass Demosthenes nicht leugnet ein Ssivog,
aocpiözrjg zu sein, dasselbe aber im höhern Grade seinem Gegner vorwirft,
schwerlich mit innerer Ueberzeugung ; um das klare Organ und die
kräftige Stimme mochte er ihn beneiden ; auf dessen Beredtsamkeit hat
er gewiss wenig gehalten. Doch wir kennen diese Vorwürfe schon aus
dem frühern und haben darüber gesprochen; es ist Sitte aller Redner,
denselben Gedanken, wenn es geeignet scheint, um die Aufmerksam|veit
desto mehr darauf zu lenken, in anderer Weise wiederzugeben, und wir
stehen im letzten Theile der Rede, der av^rjoig, in welcher man alle
Kraft der Ueberredung anzuwenden pflegt, Muss man auch hier diese
Kraft und Kunst unsers Redners besonders bewundern, und kann man
an diesem Theile seine daivozrjg recht anschaulich kennen lernen, so wird
ijfiyy.i xcd /«p«' ngogin >iit, livtv tfi ravTtjg, xuv vntQßdXrj rio kiyti,v xalm^ , n^ogiarrj zotg
uxovovaiv.
1) In Androt. §. 30—2.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X . Bd. I. Abth. 1 2
90
die nähere Betrachtung den Leser doch wenig befriedigen, die Gründe
sind nur halb wahr, schwach, oft ganz gehaltlos, ihn entschädigt, wenn
er auch das, was der Redner bewiesen zu haben glaubt, vergebens
sucht, die geistreiche Form der Darstellung und die Ueberzeugung, dass
Demosthenes stets nur das Beste seines Vaterlandes gewollt hat.
Dass Aeschines nach der Schlacht als Gesandter zum Philippus
gegangen und von dem Sieger einen für Athen günstigen Frieden zu
erwirken suchte, wird ihm als der sicherste Beweis seines Verrathes
vorgeworfen §. 282 — 4 ; er habe immer geleugnet , dass er mit dem
Philippus etwas zu thun habe. Alles sei nur falsche und gehässige An-
schuldigung, die von mir ausgehe, aber nach der Schlacht ovSkv tovtcov
(pQOVTiOag fvd-s'cog w^ioXoysig xai uQogsTioiov (fiXiav xal '^tviav slvaC Ooi ngog avTov,
T>J i.uOdaQVia vavza (xsTaTi-d^insvog tcc ovöfiara . . . (f)ttV£Q(J5g avzog eiXrjfifisvog tcqo-
Sötrjg xal xazä Occvtov fXirjvvTtjg inl zoTg OvfißäOi ysyorwg. Vgl. §. 286. Es ist
unbegreiflich, wie Demosthenes in diesem nothweudigen Ereignisse einen
augenscheinlichen Beweis der Bestechlichkeit finden kann, es beweist
nur, wie er Alles, was sein Gegner thut, gegen ihn zu wenden versteht.
Gesandte mussten nach der Schlacht an Philippus abgeschickt werden,
unter diesen war Aeschines, wie er selbst sagt §. 227 vnhq Tfjg owrriqCag
Tiiq nöhcog inqsoßevoixsv. man konnte nicht den Demosthenes oder einen
dem Demosthenes, Hegesippus oder andern Exaltirten Gleichgesinnten
wählen; Philippus hätte sie nicht angehört, oder vielmehr sie wären
schon selbst nicht gegangen, es mussten Männer der Opposition sein,
und Aeschines war bereits dreimal in derselben Eigenschaft bei dem
Könige gewesen. Es war Pflicht in diesem Momente für das Vaterland
zu thun was möglich war, der (fdCa hat er sich gewiss nicht gerühmt.
Hatte Demosthenes keine besseren Beweise der [xio&aqvCa, so konnte er
getrost auch diesen übergehen, er beweist gar nichts.
Als eine Anerkennung seiner Verdienste betrachtet er es, dass das
Volk, obschon vom Rathe auch Aeschines vorgeschlagen war, ihn erwählt
habe, die Grabrede auf die Gefallenen zu halten, und ungeachtet der
Einsprache seines Gegners bei seinem Entschlüsse verharrte; es sei
geschehen, weil dieser es mit dem Philippus, nicht mit dem Volke hielt.
Dieses ist allerdings ein sicherer Beweis, dass die Gesinnung des Volkes
auch jetzt noch ihm günstig war. Erinnern wir uns der oben ange-
91
führten Stelle Plutarch's (Phok. 16), dass die -i^oQvßoTtoiol und vswzeQiOral
auch nach der Schlacht in Athen die Fortsetzung des Krieges wollten
und den Charidemus als Feldherrn verlangten , dass der Areopag und
die ßsXriOToi nur mit Mühe und unter Bitten und Thränen das Volk
dahin brachten, den Pliokion zum Commandanten der Stadt zu ernennen,
so sehen wir, dass die kriegslustige Partei noch keineswegs durch die
Niederlage eingeschüchtert war, sondern das üebergewicht hatte, und
dann verstand es sich von selbst, dass niemand als Demosthenes die
Rede halten konnte. •*) Dass die Verwandten der Gefallenen das Todten-
mahl bei ihm nahmen, scheint nichts Besonderes zu sein, aber er weiss
dieses recht schön als gebührend und natürlich hervorzuheben.^)
Selbst das Epigramm, das von Staatswegen den Gefallenen gesetzt
wurde, muSS herhalten, tV sldfjg Aloxivrj xal iv avTo^ tovtoi Guvtov dyvwfxova
xai GvxofpdvTrjv ovra xal (iiaqov. Der Vers daselbst
IXYjd^v d/A,aQT£iv sGtI S^scöv xal ndvxa xaroQ^ovv
sagt deutlich aus , dass der günstige Erfolg und das Gelingen in der
Macht der Götter, nicht in der des Rathgebers , ov/ußov/iog, stehe. Ein
derber Fluch , welcher , wenn auch nicht überzeugender , doch kräftiger
als der Beweis wirkt, bildet den Schluss dieser Argumentation: ti ovv
(o xardgaz' sfiol tcsqI tovtcov XoiSoqsT, xal Xsysig a Goi xal rolg Goig ol S^sol
tQSXp6iav slg xscpalrjv ;
Nicht besser ist der Beweis, welcher folgt §. 291. Nichts, sagt
Demosthenes, habe ihn mehr in Erstaunen gesetzt, als dass Aeschines,
1) Dass der inirafpiog niclit genügt und man von Dem. jedenfalls Besseres erwarten durfte,
ist gewiss; die Aufzählung der zehn Phylen und deren Anwendung ist und bleibt abge-
schmackt. Wie unsicher aber und täuschend es ist, aus den Ueberresten eines vorzüglichen
Autors sich ein Ideal zu schaffen und nach diesem über Aechtheit und Unächtheit zu ent-
scheiden, hat man an dem Beispiele der platonischen Kritik erfahren. Dass man an eine
solche Leichenrede keinen grossen Masstab anlegen darf, kann der von den Alten gerühmte
i-nirdcpio? des Hyperides lehren. Die einzige Stelle, welche von Philippus redet p. 1394
§. 20: ausser seiner Dummheit, nqog rrj xmv ivuvrimv ayvmfxoovvn , sei die Tapferkeit der
Gefallenen Ursache gewesen, dass er nicht sogleich nach Athen gezogen sei und den Frieden
vorgezogen habe , rov riäv ivavxmv xvQioy (piXov yty{a9txi, rolg ixiivoiv oixtioig ßovXia&ca
l^fMov fj nahv vntQ rmv oXwf yJydvvou aQuad-cu, ist ganz im Sinne und Geiste des Dem.
Auch dort wird §. 22 der Verlust der Schlacht den thebanischen Feldherren zugeschrieben,
wie in unserer Rede §. 300. 313.
2) Hat vielleicht Dem. diese zu sich geladen, wie er sich auch rühmt, die makedonischen
Gesandten splendid bewirthet zu haben?
12*
92
nachdem er ihm bei jener Wahl entgegengetreten sei, kein Herz für das
erlittene Unglück gezeigt, nicht geweint und dadurch sich selbst als
Feind und Gegner des Volkes verrathen habe, ovx ak «V svvovg xal öixaiog
noXt'rt^g foxs ti]v yvoii.irj%' , ovS' iSdxQx^Gs^', ovd^ STcait^s roiovxov ovSH' rfj ipvx'^,
dXX' snäQuc Tt^v (p(ovr]v xal ysy/yi^wg xal XaQvyyC^wv meto.. Aeschines wird im
Momente, als er den Demosthenes für das geschehene Unglück verant-
wortlich machte, sicher gewusst haben, warum er in diesem Tone sprach
und nicht anders; so zu reden, wie Demosthenes hier fordert, war
diesem nur eine erwünschte Gelegenheit zu sagen, es sei nichts als
Heuchelei gewesen , wie er ja selbst kurz vorher von ihm bemerkte
§. 287 rfj <p(ovij V 7t oxQ IV 6 fisvov xTqv ixsivcov rv%rjv , mit dergleichen wohl-
feilen Beweisen hatte den angehenden Redner, damit ihm ja nie das
"Wort fehle, schon die triviale Theorie der Rhetorik hinreichend versorgt.
Der Vorwurf, dass Aeschines ihn als Anhänger des Philippus be-
zeichne §. 294 og yuQ sf.iov (ptXinniGnov co yTi xal ^sot xaTTqyoQeT , xi ovxoq ovx
UV stnoi ; ist allerdings abgeschmackt und durch die That hinreichend
widerlegt , aber dem Gegner ist es auch nicht eingefallen , dieses so
allgemein zu behaupten ; Aeschines sagt nur, dass Demosthenes CVHI, 2
sich alle Mühe, den Frieden, welchen Philijjpus wünschte, zu Stande zu
bringen, gegeben und dessen Gesandten über Gebühr geschmeichelt habe,
was, wie wir gesehen haben, dieser vergebens in Abrede zu stellen sucht.
Von der Liste der Verräther war oben die Rede §.48, wir kennen
die Geschichte der einzelnen Staaten und der hier namentlich bezeich-
neten Staatsmänner nicht, um darüber entscheiden zu können, müssen
aber Polybius Dank wissen für das, was er uns darüber mittheilt ; nach
ihm ist Aeschines viel niedriger anzusetzen, weil er keine solche poli-
tische Rolle gespielt hat. Dass dieser Verrath, sagt Demosthenes, nicht
wie in den andern griechischen Staaten , auch in Athen stattgefunden
habe, sei sein Werk,^) er habe sich nicht durch den Philij)pus, nicht
1) §. 297 ri Tiokii iii'uCnog ytyovtv ix rcüy i/uuiy nohrtvfxaTOJi'. 285 d't' t'/nov und sonst uft im
Gegensatze von 294, wo er sagt, der Staat liabe von selbst diese Tendenz immer verfolgt,
es wäre eine zu grosse unverdiente Ehre, wenn man sie ihm zuschreiben wollte: ciXk ovt
tiu tyto Tdvra (fi^oinfii (ud'ixoirjV yuQ (iy vfiu?), ovt' liv v[j,tig tv oid'^ öji ovy/w^rjauiTt, Dieses
ist auch rhetorische Sitte, aus Cicero bekannt genug; bald hebt er sich als den einzigen,
von dem Alles ausgehe, hervor; kommt es aber darauf an sich zu rechtfertigen, so weiss der
93
durch den Alexander ^) besteclien lassen, seine Politik sei gewesen, ohne
die Sorge für das Innere zu vernachlässigen, alle hellenischen Stämme
den Athenern befreundet zu machen und als äussere Bollwerke dem
Feinde entgegenzustellen ; wäre überall nur ein Mann wie er gewesen,
ja hätte nur Thessalien, hätte nur Arkadien einen einzigen Demosthenes
gehabt, ganz Griechenland inner und ausser den Pylae wäre frei und
würde von dem jetzigen Drucke nichts erleiden. Zu diesem hohen und
stolzen Selbstgefühle — es ist die schönste und berühmtste Stelle unserer
Rede — berechtigte den Demosthenes das Bewusstsein, rein und unbe-
scholten im Interesse der Freiheit den Feind aller Griechen bekämpft
zu haben ; selbst dieses grosse Wort vermag ihm noch nicht die volle
Wahrheit auszudrücken, facta dictis exaequare , §, 305 Iva J' etSrJTt; on
TtoXho ToTg Xöyotg slaTzoOi XQ^l^'''^'' '^^^' ^Qywv , fv^aßovfisvog tov (p&örov , Xsys ^loi
xavvL gelang dieser Kampf, und er war von solcher Zuversicht erfüllt,
dass er an dem Gelingen nicht zweifelte , so war Athen an der Sj^itze
von ganz Hellas und die alte Macht und Herrlichkeit wieder errungen,
§. 306 (üv xaroqx^ovusvuiv (isyCOtoig äva/,i(fiOßrJTU)g VTtfjQX^v elvai, xal %d dixaCmg
TCQogfjV. und so mag man es erklärlich finden, dass er auch jeden Wider-
stand, ja jeden Widerspruch gegen das, was er seinem Zwecke zuträglich
hielt, als Verrath brandmarkte. Selbst wenn sein Gegner sich ruhig
verhält, ist dieses keine ehrliche, sondern heimtückische Ruhe, welche
nur auf einen günstigen Moment lauert, um zum Schimpf und Schande
des Landes ehrliche Leute angreifen zu können. An den Früchten
musste man ihn erkennen §. 309, wenn er etwas taugte, aber Athen
habe noch nicht den mindesten Vortheil von ihm gezogen,'^) nie liess
er sich sehen, wo es eine Aufopferung galt, nur wo es galt zum Ver-
derben und Schaden des Volkes zu wirken , zeigte er seine Kraft und
seine Kunst. ■^)
Eedner alle Andern vorzuschützen, er habe nur ausgeführt, was das Volk, was der Senat
beschlossen habe.
1) Hat auch Alexander noch bestochen? Gewiss hatte er es nicht nothwendig.
2) Diese Klagen sind ungegründet , wie konnten an Aeschines solche Forderungen gestellt
werden, der nie am Euder des Staates gewesen? Merkwürdig aber ist, dass Dinarchus
§. 96 dieselben Vorwürfe gegen Dem. selbst vorbringt, der nichts von dem geleistet habe,
was unter der Verwaltung des Eubulus geschehen sei. Fast möchte man darin eine Ant-
wort auf unsere Stelle vermuthen.
3) §. 306 ist ein noch nicht beachteter Fehler, die Worte ruvra . . n^urrtw . . xöv xaXoy xilya-
i)4
Die Vergleichung mit den Staatsmännern der Vorzeit weist Demo-
sthenes als ungebührlich zurück, er will nur den lebenden gegenüber-
gestellt werden ; Aeschines antwortet in Form einer TtgoxaTdXrjipig nicht
mit Unrecht, dass es in Politik und Moral allgemeine feststehende Nor-
men gebe, die für immer gelten und nach welchen der, welcher auf
aQfrt] Anspruch mache, beurtheilt werde; er gewinnt jedoch damit wenig,
denn das Ziel, das Demosthenes anstrebte, die Freiheit gegen die Fremd-
herrschaft zu wahren, muss jeder als edel und ruhmvoll erkennen, wenn
er auch mit der Art und Weise, wie dieses geschehen, nicht einver-
standen ist, dagegen ist Aeschines zu dem Tadel über die maasslose Ver-
schwendung von Ehren in seiner Zeit vollkommen berechtigt. Noch
einmal hebt Demosthenes hervor, welcher Unterschied zwischen ihm, der
Alles für das Wohl seiner Bürger erduldet habe, und seinen Gegnern,
den Feinden des Vaterlandes sei, und er schliesst mit dem Gebete,^) die
Götter mögen diese bessern , und wenn sie unverbesserlich seien , zum
Heile der Andern von Grund aus vertilgen.
Damit ist das Wichtigste hervorgehoben, was sich, nicht vom Stand-
punkte des Gegners aus, sondern von dem des Lesers, welcher über
die streitenden Parteien steht, so wenig wir auch bei dem Mangel
bewährter Ueberlieferung in vielen Dingen tiefer zu schauen vermögen,
wie wir glauben mit Recht einwenden lässt. Ueberall aber muss man,
auch wo man dem Redner nicht beistimmen kann, die Kunst bewundern.
d-öy noXirrjt/ d e i schliessen die Frage §. 301 ab rt /Qtji' zw ivvovv nokirtjy noittv; der Cor-
rector der zweiten Recension unsers Textes, der gute Kenntnisse verräth, hat den Mangel
der Concinnität wohl bemerkt, an der Verbesserung aber fehl gegriffen; er schrieb oben
XQfi für XQ^''^ aber Alles weist darauf hin, dass es nicht ein allgemeiner Satz sein soll,
sondern auf die Zeit und Person des Dem. beschränkt, und so fordert die Sprache i'Sti,,
nicht rfff. Das Ganze ist übrigens zugleich Antwort auf den Sr,fA.orM6? dytJQ des Aeschines.
— §. 320 tyoi XQttrKSzu kiyiou i(paw6fxrip ist schwerlich richtig; der eigentliche Ausdruck
ist TU uQiaTa, wofür auch rä ßi^Tiara gesagt wird; ich zweifle nicht, dass auch hier
tuQiata gestanden hat; bei Anaximenes 42, 13 steht allerdings ßovXtixso^ivov? lä xqutiaza,
bei Dem. und sonst meines Erinnerns nicht.
1) Unserer Rede eigen ist die wiederholte Anrufung der Götter am Anfange und Ende des
Exordium §. 1 — 8, in der Mitte 141 und am Schlüsse 324.
95
mit welcher er dem Gegner selbst die triftigsten Gründe abzuringen und
zu seinen Gunsten zu wenden versteht.^) So ist diese Rede zugleich
auch ein Meisterstück der Sophistik, und wenn schon Andere es eben-
falls daran nicht fehlen lassen, Demosthenes übertrifft sie Alle an Ge-
wandtheit und Geist; bei ihm sie zu erkennen und zu durchschauen ist
deswegen um so nöthiger. Die Schilderung der Tvy^ij beider ist ein
anschauliches Bild der ganzen Rede im Kleinen ; sie ist nicht ersonnen
aber ebenso wenig wahr; unter der gleissnerischen Versicherung diesen
Gegenstand nur mit Zartgefühl und Milde zu berühren, überschüttet er
den armseligen Gegner, dem kein so günstiges Loos des Glückes wie
ihm geworden ist, mit allem Hohn und Spotte, und hat nicht nothwen-
dig sich irgendwie zu erheben ; Aeschines ist so tief gestellt , dass
Demosthenes schon dadurch erhaben dasteht und man ihm nicht vor-
werfen kann, er habe sich selbst gerühmt. Hass und Verachtung des
Gegners spricht sich, so sehr es auch immer in Abrede gestellt wird
in der ganzen Rede aus, er ist höchst reizbarer Natur und was Plutarch
sagt c. 12
ov yäq n y^^'^^^^f^og dvrJQ rjv ovd^ dyavö^Qcov
dXX" i'vTovog xal ßi'aiog negl tag dfivvag leuchtet Überall hervor.^) Politische
Streitigkeiten aber waren den Alten eine vorzügliche Quelle sich zu
verfeinden. Oligarchie und Demokratie standen sich schroff gegenüber
nicht bloss im Grossen wie Athen und Sparta ; jede einzelne Stadt nährte
in sich diesen Dualismus, und die beiden grössten Staaten thaten das
Mögliche, überall ihrer Verwaltungsform mit List oder Gewalt Eingang
zu verschaffen; die Sieger erledigten sich ihrer Gegner durch die Ver-
bannung, was selbst wieder die Wurzel unsäglicher Streitigkeiten war.
1) Sextus adv. rhet. 40 roV yovf y^aipiviu xaru KTijaicpüiyTog Jrj/uoa&ii/tjg noXXa
ßoMV xai r€^arev6^tuog tj^naatv. od-lv xal 6 Ala^ifrig (§. 193) xctxov i'd-og cprjalv (ig
t6 dixctaTtjQWv TiUQrjXStV 6 fitr yuQ xaT^yO(>og ctTTokoysiTcti, 6 (ft axvywf Trjy ypumm xax-
rjyoQti, Ol di dixaaral (oy fiij liai xqirui ni^i joviioy xprjCpocpoQtty clvayxul^ovTai. Was hier
aus Aeschines vorgebracht wird, ist ein locus communis, den auch andere Redner vor ihm
wider ihre Gegner anzuführen nicht verfehlt haben, was aber gegen Demosthenes in Bezie-
hung auf die Klagerede des Aeschines gesagt wird, ist nicht ungegründet.
2) Wer sich die Mühe geben will, sämmtliche Schmähwörter aus beiden Reden zusammenzu-
stellen, wird finden, dass obschon es Aeschines hierin keineswegs fehlen lässt. Dem. ihn
doch weit übertrifft. Auch zu vergleichen, wie beide seit den Reden ntqi nagang. an dieser
Bildung zugenommen haben, ist nicht ohne Interesse.
DG
Dabei waren die Griechen dem Gelde sehr zugänglich; kein Wunder also
wenn bei der Leichtigkeit sich bestechen zu lassen, auch bald die Klage
bestochen zu sein folgte. Hatte aber die Eris von aussen ihre goldenen
Aepfel zwar nicht öÖentlich unter den Haufen geworfen , aber heimlich
in den Busen dieses oder jenes gesteckt, oder auch nur zu stecken
Miene gemacht, so war innerem Hader und Zank desto grössere Nah-
rung gegeben. So ist Geldgierde und Bestechlichkeit das Grundübel,
das sie gegenseitig einander vorwerfen, jeder betrachtet den andern in
Folge dessen als den einzigen Urheber alles über Hellas hereingebrochenen
Unglückes.^) Unsere Bewunderung der Reden wird durch den Gedanken
nicht wenig abgeschwächt, dass der Staat am meisten gelitten hatte.
Sind die Anschuldigungen des Demosthenes wahr und hat Aeschines
Alles absichtlich zu Gunsten makedonischer Herrschaft getlian, dann ist
der Staat zu beklagen, der solche Verräther im Innern hatte; sind die-
selben aber nicht wahr und hat nur verschiedene politische Anschauung
zu solche maasslosen Vorwürfen , wie sie hier gegenseitig vorgebracht
werden, geführt, so ist er nicht minder zu beklagen, wenn seine tüch-
tigsten und fähigsten Geister in solch leidenschaftlichem Kampfe sich
aufrieben und einander zu vernichten trachteten; der Staat wurde da-
durch selbst vernichtet. Es war das Natürlichste und Klügste , dass
der Besiegte den längst vergessenen Ostrakismus an sich selbst ausübte
und die Heimath verliess , in welcher der Gegner all sein Thun und
Lassen verdächtigte. Ruhe und Besonnenheit darf man , wo Hass und
1) Auch Aeschines den Demosth. §. 57 aiiws chv/ij/uiizaiy äjidyTutv. 188. 226. 253. besonders
134 — 6 xm Tavr' i^/j.ty (Jti/ißißt]Xfy t| örov Jrjfioad-iyrjg ji^ög rrjy nohttCav TiQo?t^^Xv\)tv. Hier
kommt ganz unerwartet Aristoteles dem Dem. zu Hilfe, Rhet. 11, 24 ulXoq (ronog tüi' (pca-
yuiAiyojy t'y&vfiri/Liuiijy) nuQii t6 uyuiiioi' w? ahioy , oiny rm ujua >] fiiTcl tovto ytyoyivui' ro
ydp utzu TOVTO (üg diu tovto 'Mifxßurovai, xui [MukiOTa oi tv tu ig nokizliuig, oiov
lüg 6 Jtjfiddrjg r^y d njxoaO t yovg jiokir t iay nävTiüy Tmv xay.üjy uiTiay just' ixti-
yr,y yti^ avyißi] 6 noktfiog, eine Stelle, auf welche der gelehrte Biograph des Redners
HI, 1, 71 mit Recht grossen Werth legt. Wenn man sich wundert, dass hier Demades und
nicht Aeschines, der doch dasselbe ausführlich genug behauptet, genannt wird, so liegt die
Ursache wahrscheinlich darin, dass unser Process, als Aristoteles jenes Capitel der Rhetorik
uiederschrieb, noch nicht vorlag. Von ihm, der dieses Beispiel des post hoc und propter
hoc gibt, wünschte ich besonders dessen nähere Begründung und die Erläuterung jener
wichtigen Zeitepoche. Frei von aller Schuld an dem Kriege hat wold auch Aristoteles den
Dem. nicht gehalten, aber seine noAntiu war nicht nuyrwy zujy xuxüv uhia.
97
Leidenschaft ungebunden herrschen und auf die Menge zumeist wirken,
nicht suchen, und je mehr wir diese Reden begreifen und verstehen
lernen, desto mehr macht sich auch bei uns das Uefühl geltend, welchem
der geistreiche Verfasser des Dialogus das Wort leiht, ^) wenn er von
der ähnlichen republikanischen Beredtsamkeit seines Vaterlandes und
deren Vertretern sagt, man müsse diese grossartigen Wundergestalten
anstaunen, aber auch Gott danken, dass wir in andern Zeiten leben,
welche durch die Strenge der Gesetze und die Milde der Sitten Erschei-
nungen jener Art unmöglich machen.
1) In der Rede des Matemus c. 3() — 41.
Abb. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wis3. X. Bd. I. Abth. 1 3
CORRIGENDA.
S. 33 ^ 7 Anm. 1 Zeile 1 ducpoti' statt üuq-otg.
S. 35 :^ 9 Z. 20 oTi.
S. 36^10, letzte Zeile: von erster Hand statt vom ersti-n Stand.
S. 47 = 91, Z. 5 könntp.
S. 48^=22, Z. 11 iTiKpitt'taTUTOii.
Ueber eine
allische Silbermünze
mit dem ang-eblichen Bilde eines Druiden
von
Franz Streber.
13^
lieber eine
gallische Silbermünze
mit dem angeblichen Bilde eines Druiden
von
f:r.a.i^z sxi^ebeü.
Gelesen in der Sitzung der philos.-philolog. Classe der k. b. Akademie der Wissenschaften
am 1. Juni 1861.
Während man früher bei der Beschreibung und Erklärung der antiken
Münzen das Augenmerk vornehmlich nur auf die griechischen und römi-
schen Gepräge gerichtet, die gallischen dagegen, zunächst wohl darum,
weil deren rohe Arbeit für das Auge nichts Anziehendes darbietet, der
Mangel an Schrift aber die Erklärung ungemein erschwert, kaum der
Beachtung gewürdiget hat : ist in den fünf letzten Lustren in diesem
Betreffe ein merklicher Umschwung eingetreten. Dem Fleisse und Scharf-
sinne Einzelner und dem Zusammenwirken Vieler ist es, nachdem man
vorerst all die Münzfunde, die in neuerer Zeit gemacht worden, sorg-
fältig verzeichnet und beschrieben, allmählig gelungen, in die bunte Reihe
derjenigen Denkmäler, die man bis dahin unter der allgemeinen Rubrik ,, un-
bekannt" oder ,,reguli gallici" zusammengefasst, eine Sichtung zu bringen ;
mancher vorher unverstandene Typus ist erklärt, viele bis dahin unedirte
102
Stempel sind bekaimt geinaclit, kui-/ das Gebiet der altgallischen Numis-
matik ist beträchtlich aufgehellt und erweitert worden.
Nichts destoweniger bleibt noch viel zu tliun übrig. Das gilt nament-
lich von dem Verständnisse der Typen, Viele derselben bedürfen noch
einer näheren Erklärung.
Dahin gehört denn auch vorliegende Münze, von welcher LeleweP)
versichert, dass sie häutig zwischen Rlieims und Trier gefunden werde.
Das liild zwar der Vorderseite bietet, da ein springendes Pferd auf gal-
lischen Münzen unzähligemal wiederkehrt , nichts dar , was unsere Auf-
merksamkeit besonders auf sich ziehen könnte , aber der Typus der
Rückseite ist so eigenthümlich und so sehr von andern gallischen und
wir dürfen hinzusetzen auch nicht gallischen Typen abweichend, dass es
schon Duchalais, und gewiss mit Recht, für geboten erachtete, gerade
diese Münze unter die wenigen Exem})lare aufzunehmen , von denen er
zugleich mit der Beschreibung eine Abbildung zur Vorlage bringt.^)
Was bedeutet die menschliche Gestalt auf der Rückseite unserer
Münze? das ist die erste Frage, die uns entgegentritt. Erst wenn wir
diese beantwortet , können wir weiter untersuchen , ob dieses Bild der
Rückseite mit dem springenden Pferde der Vorderseite in Zusammenhang
stehe und in welchem ? Um aber die Bedeutung der menschlichen Gestalt
zu erkennen, müssen wir uns zuerst über eine richtige Beschreibung
derselben verständigen.
Von den bisher gegebenen Beschreibungen sind mir vier bekannt.
Sie sind, in chronologischer Aufeinanderfolge, nachstehende.
Mionnet unterscheidet zwei Bilder, nämlich eine sitzende mensch-
liche Gestalt von der linken Seite, die er übrigens nicht näher beschreibt,
und einen Altar vor derselben, ,,Figure assise, ä gauche, de-
vant un autel"^). Diese Beschreibung ist jedoch unrichtig. Mionnet
muss ein sehr undeutliches Exemplar vor sich gehabt haben, denn ein
Altar ist auf den Originalen selbst nicht sichtbar. Was er für einen
Altar gehalten, erscheint auf deutlicheren Exemplaren als ein Zweig
oder Baum.
1) Lelcwel, Etudes numismatiques iian^. 271.
■2) Duclialais, I^escription des medailles gauloiscs. 1840. PI. III. Fig. 7.
'6) Miomif;t, Descrii)tion, Suppl. Tom. 1. 1819. medailles incsrt. äea Gaules, n. 279.
103
Lelewel bezeichnet die menschliche Gestalt als die eines sitzenden
Druiden, der den Zweig einer Mistel vor sich auf den Knieen hält.
,,Les mannequins acariätres d'un druide assis ayant sur les
genoux un rameau de gui" ^). Da wir es vorläufig nur mit der
Beschreibung und noch nicht mit der Erklärung des Bildes zu thun
haben, so sei hier nur bemerkt, dass erstens die menschliche Figur un-
bekleidet dargestellt ist und zweitens der Zweig oder Baum von der-
selben nicht auf den Knieen gehalten wird, sondern ihr aus dem Leibe
herauswächst.
Letzteres hat der Verfasser des Catalogs der Reich el'schen Münz-
sammlung richtig erkannt, beschreibt aber das Bild als eine liegende
Figur und den Zweig, der aus ihrem Leibe hervorwächst, als einen
Palmbaum-). Von dem Zweige oder Baume wird später die Rede
sein ; dass aber der Stempelschneider nicht eine liegende , sondern eine
sitzende Figur vorstellen wollte, beweist die Stellung der Beine nicht
minder wie die der Arme.
Duchalais endlich glaubte auf unserer Münze eine sitzende mensch-
liche Gestalt zu sehen, von der linken Seite dargestellt, den Kopf rück-
wärts gewendet, die rechte Hand erhoben, in der linken einen Zweig
haltend, hinter ihr das Zeichen V. ,,De la main gauche il tient
un rameau compose de quelques feuilles opposees les unes
aux autres, et au milieu desquelles se trouve un globule
en forme de baie; vis-a-vis lui un rinceau; il tourne sa
tete ä droite et ses cheveux sont releves en chignon; der-
riere lui la lettre ou le symbol V et un autre objet, qui
est peut-etre un gland"^). Auch hier hat sich ein Irrthum ein-
geschlichen. Die menschliche Gestalt hat den Zweig oder Baum nicht
in der linken Hand; sie hält vielmehr, wie die Rechte aufwärts, so die
Linke abwärts und zwar mit ausgestreckten Fingern. Was Duchalais
für ein hinter der Figur angebrachtes Zeichen V angesehen , ist der
linke Arm dieser Figur , der Zweig oder Baum aber wächst ihr , wie
bereits erwähnt, aus dem Leibe hervor.
1) Lelewel, Etudes numismatiques. 1841. pag. 359.
2) Reichel'sche Münzsammlung, Frankreich. 1842. S. 5. n. 42.
3) Duchalais, Description des medailles gauloises. 1846. n. 701.
104
Unsere Frage ist demnacli näher dahin zu formuliren : Was bedeutet die
unbekleidete, sitzende, rückwärts bHckende menschliche Figur mit der
erhobenen Rechten und der abwärts gerichteten Linken, aus deren Leib
ein Zweig oder Baum herauswächst?
L
Betrachten wir zuerst , ohne schon jetzt auf alle Einzelheiten des
Gesammtbildes einzugehen, die menschliche Gestalt an sich, so
wird sicherlich Niemand auf den Einfall kommen, in derselben etwa das
Bild eines Fürsten oder einer andern der Geschichte angehörigen Per-
sönlichkeit erkennen zu wollen. Einer solchen Deutung widerspräche
schon, wenn auch derartige Typen, was sehr in Zweifel gezogen werden
muss , auf andern gallischen Münzen vorkommen sollten , Stellung und
Geberde und überhaupt der ganze Habitus unserer Figur. Mit Recht
glaubte daher Lelewel dieser Gestalt eine m^hr allgemeine Deutung
geben zu müssen. Er erkannte in derselben das Bild eines Druiden^).
Aber auch diese Annahme ist unhaltbar; ja wir dürfen umgekehrt be-
haupten, dass unsere Figur einen Druiden sicherlich nicht vorstelle;
denn wenn wir auch nicht, durch verschiedene Monumente belehrt, mit
Bestimmtheit wüssten, dass die Männer dieses Ordens, der das Amt der
Priester, Lehrer, Zeichendeuter, Aerzte und Richter zumal inne hatte,
weite und faltenreiche Mäntel getragen haben , so wird doch nicht im
Ernste behauptet werden wollen, dass sie unbekleidet gewesen, am aller-
wenigsten wenn sie, wie in vorliegendem Falle von Ij e 1 e w e 1 angenommen
wird, die Mistel in der Hand trugen, da Plinius ausdrücklich berichtet,
sie hätten mit weissem Gewände angethan ,, Candida veste" den Baum
bestiegen, die Mistel mit goldener Sichel abgeschnitten und dieselbe
,,candido sago" aufgefangen. Die menschliche Figur auf unserer Münze
erscheint aber unbekleidet.
Wir werden darum nicht irren, wenn wir behaupten, dass wir hier
das Bild eines göttlichen oder halbgöttlichen Wesens vor uns
haben, welches bei dem Volksstamme, dem fragliche Münze angehört,
besondere Verehrung genossen hat. Zu dieser Deutung berechtigt uns
1) Lelewel, Etudes numismatiques pag. 359.
105
sckoja die Vergleichung mit andern antiken Münztypen. Ich erinnere
hier nur, um nicht der zahh'eichen Cultusbilder auf den Geprägen der
verschiedensten Völker des Alterthiuns zu gedenken, an die vielen Heroen,
welche wir, sei es als Städtegründer, sei es als Helden eines ganzen
Stammes , auf den griechischen Münzen in Brustbildern und noch viel
häufiger in ganzer Gestalt vorgestellt finden, wie beispielweise Achilles
in Epirus und in Thessalien, Aiax bei den Opontiern, Agathyrnus
in Tyndaris, Cydon in Cydonia, Eurypylos zu Pergamus, Gorgos
in Ambracia, Hector zu Ophrynium, Kephalos in Cephallenia, Leu-
c a p s i s in Syracus, L e u c i p p o s in Metapontum, P h e r ä m o n in Messina,
Taras in Tarent, Ulysses in Ithaka u. s. w.
^\a,s für ein höheres Wesen jedoch mag hier vorgestellt sein?
Angesichts der Dürftigkeit der Nachrichten über den Glauben und Cultus
der Gallier überhaupt und der Remi und Treveri, in deren Gegend unsere
Münzen gefunden werden, insbesondere sind wir bei Beantwortung dieser
Frage zunächst an das vorliegende Bild selbst gewiesen. Die mensch-
liche Figur als solche aber gibt uns einen ausreichenden Anhaltspunkt
für die Deutung nicht an die Hand. Das Bild selbst ist so roh gear-
beitet, dass nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden kann , ob wir
eine männliche oder weibliche Gestalt vor uns haben. Allerdings
erscheint als charakteristisch, dass dieselbe unbekleidet, sitzend, rück-
wärts blickend und mit erhobener Rechten dargestellt ist, aber auch
diese Merkmale sind nicht unterscheidend genug, um der Gestalt einen
bestimmten Namen geben zu können.
Wir müssen daher den Ausgang unserer Untersuchung von einem
anderen Theile des Gesammtbildes nehmen, der möglicher Weise geeignet
ist, auf die Bedeutung der menschlichen Gestalt einiges Licht zu werfen.
Dahin gehört zunächst der Zweig oder Baum, der ihr aus dem Leibe
wächst.
n.
Was magder Zweig oder Baum bedeuten, der auf unserer Münze
mit der menschlichen Gestalt in Verbindung gebracht ist?
Die Beziehungen, welche Veranlassung geben mochten, einen Zwei^'
oder Baum und zwar in so augenfälliger Weise, wie hier gescliehun ist,
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d, Wiss. X.Bd. I. Abtli. 14
106
auf dio Münze zu setzen, konnten verschiedener Art sein. Ich erinnere
zunächst daran , dass man sich im Alterthume das Schicksal einzelner
Staaten nicht nur sondern auch einzelner Stände im Staate, ja selbst
einzelner Familien in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Schicksale
einzelner Bäume gedacht hat ^).
Bekanntlich nahm Athene durch Anpflanzung des Oelbaums Besitz
von ihrer heiligen Stätte zu Athen. Auf dem Oelbaume ruhten die
Sacra der Athene; er hatte das Numen der Göttin, war ihr Tempel
und Agalma zugleich. Bei der Zerstörung der Heiligthümer der Burg
durch die Perser war auch dieser heilige Baum versengt worden; als
aber die Athenienser, denen Xerxes spottweise befohlen hatte auf die
Burg zu gehen und die väterlichen Opfer darzubringen, sahen, wie dieser
Baum über Nacht bereits wieder einen neuen frischen Spross zweier
Ellen lang ausgetrieben, erkannten sie hierin ein unwiderlegliches Zeugniss
von der Unzerstörbarkeit und dem Wiederaufleben ihrer väterlichen Sacra,
wie von dem kommenden Siege über die Schänder derselben ^). Der
Oelbaum galt ihnen als Lebens- und Schicksalsbaum, oder, wie der Chor
in Oedipus auf Kolonos sich ausdrückt ^) :
To fie'v Ttg ov-S-' dßog oms yr'jQai
Orjfiaivcov dXimOei x^Qi' TtäQOac' 6 yccQ aiiv ogwv xvxXog
XevOOei viv MoQiov Jtdg
fit, yXavxüÖTtig 'A^äva.
Ebenso war der Feigenbaum des Navius mit der Entstehung nicht
nur sondern auch mit dem Leben und Schicksale Roms verflochten.
Ein Abpflanzer des ruminalischen Feigenbaums am Tiber, unter welchem
man Romulus und Remus an den Brüsten der Lupa säugend gefunden
hatte, stand er auf dem Comitium, auf dem Platze, wo nach der Sage
zwischen Romulus und den Sabinern das Friedensbündniss geschlossen
wurde. Seine Abstammung und Bedeutung zu bezeichnen, weihte Attius
Navius das eherne Bild der Lupa unter seinen Zweigen, weshalb er auch
navia ficus hiess. Die Römer aber glaubten, durch die Aussprüche der
ilar'uspices und durch heilige Anzeichen hierin bestärkt, dass ihre Freiheit
1) Vgl. Bötticher, der Baumcultus der Hellenen. S. 165, 170 u s w.
2) Bötticher, a. a. 0 S. 172.
3) Sophocl, Oedip. auf Kolonos. V. 702.
107
so lange unversehrt dastehen würde als dieser Feigenbaum grünend
wäre. Daher, wie Tacitus berichtet, ihr Schrecken, als dieser Baum
unter Nero zu welken und zu dorren begann. Sie erkannten hierin ein
Zeichen des Unterganges ihres Staates '). Auch M e g a r a hatte einen
solchen Schicksalsbaum , von dessen Leben sein Bestand abhing. Ein
Orakelspruch hatte vorherverkündet, es würde der Staat untergehen,
sobald ein Baum Wafien gebäre. Es stand aber auf der Agora der
Stadt ein alter geweihter Oelbaum. Als dieser gefällt wurde, kamen
im Stamme Beinschienen zum Vorschein. Es war nämlich dieser Baum
vor alten Zeiten mit Waflfenbeute geschmückt worden, die sich mit dem
Stamme verwachsen hatte und von dessen Rinde bedeckt worden war.
Mit dem P'alle des Baums war der Fall von Megara entschieden^). In
ähnlicher Weise ist nach den Sagen und Anschauungen des Nordens
das Schicksal der Völker und ihr Blühen und Verwelken aufs engste
mit dem Blühen und Welken bestimmter Bäume in Verbindung gebracht^),
nur sind es hier nicht der Oel- oder Feigenbaum , sondern zumeist die
Esche und der Birnbaum, an welche die Sage anknüpft. Bei den Dieth-
marsen ging die Rede, ihre Freiheit werde zu Grunde gehen, wenn der
Wunderbaum bei der Aubrücke neben Süderheidstedt verdorrt"*). Auf
einer der Orkaden, wo sich Norweger angesiedelt hatten, wurde der
Sperberbaum als eine heilige Pflanze bewacht, weil man glaubte, wenn
ein Fremder einen Zweig davon wegbrächte, werde die Insel unter
fremde Herrschaft kommen ^). Die niedersächsische Sage lässt die Welt-
schlacht geschlagen werden, wenn die Nortorfer Eiche, die Tiroler Sage,
wenn die Bäume auf der Ulfiswiese bei Innsbruck so herangewachsen
sind, dass man ein Ross darunter festbinden kann. Sibilla Weiss
prophezeit das Ende, wenn der Ast des kalten Baums stark genug ist,
um einen Reiter sammt dem Rosse zu tragen. Eine Oberpfälzer Prophe-
zeiung lässt Elias am Ende der Tage die Getreuen unter einem Birn-
baum sammeln. In denselben Sagenkreis gehören auch der dürre Birn-
1) Bötticher, a. a. 0. S. 128, 130. 166.
2) Bötticher, a. a. 0. S. 167.
ii) Vgl. Quitzmann, die heidnische Religion der Baiwaren, S. 50.
4) Mone, Geschichte des Heideiithunis im nördl. Europa. B. II. S. 87.
5) Friedreich, die Symbolik und Mythologie der Natur. S. 215.
14*
los
])aum auf der "Walserhaide bei Salzburg und der kalte Baum bei Vohen-
stranss in der Oberptalz ^).
Aber nicht blos die verschiedenen Völkerstämme und Staaten,
sondern auch einzelne Gliederiuigen derselben hatten ihre besonderen
SchicksalsbiVnnie. Wenigstens gilt das von den beiden Ständen des
römischen Volkes, den Patriciern und Plebejern, und von den beiden
^lyrten, die vor der Aedes des Quirinus oder Romulus auf dem Quirinal
standen. Die eine hiess patricia, die andere plebeja, und Plinius spricht
es geradezu aus, wie man sie mit den beiden Ständen in Verbindung
gedacht habe und beider Schicksal an ihnen geoii'enbart schien. Von
diesem habe lange die patricische grössere Kraft gehabt und sich, mit
der Macht des Senates wachsend, anmuthig ausgebreitet, nur die plebe-
jische habe dürre und traurig dagestanden, das Schicksal der Plebejer
andeutend; dann endlich sei auch diese kräftig geworden, während die
patricische zur Zeit des Marsischen Krieges zu welken begann und hiemit
zugleich sei die Majestät der Patres allmählig vergangen und endlich
zu Nichts herabgesunken ^).
Das Grleiche galt selbst von einzelnen Familien und hervorragenden
Persönlichkeiten. Von dem Lorbeer, welchen Augustus auf seiner Vejen-
tischen Villa an der Flaminischen Strasse gepflanzt hatte und von
welchem nach und nach ein ganzes Wäldchen entstanden war, brachen
1) Nach Dr. J. Zingerle (Bericht über die Wiltener Meistersänger-Handschrift. Wien 1861.
S. 14) findet sich die erste Aufzeichnung dei" Sage vom Kaiser, der seinen Schild an den dürren
Baum hängen wird, in der Schrift des Engelbert von Admont: de ortu et iine imperii romani.
Daselbst heisst es:
das heilig grab ze wcre
den cristen wirt helcant
26 eylen vber mere
Clin kaiser ans tetttsdmii landt.
der cristenhait zw ere
sein spere
naigt er auf Schildes ivant.
an aincm dürren paunie
sein scMldt gehangen ivirdt
an dti/rres astes zäume,
der grünet vnde piert
der criatenimit ze lobe.
2) Bötticher a. a. 0. «. 166.
109
alle triumphirenden Cäsaren seiner Familie die Lorbeerzweige , welche
sie in der Hand trugen und pflanzten dieselben nachher wieder. Es
war ein Wunder, wie jedesmal dieser geptlanzte junge Raum nur so
lange frisch grünte als der lebte, welcher ihn gepflanzt liatte. denn bei
dem Tode desselben starb auch der Baum wieder ab, bei dem Tode des
Nero aber verdorrte der ganze Lorbeerhain ^). In demselben Sinne
bezeichnet die nordische Sage den Zeitpunkt der Wiedererscheinung
einzelner verzaubertei' Volkshelden mit dem Wiederblühen verdorrter
sagenhafter Bäume.
Solche heilige Bäume nun waren ein nicht unpassender Gegenstand
für die Denkmäler der bildenden Kunst. In der That flnden wir, um
nur bei den erwähnten Schicksalsbäumen stehen zu bleiben, den Oelbaum
der Athene , den Feigenbaum des Navius , den Lorbeer des Augustus
und seiner Nachfolger zu wiederholten Malen nicht nur in Reliefs und
auf geschnittenen Steinen , sondern auch auf Münzen dargestellt. Wir
schliessen daher, wie mir scheint, mit Recht, dass auch dem Zweige
oder Baume auf unserer Münze eine Bedeutung zu Grunde liege, die
mit den religiösen Anschauungen und Hoffnungen des Volksstammes,
dem das Gepräge angehört, in unmittelbarem Zusammenhange steht.
Aber was für ein Baunj ist hier vorgestellt? Welche symbolische
Bedeutung liegt ihm zu Grunde? Diese Frage ist um so schwieriger zu
beantworten als bei dem kleinen Umfange des Bildes und der Unvoll-
kominenheit der Darstellung nicht einmal mit Sicherheit gesagt werden
kann, welcher Gattung und Art derselbe angehört.
Der Verfasser des Reic hei' sehen Catalogs glaubte in demselben
einen Palmbaum erkennen zu müssen -) ; aber wie sollten die Stempel-
schneider der Remi und Treveri dazu gekommen sein . die Palme auf
die Münze zu setzen ? Haben ihnen vielleicht die Gepräge anderer
Völker , namentlich die punischen Münzen , auf denen der Palmbaum
öfter wiederkehrt, zum Vorbilde gedient? Wir können immerhin zugeben,
dass die gallischen Münzmeister die Münzen anderer Länder, soweit
solche in ihrer Heimath durch den Handelsverkehr Eingang gefunden,
1) Bötticher a. a. 0. S. 171.
•2) Keichel'sche Münzsammlung. Frankreich. S. 5. N. 42.
110
nicht unbeachtet Hessen, ja sie mögen diese in mannigfacher Beziehung
sogar als Vorbilder gebraucht haben ; aber ich kann mich mit dem
Gedanken nicht befreunden, weder dass sie jene fremden Bilder blos
äusserlich und ohne nähere Bezugnahme auf deren tiefere Bedeutung
sollen nachgeahmt , noch dass sie von anderen Völkern , wenn sie sich
auch ihren mythologischen Anschauungen nicht gänzlich verschlossen,
solche Symbole sollten herübergenommen haben, die, wie beispielweise
der Palmbaum, ihrem heimathlichen Boden von Anfang an völlig fremd
gewesen sind und es auch nach den climatischen Verhältnissen des Landes
bleiben mussten.
Mehr Wahrscheinlichkeit hätte , wenn überhaupt eine der bisher
gegebenen Beschreibungen richtig sein sollte, die Annahme Lelewel's
für sich, dass hier eine Mistel vorgestellt sei^); denn diese galt
bekanntlich allenthalben, insbesondere aber bei den nordischen Völkern,
als eine heilige und heilbringende Pflanze. Namentlich kannte der
Druide nichts Heiligeres als die Mistel und die Eiche, darauf sie wuchs.
Ohne das Laub der Eiche oder der Staude , die vom Himmel auf sie
niedergefallen und den Baum erkoren zu haben schien, beging er keine
heilige Handlung. Wcissgekleidet stieg er auf den Baum, mit goldener
Sichel schnitt er den Zweig, in weissem Mantel fing er ihn auf. Gründe
genug, so scheint es wenigstens , die Mistel auf einer gallischen Münze
zu suchen , zumal wenn die sitzende menschliche Figur den Zweig in
der Hand hält und uns sonach, wie Lelewel annimmt, von selbst das
Bild eines Druiden nahe gelegt wird. Nichts destoweniger können wir
auch dieser Deutung nicht beitreten. Fürs Erste vermissen wir an
der Gestalt unserer Pflanze gerade dasjenige Merkmal, welches der
Mistel zukommt und, weil ihr zum Unterschiede von anderen Pflanzen
allein eigenthümlich, auch nothwendig ausgedrückt sein sollte, ich meine
hier die Zweitheilung der Zweige. Auf unserem Bilde nämlich lassen
sich deutlich unterscheiden, einmal der geradlinige Stamm oder Stengel
des Baumes oder der Pflanze, und dann die aus diesem Stamme paar-
weise herauswachsenden Zweige oder Blätter. Auf den mir bekannten
1) Lelewel) EludcB uuiuiBmatiqueB. pag. 359.
111
Exemplaren sind jedesmal vier solche Zweige vorgestellt ^), Ein
Unterschied besteht nur darin , dass erstens auf dem Exemplare Nr. 4
das untere Paar kleiner ist als das obere, während auf den übrigen
Exemplaren beide Paare gleiche Grösse haben, dann zweitens, dass auf
dem Exemplare Nr. 1 die zwei unteren, auf dem Exemplare Nr. 4 die
zwei oberen Zweige in Kugeln oder Beeren enden, während bei den
übrigen eine Eruclit nicht bemerkbar ist; alle stimmen jedoch darin
überein, dass die Zweige paarweise und zwar nach entgegengesetzten
Richtungen aus dem Stamme herauswachsen. Das ist aber nicht die
Gestalt, die wir an der Mistel wieder ßnden. Diese folgt, hievon völlig
abweichend, dem Gesetze einer fortgesetzten Zweitheilung der Zweige,
d. h. sie bildet , nach dem Gesetze einer Zwiesel , an der Spitze jedes
Triebes eine mittlere Endknospe und zwei Seitenknospen. Erstere —
die sich auf dem weiblichen Strauche zu einer Beere, auf dem männ-
lichen zu einem Blüthenbüschel gestaltet — setzt niemals den Trieb
fort; es sind jedesmal nur die zwei Seitenknospen, die selbst wieder
Triebe bilden, so dass die Zweitheilung der Zweige sich beständig
wiederholt. Wenn wir aber auch mit Rücksicht auf die rohe Arbeit,
die uns vorliegt, und auf die kleinen Dimensionen, in denen sie gegeben
ist, von der Gestalt der Pflanze und von der Erage, inwieweit sie richtig-
gezeichnet sein möge oder nicht, völlig Umgang nehmen : so hätte doch
die von Lelewel gegebene Erklärung nur in dem Ealle einige Wahr-
scheinlichkeit für sich, wenn erstens die sitzende menschliche Gestalt den
besagten Zweig in der That in der Hand halten würde, und zweitens
in ihr möglicherweise das Bild eines Druiden erkannt werden könnte,
dass jedoch weder das eine noch das andere der Eall sei, ist bereits
oben hervorgehoben worden.
Wir werden daher — da die bisher gegebenen Erklärungen nicht
stichhaltig sind, das vorliegende Bild aber mit seinem geradlinigen
Stamme und den rechts und links auslaufenden Zweigen die verschie-
densten Deutungen zulässt — wie wir das Gleiche schon Betreffs der
menschlichen Figur zu bekennen genöthigt waren , so auch bezüglich
1) Wenn auf dem Exemplare Nr. 1 nur zwei Zweige sichtbar sind, so liegt der Grund darin,
dass die Münze zu klein war um den Stempel vollständig aufzunehmen.
112
lies Zwi'iges oder r.aiiiues daniuf verziclitoii müssen, uus dessen Gestalt,
iliese für sich allein betraclitet, mit einiger iSiclieriieit einen Schluss auf
die Hedeutuitg' der menschlichen Figur zu ziehen.
Vii'Ueicht gelingt es uns, dieselbe aus der Verbindung beider Bilder
oder vielmehr aus dem Merkmale abzuleiten, dass der Baum oder Zweig
aus dem Leibe der menschlichen Figur herauswächst. Bevor wir jedoch
näher auf diese Figenthündichkeit eingehen, scheint es gerathen die
Aufmerksaiiikeit auf ein drittes Bild zu lenken, welches die Gruppe
erst zu einem vollständigen Ganzen abschliesst, von den bisherigen
Frklärern aber, unzweifelhaft weil ihnen nur mangelhafte Exemplare
vorlagen, unbeachtet geblieben ist. Es ist das die Schlange, welche
den unteren Tlieil des Gesammtbildes einnimmt. Nur Duchalais, der
bei seiner Beschreibung der Münzen überall sehr genau zu Werke ging,
hat darauf aufmerksam gemacht, dass hinter der menschlichen F^igur
noch ein undeutlicher Gegenstand sichtbar sei, einer Eichel nicht
imähnlich. Besser erhaltene Exemplare jedoch lassen deutlich eine
^chlange erkennen. Was Duchalais für eine Eichel gehalten, ist der
Kopf der Schlange.
m.
Wenn auf unserer Münze zugleich mit einem B?ume eine Schlange
vorgestellt ist , was liegt da näher als der Gedanke , dass diese beiden
Bilder in irgend welchem Bezüge zu einander stehen, zumal Schlange
und Baum auch anderwärts, in den einzelnen Sagen der Völker sowohl,
wie auf verschiedenen Denkmälern des Alterthums in mannigfache
Beziehung zu einander gebracht sind?
,,Wie im Bildercultus der Tempel, das Gottesbild, der Altar, der
heilige Weihequell, überhaupt die Cultusstätte, so ündet sich auch stets
der lieilige Baum durch eine Schlange bewacht und vor Entheiligung
behütet. Ja, die Sage bezeugt häufig, wie zugleich mit den Bäumen
deren Schlange als Wächter geboren ward. Gäa gebar den hespe-
lischen Baum und mit ihm zugleich entstand dessen ewig wachender
l)r-ache. Athene brachte den Oelbaum auf der Burg zu Athen hervor,
und zugleich setzte sie die Erichthoni^s - Schlange , den Sohn der
113
Gäa, als Hüter des Heiligthums ^)." Eine solche Schlange jedoch kann
hier nicht gemeint sein, denn als Hüterin und Beschützerin eines heiligen
Baumes ist sie auf den zahlreichen Bildwerken jedesmal so dargestellt,
dass sie sich um den Baum herumwindet, was bei unserer Darstellung
nicht der Fall ist.
Ausser dieser Hüterin eines Heiligthums ist es die Manenschlange,
welche auf mehreren Denkmälern mit einem Baume in Verbindung
gebracht wird. Man dachte sich nämlich die Seele eines Verstorbenen
in einen Baum aufgenommen, also seinen Leib in einen solchen umge-
wandelt , und so wurde auch die Schlange die Hüterin seiner Manen.
Dies macht eine beträchtliche Zahl von Bildwerken deutlich, welche
Todten-Erinnerungs- Mahlzeiten darstellen, wo die Manenschlange des
Ahnen, um den Familienbaum geschlungen, von den Speisenden geäzt
wird, denn bekanntlich rief man bei diesen Mahlzeiten die Manen der
Familie zum Symposion herbei^). Aber auch an die Manenschlange
können wir bei unserem Bilde nicht denken, denn abgesehen davon,
dass ein solcher Gegenstand auf einer Münze überhaupt nicht erwartet
werden kann, besteht das Charakteristische der vorliegenden Darstellung
nicht darin, dass die Schlange in unmittelbarer Verbindung, sondern
vielmehr, dass sie in einem gewissen Gegensatze zu dem Baume gedacht
und dargestellt ist; denn während der Baum seinen Platz unmittelbar
vor der sitzenden menschlichen Gestalt gefunden hat, ist der Schlange
der Raum hinter und unter derselben angewiesen , und während der
erstere sich vorwärts neigt, folgt letztere, sich rückwärts krümmend,
der entgegengesetzten Richtung.
Angesichts dieser Anordnung der Bilder scheint mir nun in hohem
Grade beachtenswerth , dass der Volksglaube allenthalben von einem
Gegensatze, ja von einer Feindschaft zu berichten weiss, die
zwischen der Schlange und verschiedenen Pflanzen , Gesträuchen und
Bäumen besteht.
Aus der Hasel wird, und zwar vorzugsweise die Wünschelruthe
genommen. Ein in der Neujahrsnacht geschnittener Haselzweig weist
1) Bötticher, der Baumcultus der Hellenen. S. 204.
2) Bötticher a. a. 0. S. 205.
Abb. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 15
114
am ersten Mai zur Glücksbliime. Dass in die Hasel kein Blitz einschlage,
ist fast allgemein verbreiteter Glaube , wesshalb man in der Oberpfalz
während eines Gewitters Haselnusszweige in die Fenster steckt. Mit
der Hasel kann man daher auch das Feuer beschwören. Namentlich
aber steht sie in einem Gegensatze zur Schlange. Dass durch die Hasel
die Schlangen vertrieben werden, wird mehrfach berichtet. In Schweden
herrscht der Glaube, dass die Berührung der Schlange mit einer Hasel
derselben das Gift nehme. In einem Märchen bei Panzer schlägt der
Held dem Drachen mit einer Haselgerte sieben Köpfe ab ^).
Derselbe Gegensatz besteht nach dem Glauben verschiedener selbst
weit von einander entlegener Völker zwischen der Schlange und dem
Farnkraut. Der Scholiast zu Theokrit berichtet, dass das Farnkraut,
dessen Blätter er mit der Straussenfeder vergleicht, um seiner Weichheit
willen von den Landleuten als Lagerstätte benutzt werde, dass es aber
zugleich , um seines Geruches willen , eine schlangenvertreibende Kraft
habe -). Hieran schliesst sich der thüringische Aberglaube , dass den
Otterkraut (so heisst das Farnkraut in Thüringen) bei sich Tragenden
die Schlangen so lange verfolgen, bis er es wegwerfe. Bei den Slowenen
sagt man , dass Schlaf, den befalle , welcher sich der Blüthe des Farn-
krautes nahe und dass Ungeheuer den vertreiben, der die Hand nach
ihr ausstrecke ^).
Aehnliches wird von der zauberwehrenden Kraft der Eberesche
oder des Vogelbeerbaumes gemeldet. Nicht nur ist es Glaube der Bauern
m Norwegen, dass die Blätter des Baume^ kranke Ziegen heilen, und
wird der Vogelbeerbaum auch in Jütland und Fühnen für heilig gehalten,
sondern nach dem Aberglauben der Esthen darf man eine gefällte Eber-
esche in seinem Hofe nicht aufrecht stellen, am allerwenigsten zum
Zaunpfahl benutzen, denn sonst verliert sie ihre Schlangen vertreibende
1) Die hieher gehörigen Belege aus Vernaleken Alpensagen, Leoprechting aus dem
Lechrain, Zingerle Tiroler Sitten, Schönwerth Sagen der Oberpfalz, Dybek Kuna, Panzer
Beiträge u. s. w. bei Kuhn, die Herabkunft des Feuers S. 228.
2) miQig ö't tid'og ilozuvr^g 6/^oiug 7n(()0} aT()ovrhoy.afA.rjXov, dcp t]g xai azißdätg inl x^Cytjg iyivovTo
xüv üyftoiy.iuy. öice n])' fu/Xay.6jr{TO.. xci &iä lö dnod iwxtiv rrj oafA.fi lovg ocptig. Schol. Theocr.
3, 14. Kuhn a. a. 0. S. 220.
3) Vernaleken Alpensagen S. 374. Nr. 46 bei Kuhn a. a. 0. S. 222.
115
Kraft, lockt sie vielmehr an ^). Eine besondere Zauberkraft aber hat
der Zweig der Eberesche , wenn er von einem solchen Baume stammt,
der auf anderen Bäumen gewachsen ist^). In Schweden wird einem
solchen Schössling — Flögronn genannt — noch jetzt eine wunderbare
Kraft zugeschrieben. Derjenige, wird behauptet, der bei Nacht draussen
ist und nicht Flögronn bei sich hat, um darauf zu kauen, mag sich
wohl vorsehen , dass er nicht bethört oder unvermögend werde , sich
von der Stelle zu rühren. Dasselbe gilt in Norwegen , wo dem Holze
eines solchen Baumes zaubervernichtende Kraft zugeschrieben wird ^).
Was hier von dem Flögronn gesagt worden, führt uns auf die
Mistel zurück und warum diese für besonders heilig gehalten wird.
Ihr werden heute noch bei den Kelten sowohl, wie bei den Germanen
all die Eigenschaften zugeschrieben, die an der Hasel, dem Farnkraut,
dem Vogelbeerbaum und anderen verwandten Pflanzen gerühmt werden.
Sie schützt gegen jegliches Gift und heilt alle Krankheiten. Nach Plinius*)
hatte sie hievon sogar ihren Namen : omnia sanantem appellantes
suo nomine. Diese Eigenschaft wurde ihr wegen ihrer Entstehung
zugelegt; man glaubte nämlich, dass Vögel ihren Samen auf Bäume,
namentlich Eichen , Eschen , Fichten tragen und sie so in der Rinde
derselben emporspriesst, dass also keine Menschenhand dabei im Spiele
sei, sondern offenbar göttliche Fügung. Auch dies war bereits die
Ansicht der Alten. Omnino autem satum nullo modo nascitur,
schreibt Plinius^), nee nisi per alvum avium redditum, maxime
palumbis ac turdis. Ja, die Gallier schreiben das Entstehen derselben
unmittelbar den Göttern zu, Plinius bemerkt ausdrücklich: enimvert)
quidquid adnascatur illis (den Steineichen) e coelo missum putant
signumque esse electae ab ipso deo arboris. Daher auch die
besonderen Gebräuche, die bei Gewinnung derselben beobachtet wurden
und noch werden.
Alles aber, was bisher von der Hasel, dem Farnkraut, der Eber-
1) Kreuzwald Aberglaube der Esthen. S. 141. Bei Kuhn a. a. 0. S. 203
2) Dybecks Runa bei Kuhn a. a. 0. S. 199.
3) Kuhn a. a. 0. S. 199.
4) Plin. Hist. Nat. XVI. 44.
5) Plin. loc. cit.
15*
116
esche und der Mistel, und von deren Verhältniss zur Schlange erwähnt
worden, wird auch, nur noch viel bestimmter, von der Esche ausgesagt.
Ihr wird vor Allem eine schlangen verderbende Kraft zugeschrieben. Es
herrscht die Meinung, wenn die Schlange mit einem eschenen Stabe
berülu't werde, bleibe sie todt liegen. Ein Jäger in Passau tödtete einst
eine Schlange durch einen leichten Schlag mit einem Eschenzweige,
worüber er sich wunderte und sagte: nun glaube ich, dass man eine
Schlange durch Berührung mit einem Eschenzweige tödten kann ^). Oken
theilt die Sage mit, dass Jemand eine grosse Schlange mit einem Eschen-
zweige berührt habe, worauf sich die Schlange sogleich zusammenrollte,
krümmte und die grösste Angst verrieth^). Macht man mit einem
Eschenzweige einen Kreis um eine Schlange, so bleibt sie ruhig in dem
Ki'eise liegen und man sei vor ihr gesichert. Dieselbe Kraft wird den
Blättern der Esche zugeschrieben. Am Ohio versehen sich die Jäger
mit den Blättern der Esche, um sich gegen die Schlangen zu sichern ^).
Der Eschen-Saft, im Frühlinge an den Loos- und Zieltagen abgezapft,
%\di'd von denen getrunken, die von Schlangen gestochen worden *), Ja
selbst der Schatten der Esche übt schon eine Gewalt über die Schlange.
In den Arcanitäten wider Zauberei 1715 wird berichtet: ,,die Antipathie
zwischen dem von Gott gesegneten Eschbaume und der den Menschen
sehr aufsetzigen Schlange ist so gross, dass eine Schlange eher in das
Feuer springen würde als in den Schatten eines Eschbaums" ^), und im
Froschmäusler II. 4. 4. heisst es :
Ich bin von den Alten gelart, ,
der Eschenbaum hab diese Arth,
dass keine Schlang unter ihm bleib,
der Schatten sie auch hinwegtreib,
ja die Schlang eher ins Feuer hinleufft,
ehe sie durch seinen Schatten sclileyfft. ^)
Wenn in der Nähe eines Hauses Eschenbäume stehen, deren Zweige
1) Panzer Beitr. z. deutsch. Mythol. I. 251.
2) Oken Naturgeschichte. B. VI. S. 377.
3) Friedreich, Symbolik und Mythologie der Natur. S. 286.
4) Rochholz bei Kuhn, Herabkunft des Feuers. S. 229.
5) Friedreich, Symbolik und Mythologie der Natur. S. 285. Anm. 5.
6) Friedreich a. a. 0. S. 286.
117
Schatten auf das Haus Averfen , sei dieses vor Schlangen sicher. Diese
der Esche inwohnende Kraft war auch den Griechen bekannt, denn
dass sich im Haine des Apollo Clarios weder Nattern noch andere giftige
Thiere aufhielten , schrieben sie dem Schatten der Eschen zu , wie aus
einem Fragmente des Nicander XX. ersichtlich, des Inhalts :
ovx e'xiQ ovSi (fäXayysg ansyi^ssg ovdi ßuxf-VTxXrj^
aXOsOiv SV ^(lioiq OxoQTiCoq iv Klaqioig'
C>oißog irrsi ^' avXwva ßad-vv fjbskiaiOi xakvipag
nohTjQOV öansdov drjxsv ixdg Saxs'rcov ^).
Auch Sutor bemerkt in seinem Chaos Latin. II. 881: ,,fraxinus
nihil venenati sub sua umbra patitur,"
Unter allen diesen Sagen ist unstreitig die zuletzt erwähnte, wie
die am weitesten verbreitete und am vollständigsten ausgebildete, so auch
die älteste und darum für uns die wichtigste. Denn was im Munde
des Volkes je nach dem Wechsel der Gegend oder nach den verschie-
denen Wahrnehmungen der Berichterstatter bald von der Gerte der
Hasel, bald von dem Gerüche des Farnkrautes, dann wieder von der
zaubervernichtenden und heilbringenden Kraft des Vogelbeerbaums und
der Mistel gegenüber der verderbenbringenden Schlange ausgesagt wird,
ist dem Grundgedanken nach offenbar nur eine verschiedene Ausdrucks-
weise dessen , was anderwärts von der Esche und zwar von ihren
Zweigen und Blättern nicht minder wie von ihrem Safte und ihrem
Schatten gilt ; dieses selbst aber ist hinwieder nur der Nachklang einer
noch älteren, ja bis in die frühesten Zeiten zurückgehenden Anschauungs-
weise. Wie nämlich die Eingangs erwähnten Sagen von dem dereinstigen
Wiedergrünen des dürren Birnbaums auf der Walserhaide oder des
kalten Baumes bei Vohenstrauss u. s. w, nur Erinnerungen sind an die
nordische Weltesche Yggdrasil], welche nach dem Weltbrande der Götter-
dämmerung wiedei- aufs neue grünen und blühen wird : ebenso mahnen
uns jene Legenden von der Feindschaft zwischen der Schlange und der
Esche, wenigstens insoweit sie sich bei den nordischen Völkern ausge-
bildet haben, unwillkührlich an Nidhöggr, jene neidische Schlange,
welche die Esche Yggdrasill, — diesen besten und grössten aller
1) Kuhn, Herabkunft des Feuers. S. 229.
118
Räume , diesen allnährenden Weltbanm , dessen Aeste durch die ganze
Welt treiben und weit über die Erde hinausreiciien — in den Wurzeln
bedroht und /u beschädigen sucht.
Dieses zugegeben, ist auch der Gesichtskreis, innerhalb dessen wir
eine Erklärung unseres Münztypus zu suchen haben, bereits in Etwas
näher abgegränzt. Es steht wenigstens so viel fest, dass es sich bei
der Deutung der sitzenden Figur, aus deren Leib ein Zweig oder Baum
herauswächst, wenn wir auch hiebei nicht an die Esche selbst denken
wollten , doch jedenfalls um einen solchen Zweig oder Baum handelt,
dc'ssen symbolische Bedeutung erst durch seinen Bezug zur Schlange in
das rechte Licht gestellt wird.
IV.
Kehren wir nunmehr, nachdem wir der Reihe nach die einzelnen
lUlder näher betrachtet, zu der menschlichen Gestalt als dem Hauptbilde
zurück, dem der Baum und die Schlange offenbar nur untergeordnet
sind : was sollte durch das Bild einer sitzenden menschlichen Eigur,
aus deren Leib ein Baum mit seinen ringsum sich ausbreitenden Zweigen
und Aesten herauswächst, vorgestellt werden, wenn nicht ein Stamm-
baum, wie er uns auf so vielen relativ jüngeren Monumenten begegnet,
auf denen der Urahn dargestellt ist, sitzend oder liegend, und aus ihm
sprosst ein Baum hervor, sich verzweigend und ausbreitend mit den
Früchten der Sippschaft nach herkömmlicher Ordnung der Ascendenz
und Descendenz? ein Stammbaum jedoch, der nicht in der historischen
Zeit, sondern, wie ich bereits im ersten Abschnitte nachgewiesen zu
haben glaube, in dem Grunde der Götter- und Heroengeschichte wurzelt.
Es ist eine derartige bildliche Darstellung der Anschauungsweise
des Alterthums nicht so fremd als es , den zumeist modernen Bildern
von Stammbäumen gegenüber, auf den ersten Anblick scheinen möchte ;
der Glaube, dass der Baum der Stammbaum der Menschen sei, scheint
vielmehr den alten Völkern sehr geläufig gewesen zu sein.
Schon Jeieraias spottet der Götzendiener, die zum Baume sagen,
du bist mein Vater, und zum Steine, du hast mich erzeugt; ,,dicentes
ligno: Pater mens es tu; et lapidi: Tu me genuisti" ^). Hiemit
1) Prophetia Jeremiae, Cap. 2. V. 27.
119
stimmt wortwörtlich die Frage überein, welche bei Homer Penelope an
ihren Gast stellt, ob er von der Eiche stamme oder vom Felsen:
Ol' yccQ arrd ^qvoc iool TtaXaig^chov, ovS' dno Tre'TQrjg,
dXX dvöqwv yävoi; sOOi^).
Die Vorstellung der Abstammung der Menschen von Bäumen scheint
auch in Italien volksthümlich gewesen zu sein, da Virgil schreibt:
Haec nemora indigenae Fauni Nymphaeque tenebant
Gensque virum truncis et duro robore nata ^).
und in üebereinstimmung hiemit Juvenal:
Quippe aliter tunc orbe novo coeloque recenti
Vivebant homines, qui rupto robore nati
Compositive luto nuUos habuere parentes *).
Hiemit hängt auch die Sage zusammen, wonach Petrus, als er mit
Christus in das damals noch menschenleere Böhmen kam, letzteren bat,
er möchte doch in diesem Lande Menschen schaffen , worauf Christus
zu einem Baumstocke sagte : ,, werde ein Mensch", und sogleich sich ein
Stock regte und Mensch wurde *).
Was hier vom Baume im Allgemeinen gesagt ist, wird anderwärts
an bestimmte Bäume geknüpft. Nach der persischen Mythe sind Meschia
und Meschiane aus dem Raibabaume hervorgegangen ; während hinwieder
in den Kenningar der Mann Weide, Mispel, Wald, Säule, Esche, Platane,
Stab, Dorn; das Weib Wald, Pfeiler, Säule, Birke, Eiche, Linde heisst,
und bei Resenius unter dem Worte Kappar heiti versichert wird, dass
man den Mann mit allen männlichen Baumnamen bezeichnen könne, z. B.
Schwertweide, WafFenwald, Heersäule, Fruchtstab u. s. w. ^). Am
•bestimmtesten und ausführlichsten aber spricht sich hierüber die nor-
dische Mythologie aus. Als Bors Söhne, heisst es in der jüngeren
Edda (9), am Seestrande gingen, fanden sie zwei Bäume. Sie nahmen
die Bäume und schufen Menschen daraus. Der erste gab Geist
und Leben , der andere Verstand und Bewegung , der dritte Antlitz,
Sprache, Gehör und Gesicht. Sie gaben auch Kleider und Namen.
1) Hom. Od. XIX. 162.
2) Virg. Aen. Vin. 314.
3) Juvenal. Sat. VI. 11.
4) Wolf, Zeitschrift f. d. Myth, 2 B. S. 157.
5) Mone, Gesch. d. Heidenthums im nördl. Europa. B. I. S 349. Anm. 101.
120
Den Mann nannten sie Ask (Esche) und die Frau Embla, und
von ihnen kommt das Menschengeschlecht, welchem Midgard zur Woh-
nung verliehen ward. Die ältere Edda lässt zwar den Menschen nicht
von den drei Söhnen Bors, sondern von einer anderen Trilogie der
Götter: Odin, Hönir und Lodur erschaffen, aber auch nach ihr stammt
der Mann von der Esche :
Gingen da dreie Aus dieser Versammlung,
Mächtige, milde Äsen zumal,
Fanden am Ufer Unmächtig
Ask und Embla Und ohne Bestimmung.
Besassen nicht Seele, Hatten nicht Sinn,
Nicht Blut noch Bewegung, Noch blühende Farbe.
Seele gab Odin, Hönir gab Sinn,
Blut gab Lodur Und blühende Farbe ^).
Dieselbe Sage kennt Hesiod, wenn er das dritte Menschengeschlecht
aus der Esche, ix [nehav, entsprossen lässt:
Wieder erschul" ein drittes Geschlecht viellautiger Menschen
Zeus der Vater aus Erz, ungleich dem silbernen völlig,
Eschen entsprosst^).
Nur wenig hievon abweichend lässt die peloponnesische Sage den
Phoroneus, der, ein anderer Prometheus, den Menschen das Feuer
gegeben-^), von Inachos abstammen und von der Melia d. i. der Esche*).
Auch den Römern war die Sage der Abstanmmng des Menschengeschlechts
von der Esche bekannt. Statius (III. Theb.) schreibt:
Populos umhrosa creavit
Fraxinus, et faeta viridis puer excidit orno.
Wie lebendig endlich die Erinnerung hievon dem deutschen Volke
geblieben, zeigt der noch heute bestehende Kinderglaube, der die Kleinen
bald aus dem Brunnen , bald aus dem Baume , und zwar in Tyrol aus
dem hohlen Eschenbaume stammen lässt, wie auch die Sprache in
,, Stamm" und ,, Stammbaum" diese Vorstellung bis jetzt bewahrt hat.
1) Wöluspa 17 und 18.
2) Hesiod. Op., V. 147.
3) Ov yuQ rot öfio^oyovai 6'ovvai nvQ UqofzriS-ia civS-qmiioK;. kA/I« tV 'poQUf^c tov nvQog finccytiv
ilki'Aovai Tr,v tvQtaty. Pausaii. Corinth. Cap. 10, 4.
4) Vgl. Kuhn, Herahkunft des Feuers. S. 28.
121
Hiemit werden wir wieder zu dem bereits oben erwähnten Welt-
baume geführt , zu der Esche Yggdrasill , die ihre Aeste gegen den
Himmel ausbreitet und ihre Wurzeln tief in die Erde versenkt, eine
Anschauung, die nicht dem Norden allein angehört, sondern gleichfalls
ein Gemeingut verschiedener Völker gewesen ; denn die Indier ver-
gleichen das unvergängliche Wesen dem Baume Aswatha, dessen Wurzel
in der Höhe ist, die Aeste aber sind niedrig ; seine Zweige, deren kleinste
Sprossen die Objecte der Sinnorgane sind, verbreiten sich theils auf-
wärts, theils abwärts ; an den Wurzeln, welche sich abwärts in die von
Menschen bewohnten Regionen verbreiten, kann man weder seine Form,
noch seinen Anfang, noch sein Ende finden ^). Auch bei den Römern
begegnen wir derselben Vorstellung, wenn wir die bereits von Grimm^)
angezogene Stelle Virgils, Georg. 2, 29, über den dem Jupiter heiligen
aesculus (eine Eichenart) vergleichen :
Aesculus in primis, quae quantum vortice ad auras
Aetherias, tantum radice in Tartara tendit,
wonach Plinius 16,31 bemerkt: si Virgilio credimus esculus
quantum corpore eminet tantum radice descendit.
Vielleicht findet in dieser mythischen Vorstellung von dem Welt-
baume auch die von Clemens Alexandrinus aufbewahrte und bisher sehr
verschieden ausgelegte Stelle des Pherekydes ihre Deutung , wenn
dieser, von der Weltschöpfung redend, und von einem Baume und einem
grossen , schönen und bunten Mantel darüber , sich in nachstehender
Weise ausdrückt:
Zdq TTOisT (fdqog fieya zs xai xaXov, xal iv avzo) noixCXXsi yfjv xal oyriyov xal
TU oyriyov dw^iara — ti iötiv ij vnontsqoc dqvq, xal td sti' avrfj nsnoixtliiävov
(fidqog, navTa oOa 0€Qfxv6rjg dXXrjyoQriOag s^soXoyrjGsv^).
An diese Lehre nun, von der Abstammung der Menschen von
Bäumen, knüpft meines Dafürhaltens unser Münztypus an. Wie nämlich
einzelne der oben erwähnten griechischen Städte und Völker das Bild
des Aiax oder Achilles oder Kephalos oder Taras u. s. w. auf ihre
Münzen setzten , weil sie in diesen die Gründer ihrer Mauern oder die
1) Creuzer, Symbol, und Mythol. Bd. 1. S. 445.
2) Grimm, deutsche Mythol. S. 758.
3) Clem. Alex. Strom. Lib. VI.
Abh.d. I. Cl. d.k.Ak.d.Wiss.X.Bd.I.Abth. 16
122
Helden ihres ganzen Stammes verelirten: in ähnlicher Weise wollten
auch die Münzmeister, welche die vorliegenden Stempel schlagen Hessen,
durch das Bild eines Stammbaumes unzweifelhaft an die Ahnen erinnern,
von denen der Fürst oder das Volk, in deren Namen sie handelten, ihr
Geschlecht ableiteten. Diese Ahnen aber werden bis zu den Halbgöttern,
ja mittelbar selbst bis zu den Göttern hinaufgeführt, denn die Schlange
gegenüber dem Baume lässt uns — da man nach den eben erwähnten
Mittheilungen so viel von der Feindschaft zu erzählen wusste , die
zwischen der Schlange und der Esche besteht — kaum verkennen, dass
der Baum, der hier als Stammbaum erscheint, kein anderer sei als die
Esche. Die Esche aber erinnert hinwieder nicht nur an denjenigen
Baum, dem die Götter selbst Seele und Sinn gegeben, Blut und Bewe-
gung, sonach an Askr, den ersten Menschen, sondern auch an den
Weltbaum, den heiligsten aller Bäume, an die Esche Yggdrasill und mit
ihr zugleich an die Schlange Nidhöggr, die unten bei Hvergelmir liegt
und an den Wurzeln des Baumes nagt. Die Erinnerung an die letzt-
genannte Lehre tritt uns in dem vorliegenden Bilde sogar mit einer
gewissen Ausführlichkeit entgegen, nur ist bereits zu dem Baume, um
ihn näher als Stammbamn zu kennzeichnen, die menschliche Gestalt
hinzugetreten, und sucht darum die Schlange statt der Wurzel des
Baumes die Ferse des Menschen zu verwunden. Dies wird deutlich
durch die künstlerische Anordnung der einzelnen Gestalten ausgedrückt.
Die sitzende menschliche Gestalt nämlich macht mit beiden Armen eine
heftige Bewegung als wäre sie von Schrecken ergriffen ; dieser Schrecken
aber scheint von einem Schmerze herzurühren, von dem die Gestalt
plötzlich überrascht wurde, denn sie zieht wie krampfhaft die beiden
Beine in die Höhe. Es ist jedoch nicht etwa das Hervorsprossen des
Baumes aus ihrem Leibe, was diese krampfhafte Zuckung veranlasst,
denn in diesem Falle würde ihre Bewegung sich unwillkührlich nach
dieser Seite hin richten. Der Kopf ist rückwärts , die linke Hand mit
ausgestreckten Fingern nach unten gewendet. Der Schmerz muss dem-
nach von dieser Stelle kommen. Er ist durch die Schlange verursacht,
die wir an dem unteren Theile des Bildes bemerken. Diese hat ihren
Platz unmittelbar unter den Füssen der sitzenden Gestalt eingenommen.
Sie wendet sich in ringelnder Bewegung seitwärts als wolle sie sich
123
entfernen, dreht aber zu gleicher Zeit ihren Kopf zurück. Dieser ist
genau gegen die Ferse gerichtet. Sie scheint die sitzende Gestalt so
eben rücklings in die Ferse gestochen zu haben.
V.
"Welchen Namen wir schliesslich dieser menschlichen Gestalt, die
von der Schlange in die Ferse gestochen wird, geben sollen, d. h. von
welchem Halbgotte diejenigen, welche die vorliegende Münze schlagen
Hessen , ihr Geschlecht ableiteten , wird sich — zumal die Umrisse der
Zeichnung so roh sind, dass sie uns sogar darüber in Zweifel lassen,
ob wir an einen Stammvater oder eine Stammmutter zu denken haben
— mit völliger Sicherheit schwer bestimmen lassen. Einigen Anhalts-
punkt jedoch finden wir in dem Bilde der Vorderseite, da dieses
mit der Rückseite in der Regel in Zusammenhang steht.
Die Vorderseite hat ein springendes Pferd und mehrere
Kugeln zum Gepräge. Es ist das ein Typus, der auf gallischen Münzen
oft wiederkehrt. Dass demselben eine symbolische Bedeutung zu Grunde
liege, wird Niemand in Zweifel ziehen. Ich habe nun bereits an einem
anderen Orte, zunächst veranlasst durch die drei Kugeln oder Ringe,
die wir auf so vielen gallischen Münzen selbst der verschiedensten Zeiten
und der entlegensten Gegenden mit dem Pferde in Verbindung gebracht
finden , ausführlich nachzuweisen gesucht , dass wir in den Kugeln ein
Sinnbild der Gestirne und in dem Pferde das Sonnenross zu erkennen
haben ^), Diese Erklärung erhält durch die vorliegenden Gepräge eine
auffallende Bestätigung. Der Kopf des Pferdes ist aus zwei grossen
Kugeln gebildet. Der Hals erscheint in der Gestalt des Halbmondes.
Die Mähne des Rosses, welche bei den Kelten wie bei den Germanen
als Sinnbild des Lichtes und seiner Strahlen betrachtet wurde , hat
gleichfalls deutlich die Form von Kugeln angenommen. Selbst die drei
Kugeln, denen wir so oft, auf den ältesten keltischen Münzen von einem
Bogen überspannt, auf den jüngeren gallischen Geprägen in Verbindung
mit dem Pferde, begegnen, kehren hier wieder. Sie sind, und zwar,
was ich besonders betonen möchte, grösser wie die anderen und in
1) lieber die s. g. Regenbogenschüsselchen. II. Abth, S. 37 — 54.
16*
124
derselben Ordnung wie auf den sogenannten Regenbogen - Scliüsselchen
und auf den jüngeren gallischen Münzen, nämlich zu 2 und 1, d. i. in
der Form eines Dreieckes im Felde der Münze über dem Rücken des
Pferdes angebracht^). Kurz Alles weist auf Sinnbilder des Lichtes hin.
Im Zusammenhange nun mit diesen Bildern der Vorderseite glaube
ich, dass wir auch in dem auf der Rückseite dargestellten Halbgotte
einen jener starken Helden des Lichtes zu erkennen haben, die wegen
ihres mächtigen Ringens imd siegreichen Kämpfeus gegen das Reich der
Finsterniss als Retter und Befreier besungen und verehrt wurden. Ich
denke hiebei an Hercules, nicht weil der Baum , der ihm aus dem
Leibe wächst, etwa an die Keule von wildem Oelbaumholze erinnern
könnte, welche frische Wurzeln schlug und wieder aufblühte als sie
Hercules vor der Bildsäule des 'Eg/.ifjg noXvyiog in Trözene aufstellte ^),
sondern einmal wegen der Schlange, diesem Sinnbilde des Neides und
der Finsterniss, die ihm hinterlistig nachstellt, und dann weil Hercules
von den Kelten sowohl wie von den Germanen in der That besonders
verehrt wurde; von den Kelten, denn diese betrachteten ihn als ihren
Stammvater; die einen sagten: er habe mit Celtine den Celtus, andere:
er habe mit Asterope, der Tochter des Atlas, zwei Söhne, den Iber und
Celtus ^), Diodor von Sicilien : er habe mit einer (nicht genannten) Königs-
tochter von seltener Grösse und Schönheit, als er Alesia gründete, den
Galates erzeugt *) ; von den Germanen, denn von diesen bezeugt Tacitus
ausdrücklich, dass ihr Schlachtgesang vor Allem dem Hercules gegolten^),
1) Auf dem Exemplare Nr. 3 scheint die Anordnung dieser symbolischen Zeichen von der
der übrigen Stempel verschieden zu sein, namentlich vermissen wir die drei so charakteristischen
Kugeln über dem Rücken des Pferdes; allein diese Abweichung ist nur eine scheinbare. Bei
genauerer Prüfung unterscheiden wir auch hier 1) die Kugeln, aus welchen die Mähne des Pferdes
gebildet ist, 2) die Kugeln, die über dem Rücken des Pferdes angebracht sind. Von den ersteren
ei-scheinen statt fünf nur drei, von letzteren statt drei nur eine, aber einzig aus dem Grunde,
weil die Münze nicht gross genug war, um den Stempel vollständig aufzunehmen. Es ist beim
.\u8prägen der obere Theil nicht zum Vorschein gekommen.
2) Kai EQfitji ivTtcvif-ii iari, JloXvyiog xcc^ov/xfi'og. Ilpog loviio ilyak/uaii rö qotik'/.oi' H-tii'ui (puaiv
Hquy.kiic xai {i^y yuQ xoxwov) Tovzo fiiy (ot(i> niard) ti'i(pv irj y^ y.al afißkaarrjCtf «t)'9tf, xai i'ariv
ö xonyog nitpvxojs in. Pausan. Corinth. Cap. 31.
3) Vgl. Creuzer Symbolik. B. II. S. 239. Anm. 298.
4) Diodor. Sicul. Lib. V. Cap. 25.
5J Fuisse apud eos et Herculem memorant, primumque oninium virorum fortiutn itu/ri in proelia
canunt. Tacit. Germ. Cap. 8,
' 125
und dass sie ihm wie den höclisten Göttern geopfert ^). Wenn ich hier,
obgleich wir eine gallische Münze vor uns haben, dennoch neben den
Kelten zugleich der Germanen gedenke , so geschieht dies darum', weil
wir die Heimath dieser Gepräge zur Zeit noch nicht näher zu bestimmen
vermögen, sondern von denselben nur wissen, dass sie zwischen Rheims
und Trier gefunden zu werden pflegen , die Remi aber zu den Beigen
gehörten , von denen Cäsar erfahren hat , dass sie zumeist von den
Germanen abstammen'^), und die Treveri sogar einen Stolz darein setzten,
germanischer Abkunft zu sein '^). Durch letztere Bemerkung wird es
auch gerechtfertiget erscheinen, wenn ich bei der vorstehenden Unter-
suchung, mehr als vielleicht billig scheinen mochte, auf die nordische
Mythologie Bezug genommen habe.
1) Herculem ac Martern concessis animalibus placant. Tacit. Germ. Cap. 9
2) Plerosque Beigas esse ortos ab Germanis.
3) Treveri et Nervii circa affectationem Germanicae originis idtro ambitiosi sunt, tanquani per
hanc gloriam sanguinis a similitudine et inertia Gallorum separentur. Tacit
Aus den
Herculanischen Rollen.
Philodemus
HEPI
Er2EBEIA2
von
Leonhard Spengel.
Vorgetragen in der Sitzung der philos.-philol. Classe vom 6. Junius 1863.
Die ersten vierzig Kupfertafeln des zweiten Bandes der Hercula-
nensium Voluminum collectio altera 1862 enthalten die Schrift wiAO-
JHMOY IIEPI EY2EBEIA2. Man wird von einer moralischen Abhand-
lung dieser Art aus der Feder des Philodemus nicht viel erwarten, aber
die Theologie der Epikureer, welche nicht wie die Atheisten die Götter
aufheben, vielmehr sie so hoch stellen, dass sie sich um die o'C^vqoI
äv^QcoTtoi, nicht im mindesten bekümmern — nam si curent, bene bonis
sit , male malis , quod nunc abest — ist so eigenthümlich , dass eine
solche Schrift immer einige Belehrung geben könnte.
Tafel 1 gibt obigen Titel, zwar sehr verwischt, aber noch sicher
erkennbar,
,, 2 — 7 enthalten 24 Fragmente, überall nur die letzten Zeilen
einer Columne.
,, 8 — 22 15 Columnen, die ersten 3 grösstentheils verstümmelt,
auch die 4. vielfach verletzt, die übrigen aber fast vollständig
erhalten zu je 33 — 5 Zeilen, die letzte mit 23 Zeilen lässt
den Rest des Blattes rein, da damit ein grösserer Abschluss
der Untersuchung stattfindet, wie es sonst bei dem Schlüsse
eines Buches gewöhnlich ist.
,, 23 — 31 9 mehr oder minder verstümmelte Columnen, wenigstens
der Länge, wenn auch nicht der Breite nach erhalten, während
,, 32 — 36 10 Fragmente aus dem unteren Theile bieten.
,, 37 — 39 3 Columnen in ihrer Länge, aber am Rande beschädigt.
,, 40 2 Fragmente aus dem Anfange zweier Columnen.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 1 7
130
In den ersten 24 Fragmenten liest man noch mehrere Namen von
Autoren , über ^velche und aus welchen manches angegeben war , wie
3 naQct (DikoxoQioi , 4 3,«/<7'ag, 10 IJvO^ayoQov , 12 nccQ(.isv£i^rjg, lü JrjfxöxQirog,
22 naq' '.-igtüioieXfi 6' fi' twi TQi'rm 7Ti()i (fiXoOo(fiaq. Um SO begieriger greift
man nach den Columuen selbst; davon geben die ersten 3 Hliitter nicht
den mindesten Aufschluss; sie sind zu verstümmelt, aber wie betroffen
wird der deutsche Philolog, wenn er in den nächsten 12 Columnen
nichts anderes vor sich sieht, als was sich bei uns schon längst unter
dem Namen Pliaedrus de natura deormn eingebürgert hat?
Die Engländer W. Drummond und Hob. Walpole haben diesen Theil,
London 1810, in dem Buche Herculanensia , or Archeological and phi-
lological dissertations , containing a manuscript found among the Kuins
of Herculanum p, 144 — 56 als von einem unbekannten Autor unter dem
Titel neQi T(3v x^scov herausgegeben. 1833 aber erschien in Hamburg eine
neue Bearbeitung dieses Stückes mit dem Titel : Phaedri Epicurei, vulgo
anonymi Herculanensis de natura deorum fragmentum instauratum et
ülustratum a Christiaöo Petersen. Cicero benutzt in der gleichnamigen
Schrift unsere Quelle, und da 1, 33 unter denen, welche über Theo-
logie geschrieben haben, Epicurus, Metrodorus, Hermarchus, Leontium,
Zeno und Pliaedrus genannt werden, glaubte Petersen in dem letzt-
irenannten Phaedrus um so mehr den Verfasser unserer Columnen zu
erkennen, als Murr bereits schon 180G aus Neapel die Nachricht ver-
breitet hatte: andere Rollen enthalten eines Ungenannten
Abhandlung über den Zorn; (pAIJPOr HEPI (DY2Eii2 0ESiN,
er war ein Freund des Cicero, welcher vieles daraus in
seinen Büchern de natura deorum übersetzte. Dieseund
eine logische 'Schrift Philodems liegen zum Drucke bereit.
Die Engländer haben aber nach dem Abdrucke des noch erhaltenen
Textes p. 157 — 68 mitgetheilt: The precedent fragment as read and
supplied by the Academicians of Portici, und so schien es eine ebenso
sichere als naheliegende Vermuthung, das entdeckte Manuscript auf eben
jenen Phaedrus zu beziehen.
Wir werden jetzt ganz anders darüber belehrt ; Cicero hatte unsern
Autor vor Augen, aber seine Quelle nicht genannt. Die gelehrten Ita-
liener haben das Unrichtige dieser Hypothese längst erkannt, und schon
131
1835 konnte man im Bulletino archeolog. p. 46 nachstehende auch jetzt
noch für unsere 40 Tafeln interessante Erklärung lesen : Fra breve
possiamo sperare di vedere compiuta del sig. (Quaranta l'edizione di un'
opera JIEPI EY2EBEIA2 di un filosofo epicureo Filodemo, nella quäle si
trovano esposte le massime le piü importanti dell' Epicuro intorno i
dei principalmeute ed il loro culto, e dove si trovano non poche dilu-
cidazioni della mitologia antica. Ältri ^) hanno voluto pretendere che
Vautore si chiami Fedro (non restono che le sole iniziali del nome) e
che il titulo deW opera sia iiEPI (DY2E£iI GESiN, ma questa pretensione
pare senza fondamento , secondo che dicono i sigg. Quaranta ed Avellino.
II papiro trovandosi ora in frammenti distarcati e stato difficile assai
l'ordinarlo con sicurezza; meno difficile perö e stata l'ordinazione della
prima parte dell' opera, la quäle contiene 39 diverse colonne conser-
vate abbastanza per giudicare del loro contenuto. Die Bearbeitung des
Quaranta ist nicht erschienen , aber diese wichtige Notiz hatte der viel
belesene Osann 1839 nicht versäumt-) seinen Landsleuten mitzutheilen ;
sie wurde indessen von niemandem beachtet, und das Fragment cursirt
noch immer unter Phaedrus Namen ttsqI (pvGewg &swv. Es ist dieses ein
recht einleuchtendes Beispiel, wie wir Deutsche mit unserm philologischen
Handwerk, wenn es nicht strenge mathematisch geübt wird und der
Unterschied von fixdg und Ttxfxriqwv , von Sö'^a und imOTrjfxr] stets vor
Augen schwebt, so leicht auf Abwege gerathen und der Nachwelt nur
die undankbare Mühe hinterlassen, das Verfehlte wieder gut zu machen.
Dieser Irrthum mindert indessen Petersens Verdienst" da nicht, wo er
das Richtige zuerst gefunden und nachgewiesen hat.
Wir haben demnach ein Facsimile unserer Schrift vor uns, was um
so höher zu achten ist, weil die englische Ausgabe den Text nur in
gewöhnlichen Cursivbuchsaben mittheilt und die Zahl der fehlenden
Buchstaben sich nicht sicher bestimmen lässt. Auffallend finden wir
1) T'nter altri ist vielleicht Petersen gemeint, Avenn anders dessen Ausgabe damals in Neapel
bekannt war; aber Murrs Angabe beweist, dass schon andere vor Petersen auf die Ver-
muthung gefallen sind, in unsern Fragmenten Phaedrus Buch niQi q)vasw? &tC}v zu erkennen,
sonst konnte nicht gesagt werden, dass Cicero in seinen Büchern de natura deorum vieles
daraus übersetzt habe.
2) Beiträge zur gr. u. röm. Litteraturgeschichte. 2, Bd. S. 116,
17*
132
auch hier denselben Unterschied des englischen und neapolitanischen
Apographuni , welchen ich schon früher in den andern Werken nach-
goNviesen habe;^) jenes ist vollständiger und hat noch manche Buch-
staben , ja oft ganze Wörter erhalten , welche in diesem fehlen ; beide
sind also von einander unabhängig und berichtigen sich oft gegenseitig.
Kin recht anschauliches Beispiel ist col. II, 3 :
Anol. Neapol.
xM ir^v ttvr)]v sirai KAI THN AYTHN EIN.I
xtti fvioi.uai' xca Jf K.. EYNOMIAN KAI JI
xi]V ai onovoiav xa K.N.AI OMONOIAN
iQt]vtp' xai Ä(p^o6i I..NHN KAI A^POJ.
TJj»' xai T . . KAI
Es ist nach ofidvoiav keine Lücke angedeutet und man sollte kaum
erlauben, dass noch Raum für die Buchstaben KAIE vorhanden sei, aber
ebenso gewiss ist, dass wenn in der vorletzten Zeile des Originals nichts
zu lesen war, als was der Abdruck jetzt zeigt, niemand in jener Zeit
t^Tjvjjv ex ingenio ergänzte ; die Engländer haben es also noch vorgefun-
den, die Italiener hatten den papyrus nicht mehr -so vollständig; anders
vermag ich solche Abweichungen nicht zu erklären. Dagegen war auch
manches unrichtig abgeschrieben, was jetzt erst in seiner wahren Gestalt
auftritt, wie II, 28 'Fsav Si vrjv yrjV , Ji'a Sh rdv al^iga, rovg Si i6v AnoXlo),
xai tr]v JrjfirjTQa yrjv r] x6 sv avrn yovevfxa. Das letzte ist kein griechisches
Wort, unsere Tafel gibt deutlich AYTHI niSlEYMA. IV, 5 xäv rui nfQ\X]
dqazwv, aber unser Apographum hat KAN.Sil.EPl.APITSiN, also Xaqitwv,
wie der Zusammenhang lehrt, ein Buch des Chrjsippus.
Unsere Tafeln sollen , da sie die Form der Buchstaben , sowie den
Kaum grösserer und kleinerer Lücken getreu darzustellen haben , ein
anschauliches Bild des Originals geben. Sucht nun jemand nach diesem
Facsimile die Columnen, wie es Sache und Sprache fordern, so weit es
möglich ist, zu vervollständigen und wendet sich dann zur Einsicht des
englischen Apographum, so wird er die Verschiedenheit, aber auch dessen
Werth erst recht würdigen. Mag er sich freuen manche seiner Berich-
tigungen dort bestätigt zu sehen, er wird entgegen Stellen genug finden,
I; rhilologus XIX, 143. Supplementband II, 499 — 500.
welche er falsch gedeutet, oder weil sem Abdruck zu wenig erhalten
hat, überhaupt zu deuten unterlassen hat , während jenes Apographum
noch Wörter oder Buchstaben gibt , Avelche über Gedanken und Form
keinen Zweifel lassen und die richtige Herstellung allein ermöglichen.
Es ist auch in dieser Schrift fast dasselbe Verhältniss, wie es früher
bereits von dem Werke ttsqI dQyijg nachgewiesen worden, und an ent-
schiedenen Fehlern des Zeichners fehlt es gleichfalls nicht, wenn sie
auch keineswegs so zahlreich wie dort sind, z. B, V, 4 KA 0 . . statt
xal ^edv, und 6 ANTJ2 für avrdg, V, 22 KA TON xal rov, VII, 25 K0I2NH
xoivr], 38 Oliri ol'ovg, XI, 28 AJIKA2 dSixiag, 29 JEJnKiil 6f6oixoig.
Selbst das Spatium ist nicht überall strenge eingehalten ; man kann an
der einen oder andern Stelle nachweisen, dass die Lücke um einen
Buchstaben zu gross oder zu klein ist; aber dessenungeachtet muss
dieser Text die Grundlage jeder künftigen Bearbeitung bilden , und
Petersen mag nicht ohne Befremden gewahren, wie so viele seiner Ver-
muthungen schon durch den Anblick dieses Facsimiles sich als unmög-
lich erweisen* So leicht es ist dieses zu erkennen , so schwer hält es
oft, das Richtige an dessen Stelle zu setzen. Es zeigt von wenig Ein-
sicht, Alles ergänzen zu wollen und durch Einsetzung falscher Gedanken
andere nur zu verwirren und zu hindern, das Richtige zu finden. Ich
will, da diese Fragmente des Cicero wegen eine besondere Bedeutung
haben. Einiges versuchen und Andern dadurch Besseres zu leisten Gele-
genheit geben.
Die Ergänzung stammt nach obiger x4ngabe von den neapolitanischen
Gelehrten (Itali)^) und stützt sich allein auf das Apographum der Eng-
länder, unseres ist ihnen ganz unbekannt; vieles ist nicht ohne Geist
und Kenntniss der Sache , um so schwächer ist die sprachliche Seite ;
ein Anderer würde den Muth nicht haben, ganze Zeilen von Lücken,
wie col. I (IV Neap.) ist, mit griechischen Buchstaben und Wörtern zu
füllen ; Petersen hat manches gebessert , einiges aber , was die Itali,
welche die Grösse der Lücken und demnach die Zahl der fehlenden
Buchstaben genau beachteten, richtig gefunden haben, mit Unrecht wieder
aufgegeben. Es muss jedenfalls auf die Unsicherheit des jetzt gang-
1) [Sie ist Tielroehr nur von dem Engländer I. Hayter. Suche den Nachtrag.]
134
baren Textes, wie weiiii»- mau diesem vertrauen könne, hingewiesen
werden.
rhili)denms erwähnt, was Chrysippus und Diogenes der Habylonier ^)
von ilen ein/.ehien Göttern sagen, um sodann sein Urtlieil über die Theo-
logie der Stoiker überhaupt auszuspi'echen. Die Götter erscheinen nur
als Personitication ethischer und physischer Begriöe ; verwiesen wird
auf Chrysippus erstes und zw^eites Buch rrfQi ^fo'v,^'^) die Schrift ttsqI
1) Kiinilich in dem, was wir iiocli lesen können: da er aber VII, 8 n(ti>Ttc: ovi' ol dno Zrjftoi'o^
sagt, so folgt nothwendig, dass er mitZenon begonnen und auch andere bedeutende Stoiker
vor Chrysippus und Diogenes erwähnt hat. Chrysippus Name erscheint I, 13, also ist das
Vorausgehende von einem Vorgänger desselben, nämlich Persaeus, wie man aus Cicero
sieht, gesagt, nicht von ihm. Dort ist v. 2 o'vroig von Petersen kaum richtig aufgefasst;
es scheint vielmehr eine Vergleicliung, wie man vorzügliche Männer bei ihrem Lebzeiten
durcli 7i()oid'ni(( ehrt, so ist es natürlich, dass solche, welche als besondere Wohlthäter des
Menschengeschles überliefert sind, auch noch im Tode — göttliche Ehren erhalten, ein
Gedanke, den auch .\ristoteles wiederholt ausspricht. Mit Sicherheit ist wenig herzu-
stellen: V. 24: j> - ■ rj-^
' ov? Oio x(ti Aijya
25 xi<'Aiia&(a Ji(( doT
QIOV rof TS XOa/LlOV ZU)V tlfOffU)
tuij/v^oy liyta xai.
ütov
ist rwi' ih'oaiüi'. was man gesehrieben hat, ganz unstatthaft und gehört nicht hieher, da die
Worte rof it xoa/xof i\u^pv)(oi' iii/ai einen vollständigen Gedanken geben; unsere Urkunde
kennt nur Folgendes:
. ... 10 KAI Z .NA
JOTI f r^
TON TEK02M0N ^f
ON EINAI KAI "^
Das in kleinern Uncialen am l^and geschriebene steht zwischen Zeile 25 u. 26; die Worte
herzustellen vermag auch ich nicht — Petersens Ergänzung öiö xtd 'Llivu xcdetad^ai, Jia,
dot^ntc jiiov, avioy it xoafxoy ziäv uvoawi' i/LHpv'(oy ilpcu ist entschieden verfehlt — aber der
Gedanke lässt sich mit Sicherheit nachweisen, er enthält nichts als die bekannte stoische
Etymologie von Z^»'« und Ji«, jenes von Crjf, was die vorhergehenden Zeilen aussprachen,
letzteres aber vou i)'id. Aus Chrysippus selbst werden bei Stobaeus 1, 48 die Worte ange-
führt Zfi}? fxtf ovy cpiii'yiTui lofofxdari-ai dno rov niitn d'tdioxiyui, ro t^j', Jict St avzw Xtyovaiy
ölt, ndvTiav iaziv a'iriog x(d clV uvzov zu ndvza. Lyd. de mens. IV, 48 noatuStovio; zov Jin
zov ndvzcc d'ioixovvzti, Xpvanniog dt did zo di' avzöu tlvcci zu ndi'zu. Diese Erklärung des
Chrysippus ist es, die auch hier gemeint ist; die am Rand geschriebenen Buchstaben,
scliwerlich vollstäjidig, gehören zu v. 25, nicht zu 26, es konnte nicht viel anderes stehen
als: rf'tö xtd '/Jr^vu xuktia^hii, Jia 6' özi ndvzow «tno? xal ndvzK cTt uvzoy.
2) Die Ergänzung der Itali I, 14 . . X()i'rT/7(|770i,- . . t'f] zon nQO)\zon ntfii Ht<ur ... ist durch
Cicero 1, 15 et haec quidem in primo de natura deorum gesichert. Auch Diog. VII, 148
ovaiay de 9iov Z^vu)y (xiv (priai zw ö'Kov xoafiov xai töt> ov^uvov , 6/xoCmg dt xai Xqvaimxog
135
xagiTüiv, die Bücher ti^qI (pvoscog und tisqI nqovoiac', nebenbei sieht man
aus diesen Stellen , dass der Stoiker keineswegs sich überall in seiner
Erklärung consequent geblieben ist.
Im ersten IJuche ttsqI ^sdiv sagt Chrysippus , das Weltall sei belebt
und beseelt, sei (iott, xdGfiov s'i^ixin'xov tlvai xal i^foV, Zeus sei die gesannnte
Natur, die dficcQfis'vrj und dvdyxrj, Begriffe wie svvoiu'a, dixtj, ofiövota, etqrjvrj,
'AifQodCTrj bedeuten dasselbe, es gebe keine männliche und weibliche
Götter, so wenig wie männliche und weibliche Städte oder Tugenden,
aber die Sprache gebrauche masculine und feminine Formen, man sage
OsXrjvrj und ^irjv,^) man bezeichne den Krieg durch "Agrig, das Feuer durcli
"H(paiOTog, die Zeit durch Kqövoq, die Erde durch "Pm, den Aether durch
Zi-vg, Andere nehmen den Apollon um aid-äga, die Demeter um y^r /; co
SV ainfji TTvsvfia'^) auszudrücken; es sei kindisch, wie die Menschen von
Göttern reden, sie in Gemälden und Figuren darstellen,^) nicht anders
fV riZ la ns^i ft-iüp ist iv rüi ~ä zu schreiben; denn im ersten Buche stand daä, wie
unser Fragment lehrt, und wenn auch Chrysippus sich oft wiederholte, so liegt es doch
viel näher, das erste als das eilfte Buch zu citiren, wenn anders das Werk von solchem
Umfange gewesen ist.
1) II, 15 atXrivriv x(d [//i;]j'k, wahrscheinliche Ergänzung Petersens statt [ttk]//« der Itali;
unsicher ist das Folgende:
y.cti Toif '-^^r/
X . . . . ov noXifxov
Tt .... Kl xal tTi?
Ta[ffu>f] xal dfTiTcc-
Petersen xv^o; tov .. zi ilvai, wenig geeignet, war vielleicht >!«rK xov noktf^ov zt&ilad-ai'i
Die Ergänzung rd^ttug von den Itali ist wohl richtig, obschon unser Apographum nicht la
sondern IIA gibt. Das nächste
ffwf, "HfpaiaTov d'i
nvq tlvai xal KQoyoy
f TOV Q[tVf^\(K.
zog Q\6oy\.
haben die Itali nicht unpassend durch aluiywy ausgefüllt, vgl. de mundo cap. 7, jedenfalls
besser als Petersen, dessen (xxQiTi.x6y schon durch den Raum unmöglich ist; schwerlich hat
das nächstliegende Wort gefehlt K^ofOf /gofoy z6t>. Auch das auffallende ^iv/Liarog qovv
stammt von den Itali, man hat /Qo^og allerdings auch von ^iiy abgeleitet.
2) So hat unser Apographum statt avrrj yovivfia.
3) Wahrscheinlich zu ergänzen nMzxtafi-ca \zot\g auH-qilojnoig y)-tovg. III, 4 hat unser Text
nicht xoi/ (ft Jitt zrjg yrjg, sondern TON JEA . THS , nur ein Buchstabe fehlt also zof St
avztjg yrig. III, 10 X«» zoy '^hov .. xal z^y atXrjyrjy, nur zwei oder drei Buchstaben (f^iy
Itali) fehlen, also nicht «uro»? wie Petersen, was schon sprachlich abzuweisen ist, es scheint
136
als wie man Städte, Flüsse, Oerter und Leidenschaften bildlich darstelle.
Im zweiten Buche sucht er zu beweisen , wie vor ihm schon Kleanthes
gethan, dass diese Vorstellungen bereits in den sogenannten Orphica/)
im Musaeus, Homer, llesiodus, Kuripides u. s. w. vorliegen; anav yccQ
'■'üiif iti^t^Q ö avidc wV xat rrart^Q xai vtdc,'^) wie er schon im ersten Buche
bemerkt, es sei kein Widerspruch, die Rhea für die Mutter und Tochter
lies Zeus anzunehmen.
Dieselbe allegorische Erklärung findet sich auch im Buche TteQl
Xagniov. Unverständlich ist der jetzige Text sprachlich wie sachlich
IV, a O^rynTioa' rdc <f' avrdg noisi laig OvvotxficiiOeOi. Kar tc^j ttsqI dgercov,
rotovxov 6icc tov vdfioj' (pr^alv f7rai xai rag Xaqnccg. Die ersten Worte hängen
nicht mit dem vorausgehenden zusammen, und das ganze ist sicher so
herzustellen :
Tag J' avTCcg
noishai Ovvoixti- ^)
5 ujOfig xdv Twi Ttsql
[X^aQiTOdv . . . [r]oV
Jia voi-iov (frjül fi- *j
vai xai rag Xägizag
Tag iffifTSQag xa- ^)
10 raqxth ^c^i ^«V «'-
ranodoOfig tcov
svsQyeOiwv
nichts als rt zu sein. III, 15 fitrctßuXXiiv statt fiiraßaXttv. III, 2G uct? ifoSmg «i;Tft>[>'].
Petersen hat p. 39 nach Isler's Verrauthung «vtov geschrieben, was Cicero, der unsern
Satz vor Augen hat, zu bestätigen scheint, 1, 15 accommodare ad ea quae ipse . . prinio
libro dixerit: aber unser Text zeigt, dass uvtCji' gewesen, und dieses kann gehalten werden.
1) Zu beachten der Ausdruck III, 17 rd rt ti? 'OQcpia xui Movaaiot' dvafptQofiivtt , sie galten
als solche ohne es zu sein.
2) III, 29 xui naj^q y.cd vlog ... xdf rwi, zwei oder drei Buchstaben fehlen, cprici Ital., Jiog
Petersen, vielleicht w?.
3) Das englische Apographum gibt vollständiger aber doch unrichtig:
noiti ruig a voixti-
a . XUI
unseres dagegen hat nur
ITJ12 . NOIKEI
...12 KAN
4) iJie Worte rw Jiu yo/uot^ (pijali' ilvui übersetzt Cicero §. 40 idemque etiam legis perpetuae
et aeternae vim quae quasi dux vitae et magistra officiorum sit, lovem dicit esse.
6) xuzuQ/i'i Petersen richtig für xuiu^x"-^^ unser Apographum hat KA . AV . AI'.
137
die engliscTie Abschrift hat xa%' tm negl uqstwv , natürlich konnten
daraus die Itali nur xdv %w negl dqsTwv geben , aber unser Apographum
hat KAN . ai. EPI . APITSiN, die nächste Lücke umfasst nur vier Buch-
staben, es war wohl nichts als ev oh oder xal. Das Werk des Chrysippus
ttsqI d()8Tö)v bestand aus mehrern Büchern, unseres nur aus einem, es ist
dasselbe, was Seneca, ohne es zu nennen, de beneficiis cap. 3 — 4 vor
Augen hat, woraus Menage zu Diog. VII, 202 u. a. (Baguet p. 337)
schlössen, Chrysippus habe auch de beneficiis geschrieben. Was Seneca
aus dem Buche erwähnt, weist deutlich auf unsere Schrift hin, deren
Titel hier allein erhalten ist. Die Trinität der Grazien hatte Chrysippus
als Darstellung des geben, nehmen und entgegengeben erklärt; hier wird
der Kürze wegen nur das erste und letzte genannt, weil sich das mitt-
lere dann von selbst versteht. Der Hiatus ^ijol flvai entstand dadurch,
dass anfangs nur (DH2EI geschrieben und nur mit Mühe / eingesetzt,
für den Buchstaben jv demnach kein Raum mehr übrig geblieben war.
Auch in seinen Büchern usqX (pvOstoq^ in welchen er heraklitische
Sätze für seine Erklärung in Anspruch nimmt, ist dieselbe Tendenz ;i)
xdojjiog weilt unter den Göttern, TtöXsfiog und Zsvg sind identisch, wie
schon Heraklitus sagte, und im fünften Buche gibt er sich alle Mühe-)
1) Die Worte IV (VII) 16 — 8 ^a ncc-
^ankr^aia &€ xuv
Toig TifQt, (pvatcüs
yQC((ptl fxtd-' U)V
jjL xai, Toig H qk-
yX ov awoixiioiv
X ri
sind nicht sicher zu ergänzen, ganz misslungen ist Petersens Versuch yQc<q>gi fifS-{Qu>iyn'(Df
fiv&ovg xai rtZ 'HfiaxXtirov avyoixumv xvxeüiyi. Es wird um so schwieriger, als unser Apo-
graphum davon abweicht
rPA-f-El ME9 SiN EI.
M . ..AI TON HPA
K..TOY
Wahrscheinlich ist rotg das richtige und roi/ nichts als nachlässige Abschrift; wüsste man
das letzte Wort x...rj, so würde sich auch das andere von selbst ergeben; der Endbuch-
stabe ist nur fragmentarisch in derselben Form wie v. 4 erhalten und dort ist es El nicht
H, das «[otv]^ der Itali füllt wenigstens den Raum, so ungeeignet es sonst ist, es fehlen
nur zwei oder drei Buchstaben. Aus den Ueberresten des Heraklit ein geeignetes Wort
aufzufinden ist vergebene Mühe.
2) IV, 31: tf de rüi nift-
nrtoi xccl Xöyovg i-
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 18
138
zu beweisen, xdo/^iog sei ^iöiov xal Xoyixöv xal (pQovovv xttl d-edc, ebenso in
den Rüchern rregl rrgovotag.
Dem Chrysipj)us folgt Diogenes der Babylonier, der in demselben
Geiste die Mythologie erklärte ; das sagt auch Cicero ausdrücklich , der
IMiilodemus vor Augen hatte und dessen Rede in wenige Worte zusammen-
fasst: quem (Chrysippum) Diogenes Babylonius consequens in eo libro
qui inscribitur de Minerva, partum lovis ortumque virginis ad physio-
logiam traducens deiungit a fabula. Gerade der Athenemythus ist,
weswegen das Zeugniss dieses Stoikers angeführt wird; denn auch ihm
sind die Götternamen nur Natur- oder Verstandesbegriffe. Die Stelle
ist gänzlich falsch verstanden und ergänzt worden , bedarf vielfacher
.Nachhilfe und ist deswegen hier vollständig mitzutheilen, V, 14
Jioyävriq 6' o Baßv-
lb Xooviog SV TÖSi tcsqI
rfjg 'A^rjvccg zov
xöOfiov yQäifSi xtöt
Ju' Tov avTov vnccQ-
%eiv rj 7teQi£%£iv ^)
20 ToV Jitt xa^ccTtSQ
av^QU)7iov xpvy^r'jV,
xccl zdv "HXiov ixH'
'AnoXXwva, Tr]v dk 2e-
Xr^vrjv "Aqts/juv
25 xo Ji ä Osiv
■^£ vg %q ovg
äeig X V xal dSv-
varov ai ts tov
Jidg t6 (xkv dg ti]v
30 ^aXatrav Siate- ^)
Col. V (VIII)
vioTca nuvTKs \j\ov
xoa/noy QbJioy tiyai,
xcei Xoyixov xai (pqo-
vovv xui S-tov.
Unser Apographum gibt den Anfang der Columne
. siTAi ns 0 . .
gebe nicht der englische Text navtag, so würde man eher an niQi tov rov denken; was
(ybiT€u sein soll, muss ich Andern überlassen, mit Petersens ivovxai ist nicht geholfen.
Ij ^ fehlt in dem englischen Apographum.
2) dutTiTayöf Itali, Petersen.
139
ta[x]6g IloOfiSco-
%'a, ro ä' slg zrjv yfjv
Tov dsqa "Hqav, xa-
Col. VI (IX).
O-dneQ X
Tcova Xs'yetv wg
av noXXäxig drJQ Xe-
yrj Tig i^stv H
5 ^sig ^0 asQu 'Ad-tj-
vav TOVTO ydq Xs'yeO-
^ai t6 ix tfjg X8(fcc-
Xfjg xai Zevg d^Qtjv,
Zsvg -d-r^Xvg.
die unrichtige Ergänzung der Itali v, 25 xai tov Jia fir] övasiv ^sovg
dXXozQiovg ovSslg Xrixpsiv xai ddvvaxov slvaC ttots tov Jiög . . , dann VI, 5 ovöelg
TOV dsQu jt^rjväv hat schon Drummond zu der Ansicht verleitet, als
würde Diogenes gegen Chrysippus und die Stoiker behaupten, dass
Zeus nicht die andern Elemente durchdringe, also auch nicht diese sein
könne, und das Wort dSvvarov scheint zu diesen Gedanken zu führen;
aber wenn Zeus nur der Inbegriff und Ausdruck des Weltalls, xöafxog,
ist, so sind die Elemente auch in diesem enthalten, also auch die andern
Götter unter Zeus und von ihm ; dieses lehrt deutlich die Athene, welche
der Mythus unmittelbar aus seinem Haupte entspringen lässt. Petersens
Ergänzung leidet an allen Gebrechen, sie ist willkürlich, nicht griechisch
und gibt keinen zusammenhängenden Gedanken: xai %6v /iia vnodvönv
^fovg dXXoTQiovg firjSsig Xa'yoi, dv xai ddvvarov aivai v6 Tf tov Jiog .... xa^dusQ
xai Zrjvcova Xsysiv. "^'iiOnsQ J' dv noXXdxig drjQ Xsyoiro, SQot dv rjärj fiijSsig tov
dsqa "A^rjvav. Ber Fehler liegt darin, dass VI, 5 Ssig die Itali mit ov\d£ig^
Petersen noch schlimmer mit fxrf\S£ig ausfüllten; aber dsig tov asqa steht
auf gleicher Linie mit dem vorausgehenden ro (i^v dg Trjv-d^dXaTTav .. t6
6' dg rrjv yfjv .. t6 6' eig tov deQa"HQav, also auch hier nur die weitere
Fortsetzung, worauf es allein ankommt: tö]S' elg tov dsQa "A^rjvdv. Nur
kann es nicht dsga heissen, denn diess war schon von der Hera prae-
dicirt ; es muss ein höheres Element sein , das höchste , wie xsfpaXr] im
Menschen das höchste ist; dieses ist aber nichts anderes als dg tov
ai^äqa. Sollte der Papyrus wirklich däqa gehabt haben (unser Apogra-
18*
liO
phum hat TO . , EPA, dass zwei, höchstens drei Buchstaben fehlen), so
ist es als Schreibfehler zu betrachten, aber ich zweitie nicht, dass da-
selbst das Richtige stand.
Jene vier Zeilen 25 — 8 sicher herzustellen ist um so schwieriger,
weil unser Apographum nicht mehr, sondern weniger Buchstaben und
selbst diese abweichend gibt, doch ist es schon wichtig den Raum
dessen, was fehlt, zu kennen, um nicht zu glauben, Alles beliebige ein-
setzen zu dürfen
25 n.J...J.2EIN
@E.Y2....nOE
JE.2A..NKAIA JY
NA.ON.N.TETOY
Das Ende der Zeilen 19 — 26 ist unvollständig, es ist ein Stück abgeris-
sen und fehlen zwei oder drei Buchstaben, es ist daher nicht unmöglich,
dass V. 24 nach 'Aqtshiv noch xal folgte. Das Verbum war weder SvOaiv
noch v:xo6vGHv, denn das Futurum passt nicht, und nach diesem waren,
wie bemerkt, noch zwei oder drei Buchstaben, z. B. £h[ai, übrigens ist
Alles im Accusativ und Infinitiv der oratio indirecta, und daher v. 27
ov]delc entschieden abzuweisen. Nachstehender Versuch ist weit entfernt,
die Worte des Diogenes verbürgen zu wollen, glaubt aber wenigstens
dessen Gedanken nahe zu kommen: xal röv JC dXrjd^wg afvai, d-sotk 6" dXXo-
TQi'ovg i^ifvSsTg Xiav xal ddvvaxov öv ats tov Jioq to fj,h> . . nur Zeus, das Welt-
all, der beseelte xöofjioc ist wahrhaft, die übrigen sogenannten Götter
sind nichts als Elemente oder Attribute des Weltalls und der Weltseele.
Darauf gründet sich die unten folgende Klage des Epicureers , dass die
Stoiker nur einen Gott anerkennen.
Desto gewisser lässt sich die Lücke VI, 1 aus dem Cratylus her-
stellen , Petersens Zrjvwva ist schon gegen die Endsilben des Nomens
toyru. Dass Platon gemeint ist, zeugen folgende Worte p. 47 Bekk. (404)
rocog Si [XftetogoXoywv 6 vofio&s'trjg roV dt'ga "Hqav MVo/xaOtv iixixQvntofiBvog, d-slg
Tiy UQxr^v sTil TsXsvTr'iV yvoirig 6' äv, el noXXdxig Xiyoig ro rfjg "Hgag ovofia.
Hier ist nur ein unbedeutendes Versehen mit untergelaufen. Platon sagt,
dass "liQa von dr]Q stamme, könne man sehen, wenn das Wort "Hqa öfter
gesetzt werde, also rjgatjQarjQa', umgekehrt lässt Diogenes den Platon
sagen, wenn man das Wort drjg wiederhole, komme "jga zum Vorschein,
141
nämlich atjgarjQccrjg — die Sache bleibt dieselbe. Folglich ist die Stelle
mit Sicherheit so zu geben :
To o eig
TÖv dega Hqav xa-
x^änsQ x[al Jlld-
rcova Xsysiv, ftjffjr' i-
dv noXXdxig drJQ Xe-
yrj rig sqsiv ''H[Qav' zo 6^
slg Tov ald-eqa ^A^tj-
VttV.
Um das unmittelbar Folgende zu verstehen, ist zu bemerken, dass
bei den Alten das Herz xaqSia als das Organ des Verstandes betrachtet
wurde; wie die Leber der Sitz des Weissagens war, so das Herz der
der Einsicht; en cor Zenodoti, en iecur Cratetis. Daraus erklärt sich
die schöne Fabel des Babrius vom Löwen und Fuchse , welcher die
xaqdia des Hirschen frisst, und auf die Frage des Löwen, wo das Herz
wäre, spottend antwortet, der hat keines gehabt; denn sonst wäre er
nicht zu dir gekommen. Unserm Volke würde das nur verständlich
sein, wenn man an die Stelle des Herzens das Gehirn setzte. Dass diese
Ansicht nicht den Griechen allein eigen war, sondern auch andern
Völkern, beweist die lateinische Sprache mit vecors u. dergl. Meines
Wissens ist Piaton der erste , der das iyxs(faXov als das Organ des Den-
kens und Sinnens annahm. Aristoteles hat sich auch hier, wie sonst
häufig, auf die Seite der allgemeinen Annahme geschlagen — was ist,
ist vernünftig. — Von da aus ging dieser Dualismus , wie in vielen
andern Ansichten beider Philosophen, so auch hier auf die Stoiker
über, und mit Beziehung darauf fährt Diogenes bei Philodemus so fort :
Tivdg
\0 6k TWV 2t(01X(ÖV
(fdOXSlV OTl TÖ Tf/S-
fiovixöv sx rfjg xs-
(paXfjg, (fQovrjOiv ya[? ^ )
£ivai, 6id xai fifjTiv
15 xaXeTo^ai, XqvOitt-
7T0V S' iv Toüf Orrj-
1) y((Q] habe ich aus y'a gemacht, damit ort nicht mit dem Infinitiv verbunden wird, Petersen
schrieb ort und machte aus y'a sogar ravTrjy. Unser Apogr. hat nur einen halbrunden Strich.
142
$■€1, td t)ysfiovi,x6v
fiiai xdxfT t)p' \'A^)
^} '/ ''[«J »' ysyovävai
20 (fQovi^Giv ovöav, rw
6i T)jv (pwvfjv ix
r/;c x€(paXrjg sxxqi- \
reaO^ai [Ije'Yeiv ex rfjg
x£(palfjg vnoSeiq
25 ai oTt xi-
XV Vj vfd-rj (fQovtj-
Gig, xai Ax^Tjvav (xkv
otov 'Ax^ vav siqrj-
Oä-ai [, TQit(o]viS(x Se xal
30 T()iTOYer\fia[v Sid
td T?yV (fQovrjOiv
ix TQiwv Ovvea-
Tijxivai Xoyün'
Ganz undeutlich ist v. 24 — 26; die Itali haben die Lücke nur mit
griechischen Buchstaben ausgefüllt vnoSsr^aat, oisiv on if/v/y owsOi] (pQovrjoig,
aber auch was Petei'sen gibt vttoSstj stvai aQxrjv ort rixvrj ivsfirj^rj (pQovr^oig,
bringt die Sache nicht viel weiter, unser Apographum hat v, 25
. JIO .... 2TI TC
X W H . . NE0H(PPONH
ist vielleicht eine Andeutung, dass Hephaestus der Künstler das Haupt
gespaltet hat? v. 26 scheint nichts anderes zu sein, als L'ti tix^V «V*»'«^' ^ VQo-
vijOig. /eile 28 ist von den Itali und Petersen falsch durch olov 'A^rjXr^v
nv eigr^a^ai ergänzt, wie schon die Partikel «V zeugt, das Apographum
hat A& . . AN, es fehlen nur zwei Buchstaben , kann also nicht d^{rj^v]
UV geheissen haben , das auch zur Verständigung der Sache nichts bei-
trägt. Da es sich hier um eine verkehrte und lächerliche Etymologie
handelt, dergleichen die Alten in Unzahl vorgebracht, die Neuern noch
nicht verlernt haben, so würde wohl niemand das Richtige errathen,
wenn es nicht bereits anders wo erhalten wäre, Cornut. cap. 2ü to 6'
I) 'JO^r^i/äy einfache und selbstverständliche Flrgänzung für rijV gxoytjy Si/ yiyovivca der Itali
und Petersens: die englische Abschrift gfibt selbst tiv av , unsere .HA' .^V, also fehlt kein
Hiichstabe /wischen jenen zwei Silben; die falsche Abtheilun«' in der Currentschrift hat
manche Verwirrung hervorgebracht, welche durch die Ansicht der Uncialen verschwindet.
143
ovofia rrjg ^A^rjväg SvOervuoXoyrjtov . . twv [.liv duo tov d-d^gsTv ndvTa oiov
'Ai^QTjväv amrjv dnorrm' shai (vgl. Osann p, 305). Dasselbe hat auch
hier gestanden und füllt genau die Lücke. V. 29 — 30 ist von Petersen
dem Gedanken gemäss trefflich ergänzt worden, wofür die Itali nuQ^sviöa
dk xat roQYO(p6v€iav 6id gegeben haben.
Aus diesen den Schriften berühmter Häupter der Schule entnom-
menen Angaben schliesst Philodemus, dass die Stoiker, wenn sie auch
den Gottesbegriff nicht wie andere, absolut oder relativ aufheben, doch
höchstens nur einen Gott anerkennen, nämlich die Weltseele, dadurch
aber der gemeinen Volksreligion sich entgegenstellen VII, 8
TidvTfg ovv Ol d-
710 Zrjvoavog ei xal d-
10 nsXsinov z6 Saifiö-
viov wOtisq Ol [ljii]v ov- ^)
X d[Tr]£X£i7iov , [oi] S' iv
1) Die Herstellung von ol fiiv . . ol <fi ist sicher und haben schon die Itali; ganz unrichtig
ist, was Petersen Alles gemacht hat, uianE^ oitjToi/ ov xariXiinov tl d' i'f tlcw ov xctt-
iXimov, iva S-tor Myovaw tivai, was heissen soll non tarnen ita concesserunt ut creditur;
sicubi vero non concesserunt, unum esse deum dicunt. Der Gedanke ist nach unserer
Abtheilung klar, üebrigens ist das verbum hier in dieser Sache ((noXiiniiv , nicht xitra-
^einsiy, v. 12 ist von /I nur die eine Hälfte erhalten, daher hat man unrichtig ov xccriXanoy
statt ovx ciniXtinoy geschrieben; eben so v. 13, wo unser Apographum deutlich II hat; nur
unten IX, 26 ist sicher r« S-tta rouivra x(t[TC(p,tinov(Jif. Ob v. 14 fiolfOf wie v. 22 zu
ergänzen ist, oder ^fJoV wie Itali und Petersen, kann man zweifeln, v. 15 sind die zwei
fehlenden Buchstaben sicher nicht &i, es müsste jedenfalls #)? heissen, vielleicht ist oV ein-
zusetzen. Die folgenden Zeilen 19 — 20 zu ergänzen wird um so schwieriger, weil die
Apographa von einander abgehen;
Neap. Anglic.
ccnoX movx w? AHOA .m.N ... ii,2E .
av ti fi. vo . lAN . M . S
aiv a V CHQ IV im . INA . . . NAIPE IN Eni
in dem vorletzten Worte ist zwischen E und / ein kleiner Bruch, es könnte ein Buchstabe
ausgefallen sein, scheint aber nicht und nur das ävui^iiv zu sein. v. 18 war vielleicht
<äa&' mit folgender Aspirata; denn der Gedanke hängt mit dem vorausgehenden wohl so
zusammen: sie täuschen, so dass man, wenn sie behaupten, sie heben die Götter nicht auf.
dem Volke zeigen muss, nur das All werde von ihnen als Gott anerkannt, keineswegs aber
mehrere und die gewöhnlichen Götter. Ganz unverständlich ist mir Petersen Ergänzung
und Uebersetzung cinoXtinovrt?, want^affi fxovov Xiyovair avrüjv ai^taw 'Enidiixvvaf^oiaav . .
quasi suae tantum sectae rationem habeant. — v. 30. Xiyovriop . . tuff ort ist eine Lücke
von zwei Buchstaben, es war i'niixi-'. Bedenklicher ist das Wort der letzten Zeile oiov^
aißoyrui ndvrts x«i tji/ rt oXo, die Buchstaben der nächsten Columne VIII, 1 . . v/^ p (unser
Apographum hat nur den ersten Buchstaben r der gerade dort fehlt) lassen an der Rieh-
144
riotv oi>x ansXsinov,
l'vu \^i(>\yov Xt-'yovütr el-
1") rtti . yivta^co . . xctl
10 näy tivv xfji ifivxt], nXa-
vwüii' d' ov noXXovq
(XTToXsinovteq . .
was sie sonst noch zurücklassen, sind keine persönlichen Wesen, wie
sie das Volk glaubt und verehrt, sondern nur Nebelgestalten, Luft,
Feuer, Erde, Wasser u. s. w. Die Stoiker sind daher auch gefährlicher
als Diagoras, dessen Atheismus nicht einmal ernstlich gemeint ist und
der in seinen Gedichten wiederholt ganz religiös von den Göttern spricht,
während diese Philosophen zwar die Namen der tirötter beibehalten , in
Wii'klichkeit aber sie gleich den Atheisten aufheben, IX, 3
oiioi 6^ ^£ot>g SV toTg
Oi'YYQcciJilJ'CiOiv ino-
5 vofxd^ovzsg dv/jQ-
qovv h'^sQyaGtixöäg
rotg TtgäyfiaOi xal /lu-
td GTCovdijg dveXev-
^SQooTSQOV yiv6[is-
10 VOl (PlXi/lTTOV xal TMV
aXXayv Xiäv djiXdSg xd
x^eTov dvaiQovvTCöv.
Die Stoiker sagen fast allgemein, dass die Götter keine ungerechten
Handlungen begehen und darum auch nicht den Menschen die Urheber
des Unglücks sind ; ^) solche stoische Götter sind nicht unsterbliche
Wesen, sie sind yswrjxol xal (pi^aQzoL Vorzüglich aber ist zu beachten, dass
nach dieser stoischen Theologie kein Mensch sich enthalten werde Böses
zu thun oder seine Lüste einzuschränken ; denn kein Vernünftiger werde
sich vor Luft, Nebel u. dgl. so wenig als wie vor einem Haufe Sande
fürchten IX, 33.
tigkeit des 'ofxoknyovfiif der Itali nicht zweifeln; damit ist HNTI . . MOAO nicht zu vereinen ;
passend ist Petersens r/f^ik, ich dachte an nufTtg, aber das richtige ist wahrscheinlich
etwas anderes. VIII, 2 ixttroi ov und 3 diqag von Petersen hergestellt. Ueber die Verse
des I)iagüras vergl. Meineke fragm. com. I, 52ß, unser Apogr. hat v. 28 richtig vu^al.
1) Die Abtheilung IX, 18 bei Petersen doSdi^oyTttg. 'Jni/ia&iti . . ist unrichtig; es muss sein
d'o^a^oyrui; u7ll/Kf<'>-tti rdv u(fixo7i()(cyr/UfKr(oy . i'vioi cpuaiv, ijfifig . . n(((t(txo^ov9tiy xcci rtöy . .
<fuivn(a. Das folgende didioi'g x«i (p9ii()Tovg ist Krasis xdupfHiqxovg , denn der Gedanke
fordert xui <e(f,,'hi()Tovg.
145
To S^ Ovve'xov (s'v yäq
aXXoig v7ioYQa<frjü£-
1 tut, TU uXkcc) Sioxi xa[r ^)
dnoipaivwvTtti ßXä-
meiv xal wipeXsTv
Tovg ^sovg m[071^£Q ov-
5 äi, TO dsvTSQOv av-
ToTg dxoXov&rjTov s-
Tiidsi^d-i^OsTat TOV-
[.y'J o yt tiuvtI 6ijX6v
iOTiv, (og ovSh sig TtdJ'
10 TTWrrOTS dv&QCÖTlOOV
Tov de'Qa xal tov «l-
^a'Qa (foßov^svog rj ^)
TO Tiäv dnsx^f^ci fi'-
vog ddixov ngäyfia-
15 TOg, OVX OTl T(ZV TTQOg
d ^isyCOTOig s^isqoig^)
övvs'xfiai, fidXXov rj ni-Q-*)
i Tovg [e]v dfi/xco ^Ivccg
tj TU . . . inl Twv d- ^)
20 xav^imv nanntav, d
ys (favsQÖög dvaio^rj-
%ii xccTaXa/jißdvovOi.
Philodemus wendet auf solche die Verse des Timokles , welche
dieser von dem ägyjotischen Ibis u. a. in seinem Al'yvTiTog^) aussagt, an
1) Die Stelle lautet ))ei Petersen ganz unverständlich . . tiXka . Jiori xul anocpKiviavjut. . .
9-iovg , xcäntQ ov&i . . tniifti/iti^atTui. Tovro yi . . Die Construction fordert v. 1 deutlich
xaf, obschon auch unser Apographum nur KAI bietet. Durch die Annahme, dass v. 8 rov
. o yt der fehlende Buchstabe nicht r. sondern H- ist, rov9-' byt ist der Zusammenhang
passend hergestellt. Auffallend bleibt nur v. 4 üant^ ovd'i für wantQ ov/i (nämlich clno-
giaiyofzai) , was ich nicht zu belegen vermag, aber oianiQ ist sicher und haben schon
die Itali.
2) t] steht hier allein, man erwartet einen Gegensatz rj lo nav tlnixtrcu >i iiuos ddixov nQÜyfxuTog.
3) dfityaQTois Petersen.
4) Man erwartet vielmehr tjniQ tovc, nämlich aus v. 12 (poßov/utrog. Petersen roi;? rov ufj,fj.ov -D-ifctg.
5) T« i'QUi Petersen, man sieht noch die Spuren des ersten fehlenden Buchstaben, es war H oder
n. die oft nicht zu unterscheiden sind.
6) Auch unser Text hat X, 25, wo die andere Abschrift vollständig *V Jiyvnrm d'QufiuTi gibt,
E . . . rYUTSil, während Athenaeiis J/'y^inrini anführt, vid. Meineke 1, 421. 111. 5!)0.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. 1. Abth. 1 9
146
onov yctg elg tot^c 6fioXoyot^i.i€VOVq ii-eovq
düfßoirTet; ov didöaaiv sv^e'ioc ^ix}jV,
r/'j' aifXovffOv ßw/nöc inirgiipeisv av ;
habe man keine andern Götter zu fürchten, so treibe jeder ungescheut
Alles, was er wolle und könne. Würde man aber auch wirklich anneh-
men, dass dergleichen tingirte Götter jemanden vom Unrechte abhalten,
so wäre dieses — und das sei ein sehr gravirender Vorwurf, welchen
man den Stoikern machen könne — eine Erniedrigung des Menschen
zum Thiere , zumal wenn sie nach ihrer Maxime sich nicht um den
Tadel anderer kümmern und nicht danach fragen, was die Leute von
ihnen sagen, XI, 2.
nä]vt[£g\ yov[v To]vg^)
d^fovg zoiomovg vno-
XafxßdvovTsg oTovg
5 0 TV(pog doifyayav
diftTOig XQiJävttti, xa-
rd Svvafxiv i'xaöToi,
zaig xaxovQyi'aig, rj
nov vofiiCofisv av-
10 Tovg deqa (foßovfxs-
vovg d(p£§£0\^ai tivog; ^)
Tcov xaXeiKüTdtoiV
li\hv el tovt' iöTiv
To TTig «[Jjtxmg d- ^)
15 naXXuTTOv, sixoTiog
1) Ich habe vorläufig so ergänzt, was jedenfalls von dem richtigen nicht weit abgeht; das
englische Apographum hat
«*" »T tyov v;
woraus Itali und Petersen 'JyTdiyovaiy ■ Tovg gemacht haben, l^m die Unmöglichkeit dieser
Ergänzung darzuthun — denn th'ci'kiyovaii' ist ganz sinnlos, man sehe nur die lateinische
Uebersetzung Petersens — will ich hier anführen, was in unserem Texte in den ersten
zwei Zeilen dieser Columne erscheint^
MO . EH . TPEliI' . lEN
AN OV
2) ti(f{zt(y't<a hat unser Text: ("«piv^ta^ai, das andere Apographum falsch; Petersen anocptv-
^la&ai rifo; tmv /«it7i<«>r«rw»' . Ehv . Ei Tovt. Ich habe nur die richtige Abtheilung
gegeben : denn schon die Itali haben f^if ergänzt.
3) r;)f u ixuci , was itali und Petersen in ntixtug geändert haben, falsch hat unser Text
TllüA . KA .... woraus allein das richtige uSixiiig niemand errathen kömite.
147
av Tig inifpegoi tov'
Toig, ort TOV zcHv ^r]-
Qt'wr ßiov flg rovg
dvd-Qbmovg fxsra-
20 (fSQOvOiv xal (.idXiG-
r' idv firjö^ smOtQä-
(pwvTai xa^äneQ cpa-
Olv TOV T(J5V TtoXXdäv
6id zavta xpoyov.
Der Autor schliesst seine Einleitung über die verschiedenen reli-
giösen Ansichten, indem er das gesagte kurz zusammenfasst. Man
betrachte nur sämmtliche von den Philosophen vorgetragenen Aeusser-
ungen; nicht ein Mensch werde sich durch die Lehre der Stoiker,
welche solch herz- und gefühllose Götter einführen, oder durch die
Lehre jener Philosophen , welche es unentschieden lassen , ob es Göttgr
gebe oder was und wie sie sind, noch endlich durch die eigentlichen
Atheisten von irgend einer unrechten Handlung abhalten lassen , nach
der Lehre jener aber, welche unter den Göttern selbst Kampf und
Streit einführen, werde er eher zum Unrecht verleitet werden , so dass
nach diesen Voruntersuchungen es nun Zeit sei, die Epikurische Lehre
über diesen Gegenstand näher zu entwickeln. Philodemus hat also im
vorausgehenden nicht bloss von den Stoikern gesprochen — nur diesen
Theil haben wir und selbst diesen nicht ganz — sondern auch von den
Zweiflern an der Gottheit und den förmlichen Gottesleugnern, so wie
von der gangbaren Ansicht, welche wir in Homer, Heraklitus, Empe-
dokles, Parmenides finden und sich dadurch den Weg zu seinem eigent-
lichen Zwecke gebahnt, XI, 24
ßXs-
25 7i[rjT]ai J' ovr xal xa-
td ndvTug rovg nqo
ttVTüiv exx£i[xs'vovg,
ovSi €ig äV d^ixfag
dTTilQXdsilj dfSoi-
30 xcüg Tovg ovS' enixsi-
vr^^fjvai äwa/ie-
vovg rj Toi'g iraq-
yöög dvaiO&r^Tovg
19*
148
Col. XII (XV)
t^ Tovc äyvitHiioy
xCifc fiai i!/f Sfx M
rag tj ttoToi riveg fi-
air, ^ Toik 6(a^Q)'^- •
5 Srjv oTi ovx tioiv a-
TTOtfaHOfttlOlK )■ (fiCt-
vsqovc hriixc. wc ur-
i]iQovv, x(xi' syi'ovc
()7 xdr fV avrtp' ttqo-
10 tqunn'i^ tovc xdv rote
if-soTg und (fiXnQxi'a?
TTO^tioi' ihiTioy6ov
naQfiOdyovTac^ okl-
T€ Xal tOV fie'QOlK
15 Tovrov irjc diaigt-
* . Ofwc rTjg xca' dg^iig
ixit dsi'Ot^ g dno-
XQoh'ioic Finfyyaö-
l^is'rov xaiQog dv f--)
20 ir] idv ttsqI r'ijg tv-
Oißtiag Xöyuv i i~g
xai' 'ETTtxovQor av-^}
Tov TTaoay()d(ftiv.
Da es ausser Frage gestellt ist, dass Cicero de nat. deor. 1, 15 in
seinen Angaben über stoische Theologie, bezüglich des Chrysippus und
Diogenes, unser Buch rrfg) fi'ofßfiag benutzt und ausgezogen hat, so darf
von den bei ihm vorausgehenden Stoikern, Zeno, Aristo, Cleanthes,
1) I'nser Apojrraphum giht nur von den letztern zwei Wörtern f?K ..../.. Petersen ti^ioi
'/.kyoi'Tc.^ , gemeint scheint Protagoras, welcher sein Buch mit den Worten begann: TliQi
iitiüv ovTt ti tiow oi;i>' önoiot ztyig fiai dvi'cfna 'Aiytiv nokkü yüq tan lü xvAt'ovTU. Diesen
Gedanken sprechen aber unsere Worte nicht aus ; da nach tcyvMorov etwas fehlen kann
fschon der letzte Buchstabe N ist nicht vollständig), so möchte man vielleicht ri rovg
icyi><o<iToi' li Tifig iffft i'/fo(, '/.iyoi'tcig (oder i'^oviicc) vermuthen, aber Philodemus versteht
hier nicht allein den Protagoras, sondern alle von ihm früher angeführten Philosophen,
welche keinen deutlichen BegrifiF geben, wie man sicli Gott vorstellen soll, wie selbst
Plato, Xenocrates, Strato, Ariston.
2) i'it) Petersen aus itii richtig, unser Text hat Etil, wahrsclieinlich auch nur l''older des
Zeichners, sonst sind // un<l //, wie schon bemerkt, oft kaum zu unterscheiden.
ö) itviöv Petersen, nicht nothwendig, avrov ist hier, jetzt, so fort nach dem vorausgehenden.
149
Persaeus dasselbe angenommen werden. Wir können nocli weiter gehen.
Die ganze epikurische Lehre des Velleius cap. 8 — 20, sowohl der kritische
Theil derselben als auch der dogmatische cap. 17 — 2Ö ist dem Inhalte
und Wesen nach nur abgekürzt und im Auszuge aus unserer Schrift
geHossen. Die oben bezeichneten Fragmente sind in einem trostlosen
Zustande, wo aber die abgerissenen Worte einen sichern Gedanken
geben oder errathen lassen , kann man die lateinische Uebersetzung
davon bei Cicero finden; fragin. 21 naQ' 'AvTiod^t'vfi ^' sr fih' rm ^voixm
läysTui t6 xard vdjuov hvui nokkovg .>forc, xnrd 6i <fvüiv tva tmv . . §. 32
atque etiam Antisthenes in eo libro qui physicus iuscri-
bitur, populäres deos multos, naturalem unum esse dicens
tollit vim et natu r am deorum, und was daselbst unmittelbar
weiter folgt : nee m u 1 1 o s e c u s S p e u s i p p u s . . vim q u a n d a m
dicens qua omnia regantur eamque animalem evellere ex
animis conatur cognitionem deorum. Aristotelesque in
tertio de philosophia libro multa tu r bat, ist noch kennbar
genug erhalten fragm. 22 . . j//r/ag twv xaXwv xdyu&äv ^siag It'yurr Svvdimc
TToXv xaTa6€£GT6'gnc xal iXksinovöug- nag' 'AgiOroTtXsi (J' iv rm tqCxox negl (piXo-
Gocpiag . .
Mag Philodemus bei der Erklärung der stoischen Theologie, wie
er auch sonst gerade die Stoiker zumeist anzugreifen pflegt, ausführ-
licher als bei den übrigen gewesen sein , immerhin sieht man , dass
diese historische Kritik — es sind bei Cicero von Thaies bis Diogenes
nicht weniger als 27 Philosophen, deren Bekenntniss über die Gottes-
lehre Velleius daselbst ausspricht — als Vorläuferin der Epikurischen
Dogmatik über die Götter ausführlich genug gewesen und wohl das
ganze Buch umfasst habe. Es sind 39 Columnen mit wenigstens 1200
Zeilen, 15 mehr oder minder vollständig, 24 von denen sich immer
nur die letzten Zeilen erhalten haben , und wie viele Columnen mögen
sein, von denen, weil ganz unleserlich, sich nichts erhalten hat?
Der dogmatische Theil der epikurischen Theologie (bei Cicero
capp. 17 — D) konnte hinreichend auf den nächsten 29 Columnen —
so viel zählen wir noch — dargestellt werden. Es sind nach Cicero
folgende drei Hauptsätze : jn-imum esse deos , (juod in omnium animis
eorum notionem impressisset ijjsa natura; dann eine Folge davon: ut
150
deos beatos et iinmortales putenius, endlich : quod beatum aeternumque
Sit, id nee liabere ipsuni negotii quidquam nee exhibere alteri, und
weil die andern Philosophen so auffallend zeigten, dass sie nieht wussten,
was sie aus den Göttern maehen sollten, rn-ec flai i^fol xat noToi tive'g eloiv,
so wird über deren forma und vita das Nähere naehgewiesen. ^)
Nur wenige Seiten sind im Ganzen leserlieh und man vermisst
ungerne das vollständigere englische Apographum, ^) aber so viel sieht
man auch noch aus dem, was zugänglich ist, dass zwar von der svoeßeia,
aber nicht von dem, was hier folgen musste, gesprochen wird, vielmehr
wird hier jene Dogmatik schon als bekannt vorausgesetzt , es werden
aber praktische P'olgen daraus gezogen, dass eine solche Lehre z. B.
keinen sokratischen Process zu fürchten habe, während andere Philo-
sophen sich dem Volksglauben schroff entgegenstellten und deswegen
vielen Verfolgungen ausgesetzt waren. Ich will zur Ueberzeugung dessen,
damit niemand darüber einen Zweifel hege, zwei Columnen mittheilen,
tab. 27
^fQYct^cfifVoi, rrjv ^)
c(0(f)dXeiav rj rjjV i-
ttVTOjr Tiagd tüjv
TioXXwv rj Trjr ixfi'-
5 vo)V iXttQ' dXXrjXcov,
dXXd To (pcdvofie-
\) Cic. §. 45 sed ad liaiic confirmandam opinionem anquirit animus et formam
et vitain et actione m mentis atque agitationem in deo: Daraus möchte man an
eine Dreitheilung schliessen; es sind aber nur zwei Puncte, die forma §. 46 — 50, und die
vita. Der üebergang zu dieser ist in den Worten: Et quaerere a nobis Balbe soletis, quae
vita deorum sit quaeque ab iis degatur aetas. Ein solcher Üebergang zum zweiten Puncte
wird nicht durch et eingeleitet; man erwartet vielmehr at. Jetzt schreibt man nach Beiers
(-'(jrrectur, auf welche auch Schoemann opusc. III, 363 gefallen ist. et vitae actionem men-
tisque agitationem. wie unten einfach forma und vita steht, erwartet man auch hier nur
dieses, aber eine nähere Bestimmung und Erklärung kann folgen, und dieses ist, wenn
man das Unnütze streicht: et formam et vitam, [et] actionem [mentis] atque agitationem
in deo. Die actio der Gottheit ist eben, ut nil agat, die agitatio alter, dass der deus an
seiner sapientia und virtus Freude hat.
2) Gewiss hatten die Engländer auch von diesem eine eben so sorgfältige Abschrift, wie von
dem ersten Theile, so auffallend es scheinen mag, dass weder im Catalog dieses Werk
ntQi ivatßfiai noch sonst unter einem andern Titel erwähnt ist; dagegen findet sich daselbst
ftin ähnliches 'f-i'Aod'r/fiov iitQi H^kituf 24 Columnen. Die Oxforder Universität hat das ganze
wahrsclieiiilicli ültergangen, weil es kein Ineditum mehr war.
.3) zu ergänzen ovx iitqyu^ojityoi.
151
vov i'xttOtot Ttaöiv
i fG.. i6t
fjiv^ovg fJtH' elafjyov, ^)
10 dfieksi xal TfQursi-
ag, oi'Te 6i Totg tiqo-
Tsgov iSöxovv ioi-
xdva favT eigipegsiv,
0VT8 GcoTtjQiag AN. ^)
* 15 TToXeiTsiaig CYN.
-d-ai fisvwtg
if lOxvovOtt ....
dXXd 6id rjy[»' dv(a-
< 20 piaXiav xa.l\in) dOeßsi-
ttV S711710EIV[0VX d-
öeßfig idoxovv
fiövov, dXXd xal (ps-
vaxiOraC, [Ovvel6]v-
25 ^^ J'«m[frjf Trjg naq-
^TjGiag (fiXoOotpwi
TiQfTiovGrjg ovds-
vdg ovS' i^ dnomov
tu doxovvra negl ^s-
30 c5v 'Ettixovqcoi Gt'v-
£i6oi' oi'd^ s'Xsyov
xal öieTTQacTovTo
die nächste Columne, tab. 28, hängt zwar mit dieser nicht zusammen,
beweist aber um so deutlicher, was wir wollen
Seivovg vTTolrj-
ipovTui TVQÜrvovg
xal [xdhor^ avtol
dl a GwoiöaGiv
5 avtoTg fitydXag e-
^ avToov ovfxg^o-
qdg ngoodox/jGov-
Giv, ovT(o 6i toy e-
(f rjfiäg elvai ät ijv
1) tia?tyo,'] EICniON, falsch copirt statt ElCHroS.
2) vielleicht auri^^ia raig.
152
10 ovx iOxtjxaai niö-
in\ ovdiv av nqdi-
louv, Ol ^i naiOi^t'v-
if-g oig fXQijOi^ioii-
ötjOafjitv nfQi ^t-
ir» (äv TTQwroy /iiiv
teSc S-rtiToi i,t£ifi[tTc-
O'Ut irjv exti'vcov
fvdaifioriar '
it^th^Oovmv, bjm' e-
20 7i£(d/j7i€Q £^ dßXa-
ßiuc ii)t(oqelco ioTk
TiäOiv «(»;{o/te'j'/y,
^laXiOta (fiXoTifxi-
üovrai näOiv av-
25 tor? naQEj^tiv d-
XvTtovg [(ajg[7idv'cac] e-
avtotg, sTTiiTa rf*
ovT(o /tefyaAo] 7TQ£[Ti:c5g
TT£iO^'jg[ovT«i\ dv.
so konnte der Autor nur sprechen, wenn er die svdmuovia der Götter
bereits dargestellt hatte. Auch der Ausdruck o\c fXQWiMSi]aa߀%> nsgl ^swv
ist zu beachten ; die Anhänger betrachten den Kpikur als einen ( lott,
aus dessen Munde wie von einem Orakel den Menschen die Glückseligkeit
dargeboten wird, so Velleius bei Cicero §. 43 ; was Lucretius wiederholt
in seinen Prooemien von ihm aussagt, ist nicht poetischer Erguss, sondern
aus innerer Ueberzeugung gesprochen.
Der zweite Theil der Rede des Velleius bei Cicero , die eigentliche
Lehre Epikurs thqI ^ewr ist demnach hier nicht zu finden ; die Fort-
setzung dieser Collectio wird zeigen, ob derselbe sich anderswohin verirrt
hat, oder gänzlich untergegangen ist.
NACHTRAG.
Die Frage, ob die vielfachen Ergänzungen unserer Schrift von dem
Engländer Hayter oder von italienischen Gelehrten, den Mitgliedern der
academia ercolanese stammen, ist an sich wenig bedeutend, überall ist
die erste Frage, ob das richtige gefunden worden, untergeordnet erscheint,
von wem es gefunden worden, doch soll auch dem Verdienste die gebüh-
rende Ehre nicht entzogen werden. Petersen, welcher meint, Hayter
habe während seines Aufenthaltes in Neapel und Sicilien sich leicht
mit den Academikern benehmen und verständigen können, urtheilt etwas
zu geringschätzig , wenn er pag. 5 sagt : ceterum non est , quod de
instaurationis honore inter se certent ; quamvis enim multa bene et
sagaciter sint restituta, plura tamen, cum sensu omnino careant, ferri
non possunt, magna ex parte ne graeca quidem sunt , certe neutiquam
comparanda cum iis, quae prius ab Rosinio V. Cl. hoc in genere prae-
stita sunt. Aber Hayters Bericht gibt so wichtige Aufschlüsse zum
Verständnisse des gesammten Gegenstandes, und sein Buch ist so wenigen
zugänglich ') — auch Petersen kannte es nicht — dass es nothwendig
erscheint, auf das Bedeutendste kurz hinzuweisen. Sein erster Brief
vom 20. März 1800 enthält nur das Verfahren, wie solche Rollen
geöffnet werden, nebst Beschreibung und Zeichnung der Papyrusstaude,
welche noch heutzutage häufig in Sicilien wächst. Dagegen ist sein
1) A report upon the Herculaneum MaiiuscriptR , in a second letter, addressed by permission
to his Royal Highness the Prince Regent, by tlie rev. John Hayter A. M. CÜiaplain in
ordinary to the prince and his Superintendent of those manuscripts, London 1811. 4,
woselbst auch der erste Brief S. 115 — 37 abgedruckt ist.
Abb. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 20
154
zweites Schreiben vom 20. April 1811 eine Nachweisung seiner ge-
summten Thütigkeit, wie er seine Aufgabe gelöst hat, und dieses ist es,
was hier in besondere Betrachtung kommt.
Im Anfange dieses Jahrhunderts hatte der Prinz von Wales nach
vorher genommenen Einverständnisse mit dem neapolit. Hofe, welcher
in Folge der entstandenen Unruhen sich nach Palermo zurückgezogen
hatte, den Dr. Hayter dahin gesandt, um die herkulanischen Rollen
genau zu untersuchen und das wichtige mit aller Sorgfalt zu öffnen,
damit dieses sofort der gelehrten Welt mitgetheilt werden könnte. So
kam dieser Mitte Juuius 1800 nach Palermo, wurde von da nach Neapel
gewiesen, wo er zu seinem nicht geringen Erstaunen erfuhr, dass diese
Schätze nicht in Portici sich befinden , sondern nach Palermo gebracht
worden seien. Er musste also wieder dahin, wo ihm Schwierigkeiten
jeder Art gemacht wurden ; nur der thätigsten Verwendung des englischen
Gesandten, W, Drummond^ welcher selbst Gelehrter war und daher das
grösste Interesse für Hayter's Aufgabe zeigte, gelang es, dass, als der
Hof wieder nach Neapel zog, im Januar 1802 auch diese Manuscripte
nach Portici, ihrem frühern Platze gebracht, dem Dr. Ha.yter selbst aber die
Möglichkeit gegeben worden, seinem Auftrage nachzukommen ; hier nun
lebte er vier Jahre in ununterbrochener Thätigkeit, bis die französische
Invasion 1806 ihn nach Sicilien zurückzukehren nöthigte und das ganze
Unternehmen englischerseits aufgegeben werden musste.
Bis zum Beginne seiner Thätigkeit 1802, sagt Hayter, sind in mehr
als vierzig Jahren nur achtzehn Manuscripte geöffnet worden, S. 41,
126. Die Sache war höchst lässig betrieben; eine, zwei, höchstens drei
Personen wurden dazu verwendet, S. 123; Piaggi, der Erfinder der
Abwiklungsmethode verstand von dem Inhalte nichts, stand aber unter
Aufsicht des Mazzochi, des gelehrten Bearbeiters der tabula Heracl,,
dem er jede entrollte Columne mittheilen musste. Dieser hatte einen
ausführlichen Commentar zu Philodemus de musica zur Herausgabe
ausgearbeitet, wurde aber zuletzt kindisch und geistesschwach, und nun
kümmerte sich auch Piaggi wenig mehr um diese papiri, 1787 bei der
neuen Phnrichtung der Akademie, die ganz verkommen war, erhielt
C, Rosini, Bischof von Puzzuoli, die Direction über diese Manuscripte,
welcher den ersten Band 1793, nämlich obige Schrift des Philodemus
155
negt fxovöixfjg herausgab, wie Hayter behauptet S. 40 — 4, 126, ganz aus
dem Nachlasse Mazzochi's, ohne auch nur mit einer Sylbe dessen Namen
zu erwähnen. ^)
Hayter hatte vier fähige Männer, worunter einer schon unter dem
verstorbenen Biaggi gearbeitet hatte, an sich gezogen, welche wieder
zehn andere unterrichteten und heranbildeten ; ihre Aufgabe war die
sorgfältigste Aufrollung der volumina; ausser diesen waren Copisten
bestellt, welche das Entwickelte in Facsimiles genau zu zeichnen hatten.
Sie erhielten nicht nur einen monatlichen Gehalt — die sämmtlichen
Kosten bestritt der englische Prinz — sondern es wurde, um sie beson-
ders anzueifern, überdiess für jede Zeile, die sie abwickelten, ein Carlini
(12 kr.) bezahlt. Das Verfahren, wie es S. 52 — 68 beschrieben wird,
ist der Sache ganz angemessen ; an vielfachen Anständen jedoch fehlte
es nie. Hayter hatte die Bücher des Epikur negl (pvoswg entdeckt, was
begreiflicher Weise die grösste Aufmerksamkeit der Gelehrten auf sich
zog ; der Director des k, Museum , Oberst La Vega , wusste nun nicht
nur den Druck derselben zu verhindern, sondern unter allerlei Vorwänden
auch die Facsimiles und die gravirten Kupfertafeln von vierthalb Büchern
— with the unexspected connivance of the Court — gänzlich zurück-
zuhalten ; sie fielen später den Franzosen in die Hände S. 42. 100.
Durch unausgesetzte Thätigkeit gelang es in den vier Jahren, wäh-
rend Hayters Anwesenheit, mehr als 200 Rollen ganz oder theilweise
zu entwickeln ; die dazu bestellten Leute hatten bereits eine solche
Uebung und Erfahrung gewonnen, dass in einem Zeiträume von sechs
Jahren die noch vorhandenen 1500 Stücke vollständig geöffnet werden
konnten S. 102. Die französische Invasion hatte Alles vernichtet, es
1) Auch Drummond sagt in seinen Hercul. von Rosinis Commentar, which will bear a lasting
testimony to the profound learning, either of the ecUtor liimself, or of his master, the cclebrated
Mazzochi. Rosini war als Italiener auf den Engländer und das ganze Unternehmen der
Fremden höchst eifersüchtig, überdiess weit mehr französisch gesinnt. Die Erklärung der
Fragmente Epikurs von demselben (Neapel 1809) zeigt keinen so ganz unwissenden Men-
schen, wie ihn Hayter schildert, und hier konnte er Mazzoc/ü's Gelehrsamkeit nicht aus-
nutzen. Aber so sehr der Engländer gegen Rosini eifert, eben so rühmt er das herzliche
Entgegenkommen des alten Abt Foti, den ihm der neapolitanische Hof gleichfalls zur Seite
gegeben hatte. He was the best Grcek scholar, with whom I ever met in Naples er in
Sicily. S. 44—5.
20*
Iöl5
kostete dem englischen Gesandten Drummond nicht wenige Mühe, selbst
die Facsiiuües von 1)4 Rollen, welche Hayter noch nach Palermo gerettet
hatte, ans den Händen der sicilischen Regierung in die des englischen
Prinz-Regenten liefern zu kchnien, welcher sie der Universität Oxford
zum Geschenke machte, es sind die, welche in der Praefatio des ersten
Bandes der Oxon; Hercul. Vol. verzeichnet stehen.
Dieses ist der wesentliche Inhalt des weitläufigen und keineswegs
sehr geniessbar geschriebenen P)riefes an den Prinz-Regenten ; man kann
den Erfolg seiner Thätigkeit nur n'iiimeii. Beweise und Beispiele philo-
logischer Kenntniss der Sache wie der Sprache sind allerdings nirgends
gegeben , das war auch nicht seine Aufgabe , diese war vielmehr nur,
eine möglichst genaue Abschrift, ein treues Facsimile der Urkunde zu
liefern , die weitere Behandlung des Gegenstandes selbst konnte andern
Gelehrten überlassen werden, aber das S. G4 — 8 befolgte Verftihren bei
den Fragmenten des Epikurus zeigt jedenfalls von richtiger Erkeuntniss,
er suchte nur nebenbei das Fehlende, wenn auch sich selbst wenig genü-
gend, zu ergänzen.
Dass der englische Gesandte W. Drummond, welchem nach langen
Streitigkeiten die sämmtlichen noch erhaltenen Facsimiles von der Sicil.
Regierung eingehändigt wurden, aus diesen gerade ein so interessantes
und wichtiges Stück ausgewählt und mit Genehmigung des Prinz-
Regenten als eine Probe dessen , was man zu erwarten habe , zuerst
veröffentlicht hat, zeigt von richtigem Tacte; wahrscheinlich war er
durch Hayter auf Cicero aufmerksam gemacht und dadurch zur Heraus-
gabe veranlasst worden; jedenfalls wollte er seine orientalische und
occidentalische Gelehrsamkeit zeigen; denn das Buch, so gelehrt es ist,
enthält des überflüssigen und unnützen nur allzu viel, dessen aber, was
gerade gefordert wurde, zu wenig. Ihm, der in so vielfacher Beziehung
zu Hayter stand, welcher ihm sicher alles wesentliche mitgetheilt hatte, da
er dessen Verwendung so oft bedurfte, mussten, sollte man denken, alle
Verhältnisse genau bekannt sein , es konnte ihm also kaum unbekannt
bleiben , ob die versuchte Herstellung des Textes seinem Landsmanne
gebühre, oder wie er wiederholt sich ausdrückt, S. XII. 124. 157 seqq.
den Akademikern von Portici. In der Dedication ist Hayters Name
angedeutet, wo gesagt wird, dass man nach Aufrollung der Manuscripte
15,7
fähiger Männer bedurfte, diese ab- und umzuschreiben and supply those
deficiencies in the text which but too frequently recurred. At the
head of the directors of this difficult undertaking were Rosini, the
editor of Philodeinus, an English geutleman , sent out for the purpose
bj your Royal Highness, and we believe a NeapoHtan priest , supposed
to bee deeply versant in the ancient literature. Dieser neapolit, Geist-
hche kann nach obigen nur der gelehrte Abt Foti gewesen sein ; wir
haben also hier bereits drei (jelehrte , welche mit der Ergänzung und
Herstellung des Textes beschäftigt sind , und da Hayter , wie er selbst
sagt S. !)1 vom Könige zum Academico Ercolanese ernannt wurde, so
ist auch er unter dem Ausdrucke der Akademikei" von Portici mitbe-
griffen. Wichtig ist besonders die Stelle der Vorrede über den Streit
der Auslieferung dieser Facsimiles S. XL The English Minister (nämlich
Drummond selbst) made several applications on the Court of Palermo
to have the copies restored , but without success until the month of
August 1807. It was pretended, that according to the original agree-
ment the MSS. should be published in the place where his Sicilian Majest}^
resided, tliat several Neapolitans had assisted in correcting sup-
plying and translating them, that his Sicilian Majesty had never
resigned his right to the possession either of the Originals or of the
copies , and that as a proof of this right being fully recognized , the
copies had been deposited by Mr. Hayter him seif in the Royal Museum
at Palermo. It was however finally agreed, that the MSS. should be
given up pro tempore to Mr. Drummond, who immediately replaced
them in the hands of Mr. Hayter.
Danach scheint Drummonds Ausdruck völlig gerechtfertigt und ein
mit vereinten Kräften gemachter Versuch angedeutet; da mir dieses
Verhältniss nicht bekannt gewesen ist, habe ich der Kürze halber diese
Academici gerade zu in Itali umgesetzt, was nicht richtig ist, weil auch
ein Engländer unter diesen ist. Nun erklärt aber Hayter in einer kurzen
Bemerkung zu Drummonds Herculanensia als Nachti-ag seines Briefes
S. 139 — 41, dass die Ergänzungen der Lücken in dieser Schrift von
ihm ausgehen, the Manuscript rregl rwv ^f-wv published in the Hercula-
nensia . . was decyphered and its lacunae tilled up by me . . there may
be, and there probably are, wrong conjectures in my Supplements, nur
158
möge man ihn iiiclit , wie os in Recensionen des Buches geschehen sei,
für liio Druckfehler daselbst /ur Verantwortung ziehen. Diese Angabe
veraTilasste mich, solchen Anzeigen nachzugehen und ich fand , was ich
nicht erwartet hatte.
Schon der erste Aufsatz des Februarheftes in Quarterly Review
desselben .Jahres, in welchem Drummond's Herculanensia erschienen sind
1810, enthält einen tief eingehenden Bericht über unser Manuscript
Vol. 111, S. 1 — 20.^) Der Recensent hat sich nicht genannt, man
erkennt aber leicht schon aus der Vorliebe zu den griechischen Dichtern
einen der fähigsten Schüler Porson's, wie Dobree, Elmsley und nur
nocli wenige andere gewesen sind. Was einige zwanzig Jahre später
Petersen richtiges gegeben hat, ja sehr vieles, und keineswegs das
schlechteste, was nach einem halben Jahrhundert ich in vorliegender
Abhandlung zuerst festgestellt zu haben glaubte, ist bereits hier zu
finden , ein neuer Beweis , wie wenig deutsche Philologie heutzutage
grosse Ansprüche zu machen berechtigt ist. Er erkennt das missliche,
dass der Text in Cursivlettern geschrieben ist und verwandelt, um
sicherer zu gehen , die erste Columne selbst in Uncialschrift , er wolle
zwar nicht für jede seiner (lonjecturen unbedingt einstehen, aber vieles
sei doch unwiderleglich , und so ist es. Auf diesen Bericht bezieht
sich Hayters Antwort : Observations upon a Review of the Herculanensia
in tlie Quarterly Review of last Febr. in a letter to the R. H. Sir
W. Drummond, to which is subjoined a Letter to the Author from Sir
W. Drummond. 1810. 4. Was hier dem Kritiker erwidert wird, was
die beiden betheiligten Personen selbst gegenseitig einander erklärt
haben, ist mir unbekannt, da auch Göttingens in dieser Literatur so
reichhaltige Bibliothek mir das Werk nicht zur Einsicht gewähren
konnte. Hayter wird wahrscheinlich gezeigt haben, dass es nicht seine
Schuld war, wenn die Facsimiles so entstellt veröffentlicht worden, und
stand iinn deren Einsicht und Benutzung noch zu Gebote, so musste
er durcli Proben dieses darthun ; jetzt hatte er Gelegenheit , wenn er
anders der kundige und fähige Mann war, wie von seinem Recensenten
1) Eine andere nicht so Ijcduiitciide Aii/rifri; steht im Edinburgh Review 1810, tom. XVI,
36Q_g4. Ob vii'Uiücht auch sonst noch später solche belehrende Anzeigen erschienen sind,
ist mir unbekannt.
159
Belehrung anzunelimen, so auch weitere zu geben, und hier musste die
Erklärung folgen , dass die Ergänzungen der Schrift nur sein Product
seien, nicht von den Italienern ausgehen, auch nicht als das gemeinsame
Werk beider betrachtet werden dürfen. Man wird schwerlich von dem
richtigen weit abgehen, wenn man überhaupt den im nächsten Jahre
1811 erschienenen ausführlichen zweiten Brief Hajters an den Prinz-
llegenten durch die Veröffentlichung dieses Manuscriptes hervorgerufen
betrachtet. So sehr er eine deutliche Lobeserhebung des Drummond
als Gresandten für seine thätige Verwendung ist, wozu dieser indessen
durch seine amtliche Stellung verpflichtet war, eben so ist er eine
stillschweigende Klage gegen denselben Drummond als Herausgeber jener
herkulanischen Rolle. Hayter fühlte seine Thätigkeit zu wenig beachtet
und sich dadurch , dass die Ergänzungen , welche von ihm allein aus-
gehen , den Akademikern von Portici zugeschrieben werden , verletzt,
eine Empfindlichkeit, die leicht begreiflich ist. ^)
Um die Bedeutung jener Ilecension zu zeigen, will ich hervorheben,
was daselbst bereits enthalten ist, Aenderungen, welche später Petersen
gegeben hat, sind col. II (V Neap.) 16 [Mfjjva statt [Jlajva mit Ver-
weisung auf Casaubonus Note zu Script, hist. Aug. p. 132. v. 32 är^gu)-
7io£i6sig III (VI) 3 Tor statt ro. 4. t6v ök dicc li^g statt Jta, aber unser Apogr.
hat Tdv <J* a[v]TrJg, für JIA ist kein Raum. IV (VI) 4 avroixfiooosoi, auch
der Rec. in Edinb. Rev. glaubt nur einen Druckfehler zu finden, was
keineswegs der Fall ist. 9 xaragx^? für xai uqxuc. VI (IX) 14 ^ir^Tiv xaXfT-
a^ai, 30 TQiToy£v]£iav. VIII (XI) 2 Zusatz der Negation ov. IX (XII) (pai-
vso^ai, aber das Apogr. hat vollständig yjaivstai. X (XIII) 34 uisXovqov.
XI, 33 ivaqyöjg dvmOißrjiovq. XII (XV) 2 /.s'yovvag. 19 d'rj statt stti; aus den
Schlussworten wird gefolgert, das Buch habe nicht die Aufschrift Tregt
1) De lorio Real Museo Borbonico, officina de' papiri, Napoli 1825, S. 55 gibt folgende Erklä-
rung: vi dimorö (Hayter) anni cinque, ed in questo frattempo nell" officina dai soliti svol-
gitori si saggiarono 195 pezzi, de' quali non pochi disegni furono partati dal Signor Hayter
in Inghilterra. Depo qualche tempo comparve un frammeuto di i)apiro pnblicato in Londra,
e tradotto in due letture, attribuendo la piü inesatta (! !) di esse agli Accademici Ercolanesi.
Ma questa pretesa illustrazione non si ritrova ne' due volumi giä pubblicati, ne oltre di
questi vi esiste un sol rigo di papiro illustrato dalla dotta Accademica. Ob der Mann die
Londnerausgabe je gesehen hat? verstanden hat er sicher nichts davon, sonst konnte er
nicht So unwissend in den Tag hineinreden.
uüv iVfwr, sondern ^t^qi fi'atßti'ac xcn' ^ni'xovQov getragen. So richtig die
r^ezeichnung mit den ersten zwei Worten tc^qI evosßsiac, getroffen ist,
so falsch ist das ganze, die Stelle ist dnrcli flüchtige Anschaunng völlig
uiissverstanden und dem Verbnni nnqaYQdffeiv die Bedentung finire gege-
ben; richtig dagegen ist der Gedanke im Kdinb, Rev. anfgefasst, wo
ausser tl')^ auch noch v. 22 avrov (statt aikov), wie Petersen geschrieben
hat. vorlangt wird.
Ergänznngen dagegen, welche ich hier mitgetheilt habe, finden sich
dort schon angegeben II (V) 18 Tf\^fTo^]ai.^) 2 die ganze wichtige Stelle
bereits fast gerade so hergestellt xlal rSv nXd\ru)va mg sdv (nur toV ist
noch hinzugesetzt und der Artikel nicht unpassend, auch der Raum der
Lücke nicht entgegen), A: jd d' fig ^6Y aliUQu. \?i ydQ. 18. 'A^tjvär. X (Xlll)
1 xih-, 15 rrgdc ä {.isyiOTOic. XI (XIV) 14 uäixiag.
Aber es ist noch viel mehr mitgetheilt, welches Beachtung oder
Zurückweisung verdient, damit nicht andere dasselbe Versehen machen.
Manches erklärt sich durch das neue Apographum ; hätte dieses und
das englische l-'acsimile unserm Kritiker zu Gebot gestanden und er
dem Gegenstande anhaltende Aufmerksamkeit geschenkt — dass die
Anzeige unmittelbar sogleich nach dem Erscheinen des griechischen
Textes gedruckt worden , deutet auf eine flüchtige Durchsicht — so
würde er, ich spreche es offen aus, weit mehr geleistet haben , als mir
zu leisten möglich war. Darum will ich nichts von dem übergehen,
was er zum Verständnisse des Textes beigetragen hat. Er hat sogleich
die erste Columne, die unleserlichste, als Muster gcAvählt und sie in
folgende Weise herzustellen gesucht
xaXfT\v dg jrjv nqo-
eÖQiav. ovrmg insl
TicxQadidovTai Tiveg
(x]iv dyadol xal svsQ-
5 ysTixol, xiXevGfiv
TilJ,u\v aihotfg [^voi-
ut,\g TOiaihaig, avtdg
t)"] ov[x] svl^uOdcci Toig
^ioTg. [fx]o)Q[C]av ydq
\) Der Kec. in Kd. Uev. vormutlict rt[r«/*]«''
161
10 äv sivai firßd-iv 6isi-
X[rjg)ö^7C( ttsqI avTMV
3^0QVfit]lv iavTov. dX-
Xa 0£ß€U^]ai. XqvOitt-
Tzog di %d n^äv inl Ji'a
15 dva(f£'QO)V e^'] rm nqw-
TM ntQi ^£(iör\ Jia (prj-
Oiv slvai vovvj dndv-
Toov xul Trd]vTa Xöyov
xai rrp' rov oXov xpv-
20 /fyV xal -rrj tovtov
f.i,[^v ngovoia] ndvta
7iavta%ov yiv£l^o\ßat,
x^al \Td ^oTa] xcd tovq X[i-
■if\ovg. 6iu xa'i Zfjva
25 xuXeToi^ai dtd dotl r>-
QIOV, TOV le XÖG/IOV adö-
fia] s'i^ipvxov slvai, xal
^edv [srr^ai, rd )^[y£/iov(-
xSv [xja/. trjv [rov xJoGfXOV
30 tpt'xrjr, xal [ovT]co[g /iM'
a\vttXyo r fvv\d^£0-
^ai TOV Jia^ xal rrjv .
xoivijr TrdvTwv [slvai^ (pvOiv.
muss man es auch für eine Verwegenheit halten, auf diese Weise Scharf-
sinn und Kenntniss zu missbrauchen, so zeigt doch eine nähere Ver-
gleichung alsbald die Vorzüge dieser Ergänzung sowohl von Seite des
Gedankens als der Sprache, v. 13 wird Chrysippus. eingeführt und
richtig ist erkannt, dass EIJIJIA nicht ein Verbum enthalte [imdiaxQivm'
Hayter, sniSiaTdoowv Petersen), dass der Begriff vielmehr sei, alle Bedeu-
tung werde auf Zeus als den Inbegriff alles (iöttlichen gelegt, also
£Trl Jia. Aber Chrysippus war nicht der erste, der dieses that, und
der Uebergang zu ihm, dem Haupte der Stoa, kaum durch ein einfaches
6i eingeleitet, wie bei seinem Anhänger, Diogenes, v. 14. iatu vero
Chrysippus führt ihn Cicero ein ; wahrscheinlich stand hier jtX[Xd firjv
x]al XQvOiTinog. Vortrefi'lich ist das nächste Jia (frj[Oir t-ivai voPv] anav.
Die editio princeps hat 6ta Qtj, so dass ein Buchstabe zu fehlen scheint,
woraus Hayter diuQQrjdrjv Tr]v (pQ£va ndvtwv machte , was Petersen unbe-
Abli. d. I. ( 1. a. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. 1. Abth. 2 1
UV2
denklich aufgvnomiuen hat: iU>r Kritiker aber gibt Jia (prj[ah' thai vovr^
uTTttv, und in (Ut Tliat hat unser A[)(>gr. deütlieli JlAd'U ohne irgend
eine Lücke: der Aus^druck vovy ist eben so geeignet als i^^iva falsch,
dieses Wort wird in diesem Sinne bei den Philosophen nie für votK
oder Xoyoc gebraucht. Auch die liereinziehung der Trqorota v. 21 ist
nicht nnpassend, aber i^t[^.i\ das schon v. 4 auffallend und bedenklich
ist, kann weder hier noch \. 21 und 80 stehen; sichere Ergänzung ist
überhaupt nicht inr)glich. v. 2G findet er 25 Buchstaben (es sind 23)
was für eine Zeile /.u viel ist, streicht deswegen rov am und versteht
nun einen gar nicht üblen (bedanken hineinzulegen. Dieses ist ein deut-
liches Beispiel , welches zur Vorsicht mahnen muss , er konnte nicht
wissen oder vei-nmthen , dass im Oiiginale über oder unter der Zeile
ausgefallene Worte eingeschaltet sind; hätte er Hayters Facsimile vor
Augen gehabt, er würde vielleicht wie ich darüber geurtheilt haben;
die Schuld trifft den Herausgeber Drummond, der so unkritisch und
sorglos mit dem Texte verfahren ist, unserm Kritiker aber dennoch
Gelegenheit gegeben hat, einen geistreichen Gedanken aufzufinden und
in die Buchstaben einzuilechten, nämlich tov ts xöGfiov ow/i« efixi'vxov slvai.
er hat jedenfalls i-ichtig erkannt, dass die überflüssigen Worte nicht
in diesen Satz gehören, v, 30 ist Hayters Supplement beibehalten,
aber es gil)t weder Sinn noch Zusammenhang, ebensowenig verständlich
ist die Vermuthung in Edinb. Kev. 580 xai [ot'V](ö[s- a]valyov tv vlofxiXso^&ui
TOT Ji'tt, man sagt uvakytc oder dvdXyi^rov.
Da mit Zeile 12 Chrysippus eingeführt wird, ist das vorausgehende
von einem Vorgänger, wie man aus Cicero sieht, Persaeus, gesprochen.
Lusere Sammlnng gibt ausser den 24 Fragmenten noch drei Columnen,
von welchen Diinnmond, weil sie zu schadhaft sind, gar keine Erwäh-
nung macht. Das untere Stück der zweiten Columne enthält noch
folgende Buchstaben
yior . N Hror
EN . Sil KOC
KAI . ON ENA
noNAnoT G
5 &AI . HEICA . . . . JH
V
AOCECTIN
163
ZS2 . TO . AI MONI . .
H MH0E . . - EP AV^)
10 TOr riNüCKÜNOTAN
BN . nEPI &Ei2NMH
schon das Randzeichen lehrt, dass dort ein neuer Abschnitt beginnt,
und die Ergänzung- O^at. [o] nf-Qaa\Toc 61] 6'i]hk sütiv . . yivolaxurv ergibt
sich von selbst. Was Philodemus in fast zwei Seiten von diesem Stoiker,
mit Beziehung auf dessen Buch thqI dtmv, gesagt hat, ist von Cicero in
einen Satz kurz zusamrnengefasst : at Persaeus eiusdem Zenonis auditor
eos dicit esse habitos deos , a quibus magna utilitas ad vitae cultum
esset inventa , ipsasque res utiles et salutares ") deorum esse vocabulis
nnncupatas , ut ne hoc quidem diceret , illa inventa esse deorum , sed
ipsa divina. Darauf nun beziehen sich auch die zwölf Zeilen der vierten,
resp. ersten Columne, aber v. 7 — 12 aus dem erhaltenen den wahren
Gedanken zu finden , und diesen in seine Worte zu kleiden , d, h. die
Lücken richtig auszufüllen , ist bis jetzt noch nicht gelungen. Was
unser Kritiker wollte, lehrt dessen Uebersetzung, er hat nämlich das
ganze Stück S. 12 — 5 in seine Sprache übergetragen, man erkennt
überall , auch wo man nicht beistimmen kann , den verständigen und
denkenden Mann , aber er kann öfters seinen Gedanken nicht ohne
gewaltsame Aenderung Eingang verschaffen. So ist es nicht erlaubt
V. 9 dwQsdv, was auch unser Apographum ganz deutlich gibt — dasselbe
hat V, 8 das Futurum tv^eu^ai übereinstimmend mit xeltvotiv — in
fiMQtav zu verwandeln, vielmehr muss dieses duiQ^dv eine sichere Basis
bilden, auf welcher der richtige Gedanke erst zu finden ist.
II (v) 10. cog [xal] ^irj6i, ein unnöthiger Zusatz, wie auch sonst;
hätte Drummond den Text in der Form gegeben, wie er ihm überliefert
war, so hätte der Anblick der Tafeln und die entsprechenden Buch-
staben der Zeilen den Rec. von allen solchen Versuchen fern gehalten.
1) Ob v7Ti() (iVTov oder fVfp' uvtov gewesen, ist mit Sicherheit nicht zu entscheiden, gemeint
aber scheint Ariston, von dem Cicero §. 37 sagt, dubitetque omnino deus animans necne
sit. also (jioiiqov) ^täf zo äaifiofiov ^ firi.
2) Darauf beziehen sich wohl die Worte Col. III .. . tpuivta^ai ra ntQ\i] r« T^irforra xal
wfpi'/.ovvTa .... vtvo[j.ia . . .
21*
KU
(^v. 22 tler Kec. dvv \\d. R. oan/, wiUkürlicli dxoiixrj\Tov). v, 25. ro' [ycoj^
Ja' io»' '.-i.TfUAw statt Toi>c (f^, was das Apographum ganz deutlich gibt;
nur ein Missverständniss hat zu dieser Vennuthung geführt; die einen
bezeichneten den ai^t'^Q mit dem Namen des Zeus, andere aber mit dem
de» Apollo. V. 31 nXüxTfGi^m [arVorjc drdqlwnosiSsTc, x«^'] ov tqötiov. Der
Anblick des Apogr. zeigt, dass für die erste Ergänzung die Lücke zu
klein ist, es fehlen nur drei Buchstaben, daher auch o^tovg von Petersen,
welcher ebenfalls dv&gwTToeidth gegeben hat, nicht wahrscheinlich ist.
III (VI) 19 (eva(ftgft {fiv,'/ix]d statt liayters \OH\a, falsch, richtig
dagegen Petersen druiftQÖ^usra. 23 ov]c, dadurch wird das Verbum ntigdtai
zu Kleanthes gezogen, das Subject aber ist vielmehr Chrysippus, daher
Petersens wg vorzuziehen, auch spricht die Lücke mehr für einen, als
für zwei Buchstaben. Dagegen hat unser Censor v. 2(i mit avtc5[v
recht gegen Petersens avrov. «s sind die beiden Stoiker gemeint,
29 vtog . . . xur, was Hayter mit g/,ov ergänzt, unser Kritiker in wc (prjai
verändert ; aber ridc fordert der Uedanke und steht im Texte ganz deutlich,
die Lücke umfasst zwei, höchstens drei Buchstaben, ich hatte sie durch
vidc [log] xdv ZU füllen gesucht. 24 wird ohne allen Grund (ir^dlv
statt |U?y geschrieben, da nichts ausgefallen ist.
IV (VIT) 5 xdv T(ü tt£qI uqstwv [nQuho) i]o»' Jia roßoi' (prjol^v] €ivai.
Der Gedanke ist richtig erkannt, JIA ist nicht Praeposition , wie noch
Petersen angenommen dqfTmv. [roiomlov Sid vofiov (prjoiv shui. Der Zusatz
TtQunia ist unrichtig, aber es ist nicht die Schuld des Kritikers ; er hätte
sicher dasselbe, was ich oben S. 13G gegeben, wäre er nicht durch den
falschen Text mQ . uqtroiv statt ntgi . agircov ine geführt worden. 15 statt
liayters ovvo)'\f.i[oO£ wird ownuoloysi vermuthet, was schon der Raum
nicht gestattet, eben so wenig hat v. 19 ein [jxtv] von rryi- Platz
32 schliesst die Columne mit xai Xoyovc t, die nächste aber beginnt mit
ro)Ta( navtac. Da tvonai kein griechisches Wort ist, wird geistreich ver-
muthet, es sei eine Zeile ausgefallen, etwa xal Xdyovg ilTidyn . . olc r) dö^a
TKTtvx^vcarai navtac.
V (VIII) 16 wird nach rdv am Ende der Zeile ^liv eingesetzt, was
man nach dem Cursivabdruck für thunlich halten könnte, unser Apogr.
zeugt, dass dieses wie sprachlich nicht nothwendig, so räumlich nicht
möglich ist; richtiger scheint v. 10 niQiexi^\iy dl, oder wie in Edin. R.
165
7ifQisxs[a^ai 6i der Zusatz der Partikel, aber unser Text gibt imdQlxfiv]
rj TtsQisxt . . wodurch die grauimatische Verbindung hergestellt ist. 25 ovS'
fiaSvasiv . . ot'J" dokr'jXpsiv , man sagt krjipso^ai. 28 ftvm rä ts rov Jiog.
31 TToOftSälra [elrai] nicht nothwendig.
VI (IX) IG SV [fx^v wozu hier so wenig Platz ist, wie 21 zu (fo)vt]v
[fivai] fx, aber auch kein Erforderniss. 24 vnod s^i'^ai Ss tov^" fm rrj
Te'xvrj ovvs^tj i] (pQovijoig. Dem Gedanken ist vTiodtT^ai wohl angemessen,
stimmt aber wenig mit den Buchstaben unsers Apogr. Was ows^t]
soll, verstehe ich nicht, sonst ist die Stelle geordnet, wie ich sie S. 142
gegeben habe. 29 ilccXXdSa, richtiger Petersen TQitwvida.
VII (X), 4 avltfjc. (11. Im Edinb. R. ov% oXo^g xarslnrov ... V. 15 yin-
Udai ä^, beides falsch). 17 ol TroXlovg. 19 xäv Iva jxuvov XiiirwOiv,
dvaiqdv. 21 toTg noXXoig, SO hat unser Apogr. 31 (isßeX/jxaoiv statt des
ungewöhnlichen fifftrjxaoiv 34 tivdg.
VIII (XI) 12 xa&drrfQ [xal] nicht noth wendig und kein Platz dafür.
o4. S' woainoDg nicht richtig.
IX (XII) 20 [oJc] l-vioi. ol d(f^d()ijvc, dem Gedanken nach richtig,
aber xaiy)^uQroi>g ist die Krasis.
X (XIII) 19 td [yr^Qfta] Snl sehr schön nach Nikander old ra 6t] yi^gna
vilovg Tf^Qv^inivu ndjinov vsq" eTunXd'Cono, doch ist der Raum ZU so vielen
Buchstaben nicht ausreichend.
XI (XIV) 2 orav re X[syoi']oi , ein grammatisches Versehen, das nur
die damalige Zeit (1810) entscliuldigt. 11 d(ps"ieG&ai , statt d(fsv'§eoihai,
woraus Petersen dnocpev^ea&ai gemacht hat, das neue Apogr. hat das
richtige mit unserm Kritiker. Dagegen ist 13 ok ii]bi' unrichtig.
24 fiX£7T[e]Tm d' ov[v oVt] xai. Hayters Correctur ßXs7T[>f\Tai im Sinne:
man sehe auf alle , ist sprachlich etwas auffallend und ungewöhnlich,
aber für on ist kein Platz, man könnte auch an den Imperativ ßXt'nfie
denken, aber man sieht keine Spur einer Correctur.
XII (XV) 2 ^fol doxovvxag oder Xkyuviag, im Edinb. Rev. wird d^fol
Ssixvvovjag verum thet. 9 amfcojr.
Die Abweichung des englischen und neapolitanischen Apographum
wird um so auffallender, wenn man aus den Unterschriften des Letztern
vernimmt, dass dieses von denselben Copisten ausgeht, welche Hayter
für seine Arbeit verwendet hat. Die Vermuthung liegt nahe , dass die
16G
erste Abschrift der entwickelten Columnen nocli ungenau gewesen, auch
manches abgerissene Stück des Papyrus anfangs übergangen und erst
bei der genauem Durchsicht Ilayters eingetragen worden. Man ver-
gleiche die ersten sechs Zeilen beider;
Neapol. Anglic.
. ... IN EIC THN ... V eig rtjP n()o
0 . . . Ay OYTSiC EIT . fd av ovtwq irrti
HA . . JE./OMTAI . E(^ na nSadovrai iivsc
rA&OI KAI EIEP evaya^oi xm tveq
K KE.4EYCEIN yti x xeXsviSfiv
NC V a Tovg
V. li> — 30 gibt ersteres am Anfange der Zeilen nur eine grosse Lücke,
llavters Abschrift hat noch mehrere Buchstaben, theilweise selbst Wörter
erlialten. Man möchte also meinen, nur solche erste Abschriften seien
in (Ht^ Hände der Neapolitaner gekommen. Dieses erklärt vieles , aber
keineswegs alles. Wenn man auch annimmt, dass VIII (XI) 16 eine
ganze Zeile (r?;* iiön^i Soxovöij) erst bei Uebertragung in die Cursiv-
schrift übergangen, dass auch anderes wie XI (XIV) 11 uiptr^tOv/^m für
«y^ffoV/a/ auf dieselbe Rechnung zn setzen sei, so hält es doch schwer
z, B. II (V) 28 Yorsvfia statt yrrevina eben so zu erklären , ganz unbe-
greiflich aV)er wird, wie auf diese Art das italienische Apographum hier
und doi't mehr Buchstaben enthalten könne, und will mau in dieser
Schrift auch alles dem englischen Heransgeber Drunnnond zii Last legen,
so tritt derselbe Fall in den Büchern, von welchen das englische Fac-
simile uns selbst vorliegt, wie negi oQyTjg, nicht minder ein. Fs ist zu
wünschen , dass der gelehrte Herausgeber dieser nova collectio durch
eigene Fiinsicht der erhaltenen Papyri darüber entscheidenden Aufschluss
ertheile.
"Während des Druckes dieser Abhandlung sind die Hefte II, III, IV
des zweiten Bandes eingetroffen, sie enthalten nicht weniger als 107
Folia, welche die Aufschrift TrfQi, ivOtßfi'ac tragen, im Ganzen also, die
des ersten Heftes mitgerechnet, liegen 147 Ctjlumnen vor. Lassen sich
auch einzelne Sätze und Gedanken, theilweise selbst eine oder die
167
andere Seite genüg-end erklären, so bleibt das Ganze doch so unvoll-
ständig und ist die Ausführung so breit, dass niemand aus diesen Frag-
menten auch nur den nähern Inhalt zu bestimmen vermag; auch ist
die Folge der C'olumnen , wie die Randzahlen bezeugen, nicht die rich-
tige. Zur Erklärung des zweiten Theils , der eigentlichen Epikurischen
Lehre , kann demnach aus diesen Fragmenten nichts gewonnen werden,
und wir nnissen es Cicero Dank wissen, dass er den Inhalt derselben
in wenigen Worten zusammengefasst hat. Mit richtigem Tacte haben
die Engländer die zusammenhängenden Columnen , welche eine Kritik
der Theologie des Chrysippus und Diogenes enthalten und noch zumeist
leserlich sind, zur Bekanntmachung auserwählt.
Aristotelische Studien
von
Leonhard Spengel.
I.
^N'ikomacliisclie Ethik.
Vorgetragen in der Sitzung der philos.-philol. Classe am 7. Nov. 1863.
Ethik und Politik des Aristoteles sind allgemein anziehende Schriften
und jedem Gebildeten empfehlenswerth ; — sie heben das rein mensch-
liche klar und deutlich hervor; was die Natur dem Menschen für eine
Aufgabe gestellt und wie er dieser nachzukommen hat, ist hier wie
nirgends nachgewiesen.
Das Princip dieser Ethik ist, dass der Mensch iin Allgemeinen ein
Streben nach dem Wahren hat, dasselbe auch grossentheils erreicht,
dass in den besseren und edleren Naturen überall dasselbe sich geltend
macht, darum auch was alle besseren wollen und aus innerem Triebe
mit bestem Wissen und Gewissen erstreben, als allgemeine Regel, als
Richtschnur alles menschlichen Handelns betrachtet werden muss. Aller
Werth wird daher auf den o()Mg Xöyog gelegt, der gesunde Menschen-
verstand spielt die Hauptrolle in der Ethik unseres Philosophen. ^)
1) Hier die Stellen aus der ersten Hälfte der Nikomachien (im sechsten Buche folgt die
eigentliche Erläuterung) zugleich um sprachlich die verschiedene Anwendung des Ausdruckes
kennen zu lernen. 11, 2 xo fiiv ovy xuiic zw 6Q,9öy Xoyoy n^diznv xotvoy xai vnoxiiad^to.
Dass der a7iovd'(tCoc iliantQ y.at'ujf xiä fxtzgoy des Handelns ist, wird IH, 6 gezeigt. HI, 8 xai
ozi i'(p' Tjfiiv xai ixovaioi {ai d^tzui), xai ovzaig oJf «V ö o^tfös Xoyog n qogz d^r^. III, 10 oif
Sti ä't xai (og 6 Xoyog vnofi.ivtt zov xaXov i'ytxa; ebendaselbst xaz' d^iav ydg xai (Jf «V 6
Xoyog nda/n xai Tigdzzn 6 dvdqitog. III, 11. 1117, 8 ov yaQ dul z6 xaXof ovd' tag 6 Xoyog.
III, 14 6 dt OdicpQUiv ov zoiovzos, dXX' (Jf d 6q96s Xoyog, eben so III, 15 fine. IV, 11 ^fj
dyiaS-ai vno zov nd&ovg , «AA' aJc «V <5 Xoyog rßffl. V, 10, 1134, 35 dio ovx iCijxtv ä();(iiy
dvfkquinoi', uXXd zöf Xoyoy mit Beziehung auf Protagoras Ausspruch. II, 6 dQtztj . . t'y
fxtaöztjzi . . ujQiafxiyt} Xoyia xai mg au 6 (pqovifiog o^ia tiiy. Der Nominativ laqiafiivrj bei
Bekker ist wohl nur ein Druckversehen, die frühern Ausgaben geben alle den Dativ, und
dass auch Alexander Aphr. p. 295 nur so gelesen hat, — er gibt r^f futauzrjrog . . zijg wQia-
ftiyrjg — hat Nieländer S 14 richtig bemerkt Der Xoyog bestimmt die richtige Mitte, nicht
die t'Sig, dieser muss hier in der Definition hervorgehoben werden. Bei Stobaeus II. 300
hat Heeren den Nominativ gesetzt.
22*
172
Aristoteles war gewiss nicht der erste , der die Wichtigkeit dieses
Princips erkannte, aber wohl der erste, der es zu einer solchen Anwen-
dung brachte. Protagoras hat mit seinem verschrieenen Satze av^gwnog
fitiQor drrdyiwi- xe',.««ia)r schwerlich etwas anderes gemeint, wenn auch
der zu allgemeine Ausdruck avO^gconog der Missdeutung und vielfachen
Chikane ausgesetzt war. Kann doch Piaton selbst nicht umhin, in
seiner Widerlegung zu gestehen, der o'o(pog sei ^sxqov dndvTwv xqrmdttav,
und wenn er auch anderswo den ^foe dafür setzt, so folgt doch sogleich,
dass der ococfgcüv die nächste Stelle einnehmen und Gott lieb sei. ^) Daraus
ist der stoische oo^og, das Ideal jener Philosophie geflossen, im Wesen
nicht so abweichend von dem Sgi^dg Xoyog des Aristoteles , nur beachte
man, was dieser wiederholt hervorhebt, dass die Ethik ihre ganze Bedeu-
tung in der Praxis habe und im Grossen und Groben anschaulich gemacht
werden soll, von ihr man also keine strengen mathematischen Beweise
zu fordern habe.
In dieser Ethik kann gezeigt werden, was Aristoteles mit Piaton
gemein hat und worin er von ihm abweicht ; wird auch der Gegenstand
bei ihm von ganz anderem Standpunkte dargestellt , in der Hauptsache
und in dem Resultate begegnen sie sich doch häufiger, als man gewöhnlich
anzunehmen pflegt; ich glaube dieses schon früher von einem Beispiele,
die reinen Vergnügungen betreffend, nicht ohne Erfolg nachgewiesen zu
haben. -)
Umsonst war die Abhandlung über die unter dem Namen des
Aristoteles erhaltenen Ethischen Schriften im Jahre 1841 nicht bekannt
gemacht. Bonitz, mit dem Ergebniss vollkommen einverstanden, ver-
sichert^) durch jene angeregt seine Observationes critic, in Aristotelis
quae feruntur Magna Moralia et Ethica Eudemia 1843 ausgearbeitet zu
1) Plat. Theaet. p. 262 Bkk. (183) . . ovnoi cvyxuqovfiiy avtm ndvx^ ayd^a nuvxoiv /pi^/zarwj'
fiiTQOy icfui, ciy firj qi (ioi' ifMoi tig p. p. 25:5 (179) «ydyxt] avrio ojuoXoyity aocpujTt^oy Tt
i'M.oy ii'/Xov tiyca xul zoy [xty zoiovroy [j,irqoy tlyai. De legg. IV, 355 (716) 6 (fij
&töi rjuty nuytujy ^(}i^fX(hojy fiirQoy uy l'iij fKtXiOTa, X(d nokv . f^üXXoy rj nov rig wf (paaiy
uyff^uiTiOi . .
2) In der nachher angeführten Abhandhing S. 86 seqq. Dass auch der Satz in medio virtus,
die /utaoTtjg, der platonischen und älteren Philosophie nicht fremd ist, hat Nieländer Erläu-
terung des von Ar. in der Nile. E. gegebenen Begriffes der Tugend S. 9 seqq. nachgewiesen.
In diesem Sinne müsste so viel wie möglich weiter geforscht werden.
3) Jahn'8 Jahrbücher LXXIX, 16.
l73
haben, und das allein ist schon viel werth. Die controversen Punkte,
von denen manche wichtige Frage von mir selbst mehr angeregt als
endgültig entschieden worden, wurden weiter untersucht, namentlich
gebührt Trendelenburgs Schule das Verdienst, diesem Gegenstande beson-
dere Aufmerksamkeit zugewendet zu haben. Bendixen hat Philolog. XI.
XIV. XVI in seiner Uebersicht über die neueste des Arist. p]thik und
Politik betreffende Litteratur alles hieher gehörige sorgfältig erörtert,
anderes ist seitdem zugegangen und es hält schwer alles einzelne genau
zu untersuchen und zu würdigen. Ich selbst hielt mich ferne , nur
Fritzsche's freundliche Aufforderung konnte ich nicht ablehnen, und
habe seine verdienstliche Bearbeitung der Endemischen Ethik anzuzeigen
nicht unterlassen. ^)
Wann ich jetzt nach mehr als zwei Decennien manche meiner längst
gemachten Bemerkungen hier niederlege und die Ueberzahl des Geschrie-
benen vermehre, so geschieht es, weil ich wünsche, dass meine Zweifel
und Bedenken gleichfalls zur weiteren Forschung anregen und ihre
Widerlegung finden mögen.
Sprachliche Bemerkungen, welche die Eigenheit des Autors nach-
weisen, werden stets willkommen sein ; um aber hier mit Erfolg bestimmen
zu können, bedürfei) wir eines Hilfsmittels, wie wir es zu Homer, So-
phokles und einigen andern Autoren besitzen, eines vollständigen Lexicon
Aristotelicum. Bekker's Vergleichungen haben das klare Ergebniss ge-
liefert, Avoran man vordem nicht denken konnte, dass die logischen
und naturhistorischen Schriften , weil sehr alte Handschriften davon
vorliegen , viel reiner und besser als die ethischen , die Politik und
1) Müncliner gel. Anzeigen 1852 XXXIV, Nro. 54-6. Aus dieser nur wenigen zugänglichen
Zeitschrift ist von jener Anzeige manches herüber genommen worden; Versuche anderer
werden nur insofern berücksichtigt, wenn sie dieselben Stellen behandeln. Piatons Freunde
pflegen ihm ihr ganzes Leben hindui'ch anzuhängen, Aristoteles findet oft ungestüme Lieb-
haber, die sich ihm mit Zudringliclikeit nähern, aber eben so schnell ihn verlassen; einige
halten länger aus, selten bleibt ihm der eine oder andere sein ganzes Leben lang treu; zu
diesen letzten glaubte ich damals Fritzsche reclinen zu dürfen; bis jetzt hat er dieser Hoff-
nung nicht entsprochen und es sollte mir leid thun , wenn auch er thatsäehlich bezeugen
wollte, wie wenig Glauljen man überhaupt meinen t'onjecturen schenken dürfe; es sind
davon bereits nur zu viele Beispiele und Beweise vorhanden. Hat er inzwischen für sich
ruhig in seinem Philosophen fortgearbeitet, desto besser; er wird dann auch umso Vorzüg-
licheres liefern.
174
einii>:e andere erhalten sind , welche , nur in ganz spätem Abschriften
überliefert, vielen Aenderungen unterworfen waren, und doch ist es ein
grosses (xlück, dass diese noch so leserlich sind und nicht alles gleich
dem Schlüsse der Eudeniischen Ethik, d. h. ganz unverständlich ist.
Bedeutung und Zusannnenhang der Gedanken geben die meiste
Schwierigkeit und veranlassen oft zu gewaltsamen Aenderungen, wie
die neuesten Versuche nur zu deutlich belegen. Wichtiges haben bereits
die Gelehrten des XVI. Jahrhunderts geleistet, in welcher Zeit diese
Schriften an den hohen Schulen mit besonderem Eifer betrieben wurden,
vieles richtig verbessertes mag wieder verschwunden (Muretus), anderes
noch in abgelegenen Büchern verborgen sein, was wir spätere Epigonen
zuerst gesehen zu haben uns rühmen ; man kann sich davon aus einem
Basler Exemplare in der Heidelbei'ger Bibliothek überzeugen , welches
Jos. Scaliger (Nie. Eth. M. Mor. Polit.) emendirte ^) und wo noch immer
des neuen und brauchbaren vieles zu finden ist. Nicom. V, 7. llo2,61
— 11 ifftt d^ . . loiovTov stehen drei Zeilen, welche unten 1133,14 wie-
derkehren. Bekker macht dazu die Bemerkung, die einzige, welche im
Texte der kleinen Ausgabe zu finden ist: addebant quae infra leguntur
. . expunxit Trendelenburgus. Die Sache ist richtig, aber nicht Tren-
ilelenburg hat das zuerst bemerkt, sondern längst viele andere, Muretus
Giphanius, Lambinus (nicht Zwinger wie Zell angibt), Coraes, Cardwell;
auch Scaliger hat in seinem Handexemplare den ganzen Satz gestrichen.
Man lernt daraus wenigstens , dass alle unsere Abschriften aus einem
Exemplare stammen, und dass der Fehler alt ist, sieht man, weil schon
der Paraphrast wie M. Ephesius diesen ungeeigneten Zusatz hier kennen
und erklären. Wichtiger wäre, zu wissen, wie ein solch früheres Her-
übertragen möglich geworden; dem Anscheine nach kaum anders, als
dass ein Blatt zu viel umgeschlagen wurde, der Schreiber später den
Irrthum l)emerkt, aber den Satz zu streichen unterlassen hat; dann
würden 37 Zeilen (^i'oTi 6i . . . loao'^rjvai) auf einem Blatte jener Hand-
schrift gestanden haben. Hier ist die grösste Vorsicht nöthig, leicht
kann man die Worte niclit in dem Sinne und Geiste des Philosophen
1) Duaü zu (1er zumeist curruinjjirten Eudeniischen Ktliik Scaliui-r nichts gegeben hat, ist sehr
zu beklagen.
175
auffassen und findet sich dann zur Aenderung genötliigt, welche, hat
man den Gedanken des Aristoteles richtig begriffen , überflüssig wird.
Man darf solche Versuche nur mit grossem Argwohn betrachten; gar
vieles, was neuere in dieser Art gegeben haben, halte ich für miss-
lungen, und wenn andere von meinen Versuchen nicht besser urtheilen,
so ist dieses nicht mehr als billig, ich warne zumeist vor jeder vor-
eiligen Annahme und fordere zur strengen Prüfung auf; nur was alle
Probe bestanden hat, soll der Zukunft erhalten bleiben.
Die Hauptfrage der frühern Untersuchung betraf das Verhältniss
der drei Schriften zu einander zu bestimmen. Häufig war man der
Ansicht, in ihnen aus den Vorträgen des Aristoteles von Zuhörern
zusammengeschriebene Hefte zu besitzen, Schleiermacher dagegen glaubte,
dass die Magna Mor. den ältesten Ausspruch haben aus Aristoteles Nähe
zu stammen, wenn sie auch nicht von ihm geschrieben sein sollten, dass
die Eudemia in einer etwas spätem Zeit von einem ziemlich unfähigen
Peripatetiker ausgehen, die Nikomachia aber am meisten von der Strenge
der Behandlung des Gegenstandes abgehen. Meine Forschung hatte das
Ergebniss geliefert, dass die Nikomachia, wie man auch bisher allgemein
angenommen hatte, das ächte Werk des Aristoteles bilden, die Eudemia
eine spätere Umarbeitung aus denselben mit theilweise eigenen Aender-
ungen und "Zugaben enthalten, die grosse Ethik aber, nur ein Auszug
von beiden Werken aus später Zeit, am wenigsten Beachtung verdiene,
wichtig zwar zur Vergleichung , an sich aber nicht bedeutender als der
Auszug der peripatetischen Ethik bei Stobaeus. Diese Sätze schienen
mir unbezweifelt und unanstreitbar.
Aus der Aufschrift "H&ixiöv EvSrjfj,im' glaubte ich, da das Alterthum
ebenfalls Ev6r'^fifia Urakvtixd besass (zugleich, mit der Aufschrift Evö/ßiov
vniq ^AvaXvTixwv) auch hier auf den Schüler des Aristoteles als Verfasser
schliessen zu dürfen, der die Schriften seines Lehrers in anderer Form
darzustellen und zu verbreiten suchte. So hatte er auch nach dem
Tode des Philosophen die (pvaixr] dxQÖaOig umgearbeitet und hält sich so
176
genau an den ilun vorliegenclen Text, dass er über eine Stelle an
Theoplirastus, die Inhaber der Handschriften des Aristoteles, die Anfrage
ergehen Hess, welches die Worte im Originale des Meisters seien. Diese
Physik stand noch dem Simplicius zu Gebot, er führt mehr als hundert
umfassende Stellen ausführlich an , um die Auffassung und Ueberein-
stinmiung dieses ältesten Schülers zu constatiren, sie bezeugen sämmtlich
eine ähnliche Bearbeitung, wie wir sie hier in der Ethik finden. Diese
Scherben sind so zahlreich, dass man sie getrost mit einer andern grossen-
theils noch erhaltenen Vase zusammenstellen und ihre Uebereinstimmung
bezeugen darf. Absolute Gewissheit gibt allerdings auch das nicht, aber
die grosse Wahrscheinlichkeit ist vorhanden; mir selbst ist inzwischen
manches Bedenken gekommen;^) wo indessen das Werk spricht, hat
der Name wenig zu bedeuten. Dass es ein wichtiges Hilfsmittel für
das Verständniss der aristotelischen Ethik ist und bleibt, wird Niemand
in Abrede stellen.
Dieses Ergebniss fand fast allgemeine Anerkennung; nur zwei
Stimmen haben sich dagegen erklärt, die eine in Frankreich, die andere
in Deutschland. Barthelemy St. Hilaire ^) gibt in der Einleitung seiner
üebersetzung der drei Ethiken eine Uebersicht der Ueberlieferung und
stellt die verschiedenen Urtheile über dieselben in alter und neuer Zeit
zusammen. Im Ganzen ist er mit mir einverstanden ; die Eudemia stehen
ihm niedriger als die Nikomachia, aber er hält sie nicht für ein Werk
des Eudemus ; die grosse Ethik sei nach beiden gemacht und zeige eine
weniger kundige Hand. Auch die drei controversen Bücher der beiden
ersten Werke — um dieses hier zugleich mit anzuführen — weist er
den Nikomachien zu, glaubt aber nicht, dass die erste Abhandlung über
1) Nach wiederholter Leetüre habe ich 1843 meine Verbesserungen zu den Eudemia und M.
M. zusammengeschrieben und dabei mein Bedenken nicht verschwiegen. Das mag wenig-
stens beweisen, dass ich nicht zähe an meinen Forschungen hafte, man kann einiges
anführen, was man der Zeit des Eudemus ungerne zutraut, z. B. 3, 7 o txukovy ot ciQ^atoi
fiixiaiv, I, 5 iMXQuzr/g 6 7iQt(tßvTt()og, VII, I, X 6 yiQioy. VII, 14, 1248, 29 ol ndkai i'Xiyoy
von einer Definition der eviv^i«, aber wo keine mathematische Gewissheit möglich ist,
muHS man sich mit dem wahrsclieinlichen begnügen.
2) Murale d'Aristote traduite par I Barth. St.-IIilaire- Paris 1856. 3 Bände. Dissertation pre-
limiiiaire 1, Seite CCLV— ('(TXXXIV. Sein Urtheil über meine Arbeit S. CCXCIII — V.
Vgl. Beiidixen Jahresbericht Philol. XVI, 465—9.
177
die Lust VII, 12 — 15 von Eudemus sei. Aristoteles habe seine Werke
grossentheils unvollständig hinterlassen, also auch die Ethik; wäre ihm
eine Umarbeitung gegönnt gewesen, er würde das nachlässige und wider-
sprechende verbessert, mehr als eine Stelle gänzlich unterdrückt haben.
Man habe daher hier nur den ersten Versuch des Autors selbst zu
erkennen , welchen er später vollständiger ausgearbeitet dem zehnten
Buche eingelegt habe , und man müsse den alten Herausgebern Dank
wissen, dass sie solche Concepte, wenn auch auf Kosten der Anordnung
und des Zusammenhanges nicht gestrichen haben. Es ist hier zunächst
der Zweifel an der Autorschaft des Eudemus ; man begreife nicht , wie
ein so gelehrter Schüler ein derartiges Werk, das nur ein Nachhall der
Nikomachien sei, in seinem Namen als ihm eigen ausgeben konnte. Man
berufe sich auf Alexanders Ueberlieferung von Ev^r]i^isicov 'Avalvtixwv und
vorzüglich auf Simplicius ; aus Letzterem scheine allerdings hervorzu-
gehen, dass Eudemus Physik sich der seines Lehrers vielfach näherte
und in einzelnen Partien nur eine Paraphrase gewesen ; aber Simplicius
sage keineswegs, dass dieses vom ganzen Werke gelte, dass dieses Ver-
fahren dem Eudemus ganz eigenthümlich gewesen sei, er scheine viel-
mehr das Gegentheil anzudeuten ; da er es sich so angelegentlich sein
lässt, überall hervorzuheben, wo Eudemus den Aristoteles wiedergibt,
müsse man daraus schliessen , dass dieses nicht durchaus gewesen.
Wollte man aber aus dem Titel auf Eudemus als den Verfasser schliessen,
so würde man in NixofxaxtCwv gleichfalls einen Nikomachus annehmen
müssen. Das natürlichste und der Wahrheit vielleicht zunächst kom-
mende sei, in den Eudemia die Redaction eines Zuhörers (eleve intelli-
gent, peut-etre Eudeme) anzuerkennen, welche Aristoteles als verdienst-
lich aufbewahrt und vielleicht an einzelnen Stellen selbst revidirt habe.
Daraus lasse sich alles genügender als sonst erklären ; man könne
annehmen, dass diese Redaction, auch in andern Puncten nicht ausge-
arbeitet , die Gegenstände der drei gemeinsamen Bücher unvollendet
gelassen habe , deren Ergänzung später aus den Nikomachien erfolgt.
Die"" grosse Ethik stamme aus derselben Zeit, aber ihre Redaction komme
von einer weniger befähigten Hand ; die Verschiedenheit des Stils bezeuge
nur die Verschiedenheit des Verfassers , nicht aber des Jahrhunderts.
Die drei Ethiken hängen demnach fast untrennbar zusammen und das,
Abk d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 23
178
Alterthuni habe nicht unrecht gethan, sie sämnitlich dem Aristoteles
zn/mveisen, da ilir Inhalt ganz derselbe sei. ^)
In Dentschland war es der Berichterstatter Bendixen, welcher im
l'hilol. XI, 57Ö — 80 gegen die allseitige Sicherheit und Bündigkeit der
bisherigen Begründung über das Verhältniss der drei Ethiken, wie er
selbst sagt, einige Zweifel und Hedenken vorlegen zu müssen glaubte.
Ueber die Nikomachia hat sic^^ derselbe bis jetzt nicht geäussert, wohl
aber über die Kiidemia. Da die allgemeine Strömung des Urtheils ihm
entgegensteht, hält er es für nothwendig, vor der Hand mit möglichster
Bescheidenheit, Vorsicht und Zurückhaltung aufzutreten. Dazu ist kein
Grund ; nicht die Masse der Zustimmenden , nicht deren Autorität ent-
scheidet, entscheidend ist nur das Gewicht der Gründe, die Sicherheit
der Beweise. Es ist herkömmlich, dass man zeitweilig einer geltend
gemachten Ansicht nachläuft, bis mau unerwartet einsieht, den wahren
Weg verfehlt zu haben und anderer Richtung folgen zu müssen. Wer
den Irrweg sieht , welchen die andern gehen , und den rechten W^eg
kennt, hat auch die Pflicht laut und offen zu warnen und den wahren
Pfad zu weisen.
Bendixen findet, dass die Eudemia an recht vielen Stellen bis auf
das Wort in einer für die bisherige Hypothese unerklärlichen Weise
mit den Büchern der Politik übereinstinnnen, und zwar zeige sich dieses
bald in Beziehung auf den ethischen Lehrgehalt der Politik, bald in
gleichen Sentenzen , Bildern , Eintheilungen , bald endlich im einzelnen
zufälligen Bezeichnungen und Ausdrücken. Nicht weniger als vier
Seiten hindurch werden solche übereinstimmende Stellen aufgezählt und
noch seien nicht alle gesanuuelt. Woher nun diese Uebereinstimmung
der Eudemia mit der Pohtik , von welcher weder die Nikomachia noch
die M. M. eine Spur zeigen ? Aristoteles habe wohl eben so gut nach den
Vorträgen über die Politik als vor denselben über die Sittenlehre Vor-
träge gehalten; die Menge unwillkürlicher Anklänge an die Politik
bestärke in der Ueberzeugiing, ,,dass, wenn auch immer die letzte Re-
daction aus der Feder des Eudemus mag hervorgegangen sein, dieselbe
im engen Anschluss an einen Vortrag des Meisters sei abgefasst worden,
1) T. CCCX— XIII CCCXXX— IV.
179
und nichts habe geben wollen und sollen , als eben diesen : keine Um-
und Ueberarbeitung, keine Verbesserung oder Ergänzung, nichts mit
einem Wort, welchem er zu seiner Namens Ueber- oder Unterschrift
den Zusatz hätte beifügen mögen : ipse fecit,"
Damit ist Bendixen unabhängig und auf ganz anderem Wege zu
dem P]rgebnisse des St. Hilaire gelangt, wir haben in den Endemien
wieder ein aus den Vorträgen des Aristoteles sorgfältig nachgeschriebenes
Collegienheft bekommen , und dass er auch über die M. M. nicht viel
anders urtheilt, lässt die Note in einem späteren Berichte deutlich
erkennen.
Die Bemerkung, dass aus den Büchern der Politik mancher Gedanke
in die Eudemia übergetragen ist, muss zugegeben werden ; diese stehen
jedoch mit dem Gegenstande selbst, der Ethik, in keiner Beziehung,
sind keine Ergänzungen der Lehre oder Zusätze, sondern nur gele-
gentlich eingestreute Bemerkungen ; so die doppelte Bedeutung von
Eud. III. 4 . Pol. I, 9
Sixwg S^ xd xQi^l^aTa Xsyoiifv xal ttjv ixdcGTOV yuQ xt/ßiacog dittr] tj y^qriOig
XQrji.iaTiOTixr^v' /J ^w^r yuQ xa^' avvo xqrj- iOtiv, dficpors^cei 6t xu^' avvo /.liv dXX'
Oig Tov xTv^naxog ioriv oiov vnoS /jfjba- ov% o/^wicdc xaS-^ avTÖ . . . otov vno-
Tog 7] i/xariov, rj dt xaxd Ovfißsßt^xog Srji-iaTog tjrt imoSeOig xal rj f,itTaßXrj-
fihv, ov fisvioi ovTwg (ag dv ti Ora^f-io) ttxr^ d/^icpÖTtgai ydQ VJroSi'j^aTog XQV'
XgtjOaiTo TM vTTodr^fjiaTi, dXX^ otov f^ ttoj- Otig,
XrjOig xal rj fxi'o&wGig' xQ>]^<^i Y^Q vno-
SrjfiaTi.
oder dass man ein bestimmtes Ziel verfolgen müsse:
Eud. I, 2 Pol. VII, 2
(üg TÖ ys i^ii] OvvTtrdx^ai tov ßCov nqog dvdyxrj ydq töv tvffQOVovvxa ngog tov
ZI TtXog dcfQoOi'vrjg rroXXrjg Or^/ntTöv sOtiv. ßtXxiw Oxonov OvvTdzTtO^ai
oder dass man zwar den rechten Zweck verfolgen, aber die Mittel dazu
verfehlen könne,
Eud. IL 11 Pol. VII, 13
s'OTi ydq tov [.i^v Gxottöv oq&ov eivai, ev svi'ots //ir ydq 6 Üxonog txxtitai xaXwg,
(f^ TOig nqdg x6v Gxottov öia/xagTdvsiv. ev 6^ T(p TtgaTTSiv Sia^aqTavovGi.
Die Menschen treten zusammen des tv C'Fjv wegen, aber wäre dieser höhere
Zweck nicht, sie würden an sich schon eine Verbindung unter sich
bilden, um beisammen und nicht vereinzelt zu sein.
23*
180
Eud. VII. 10 Pol. III, 6
Oi'iijXd-oi' y' ar xa( tov ffi'^jjr ■^dqiv. ovveQj^ovTai 6i xal rov C^v i'vsxsv avTov.
die Nacliweisung dieser Stellen, und es gibt noch einige wenige dieser
Art, ist verdienstlich; Inhalt und Form ist so, dass eine nähere Be-
ziehung zu einander nicht zu verkennen ist. Aber was soll die Masse
andrer, welche in der That nichts beweist? welche Bedeutung soll es
haben, dass in den Eud. und der Pol, das abstractum xolaxeCa, in den
beiden andern Ethiken nur das concretum xöjia^ zu finden sei, dass in
diesen /.utoixoc oder ysvotd xai dnrd — ein den somatologischen Schriften
bekannter Ausdruck — u. dgl. nicht vorkomme, dass in den einen
fvTTQa^ia, in den andern svuQayCa stehe? Das ^mov oIxovo/mxo'v Eud, VII,
10 hat auch in der Politik nichts entsprechendes, ist überhaupt nur
Schreibfehler für ^mov xoivwvixdv. Wollte man aber auch alles zugeben,
welche Gesetze der Logik berechtigen sofort zu dem wunderlichen
Schlüsse: alles das stamme aus dem Munde des Meisters, der nach
Vorträgen über die Politik solche Reminiscenzen aus diesen in das neue
Collegium über die Ethik hinübergetragen habe, welche von einem Zu-
hörer sorgfältig aufgezeichnet und der Nachwelt überliefert worden seien?
Diese wirklichen , aber ganz unwesentlichen Anklänge sind für die bis-
herige Hypothese keineswegs unerklärbar, was ist natürlicher, was liegt
näher, als dass der Verfasser der Eudemia, er sei wer er wolle, da
Ethik und Politik im antiken Sinne unzertrennlich sind, von der Lee-
türe der letztern mehrerer Eindrücke gewärtig solche unwillkürlich der
Ethik einfliessen liess? ja wären diese wirklich recht viele, wie sie es
nicht sind, so würde man zu dem Gedanken geführt, weit weniger einen
unmittelbaren Schüler des Aristoteles , als vielmehr einen spätem Ge-
lehrten vor sich zu haben, der alles was die Politik geeignetes für seine
Ethik enthalten konnte , eben so mühsam zusammengebracht , als es
unser Berichterstatter wieder aufzufinden* gesucht hat, Dass die M. M.
von dem allen nichts enthalten, versteht sich von selbst, weil ein kurzer
Abriss und Auszug jedes unwesentliche von sich weist.
Wer immer diese Eudemia geschrieben hat, er konnte sich nicht
einbilden ein eigenes Werk zu geben ; es ist keine weitere Ausführung
und Begründung des ursprünglich gegebenen, kein historischer Com-
mentar, wie ihn Theophrastus zu Aristoteles ue^l alo^r^aewg xal aiad-r^Tüv
181
lieferte, ein Werk, welches zeigt, was in jener Zeit für das Verständniss
der Schriften des Meisters geleistet werden konnte, mitunter auch wirk-
lich geleistet worden ist; es ist die Darlegung desselben Stoffes in
anderer Form , wie entstanden , vermögen wir bei dem Mangel aller
nähern Kenntniss der Schule nicht nachzuweisen. Hat man viele Jahr-
hunderte später, als man der Commentare überdrüssig geworden war,
zu demselben Aushilfsmittel gegriffen, und glaubte man durch eine
Paraphrase die Lehre verständlicher zu machen und zu verbreiten , so
darf sich Niemand wundern , wenn schon in erster Zeit ähnliches ver-
sucht worden. Noch besitzen wir den Anfang des siebenten Buches der
Physik in einer uns unbegreiflichen Doppelgestalt, und wie mögen die
vierzig Analytica zu einander gestanden haben? in der Sache sicher
ganz gleich, in der Form aber verschieden, erläuternd und 'näher
bestimmend , wie des Eudemus 'ÄvccXvnxd, schwerlich Collegienhefte aus
eben so viel Vorträgen des Meisters entstanden. Dass auch die xanj-
yoQiai, wenn schon dem Inhalte nach unverdächtig, doch keineswegs
in Sprache und Form des Aristoteles uns erhalten sind, habe ich ander-
wärts angedeutet. Es werden daher auch die Citationen in den Eudemia
nicht das Bedenken erregen , das Bendixen ^) findet , I, 8 insOxsTCTm . .
xal iv Totg i^u)T£()ixotg Xoyoig xal iv roTq xard (piXoOo(piav und 11, 1 xa&ccTifQ
SiaiQov/^if^a xal sv ToTg s^cozeQixoTg Xoyoig, zumal selbst die Bedeutung
dieser Phrase noch oflfen steht. In neuester Zeit ist über die s^cotfQixol
Xdyoi ausführlich gesprochen worden ^) , sie sollen die Dialoge des
Aristoteles bezeichnen und werden diesen gleich gesetzt. Diese Unter-
suchung hat mich nicht überzeugt; sie musste von Phjs. IV, 10,^) wo
entschieden keine frühern aristotelische Schriften verstanden werden
können, aus und von da zu den andern fünf Stellen, in welchen aristo-
lische Dialoge verstanden werden können , aber nicht müssen , über-
1) Philol. XI, 573. XVI, 491, 497. Ich hoffe, dass er damit ein für allemal geheilt mit seinen
Zweifeln nicht wieder kehren und uns in Zukunft damit verschonen werde.
2) Bernays, die Dialoge des Aristoteles 1863. S. 29—93.
3) xßAw? t'jlfti dianoQi^aat ntQi avJOv {/Qoyov) xcd Sid tiüi' i £uTt q ly.iJiy k6yu)y, TioitQov rmy
ovrb)v tariv ^ rmv fjt] öVtwj/, ihu zi? »J cpvaig civrov. Diese Aporien folgen unmittelliar.
Hier werden die t'SwrtQixoi koyoL als geläufig und bekannt angenommen, müssen also auch
sonst überall so wie hier sein; dieses ist ein Hauptsatz, wenn man anders darüber je ins
reine kommen will.
182
gehen; statt dessen beginnt sie mit diesen, beweist, dass der Inhalt
der Citate uns in den Fragmenten der Dialoge noch vorliege, und gibt
dem Leser jene wichtige Stelle zuletzt als unbedeutende Dareingabe mit
in den Kauf. Werden dort nur aristotelische Dialoge bezeichnet, so
nmsste dieses auch hier der Fall sein ; und wenn entschieden hier dieses
unmöglich ist, so wird auch dort das ganze in Frage gestellt. Aber
der Verfasser hat seiner Hypothese so beredt und gelehrt das Wort
gesprochen , dass wohl nur wenige seiner Leser eine selbstständige
Untersuchung vornehmen werden, unsere beiden längst bekannten Stellen
hat er nicht einmal einer Erwähnung gewürdigt, wahrscheinlich weil
nach ihm das Werk fremd und nicht aus der Hand des Aristoteles zu
stammen scheint.
An ersterer I, 8 wird (nach Nie. I, 4) von den Ideen gesprochen,
das sei eine viel zu subtile Sache und gehöre nicht in die Ethik, son-
dern in eine andere Disciplin: fV6^«g rs StazQiß^g xal rd noXXd Xoyixwrs'gag
e^ ävayxi^g' ot ydq d/^ia dvaigerixoC re xat xotvol Xoyoi xaz" ovde/xiav slolv
ciXXr'V sTiiorr^firjv. Soll man sich aber kurz darüber aussprechen, so müsse
man sagen, von einer Idee des äyaUCv oder sonst etwas zu reden Xs'ystai
Xoyixüjg xai xtvoig' iniOxtriTttt 6^ noXXoTg nsql uvxov TQonoig xal iv roig «^wirf-
QtxoTg Xo'yotg xat ii' toTg xaxd (fiXoOotpiav. Man kann darunter aristotelische
Schriften verstehen, aber man nniss nicht, es können eben so auch die
anderer gemeint sein ; man lernt nur , dass eigentlich philosophische,
streng wissenschaftliche Beweise und Untersuchungen Xoyoi den s^wtsqixoI
gegenübergestellt werden ; und was haben diese letzteren enthalten ?
wohl nichts anderes, als was uns das erste Buch der Nikom. zeigt.
Dort ist c. 2 — 7 aus dem Begriffe der Natur des Menschen, so weit es
der Gegenstand gestattet, überzeugend für jeden sinnigen und vernünf-
tigen Mann dargethan, was die fvd'aifxovia ist. Dann wird I, 8 fortge-
fahren (ixemkov Si Jitgl aiht^g ov fidvov ex z o v G v /^iJi s q ä G /laz og xal i^
(üV 6 Xdyog — also ex ton' xaxd (fJiX')Go(fji'av — äXXd xal sx xwr Xtyonsvwv
ntql uvxrg' xo) [ilv ydQ dXrjOti ndvxa GwaSei xd vrraQxovxa, xoi 6i xptvStt
taxv öia^cavti [xdXrj^tg\. ') Es folgt aber die populäre , lange vor Aristo-
1) So werden unten die verschiedenen (jangbaren Ansichten über die i^doytj bald eingehender
l)ald kürzer aufgezählt und dann mit Worten gesclilossen VII, 12 r« /uiy ovv Xtyofxtva
ff/i<fö»' tuvt' taiiv. X. 2 r« fxiv ovf 'liyofxtva ntQi t7j( /jd'oyijg xai '/.vntjg IxccvMg tiQ/jaS-to.
VII, 2. Das sind doch gewiss t^oniQixoi 'Anyoi, von denen manches zu brauchen war.
183
teles bekannte Eintheilung der dya^d in xd ixrog, rd Gwfjiarog, rd ipvxtjg,
und gerade von dieser Eintheilung sagen die Eudemia an der zweiten
Stelle II, 1 xa^aTTfQ diaiQovjxsiya xai sv rotg S^coxfQixoTg Xoyoig, also keine
Schriften des Aristoteles , sondern populäre , gang und gäbe Ansichten
über einen Gegenstand, die sich dem gewöhnlichen Verstände von selbst
darbieten, mehr von aussen einleuchtend als aus dem innern Funda-
mente der Sache geschöpft und strenge bewiesen. Ist auch noch an
mehreren Stellen bei Gelegenheit, wo Aristoteles auf die i^omQixol Xoyoi
verweist , die Nachweisung möglich , dass dergleichen in seinen frühern
dialogischen Schriften behandelt war, so hat dieses mit der Benenaung
nichts gemein und gibt noch lange kein Zeugniss, dass er seine didloyoi
überhaupt nur mit dem Namen i^orvfqixoi Xoyoi bezeichnet habe.
Einigen Schein hat St. Hilaire's Erinnerung, dass Simplicius nur
die Stellen aus der Physik des Eudemus anführe , welche mit der des
Aristoteles übereinstimmen, folglich jener an allem anderem weit davon
abgegangen sei. Dieses ist indessen nur eine willkürliche Annahme,
deren Unrichtigkeit sich leicht darthun lässt. Simplicius erwähnt des
Eudemus da, wo die Interpretation des Textes einiges Bedenken lässt,
und er führt ihn als den ältesten und bewährtesten Zeugen für das
an, was Aristoteles gewollt hat; er verfehlt aber auch nicht eben so
anzugeben, wo dieser von seinem Meister abweicht und manches anders
stellt. Wo keine Schwierigkeit, keine Abweichung ist, wird Eudemus
mit Stillschweigen übergangen. Es ist nicht anders , als wenn man,
falls Simplicius in zweifelhaften Fällen nicht Eudemus, sondern The-
mistius zu Rath gezogen hätte, behaupten wollte, nur wo jener diesen
wörtlich anführe, stimme Themistius mit Aristoteles überein, in allem
andern sei er von ihm abweichend. Ich habe 1840 alle Stellen sammt
der vollständigen Erklärung des Simplicius mit dem betreffenden Texte
des Aristoteles zusammengeschrieben und biete das ganze einem Ver-
leger, welcher die Kosten des Druckes nicht scheut, zur freien Ver-
fügung; ^) die üebersicht wird zeugen, wie unhaltbar jene Hypothese
ist; für jetzt darüber mehr zu sprechen ist unnöthig.
Aber die Bedeutung des ganzen Argumentes ist gering ; es ist nur
1) Es kaun zehn bis zwölf Druckbogen geben.
184
negativ und ich habe keinen grossen Werth darauf gelegt. Es beweist
nur, dass die Endemische Ethik sich zur Nikomachischen, wie die Eude-
niische Phvsik zur Aristotelischen verhält. Das Verfahren also ist nicht
ini NViderspruche oder Gegensatze; keineswegs aber folgt daraus, dass
deswegen Eudemus der Verfasser sein müsse (viele andere konnten
dasselbe thun) , dazu müssen noch andere weit wichtigere Gründe
kommen.
Die auffallende Bezeichnung des dritten kleinsten Werkes ly^txwr
f^itydXüiv suchte ich früher zu erklären , weil es dem Inhalte nach mehr
als die Nikomachien umfasst und die Handschriften wirklich die Auf-
schrift r^itixüiv fifydXwv Nixo^iaxeiMv tragen, während anderswo die Niko-
machia geradezu z« [uxQd Nixoi.idxia genannt werden. Diese Erklärung
ist noch immer die zunächst liegende. St. Hilaire ist dagegen, er hält
einfach j.uyd}Mv für einen Schreibfehler statt [xixgcov. ^) Trendelenburg
will t^ieydXwv in xi(fuXai(t)v ändern.-) Keiner dieser Vorschläge hat viel
AVahrscheiulichkeit ; möglich, dass das Wort den Inhalt, die Principien
der Sittenlehre , Ethik im Grossen , nicht Durchführung der Pflichten
im Einzelnen bedeuten soll ; doch gestehen wir lieber unsere Unwissen-
heit, zumal die eigentliche Frage dadurch keinen Eintrag erleidet.
Scaliger hat in seinem Exemj^lare von dem Titel das Wort 'Aqioto-
TiXovg gestrichen und dazu geschrieben: ovx eonv "AqiOTorsXovg dXX' ix tc5v
'AQiOTOTs'Xovg, tarnen citat lihros Aristotelis tcmquam autor 182 (I, 5),
217 (II, 6). Kürzer und besser kann man das ganze nicht bezeichnen.
Man sollte denken, dass in der Beurtheilung eines solchen Buches
alle sach- und sprachkundigen Philologen nur eines Sinnes sein könn-
ten; schlimm genug, wenn sie es nicht sind, es ist jedenfalls kein
Beweis , dass grosse Kenntniss vorhanden ist. Ich habe die stilistische
Verschiedenheit, welche auf spätere Zeit hinweist, hervorgehoben, und
wenn andere diess nicht zu würdigen verstehen, ist es nicht meine
1) S. CCLXXVII. CCXCIV.
2) Ueber einige Stellen im 5. Buche der Nik. Ethik. Berlin 1050. S. 4. Rose (de Arist. libr.
ordine p. 89, Aristot. Pseud. p. 126) sieht darin nur eine bibliothekarische Einrichtung^
um Bücher ähnlichen Inhaltes zu unterscheiden. Das wäre eine eigene Dummheit der
Bibliothekare gewesen ; man kann dieses wie vieles andere bei dem vielbelesenen Verfasser
mit Stillschweigen übergehen; er wird häufig vor lauter Gelehrsamkeit höchst oberflächlich.
185
Schuld. Ramsauer hat diese Seite in dem Programme : zur Charak-
teristik der aristotelischen Magna Moralia, Oldenburg 1858, näher be-
leuchtet und manches schätzbare und eigenthümliche erwähnt. Mit Recht
ist ihm z. B. der dem Aristoteles und seinem Zeitalter ganz fremde
Gebrauch der Adjectiva verbalia ausgefallen, den Unterschied von (pdrjrov
und (fiXrjtsov S. 75 — 6, wovon weder in den Nikomachia, noch in den
Eudemia eine Spur zu finden ist ; ob die Schwierigkeit der betreffenden
Stellen oder etwa ein später ausgebildeter Schulgebrauch des verbale
auf . . rsov dazu geführt hat, lässt er unentschieden, cpdrjtdv wird als
das ayad^ov schlechthin betrachtet, (pdrjTs'ov aber als das ixäaTO) dyctd^dv,
das heisst das oocpe'Xi/jiov. Dieses ist späterer Sprachgebrauch und zwar
was vorzüglich zu beachten ist, der stoischen Schule eigen. Stob,
eclog. eth. II, 7 p. 140 Siacfsqeiv 3h XsyovGb rd aiQfvdv xcct rd aigsTsov. alqsrdv
fihv yccQ slvtti dyad^dv rd nav, algsTsov 6k b](psXrji.aa (cocpe'Xifiov?) rtäv . . ofxoioag
Sh xal TU fihv dya&d ndvTct sGtIv vno^isvstd xai sfji,i.i£V£zd . . r« <f' oüipsXißtt ndvta
VTTOiiisvsTäa xal efi^svsze'a. p. 194 — 6 6ia(p£Q£tv Sk Xs'yovOiv mOttsq aiQszdv xal
atgeteov, ovrco xal oqsxtdv xal dgexreov, xal ßovXrjtdv xal ßovXrjzäov, xal dnoSsxtdv
xal dnodfxtsov .... Diese Unterscheidung der Begriffe hängt mit ihrer spitz-
findigen Lehre zusammen ; ob sie wie viel anderes Sprachliche von Chry-
sippus ausgeht, lässt sich nicht bestimmen, jedenfalls hat unser Autor II, 1 1
nur nach dem Muster stoischer Vorgänger geschrieben. Unsere M. M.
stellen sich demnach auch hier mit dem Buche txsqI xdofiov auf gleiche Linie.
Ich kann das Urtheil Ramsauers in vielen einzelnen nicht vertreten,
aber wenn Bendixen ^) über dessen Abhandlung überhaupt die Bemer-
kung macht, eine Menge der in den M. M. vorhandenen Eigenthümlich-
keiten sei gar nicht berührt, geschweige erklärt, und die gegenwärtig
freilich allgemein j:'ecipirte Hypothese eines spätem Ursprunges des
Buches könne höchstens eine precäre Probabilität in Anspruch nehmen,
so spuckt auch hier wieder das Gespenst eines Collegienheftes, das ihn
unfähig macht, die einfachsten Dinge so wie sie sind anzuschauen, und
ihn nöthigt in einem gewöhnlichen unbedeutenden Auszuge jener zwei
Ethiken nichts geringeres als die ächte unmittelbar aus dem Munde
des Meisters geflossene Sittenlehre zu erkennen. ^) Zu wünschen ist,
1) Philol. XVI, 493—6.
2) Bend. glaubt, da die historischen Notizen nicht über die Zeit des Aristoteles hinaus gehen,
Abb. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. B. I. Abth. 24
18i)
dass Fritzsche eine Ausgabe dieser Ethik besorge, und durch richtige
Erklärung jedes Einzehien solche Einwürfe in Zukunft unmöglich mache ;
durch die Bearbeitung der Eudemia hat er sich die erforderliche Kennt-
niss erworben, die Erfahrung wird ihn inzwischen belehrt haben, dort
betretene Abwege zu meiden.
Dieses Verhältuiss der drei Ethiken zu einander ist mir sicher und
klai'; aber so leicht es mir scheint Einwürfe dagegen zu widerlegen,
so schwer wird eine gleich sichere Beantwortung der nicht minder
wichtigen Frage, welchem der beiden grösseren Werke die drei in den
Handschriften gleichlautenden Bücher ursprünglich zufallen. Weder
eigenes Studium im Laufe von mehr als zwanzig Jahren, noch fremde
Belehrung, so reichlich sie auch zugegangen ist, hat hierin meine Er-
kenntniss bedeutend gefördert ; fast möchte ich sagen, dass wir darüber
eine endgültige Entscheidung zu geben nicht fähig sind. Wir besitzen
zu geringe Kenntniss, um mit Zuversicht zu behaupten, dieses sei nicht
in der Denk- und Ausdruckweise des Meisters , es sei aber die indivi-
duelle Eigenthümlichkeit dieses oder jenes seiner Schüler ; wir vermögen
dieses nicht, weil wir keine Schriften dieser Schüler ausser Theophrast
haben, aus welchen wir allein unsere Beweise nehmen könnten. Dennoch
darf man die Untersuchung nicht aufgeben ; was bis jetzt nicht gelungen
ist, kann der Zukunft vorbehalten sein; sind wir auch nur im Stande,
vieles als ungeeignet aus dem Wege zu räumen, so ist schon damit ein
Schritt vorwärts gewonnen.
Das fünfte Buch der Nikom. spricht dem Inhalte wie der Form
darin einen Beweis gleichzeitiger Abfassung zu finden, S. 495. Dahin gehört die Erwäh-
nung des Darius Cod. II, 12, des Mentor 1,35, der Tyrannen Dionysius, Phalaris, Clearches
11,6, Namen, die auch spätem Peripatetikern bekannt genug waren; von einem Grammatiker
Lampros und Ileus oder Nelaus II, 7, aus jener Zeit weiss Niemand etwas, eben so wenig
von einem Tyrannen EvfiKv^tig 1203, 27, der schon an sich unsicher ist, da er nur in M.
erscheint. Ganz unnütz aber ist für die Zeitbestimmung die Notiz, dass in dem Buche so
viele physikalische Rückblicke auftreten; es sind ganz einfache Dinge, die sich von selbst
verstehen und aus der aristotelischen Lehre allgemein bekannt sind. So bleibt nur, dass
der Verfasser im Namen des Aristoteles spricht, wenn er 1,1,1182, 32 nach den Leistungen
des Pythagoras, Sokrates und Piaton sagt ixofiivov d' iiy t'irj fittd xavta axiipcca&ui ri det
avTovi kiyiiy vniQ tovroiv und II, 6 oidniQ i'(fiafxtv iv Totg 'AyaXvrtxoti. Da er nicht seine
Lehre, sondern nur die des Meisters gibt, so kann er unbeanstandet so sprechen, auch
wenn er nicht einen ähnlichen Auszug wie hier von der Ethik so von der Analytik gelie-
fert hatte.
187
nach für Aristoteles, aber wer die Composition der Schriften der alten
aus vergleichenden Auszügen kennen gelernt hat, wird sich gestehen
müssen, dass die Anordnung in der letzten Hälfte manches zu wünschen
lässt und so wie sie jetzt vorliegt, nicht aus der Hand des Verfassers
gekommen ist. Am Ende werden Aporien aufgeworfen, Einwürfe, welche
man gegen die frühere Darstellung machen kann , gehoben. Nach Lö-
sung der ersten (Cap. 11) werden noch zwei andere (Cap. 12) als
zusammenhängend angekündigt; erstere wird sofort erläutert, letztere
aber folgt erst Cap. 15 ; denn schon Cap, 13 hängt mit diesen Fragen
nicht im mindesten zusammen, und Cap. 14 entwickelt den der öixaioovvrj
nahe stehenden Begriff der imeixeia. Diese beiden Capitel, achtundsechzig
Zeilen umfassend p, 1157, 4 — 1138, 4 durchbrechen also den Zusam-
menhang und ich habe sie längst als nicht hieher gehörig bezeichnet. ^)
Der Gedanke der Schwierigkeit dadurch abzuhelfen, dass man die letzte
dnoqCa der Eudemischen Ethik zuweist, hätte nie aufkommen sollen; 2)
aber eben so wenig kann eine Rechtfertigung der Vulgata, als gehe
diese von Aristoteles selbst aus, irgend ein Vertrauen erregen, ^) Auch
sonst ist noch manches andere auszusetzen. *) Das neunte Kapitel
erscheint verfrüht; noch ist von öixaionQayCa nicht gesprochen, eben so
Ij In der Abhandl. und in der Rec. von Fritzsche's Ausgabe; ich glaubte sie dem zehnten
Capitel anschliessen zu dürfen, ebenso Hampke Philol. XVI, 84 und Fechner, ohne von
meinem Urtheile etwas zu wissen; doch ist zu merken, dass der Verf. derM. M. die Aporien
unmittelbar an den Inhalt des zehnten Kapitels anreiht, demnach für die üeberlieferung
spricht. Die Anfangsworte von Cap. 13 ol d" liu&qwnoi t(p' iccvroig o'iovrai, eiyai t6 ddixtii'
fügen sich dem Gedanken nach nicht recht passend, wenn man sie auch früher wo unter-
zubringen sucht.
2) Fischer, De Ethicis Nicom. et Piudemiis. Bonn 1847.
3) Bendixen, Phil. XVI, 508, Hildenbrand S. 286, 317. Wer weiss wie Arist. überall seine
Aporien ankündigt und durchführt, wird ferne davon sein, wie hier von der im Zuvielleisten
bestehenden Ungerechtigkeit auf die Ungerechtigkeit gegen sich selber übergegangen wird,
von dieser auf die Billigkeit im subjectiven, dann im objectiven Sinne, dann am Ende
wieder auf das billige im subjectiven Sinne mit wiederholter Hinweisung auf das sich selbst
verkürzen, den wahi-en Gedankengang des Autors zu erlernen. Was sollen aber die Cap. 12
gelegentlich hingeworfenen Worte othq äoxovaiv ol fitTQioi Txoittf 6 yicQ tnieix^g tkarrto-
Tixos iazif beweisen, dass Kapitel XIV erst nach diesen folgen müsste; so urtheilt nemlich
Bendixen comment. p. 19 und XVI, 494.
4) Der Zweifel Hampkes S. 82 über das 15. Kapitel ist nicht ganz ungegründet: auch ich
habe in meinem Exemplare die Bemerkung gemacht, 1138. 28 — G5 (paregoi' . . dno&avtiy
paruni hoc loco posita placent.
24*
188
wenig von rrQaxitxdi xain nQoaiQeaii' tov dixaiov. Die ersten sieben Zeilen
des zehnten Kapitels finden erst am Ende des lang ausgedehnten Ab-
schnittes ihre Erledigung , indem anderes wenig dazu gehöriges einge-
schoben ist. Das unpassende war längst anerkannt, die jüngst gemachte
Umstellung, ') wonach 1134, 24 — 1135, 15 nw^ fx^v ovv . . {>aie(>oi' iTtiOxsmäov
(zweiundsechzig Zeilen) "-) ans Ende des achten Kapitel gesetzt werden,
hilft zumeist ab. In den Text dergleichen einzuführen ist nicht rathsam,
da auch hier noch manches Bedenken bleibt ; es genügt zu wissen, dass
die bestehende Oi'dnung nicht vom Autor ausgehen kann.
Das sechste Buch, die Darstellung der verschiedenen geistigen
Eigenschaften des Menschen, ist dem Inhalte nach entschieden aristo-
telisch, wird auch in der Metaphysik als solches anerkannt, sprachlich
glaubte man abweichendes und eigenes zu finden, doch ist dieses weder
überzeugend noch genügend. "^) Dagegen sind es die letzten Kapitel
des siebenten Buches, welche allen Zweifel hervorgerufen haben. Wäre
die Behandlung der i]So%'r], welche in anderer l^'orm im zehnten Buche
wiederkehrt, nicht, so würde es Niemanden in dem Sinn gekommen
sein, die drei Bücher den Nikomachia abzusprechen, so aber bleibt die
1) Hildenbrand S. 325—31.
2) Eben so viele Zeilen umfassen die zwei ersten Aporien. Cap. 11 — 12.
3) Mehreres bei Fritzsche angedeutet. Auffallend ist besonders der Schluss des sechsten
Buches: Manche sagen alle uQtiai seien qpgoyijatig, wenn Sokrates das behauptet, hat er
unrecht; wenn er aber sagt, sie seien nicht ohne (pQoyrjaig, hat er recht; denn auch jetzt
bestimmen alle die uQtjr] als eine «'ft? x«r« xöv oqSov koyou, aber man müsse noch weiter
gehen und nicht x«r« rof oQ&oy koyoy, 'sondern //tr« tov oq&ov koyov sagen. x«i yccQ vvv
nuvxig . . ngoand^tuatv . . d'ei dt fiix^w /^tTußTii/ai . . tj^uei? &i fxitd koyov. Die M. M.
I, 35. 1198, 10 geben keine Erläuterung, sie schreiben das ganze nur nach: Xiox^äri^g . .
ovx 6()&u>g, dkl 'ol vvv ßi^Ttof . . 0Q9wi /xtv ov&' ovioi ■ . u).kd ßiXuov oJ? rjfittg dtpoqi-
l^ofitv TÖ fitTtl Xöyov . . Wer sind nun jene vw nciviti'i . . unbekannte Vorgänger des
Aristoteles, wenn er selbst das geschrieben hat; aber nie hat er im vorausgehenden jxitu
TOV koyov gesagt; vielmehr finden wir ein für allemal II, 2 t6 [liv ovv x«r« tov 6^&6v
Xoyoy TtQfiiTtiy xoivöv xai vnoxeiad-u), und die Formel wiederholt sich oft genug Scheint
die Aenderung /j.(t(1 tov Xoyov, weil jenes auch ohne Absicht und Bewusstsein möglich
dieses aber keineswegs, nicht einer kleinen Berichtigung ähnlich? dann würde der Verfasser
diese sprachliche Verbesserung des Ausdruckes, der keiner Missdeutung fähig wäre, gegen-
über dem Meister als sein Verdienst in Anspruch nehmen. Diese Vermuthung ist nicht
unwahrscheinlich, da die Eudemia sich öfter des Ausdruckes ,ufr« koyov bedienen und mit
dem herkornmliohen xurtl löv o^fyöv köyov (II, 5. 1222, 9. II, 6. 1222, ü7) nicht recht zufrieden
sind; er steht I, G, 1217, 2. I, 8, 1218, 30. II, 1, 1220,3. In den Nik. ist er nicht zu lesen,
erat VI, 4 — 6 wird er wiederholt mit Vorliebe gebraucht.
189
wiederholte Behandlung desselben Gegenstandes ein, wie ich es nannte,
durch keine Interpretation zu beseitigender Uebelstand, und ich behaupte
auch heute, weder Aristoteles noch sonst ein vernünftiger Mensch könne
in einem Werke über die Ethik zweimal an verschiedenen Orten über
die Lust ausführlich und im Grunde doch dasselbe, ohne auch nur mit
einem Worte sich darüber zu erklären, ^) sprechen. Ist dem aber doch
so, und das Factum liegt vor, so müssen eigene Gründe diese seltene
Erscheinung veranlasst haben.
Nahe liegt der Gedanke, dass wir in ersterer Abhandlung eine
frühere Bearbeitung des Aristoteles selbst vor uns haben, welche eine
spätere Bedaction des Werkes aus Achtung, und um zugleich den Unter-
schied zu zeigen, uns aufbewahrt hat. ^) Dieses habe ich selbst ausge-
sprochen, und St. Hilaire ist, wie oben bemerkt worden, dieser Ansicht
unbedingt beigetreten. Man müsste sie auch ohne weiteres annehmen,
wenn wir nur die Nikomachia hätten; da wir aber auch die Eudemia
besitzen, welche eben so viel Anspruch darauf haben, so ist das keine
Lösung der Frage, sondern eine Abweisung derselben ; denn erst dann,
wenn bewiesen ist, dass das fragliche Stück nur den Nikomachia eigen-
thümlich ist, den Eudemia aber nicht zufalle, kann jene Hypothese auf
Wahrscheinlichkeit Anspruch machen. Diesen Beweis zu liefern hat
Bendixen unternommen. ^)
Er hat die Entdeckung gemacht, dass Aristoteles in der Politik
sich auf seine Ethik berufe und aus dieser Worte anführe , welche nur
in dem controversen Artikel über die rjSovrj Nie. VII, 14, sonst nirgends
1) Die zweite Abhandlung erklärt vielmehr sogleich im Eingange ausdrücklich, dass bis dahin
noch kein Wort darüber sei gesi)rochen worden; jetzt ist es Zeit, heisst es, über die i^doyi]
ausführlich zu reden; ein so bestrittener Gegenstand dürfe in der Ethik nicht mit Still-
schweigen übergangen werden, ijxicr ctv tfoStit naQiriov eiyiti. Kann man deutlicher reden?
2) Wir haben über solche Redactionen keine zuverlässigen historischen Nachweisungen, sind
daher genöthigt die W^erke selbst genau zu untersuchen, und auf das eigenthümliche und
abweichende aufmerksam zu machen. So enthält z. B. Metaphysik K einen förmlichen Auszug
aus der cpvaixrj uxqoKdig und schon die äussere Form zeigt, dass er nicht von Aristoteles
stammt; die Partikeln yt fi^v die sonst gar nicht gebraucht werden, wiederholen sich auf
das auffallendste. Wie hat so ein Abschnitt bei irgend einer Redaction in den Text der
Metaphysik aufgenommen werden können? Sorgfältige Achtung auf Sache und Sprache
kann sicher noch manches entdecken.
3) Bemerkungen zum siebenten Buch der Nikomachischen Ethik. Philol. X, 199—210. 263—92.
li)0
zu tiuden sind; damit sei die Aeclitheit jener Abhandlung über allen
Zweifel gesetzt, aber auch die ganze Streitfrage, welcher der beiden
Ethiken jene drei Bücher zufallen, zu Gunsten der Nikomachia entschie-
den, und da die Politik erst lauge nach der Ethik verfasst worden,
erweise sich auch meine Vennuthung, Aristoteles habe diese frühere
Abhandlung selbst umgearbeitet und sie später durch jene des zehnten
Buches ergänzt, als unhaltbar; habe es nun einmal dem Aristoteles
beliebt, in einem und demselben Buche zweimal das nämliche vorzutra-
gen, so müssen auch wir das gegebene willig hinnehmen und das Ver-
fahren uns ohne weitere Verwunderung gefallen lassen.
Das ist, wie jeder leicht sieht, eine unschätzbare Bemerkung, wenn
sie anders gegründet ist, sie ist die einfachste und sicherste Lösung
der so verwickelten Frage. Betrachten Avir die Beweisstellen.
Aristoteles hat Polit. IV , 2 die verschiedenen Staatsverfassungen,
mit welchen der Politiker bekannt sein muss, aufgezählt ; er muss wissen,
welche ausser der besten Verfassung die für die meisten Staaten und
Menschen gewöhnlichen Schlages tauglichste und annehmbarste ist:
snsita tig xoivotccTrj xai tCg algeTwrdTrj fierd tr]v aQiOzrjv noXusiav . . . tccTg
nXeiotaig dg/xotTovaa nöleoi zig rjv. Die Beantwortung dieser hier aufge-
worfenen Frage folgt IV, 11 mit denselben einleitenden Worten zCg 6'
uQiGtij TToXittia xai xig aqiOzog ßiog raig nXfi'Gtaig Tio^fOi xai zoTg nXeiOzoig tmv
dv&QCüTTwv . . nicht wie im Idealstaate, sondern so, dass auch die grosse
Masse dessen theilhaftig werden könne ; da müssen für alle dieselben
leitenden Priucipien gelten. Hier lesen wir die Worte 1295, 35
>J J^ J/; xQiOig Tisgi dndvzoov tovtwv ix tiSr avTwv Otoix^i'wv eoziv ei ydq
xulwg iv zoig i]-i^ixoig eigrjzai z6 zov iv6aifiova ßiov sivai zov xaz' dQ€zr]v
dvtfinödiOzov, fjLeOÖzrjza 6i zrjV dgfzrjv, zov fxs'Oov dvayxaiov ßCov sivai ße'Xzi-
Ozor, zrjg txdotoig i%'6f%oii£vrjg zv^ftv /uOÖrrjzog,
es werden zwei Grundgedanken seiner Ethik hervorgehoben und dass
mit diesen auch der Hauptinhalt seines Werkes kurz bezeichnet ist,
weiss jeder, der dieses gelesen hat. Nun behauptet Bendixen, der erste
Satz sei nur Nie. VII, 14 und sonst nirgends in folgenden Worten aus-
gesprochen :
UQiOzov z' ovdiv xwXvti rjdovr'iv ziva th'ai, fi k'viai (fiavXai, t]6ovai, (oOneg xai
iniüitjUiV ziva ivioiv <favXo)v ovOwv l'owg (fi xai uvayxaTov, fircsQ exdozrjg
l'^tiog tioiv e'v^QYHui. dvtfXTiddiOzoi, ei'^' t] uaOüJV heqyud ioziv erdaifiovia
191
eiTe fj Tivoc avTÜiv, dv rj drefiTidSiGtog, *) aiQSToyrceTrjv elvaC' roino d" iOxlv
i]6ovr>, wOts £i'rj dv tig i^^Sovij zo dqiOTOv twv ttoXXmv t^Sorcör (fccvXwv ovodov
ei stvxsv dnXcög'^) xal did tovro ndvtfg ror (vSai'/.iora t'jdvv oi'oviai ßiov
eivai, xal ifinXäxovöi rt^v rjdovrjv eig tijV evdaifxoviav, avXdycDg- ovSt/iia ydg
h'sqyeia reXsiog f[^i7ToSi^ofis'vrj, r^j 6' €vSaip,ovia räiv TsXfion'' öio TT^ouSshai 6
evSaifiMV T<üV €V aajfiaTi dyccd^div xal twv ixcdg xal xfjg Ti>xrjg, oVrwg fir] s/xno-
Si^r^tai xavttt.
ich kann nur staunen , welcher Missbrauch von dieser Stelle gemacht
wird. Hätte Aristoteles gleich einem Grammatiker gesagt, in der Ethik
habe ich das Wort dvsunoSiGrog gebraucht, so wäre der Beweis allerdings
schlagend und unwiderleglich ; denn nur in dieser controversen Abhand-
lung findet es sich und zwar zweimal : viel anders scheint es Bendixen
auch wirklich nicht zu nehmen; an dieses Wort klammert er sich, auf
dieses gründet er seinen Beweis , ohne auf den Gedanken und Zusam-
menhang zu achten. Aristoteles erwähnt in der Politik zwei Cardinal-
sätze seiner Ethik, erstens, dass die svöaiixovCa in der dgeri] bestehe und
ohne diese nicht sein könne, zweitens, dass diese dgatr] eine [xfoöxrjg sei.
So wenig dieser zweite Satz auf eine bestimmte Stelle geht, weil dieser
Gedanke das ganze Werk durchzieht, eben so wenig der erste. Es
stände schlimm mit unsern Philosophen , wenn der Beweis davon nir-
gends als in obigen Worten , in diesem abgelegenen Winkel zu suchen
und zu finden wäre ; denn hier steht er nicht einmal. Hier wird nur
gezeigt, dass, wenn auch nicht i'jSovr] überhaupt, so doch i^Sovr] ng das
dgiOTov sein könne, nämlich als Begleiterin der ivSaifiovia, sofern diese
eine ivs'gyeia dvfixnoSiotog ist, das sei aber eben eine r]dovi]. Also um die
iqdovrj handelt es sich hier, und die sv^aifiovCa wird nur zur Erklärung
dieser beigezogen. Wo steht nun aber hier der Satz der Politik xdv
svSaifiova ßiov flvai rdv xaz^ aQavrji' dvff^moäiOrov? nicht einmal der Name
dgeTi], das wichtigste, worauf alles ankommt, denn der zweite Satz stützt
sich auf diesen, ist hier zu finden. Das kann also nie und nimmer die
Stelle sein , welche Aristoteles vor Augen hatte , als er jene Worte in
der Politik schrieb , und wenn auch noch als weitere Stütze für jene
1) Conf. Stobaei eclog. eth. II, 278.
2) Dass die Trennung der Worte tt iiv/ey «7r/laif von (pavXiav ovauiv und deren Verbindung
mit ivtQyiucv (liQiranihrjy eine grundfalsche sei, S. 205, hätte Bendixen, wenn auch aus
nichts anderem, doch schon sprachlich aus dem Zusätze d irv^ty ersehen sollen.
102
Interpretation aus derselben Pol. VII, 13 zur Begründung geholt wird:
(f^ceidv ä^ xai ev loTc /^\'/fxorc, et xi tcov IdyMi' exfiraiv ocfsXog (trjv fv^aipLoviav)
fifQyfiav firat xm ;fo»Jo/i' noerr^g Tf Xei'nc, xnl ra'itjV ovx f^ vrroS't'Gfcog, dXX' äriXcög,
SO ist ancli damit nichts gewonnen , weil wir das anders woher weit
besser und genauer kennen lernen ; ^) dass die d^stt] unbedingt des Guten
wegen , nicht aus Hintergründen geübt werden soll , verstellt sich von
Wenn aber Aristoteles jene Stelle der Nik. VII, 14 nicht versteht
und nicht verstehen kaiyi , wo ist der Gedanke ausgesprochen , den er
in der Politik anführt? nicht im siebenten, auch nicht im sechsten oder
fünften Buche; denn da von den zwei Sätzen der letztere iisootrjta dk
i<]v (xQertJr, der nur eine Folge des ersteren ist, dass die avda^iovia eine
ttQfii] sei , bereits schon vom zweiten Buche an erklärt wird , so hat
man natürlicher Weise jenen ersteren nur im Vorausgehenden zu suchen,
und wenn Bendixen sich die Mühe nehmen will , das erste Buch vom
fünften Capitel an näher einzusehen und auf den Gedanken zu achten,
so wird er alles reichhaltig und vollständig bewiesen finden, was aus
der Politik angeführt wird, nur sein dvefiTid^iOTov, das ihn so arg zum
besten gehalten hat, wird er dort vergebens suchen, erinnert er sich
aber, dass selbst VII, 14 dieses Wort nur für tsXhov, welches weit be-
zeichnender ist, gebraucht wird, so ist dieses hier der gewöhnliche
Ausdruck ; mag er nun in jener Stelle der Politik das dvsixTxoSiorov mit
ßiov oder mit dgeup' verbinden, für beides wird ihm Aristoteles aushelfen,
der eben so gut von dieser Sache ßiog reXfiog als dgatt] TsXsi'a sagt. Dort
ist ausführlich Cap. 7 nachgewiesen, dass die fvSai/xovia sei ipvxrjg svägyna
xca^ dgi'öTrjV dqsTrjv xal TtXfioTarrjV s'v ßio) reXsio). Cap. 9 , dass Sie auch
1) Bendixen thut sich auf die Ausnutzung der beiden Stellen der Politik etwas zu gut; Phil.
XVI, 474 wird als charakteristisches Zeichen von der noch immer sehr sporadischen Be-
nutzung der aristot. Schriften zur Lösung kritischer Probleme hervorgehoben, dass die
Politik des Aristoteles weder von St. Hilaire noch von Grant in weiterem Umfange zur
Erledigung der betreffenden Fragen benutzt worden, als dieses in einer sehr unvollstän-
digen -Vngabe von Spengel geschehen. Eine solche Benutzung der Stellen der Politik
konnte natürlich weder mir, noch jenem Franzosen oder Engländer in den Sinn kommen.
Zwölf Druckseiten zu verst^hwenden, um ein auffallendes Muster einer ganz verunglückten
Interpretation aufzustellen, scheint etwas viel, ist aber im Grunde doch nichts als zu der
grossen Masse ein Beispiel melir, wie weit es die gerühmte Philologie in Deutschland
gebracht hat.
193
der äussern Güter bedürfe: (paiverai tf' o/HMg xal twv ixrog dya^wv TTQoO^fo-
fie'rr^, xa^ccTiSQ smo/itsv dSvvatov yceg rj ov qadiov xd xaXd nQdxTsiv dxoQijyrjTov
ovra, vergl. X, 9. und so lesen wir auch im eilften Capitel wieder, der
ivSaifxwv sei 0 xar' dQsrrJv vsXsiccv ivsQydHv xal twv sxtdg dya^mv xfxogrjyrjfuvog
Tskfior ßi'ov. Das sind die Stellen, das ist der ganze Abschnitt, den
Aristoteles vor Augen hat, wenn er in der Politik sich auf seine Ethik
beruft ; jene von Bendixen angeführte Beweisführung über die rSovt]
hat mit diesem Satze nichts zu thun, gehört gar nicht hieher, sie ist
selbst nichts als eine weitere Schlussfolge aus dem was wir Nik. X, 5,
1176, 25 angegeben finden.
Wiederholte Vergieichung hat mir die Ueberzeugung gegeben, dass
wir hier im siebenten Buche nicht eine frühere oder spätere Darstellung
der rjSovr] aus Aristoteles Hand besitzen, sondern nur die Umarbeitung
eines andern, der den Text des zehnten Buches möglichst neu zu ge-
stalten suchte. Hat man sich die Aristotelische Ansicht aus diesem
genau angeeignet und vergleicht dann jene, so findet man, wie die des
siebenten Buches immer auf jene des zehnten gegründet ist.
Aristoteles X, 1 geht von dem Satze aus ol [Uv ydg vdyad^dv i]6ovrjv
le'yovmv, oi 6' e^ evavTiag xoiudfj (favXov, gibt im folgenden Kapitel die Be-
weise der Vertheidiger beider entgegengesetzten Ansichten , nicht ohne
zugleich hier schon nebenbei deren Gründe zu berichtigen oder zu be-
schränken , um in den nächsten drei Capiteln die nähere Bestimmung
des Wesens der Lust anzugeben und somit sein eigenes Urtheil auszu-
sprechen. Unser Verfasser gibt VII, 12 drei Sätze: ToTg fih' ovv SoxsT
ovSffXia ijSovt^ fivai dya&ov . . rotg 6' hiai fxkv elvai, al Si noXXccl (paiXai. *Vt
<f^ TovTcov TQiTov, fi xal TiäOai dya&or, ofiojg firj iv>ie%£0&ai sivai xd ccqiOtov rjSovijv.
Aristoteles kennt den mittleren Satz gar nicht ; natürlich , denn dieser
erscheint bei ihm erst als das Ftesultat seiner gesammten Untersuchung.
Daraus sieht man , dass der Verfasser von Aristoteles verschieden ist.
Er hat auch andere zu Rath gezogen und manches erweitert ; den Aus-
druck yevsoig alo,'i^rjTr] kennt Aristoteles nicht, auch fehlt bei diesem der
fünfte Einwurf, den man gegen die t^t^ovr] vorgebracht hat: tri rixvrj ov-
defiia rjSovrjg' xaCtoi näv dya^ov zsxvijg sgyov. ^
Nach Aufzählung der von andern vorgebrachten Einwürfe gegen
die rjSovrj beginnt unser Verfasser Cap. 13 sofort mit der Erklärung:
Abb. d. I. Gl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abtb. 25
194
Oll (f' ov avf.ißccivn Sid in via jU>; elfai «yaHov fir^dk tS agiOrov,^) ix xwvde
Srkor. Hat er, wie nicht zu zweifeln ist, diese Worte geschrieben, so
sieht man, dass ihm auch völhg B^rnst gewesen, die }]dovi] als das uQiotov
zu beweisen, wie das Cap. 14 geschieht, und dass dieser Beweis, den
Aristoteles nie gegeben hätte, von ihm keineswegs als ein blosser dia-
lektischer Versuch betrachtet worden, wie das neu edirte Scholion des
Aspasios -) meint.
Sieben Beweise werden angeführt, um zu zeigen, dass die }'i6ovr]
ein dyaü^ov sei. Davon ist der erste, dass die riSoval wie die dyax^d ver-
schieden sind T« ju^v dnXülg, xd Si tivf, in dieser Form nicht bei Aristoteles,
wohl aber ist der Gedanke daselbst erhalten. Der dritte sagt, dass die
r^Sorai nicht yträOfi'; sind, ov ya^ yfveOirig owV^ /Jisrd yevsOecog näocci, dkV iveq-
yetai xai reXog, darum sollte man nicht aio^rjzrj yersoiQ sagen und damit
das Vergnügen bezeichnen , sondern eragyeia drffiiroSiOTog. Das ist ein
Widerspruch mit Aristoteles; dieser sagt X, 5, 1175 b 30 seqq. evegysia
ist mit rdovi] begleitet und diese nicht ohne jene, daher manche sie für
identisch halten, Sid t6 fii] imgC^eoi^ai yiaivsTai Tioi ravTov. Hier könnte
leicht Jemand glauben, der Verfasser müsse früher als Aristoteles sein
und dieser habe ihn tecte getadelt, ein späterer hätte gegen die aus-
drückliche Scheidung des Meisters keine solche Verwechslung machen
können. Das ist nicht ohne Schein , aber doch nichts als Schein ; es
ist selbst aus Aristoteles, nämlich dass die Lust teXog ist und die iväqysia
abschliesst. Unser Verfasser nennt sie ivsQysiai, weil sie stets mit solchen
verbunden, von diesen unzertrennlich sind. Da er auf das ganze der
aristotel. Durchführung sah , mochte er auf diesen Unterschied , zumal
Aristoteles selbst anderswo r) i]6ovrj ivegyeia tovxov sagt, wenig Werth
legen; damit man nicht irre, setzt er xai xeXog hinzu. Man bemerke,
dass das alles nur klar wird, wenn man den Aristoteles kennt. ^) Auch
1) Dass zwischen rö aqiatov und rayaS-öi', ein Unterschied sein soll, wie manche annehmen,
z. B. Pansch p. 20 ist nicht wahrscheinlich; es ist nur verschiedener Sprachgebrauch; unser
Autor sagt nicht xuyaitöv, sondern nur lo ü^iarov (unrichtig (i^iatoi') sechs mal.
2) Seite 84 meiner Abhandlung.
3) Richtig bemerkt Pansch De Aristot. Ethic. Nie. p. 22 Quid multa? quae posteriore disser-
tatione eontinentur, ea satis intelligere possumus alterius ope non adjuti; quod de priore
(1. VII) non idem diel potest, quae adeo alteram sequitur, ut ipsa voluptatis definitio deli-
gcntissime explicata illinc petenda sit.
195
der Ausdruck dvsfiTTÖäiOTog ist dem Gedanken nach aus Aristoteles ent-
lehnt, dass nämlich nicht ein anderes Vergnügen in den Weg tritt, wie
die folgenden Worte innoSi^H dt ovrs (pQovrjOsi ovd-' i'^fi ovösf^ua r] d(p' ixäOzrjg
i]Jovi], dXX' at dXXoTQicci nur aus X, 5, 1175 6 1 — 24 ihre Erklärung
erhalten und man deutlich sieht, dass dieses das Vorbild ist, welches
hier excerpirt erscheint. Von dem siebenten und letzten Grunde ist der
Inhalt ebenfalls bei Aristoteles zu finden , aber treffend ist , was die
Sache weiter erläutert, dass der Verfasser auf Speusippus hinweist.
Das wichtigste der ganzen Abhandlung ist jedenfalls Cap. 14, der
bereits oben ausführlich angegebene Satz : dgiorov %" ovd^v xwXvh nva ehat
. . er ist gegen den Aristoteles und hieraus muss man auf einen andern
Autor schliessen. Aristoteles will nicht die r^öovr] als das üqiotov erklären
und sagt es ausdrücklich X, 2 1174, 9, aber unser Verfasser sagt,
rJ()oi'ry xig könne das wohl sein. Aristoteles der X, 1 tadelt, dass manche
die i^dovr] an und für sich für etwas schlechtes erklären, weil die Masse
von selbst dazu neige , um sie auf den besseren Weg zu leiten , er,
der nichts als Wahrheit will und offen ausspricht, dass alle Täuschungen
in der Politik nur ärgeres Unheil bringen, würde, glaube ich, nie diesen
Satz aufgestellt haben, das konnte ihm nichts als diuXsxtixdv xal xsvöv
sein. Aber obschon er das weder gewollt noch gesagt hat, so ist es
doch nur aus ihm genommen ; es folgt von selbst und jeder aufmerksame
Leser kann es aus dem was X, 3 — 5 und 7 (1177, 23) gesagt ist, leicht
heraus lesen. Daraus glaube ich mit Sicherheit schliessen zu dürfen,
dass der Verfasser dieser Abhandlung Aristoteles nicht ist, er wollte
weiter gehen, etwas eigenes geben und nicht den blossen Paraphrasten
machen , daher manches anders , aber doch mehr dem Worte als dem
Gedanken nach. Selbst die Einkleidung erinnert an diesen, X, 5. 1176, 26
rj ix T(j5v evsgyiicöv örjlo ; xavraig ydq l'novzai at rjSovai. sh' ovv f^ia iorlv st'n
nXaiovg al jov xsXeiov xal fxaxagt'ov dvdqog, ai ravcag TfXsiovOai tj6oval xvQicog
Xeyoivx' dv dvif-QoSnov fjöoval ulrui, ai di Xoinal dsvxäqcag xal noXXoOxwg wOticq
at ive'Qyfiai, unser Verfasser aber sagt VII, 14 tJ'x' ?y naowv ivsQysid ioxiv
ivdai,fioviu €1X6 Tj xirog avxcov dr 7y dvsfinoSiOxog, aiQtxwtdxrjv etvai. So schreibt
nur, wer ein geschriebenes Exemplar vor sich liegen hat, daher sagt er
auch richtig r^dovr] xig, nämlich die, welche der svtQysia der svSatf^ion'a
folgt. Der zweite Grund, dass die ^6'ovrj das dgioxor sei, weil alles ihr
25*
19G
nachjage , ist von Eudenms , der hier nicht genannt wird ; aber das
nähere ist doch selbst aus Aristoteles X, 2, 1172 6 35 genommen, der
nur ein «ryrt^or, keineswegs das aquiiov daraus anerkennt. Was dieser
kurz mit lien Worten ausdrückt Tguk 6i xai iv roh qai^Xoig sari rt (pvoixov
aytxä-oy xQfhror ^ x«>>' aihd, o dtfi'ftai tov olxfiov dya^ov Wird hier sehr Schön
deutlicher hervorgehoben i'aoyg Ji x«? Siwxovatr ovx >;»' oi'owai ovS' r]v «V
(fuhr, dXÄci ii^y aihr^v narta yuQ (pvOfi l'x^' " &frov, auch die Anwendung
des Hesiodischen Verses ist nicht unpassend.
Die Nachweisung , wie es komme , dass die awnanxal ri^ovcd aigeTtS-
TtQcd sind, Cap. If), ist dieser Abhandlung eigen und nicht schlecht ge-
geben. iMiieues auch einzustreuen ist das Streben dieses Autors, war
vielleicht solchen Umarbeitungen nicht fremd; selbst der Verfasser der
M. !M., der nur unsere Ethiken vor Augen hat, gibt hier und da eigenes.
Der Satz, dass Sehen und Hören ursprünglich schmerzvoll gewesen,
durch Angewöhnung aber jetzt nicht mein- ist, schon der Form nach
eigenthümlich ausgedrückt, dfl yd(t novti td Ci^ov, woneq xai ot (pvoixol
Äöyoi jiaQZVQovOi , t6 oqüi xai tn dxovsiv (fdoxovt sc, €ivui XvTtrjQÖv, dXV rj6rj
ovr);^f-ii foitt'r w's (paöiv. scheint hervorgerufen durch Aristoteles, welcher
sagt, dass das Sehen dem Menschen schon an und für sich Freude
macht, auch wenn er kein Vergnügen dabei hätte X, 2, 1173 6 18
117-i, 5. 6, 27. Gemeint sind die <f,vöixoi Xoyot. des Anaxagoras bei
Theophrast ntqi ataO-i'jOtwg, aber Aristoteles selbst, glaube ich, würde eine
so unzeitige Belehrung hier nicht gegeben haben. Warum wir uns nicht
immer an denselben freuen, wird nicht schlecht dadurch bewiesen, dass
der Mensch auch ein schlechtes Priucip in sich trägt und schwach ist,
daher gerne die Aenderung liebt. Ganz anders erklärt das Aristoteles
X, 4, 1175, 5, was unserm Autor nicht zu genügen schien. Kann man
auch einige Andeutung aus jenem nehmen , immer bleibt es auffallend,
dass hier eine grosse Abweichung ist. Sio o ^€og dei fiiav xai dnl^v xaiqsi
rjöovr^v ov yuQ fiorov xivr^OiMC sOtiv svtQyeia dXXd xai dxivijüiaq, xai i^Sovr] fiäkXov
er iJQSfiiqi eoiiv rj t'v xirr^oti. Dieses wird aus X, 8 klar, weil es die ^smqia
ist. und die xivrjOig eine da^oXia wäre wie bei einem nolefuxoc und Trohrixöc.
Also auch dieses ist nur aus jenem Buche, aber über die Abhandlung
der rjdovtj hinaus geschöpft.
Obschon ich nicht verkenne, dass manches ganz das aristotelische
197
Gepräge trägt, ^) so kann ich doch nicht umhin , so lange meine hier
ausgesprochenen Zweifel nicht völlig beseitigt werden, in dieser Ab-
handlung einen andern Verfasser als Aristoteles zu finden und demnach
diese vier Kapitel für die Endemische p]thik in Anspruch zu nehmen,
werde mich aber freuen, wenn ich mich von andern eines besseren be-
lehrt und auf den richtigen Weg zurückgeführt sehe. Alexander
Aphrodis. IV, 14 vergleicht einen wichtigen Lehrsatz unserer Abhand-
lung mit einem ähnlichen des zehnten Buches , er nennt nur die Nixo-
jiiäxficc, waren damals die drei Bücher nicht schon bereits auch den
EvStj itia einverleibt? Hat er sich nicht die Mühe genommen, in den
vielen Schriften über Aristoteles, die ihm zugänglich waren, nachzusehen,
oder hat er nichts gefunden? Schlimm, dass wir in solchen nicht un-
bedeutenden Fragen ohne alle Antwort aus dem Alterthume verlassen
dastehen; denn unsere Weisheit ist doch meistens unzureichend, derlei
Käthsel ein' für allemal endgültig zu lösen.
Wer wie ich die Ueberzeugung ausspricht, dass der zweite Theil
des siebenten Buches Cap. 12 — 15 über die i]6ovr] nicht von Aristoteles
stamme, kann sich kaum der Folgerung entziehen, dass auch die erste
grössere Hälfte Cap. 1 — 11 über die iyxgdzfia damit für die Nikomachia
verloren gehe. Müssen auch nicht sofort alle drei fraglichen Bücher
unmittelbar und noth wendig aufgegeben werden, so hängen doch jene
beiden Partien des siebenten Buches mit einander so enge zusammen,
dass es schwer hält, sie auseinander zu reissen und den ersten Theil
dem Aristoteles , den zweiten einem andern zuzuweisen ; dazu kommt,
dass die Eudemia bereits vorher 111, 2 die Verbindung beider, wie wir
sie hier treuen: dxQißsOTfqov 6^ nsql mv ysvovg tdöv rjSovcöv f'Ozai diaiqs'ceov
iv Toig Xtyofiie'voig vOtfQov thqI iyxQursiag xnl dxQaOiac angekündigt haben.
Dagegen glaubt eine neuere Untersuchung genauere Vergleichung,
tieferes und schärfeies Eindringen in den Gehalt und die Durchführung
1) Ausgezeichnet, schön und ganz im Geiste des Aristoteles ist die Einleitung VII, 12 mqi
d'i i^d'ofrji -/.id 'Kvnm xflU)(jrja<ti jov ir^v no^iiixi^i' (piXoco(poi,i/Tos ' ovtog yccQ tov riXovi «(>/'-
TixTüiv. TiQos o ßXinovitg i'xuajov rö fxir y.uxop tö d' uyad-dv dnXmg Myo^iv. Sprachlich ist
Cap. 15 zu merken, wo der Vordersatz mit tnti d't eingeleitet wird, nach längerem Zwi-
schensatze aber die apodosis in Folge einer conclusio mit üari eintritt. Dieses findet sich
meines Wissens fast nur hei Aristoteles (Bonitz Arist. Studien III, 106), nicht bei andern
griechischen Schriftstellern.
198
des Gegenstandes decke auch die grosse Verschiedenheit beider Ethiken
auf und führe zu einem ganz anderen Ergebniss, als die bloss auf
äusserliohe Angaben leicht hin achtende Kritik bis jetzt zu gewinnen
im Stanile gewesen; das siebente Buch stehe im innigsten Zusammen-
hange mit den Nikomachia und alles sei im besten Einklänge ; verbinde
man es aber mit den Eudemia, so treten Schwierigkeiten jeder Art
entgegen , man könne aus den vorhergehenden Büchern jener Ethik
weder in dieses hinein, noch durch dasselbe hindurch, noch endlich
von demselben hinüber in die ihm folgenden gelangen. ^) Im Eingange
werde angegeben, wovon gesprochen werden soll ; man müsse erwarten,
dass hier nur neues, nicht früher schon behandeltes vorgebracht werde;
ferner wenn allgemeine Ansichten erwähnt werden , erwarte man , dass
der Verfasser nicht schon vorher solche als die seinigen in Anspruch
genommen, endlich da hier mehrere Aporien aufgeworfen und gelöst
werden , dürfe man mit Sicherheit annehmen , dass dergleichen früher
noch nicht vorgekommen seien. Auf die Nikomachia finde das seine
volle Anwendung, nicht so auf die Eudemia; hier ist schon in den
frühern Büchern wiederholt von dem «xparvyc die Uede, der Verfasser
hat bereits viele gangbare Ansichten als die seinen in Anspruch ge-
nommen, auch gehen besondere dnoQiai schon II, 9 voraus, und VII, 6
beruft er sich nicht auf unser Buch, welches den Gegenstand ausführ-
lich zu behandeln beabsichtigt, sondern auf das II, 7 über den dxqatijq
gesagte.
Dieser Nachweis wird den Leser anfangs für diese Ansicht günstig
stimmen, nähere Einsicht aber und Vergleichung der betreffenden Stellen
wird ihn auch bald überzeugen, dass so fein und schön manche Beobach-
tung ist, der Schluss, welcher daraus gezogen wird, doch keineswegs
ein berechtigter ist.
Im siebenten Buche werden nach dem Eingange Cap. 2 die allge-
mein gang und gäben Ansichten über ByxQäzHu und dxQuoi'a dargelegt,
Cap. '6 ein halb Dutzend Aporien aufgeworfen , aus diesen aber vier
Hauptpuncte zur näheren Untersuchung Cap. 4 — 11 hervorgehoben, von
l) Beudixen, Bemerkungen zum siebenten Buche der Nikomachlschen Ethik. Zweiter Artikel,
Philolü^us X, 2Ü3— 92.
199
welchen der vierte TtfQi tmv aXXwv ooa ovyyfvfj Trjg d-ewqi'ac Tccvtr^g handelt
Cap. 9 — 11. Die Eud. P]thik verweilt nun allerdings 11, 7 — 8 mit Vor-
liebe bei dem iyxqazrjg uud dxQazrjg, sie gebraucht aber diese nur zur
Erklärung des ixdvoiov und dxdvoiov, des freien Willens , weil sie gerade
in jenen beiden eine besondere Schwierigkeit findet, ^) ob ihr Handeln
xar' oQs^iv oder xazd ngoaigsGii' oder xazd didvoiav ist, ob freiwillig oder
unfreiwillig oder beides zugleich, während die Nikom. nur III, 7 kurze
Beziehung darauf nimmt. Eine solche Erklärung eines speciellen Falles
steht der allgemeinen Behandlung wie diese in unserem Buche erscheint,
keineswegs entgegen. Eben so wenig kann es befremden, wenn hier
einige Gedanken vorkommen , welche unten als bekannte Sätze erklärt
werden. Wenn hier als gewöhnliche Ansicht gesagt wird doxel 6k jj
syxQaTsia . . rwv enaivezcöv sJvai, warum sollte der Autor nicht schon vorher
II, 11 bemerken dürfen »y fxh' iyxQdteia toiovzov, zmv snaivszwv S' r iyxqdzsia'i
es ist ja auch hier als allgemeine Ansicht, nicht als eine von ihm zuerst
aufgestellte und behauptete Ueberzeugung ausgesprochen. Nur nebenbei
mit Hinweisung auf nähere Erklärung, demnach nur als vorläufige Be-
merkung wird II, 11 gesagt sOzi d" dqszr] xal iyxqdzsia steqov. Xtxzsöv 6"
vGzeqov tvsqI avzwv . . . Xs'yofisv Sk TtqoanoQr^Gavzsg. Wenn Bendixen be-
hauptet über dieses für den Verfasser der Eudemia so wichtige Ver-
hältniss ^) stehe im ganzen siebenten Buche kein einziges aufklärendes
Wort, so irrt er; die Sache ist genau VII, 9 dargelegt, nur dass hier
nicht von dqszr] und syxqdzfia , Sondern was dasselbe ist , von dessen
Gegensatz, der xaxia und dxqaoia gesprochen wird.
Die von Bendixen bisher angeführten Gründe werden Niemanden
überzeugen, dass man unser Buch den Eudemia nicht zusprechen könne ;
es werden aber aus diesen drei Stellen angeführt, welche sich auf früher
1) p. 1224 6, 3 ovToi /uofoi.
2) Wenn Eud. II, 7 steht ij yrtQ iyxqunia d^iiij, dagegen II, 11 f'ffri dt cl^fitj xcu t'yx(jdTit.a
i'riQoy, so ist das allerdings ein Widerspruch in den Wox'ten, erklärt sich aber aus der
Sache. Auch unser Buch sagt VII, 1 sie seien nicht identisch, aber auch nicht log i'TS(>oy
yivog und doch lesen wir Cap. 9 xui oAwf rf' iit^oy rö yivoq dxQaaiag xui xaxiag. Die Er-
klärung nämlich folgt xuxiu rj uxqaaia ovx i'ari, d'A'Au 71 rj l'ffwf. Es ist dieses vollkommen
mit der Lehre der Nik. IV, 15 übereinstimmend ovx i'ari eTf ovd' ri iyxqdxua dqtxri, dlXd
rtff fxtxrt], d. h. eigentliche dQniij ist sie nicht, aber im gewissen Sinne kann man sie eine
d^iT^ nennen und nicht nennen.
200
gesagtes berufen, was wolil in den Nikomachia, nicht aber in den Eu-
deniia zu finden sei. Von diesen ist die erste VII, H, 1147 b 23
erifi 6' eOil i« /.ih' nynyxnia iwr noiovrnov /^'Jor»yi', in 6' (xiQtid f.ikv xad-^ avtd,
fXovKx tf' v^fQ^oX/^y drayxccTa /iitv id Ocoi.iaiixd i« d' dvayxaia fxkv ov,
ttiQfrd 6i x«tV' avrd . . keine Citation , sondern eine Eintheilung, man
müsste dann alle bei Aristoteles mit suel 6^ anfangenden Lehrsätze (wie
in demselben Capitel 1148 b 15) als Berufungen auf bereits früher
gesagtes ansehen , was Niemand thun wird. Die zweite eben daselbst
1 148, 24 Tc5r yaQ i^Ssow i'ria (fvüti a'iqstd, xd cf' ivavTia tovtcov, td di fieza^v,
xa&aTTfQ SifiXo/Afv TtQOTfQov, oiov pf^fj^jWara xal xsQÖog xal vixrj xal zi/nrj
ist, wie man sieht, eine wirkliche Citation, in dieser Form aber leider
weder in den Nikom. noch in den Eudem. nachweisbar, so dass Muretus
III, 449 u. A. ihren Inhalt in der vorher angeführten Stelle suchen zu
müssen glaubten. Nik. I, 8, 1099, 1 kann nichts beweisen, wir lernen
daraus nur, dass es (pvoti rjSe'a gibt, sonst nichts, von einer Eintheilung
ist keine Spur. Die dritte Stelle endlich VII, 8 Tregl Si rdg 6i" d(pt~g xal
yfvOfwc i^^dovdg . . Tisgi ag rj dxoXaOia xal O'McpQoOvvrj SiwQiO^rj Tcgöregov soll
ein deutliches Zeugniss für die Nikom. gegen die Eudem. enthalten ;
jene bezeichnen das yevarov xal dmov als das Gebiet der dxoXaoia, die
Eudem. geben die Berichtigung, dass dieses in Wahrheit nur das dmov
wäre und bleiben auf dieser Correctur und sicheren Errungenschaft
stehen ; ihr Verfasser hätte daher in der Folge nicht in die veraltete
Ansicht, die er selbst verbessert habe, zurückfallen können. Ein kühner
Kritiker würde diesem Uebelstande wohl gleich durch Streichung der
überflüssigen Worte xal yevoi-wg abhelfen, indessen bedarf es keines solchen
Kunststückes. Es ist falsch, dass die Nikomachia von den Eudemia
corrigirt werden; denn jene selbst sagen ausdrücklich III, 13 nicht die
yeroig, sondern die d^r] beherrsche den dxöXaürog: ov ndw Si xaiqovai %ov-
Toig (nämlich Gegenständen der ysvoig) ij ovx oT yt dxöXumoi, dXXd zfj dno-
XavOei, rj yivexai naOa di' d(fjrjg xal sv Oirioig xal iv TroxoTg xal roTg dipQoSiOioig
Xfyon^voig, und so wenig bestehen die Eudemia auf jener vermeintlichen
Errungenschaft, dass sie unmittelbar nach jener strengen Ausscheidung
sagen, nicht die andern drei Sinne zeigen den dxoXaoxog, sondern nur
jene zwei, dXXd negl %d (ivo Twv alo^Tjtwv tavta . . ttsqI %d ysvOid xal amd,
und gleich nachher- wird wieder bemerkt xal foixt%> d^fj fiäXXov rj ysvost t6
201
näd^og. Was konnte also den Verfasser der Eudemia, wenn er dieses
siebente Buch geschrieben hat, hindern, hier bei einer allgemeinen An-
gabe dem gewöhnlichen Sprachgebrauche, der gangbaren Ansicht zu
folgen und 6i' dipfjg xal yevoewg ZU Schreiben?
Das sind die Steine des Anstosses, die es unmöglich machen sollen,
aus den ersten drei Büchern der Eudemia in dieses siebente Buch der
Nikomachia sich hinein und in diesem zurecht zu finden. Wer für jene
schon vordem eingenommen war, wird sich nicht hindern lassen, leicht
darüber zu steigen, aber auch wer für jene nicht besonders begeistert
ist, sondern unschlüssig keine Entscheidung wagt, wird durch solche
Gründe nicht zur Ueberzeugung gebracht werden, dass dieser Theil den
Eudemia nicht zufallen könne , demnach den Nikomachia zugesprochen
werden müsse. Bendixen zeigt eine nicht gewöhnliche Beobachtungs-
gabe, um den Unterschied solcher Schriften anschaulich zu machen, und
gibt manche dankenswerthe Bemerkung, aber die Anwendung, welche
davon gemacht wird, ist gewöhnlich unberechtigt und zwingt zur Ge-
genrede.
Der zweite Theil jener Abhandlung S. 270 — 92 geht von dem im
ersten Artikel gewonnenem Ergebnisse aus, dass Aristoteles in den Bü-
chern der Politik sich als Verfasser der Schlussabhandlung des VII
Buches über die r^6ovr] bekenne, und gibt aus dessen philosophischem
Sjstem den Nachweis, wie er dazu gekommen, denselben Gegenstand
in seiner Ethik wiederholt zu behandeln. Im VII Buche sei die Lust
vom Standpuncte des natürlich sinnlichen Wesens des Menschen und
seiner gewöhnlichen Erscheinung aus, im X von seiner höhern vernünf-
tigen Seite betrachtet, eben so die Glückseligkeit dort vom Standpuncte
des philosophisch gebildeten Staatsmannes, hier vom Gesichtspuncte des
speculativen Philosophen entworfen ; es sei eine fortschreitende Entwick-
lung der Lehre sowohl der rjSovrJ als der svSm/xovia vom VII bis zum X
Buche nicht zu verkennen ; die Bücher der Politik beziehen sich aus-
schliesslich auf das Resultat der ersten Abhandlung; so oft Fragen aus
dem Gebiete der Ethik berührt seien , werde mit einer gewissen Vor-
liebe auf die Untersuchung des VII Buches gewiesen ; das ganze siebente
Buch der Politik scheine es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, jene aus-
zubeuten oder seinem Inhalte nach wieder in Erinnerung zu bringen u. s, w.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 2 6
202
Das sind eben so neue als ganz unerwartete Belehrungen; da aber
ihre ganze sieben Blätter umfassende Beweisführung sich auf die Un-
trüglichkeit des ersten Artikels stützt, den Satz nämlich, dass Aristoteles
das VU Buch als sein Eigenthum anerkenne, von diesem aber oben
nachgewiesen ist, dass er ganz falsch sei, so ist mir auch ein näheres
Eingehen in diese Entdeckungen von selbst erlassen. Wenn Bendixen
die sämmtlichen oder doch die wichtigsten Schriften des Aristoteles,
wie die naturhistorischen, angefangen an der (pvaixrj dxqoaoig bis zu nsql
C(,)ioi' yf re'öfcdc genau durchgeht, und von jeder sich den nöthigen Auszug
macht, wodurch Plan und Ausführung des Werkes klar dargelegt wird,
ist er gewiss der erste, der solche Interpretationskünste als Faseleien
zurückweisen wird ; denn Aristoteles spricht in allen Werken , die voll-
ständig erhalten sind , über Gang und Durchführung des Gegenstandes
sich überall klar und deutlich aus, und braucht keinen Interpreten, der
ihm Gedanken leiht und unterlegt, die er nie hatte. Treten Hemmnisse ein,
und diese sind nicht selten, seien es Risse oder auch Ueberfüllung, nicht
zusammengehörige Partien u. dgl., so gilt es ein scharfes Auge zu haben,
um, wenn auch nicht Ursache und Grund der Erscheinung — dieses
ist oft unmöglich — doch den factischen Bestand sicher zu bestimmen ;
hier die gewöhnliche Ueberlieferung durch überkluge Erklärung recht-
fertigen zu wollen, ist nichts als überflüssige Verschwendung des Scharf-
sinnes ; der ist zu viel besserem zu verwenden, und dass in diesem Sinne
die Beobachtungsgabe und das schöne Talent Bendixen' s dem Aristoteles
recht fruchtbringend werden möge, ist mein sehnlichster Wunsch.
NIKOMACHISCHE ETHIK.
I, 1, 1094, 22 drjkov (6g tovt' äv el'rj rdya^dv xal v6 aQiOvov. Hat Ari-
stoteles hier am Anfange absichtlich beide Ausdrücke gesetzt, oder ist
letzteres späterer Zusatz? 10!J7, 28 steht to ägiorov, um den Grad zu
bezeichnen, nicht mehr nothwendig aber ist es 1097 b 22 (v. 27 sagt
er TuyaMv), 1098, 20. b 32. 1099, 24. b 30. In den controversen
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Capiteln des VII Buches 12 — 15 steht öfter ro agiocor, Cap. 13 /nij tlvai
dya^Sv firjdi t6 üqigtov, die M. M. geben sogar xd uqiotov dyu^ov.^
I, 2, 1095, 26 TxsQi äs Trjg svScciixovCag . . ov^ o/xotojc ot nokXol zoTg OoyoTg
dnoSiSoaOiv oi }iev ydq zcov ivagywi' re xal (fiavsqurv , oiov r^SovTjV -q ttXovtov r\
Tiixi^r , ciXXoi Sk ttXXo , noXXdxig di xal 6 aihog ^'rtgor . . . (iwsiSörsg 6i ainoTg
ayvoiav xovg /.le'ya ri xal vnkq avrovg Xtyovrag ^avfid^ovOi. hioi (J" ^iovro naqd
%d TtoXXd ravTa dyax^ö aXXo xi xa^' avxo sivai. Ich vermuthe svioi ydq rporro.
Es folgen nämlich die Philosophen, welche etwas von den gewöhnlichen
Ansichten weit abgehendes sagen und dadurch dem Volke imponirten,
das waren aber jedenfalls die Idealisten. Aristoteles ist damit in den
Gegensatz von den noXXol zu den aocpol übergegangen und hat zugleich
den Piatonikern einen Schlag gegeben ; ihre Lehre werde von der Masse
nur angestaunt , weil sie gar zu frappant und eigenthümlich scheine.
Ich halte ydQ für nothwendig. üebrigens wird hier schon auf Cap. 4
hingedeutet und es ist nur Willkür, wenn Gruppe jene Auseinander-
setzung für einen spätem Zusatz des Aristoteles in dieser Ethik erklärt.
I, 4, 1096, 14 t6 6^ xa^dXov ßb'Xriov i'oo)g sniOxäxpaUxi-ai xal SiaTTOQrJOai . .
6d§£is <?' ov [l'Ocog ßeXxiov slvai xai\ 6ilv inl OcoxrjQia ys xr^g dXrj^siag xul xd
olxsia dvaiQsTv. Die eingeschlossenen Worte scheinen eine falsche Wieder-
holung des obigen zu sein, sie passen hier nicht. Die Stelle zeigt, dass
das Sprichwort amicus Plato, amicus Aristoteles, sed magis amica veritas
von Aristoteles selbst ausgeht und unserer Ethik entnommen ist.
V. 20 xd 6^ dyaSdr Xäyexai xal sv X(f xi ioxi xal sv xm ttokö xal iv rw
nqdg xi. Was soll hier die Erwähnung der (Qualität? wir brauchen nur
die Substanz und Relation unmittelbar. Wenn v. 24 steht xdyai^dv loaxöJg
Xsysxai x(^ ovxf xal ydg iv x(^i xi Xi'ysxai olov 6 ^sdg, SO ist dieses ZU merken;
Aristoteles sagt sonst, wie v. 20 vollständig sv xdi xi saxi, und so geben
auch die Eudemia 1 , 8 diese Stelle , nur in unmittelbarer Aufzählung
und Aneinanderreihung der Kategorien sagt er einige Mal einfach xi,
Bonitz zu Met. p. 1026, 35, aber der Verfasser der M. M. 1, 1. 1183,
10 hat in seinem Exemplare bereits kein ioxl vorgefunden. II, 6, 1107, 6
xdv Xdyov xdv xi r^v shai Xsyovxa, der Sprachgebrauch fordert rdv xd xi rjv
und so hat auch K.
I, 8, 1098 b 15 eine Stelle, welche recht anschaulich macht, wie
Scaliger durch Tilgung von Wörtern, die ihm ungehörig schienen, dem
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Texte aufzulielfeu sucht; alles eingeklammerte ist in seinem Exemplare
durchstrichen : rac 6i nQu^eic xal rag ivsQysiag rag ipvxixäg [tt^qI xpv%rjv ri&£fX£v\
oJöif xaXijJgciy Xi-yono xaid ys [ravcr^f] xi]v ^o^av naXaidv ovOav xal 6fioXoyovfis'vr]V
VTTo rüjy (ftXoüo(fovii(oy [vgO^wg Si xal] oti Tigd^sig rtr^g [Af'yovrat] xal ivsqysiai
10 rsXog [oviu) ydQ\T(JI}V ttsqI ipv%ijv dya&öiv \yCvsTai\ xal ov twv ixtog. Erhält
der Satz dadurch eine grössere Rundung, so hat doch eine solche Inter-
polation wenig Wahrscheinlichkeit und die Bedeutung wird eine andere,
die ich nicht zu begründen weiss. Andere Stellen, in welchen er, was
ihm übertiüssig scheint, streicht, von welchem manches ansprechend ist,
sind 1\, 4, 1122 b 18 nsyaXoTrqäneiu [ßv fxsysd-si] . . ola XäyofJisv [ra] ri(xia.
IV, 14, 1128 b 7 Tcör d^ [ti8qI T.yV fjdov^v^ r] fi^v. VII, 9, 1150 b 35
i'j d' ov Ovv€Xi]g [TTovrjgi'a]. VII, 10, 1151 b 9 o fi^v ydg 6id ndS-og . . ov
lirraßdXXst \o iyxganqc^, insl svTTSiOrog . . k'Orai [6 iyxgazrjg]. VII, 11, 1152, 24
o (f^ novi]Qdg xQwnevrj ixhv \roig] vöfioig, novrjQoTg 6i [xQdo/xs'vr]]. IX, 12 [ircöfisvov
d' av fhj öisX^sTv nsql Tjdovrjg']. X, 2, 1173, 20 vndqxsiv [xal xazd rdg dgs-
ra's]. X, 10, 1181, 3 ovTS [ydq] ygdcpovTsg.
II, 1, 1103, 23 ov&hv yuQ Tuiv cpvösi ovzwv aXXcog id-C^erat , otov 6 Xi^og
(fvGu xdrco (psQofXsvog ovx av i&iGdsir] avco (psQsGd-ai . . ov3^ rd nvQ xdrco , ovS'
äXXo ovSiv T(üv dXXcog nsfpvxoTcov äXXcog av i&iG&sir]. Dem allgemeinen Satze
folgen zur Erläuterung zwei Beispiele , um von diesen wieder auf das
Allgemeine zurückzugehen ; äXXwg vor Trscpoxötav ((pvGsi necpvxÖTwv in M.
ist wohl nur nähere Bestimmung) ist zu streichen. Vielleicht war an-
fänglich nur eine Umstellung der Wörter aXXcag nstpvxoroDv statt Trecpvxötcov
äXXoog, wie dieses auch sonst nicht selten ist, z. B. VI, 2. 1139, 18
vovg öge^ig für ogs^ig vovg. VI, 3. b, 16 ts'xvt] sTnGTrj/xrj lür eTTiGti^fii] tc^vt].
V, 10. 1136, 4 öixaionQayst 6k av ßovov ixcSv TigdTtr^, WO ßovov av erwartet
wird, wenn anders fiövov nicht überflüssiger Zusatz ist, vgl. 1135, 16
öixaionQoyei otav €xcov rig avrd TiQdzTrj. V, 10, 1134, 62 iv oig ä' dSixia,
xal tö ddixsTv iv rovTOig, iv olg 6b ro d6ix£iv, ov naGiv d6ixCa. Warum nicht
einfach iv tovroig xal %6 d6ixsTv"i Vielleicht auch VIII, 11, 1160, 4 av^rjGiv
Xaixßdvsi T&; fxäXXov nqog (fiXovg shai ist vorzuziehen fiäXXov t^, wiewohl man
den Comparativ gar nicht braucht.
II, 2, 1104 b 21 6i,' rj6ovdg 6k xal Xvnag (pavXai [yivovrai] aus dem
vorausgehenden nüGa xpvxrjg i'^ig müste man xpvxcd oder xpvxrig i'^sig ergänzen;
natürlicher aber ist tpavXoi zu schreiben, und so hat der Verfasser der
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Eud. iu seinem Texte gelesen 11, 4, der die ganze Stelle wörtlich über-
trägt Si^ iqdovdg Sb xal Xvnag (favXovc, tpafxhv elvai.
II, 5. IIOG b 34 iod-Xol fi^v ydq ccTvlcSg, navTadanoög Sk xaxoC. Der VerS
scheint nicht an seiner Stelle zu sein, Scaliger hat ihn v. 30 nach
n£7T£Qaö/.i£vov gesetzt; besser ist es, wenn er v. 33 nach stcitvxsiv zu stehen
kommt.
II, 8. 1109, 14 olor avTol fiäXXov nscpvxafiev nqog rag rjSovdg, Jto svxa-
tä(poQoC sGfiev f^iaXXov TiQog dxoXaOiav yj nqog xoGf^ioTtjTa. Erklärt Wird, wa-
rum bei einigen dq^Tal der Gegensatz in die vTisQßoXr], bei andern in die
sXXsirpig gelegt wird, so sagen wir, der dvögia stehe die dsiXia (eine eXXsiipig)
entgegen, nicht die ^(,aovTr]g, (die vnsqßoXrf)'., der acocpgoovvrj aber die dxo-
Xaoi'a, (die v7i£QßoXrf), nicht die dvaio^rjoCa (die UXeixpig). Die Ursache liegt
bald im Gegenstande, bald im Menschen ; was der Sache nach vom fxsaov
am weitesten entfernt ist, bildet dessen Gegensatz, wie dort die dsdCa',
aber auch das , wozu wir von Natur aus eine grössere Neigung haben,
wird das ivavziov genannt, und dieses ist der Fall mit der dxjXaoia, zu
der wir uns weit mehr neigen als zur dvaiod^rjOia. Dieses ist der Zu-
sammenhang, es kann also nicht xoGfiiorrjta heissen, denn dieses ist das
fie'aov, es müssen die ivavxCa bezeichnet werden, wie das oben v. 3 schon
ausgesprochen war, also dvaio^r]Oiav, man müsste denn das ganze
V nqog xoOfiiotrjTa streichen, weil man y nqog dvaiö&rjoi'av leicht von selbst
verstehen kann. Die Eud. III, 2, 1230 b 15 sprechen sich über diese
dvciiOd-rjOia auf folgende Art aus : iotl Sh ov ndvv yvwqifxov ro ndi^og ovd^
ininoXaiov Sid ro ndvzag snl zd &ttT£QOV dfiaqzdvsiv fiäXXov xal ndoiv sivai
Ovfi(pvTov T)jV rm' toiovtcov rjrzav xal al'o&rjOiv. Nie. VII, 11, 1151 b 31.
Der Fehler ist sehr alt; denn der Verfasser der M. M. I, 9. 1186 b
27 zeugt durch seine Version, dass er jenes Wort im Texte bereits
vorgefunden hatte: olov rtstpvxafxsv fiäXXov dxöXaOtoi slvai rj xoGfiioi . . . .
iTti6i6o[X£V li^ nqSg dxoXaöiav fiäXXov rj ngog xoOfiiözrjTa.
III, 8, 1114 b 30 ovx ofioCwg . . Tomo ixovoiot. Diese sechs Zeilen
enthalten eine schöne Bemerkung, gehören aber nicht hieher und konnten
von Aristoteles weder hier noch vorher am Ende von III, 7, 1114, 21
mit ovx ofioCtüg ydq statt dk anknüpfen; vielleicht enthalten sie nur eine
Randbemerkung. In solchen Dingen ist es nothwendig, überall zuerst
das Factische nachzuweisen, dass nämlich die überlieferte Ordnung un-
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möglich die ursprüngliche vom Verfasser ausgehende sein könne; einer
weitern Forschung mag es vielleicht gegönnt sein, auch das Entstehen
solcher Abweichungen mit Sicherheit zu begründen. — Dieses habe ich
schon früher bekannt gemacht; Wünscher pag. 40 meint, die Worte
könnten recht wohl den Schluss des siebenten Capitels bilden ; dahin hatte
schon Scaliger diese Zeilen gesetzt, abei' ich zweifelte an der Richtig-
keit ; denn im Vorausgehenden ist nur der Beweis , dass wie dqsxr] so
xaxia bei dem Menschen ixovoiog ist, und daran schliesst sich der Inhalt
jener Worte nicht passend.
Ul, 11, 1116 b 33 idy ys iv vh/ [rj iv iXsi] fj das eingeschlossene
streicht Scaliger; im nächsten 1117, 2 sind die Worte ov 6/j iotiv .. t6v
xtv6vvov eine unnütze Wiederholung von v, 33 — 5, und auch das nächste
scheint nur durch Tilgung richtigen Zusammenhang/ zu erhalten; (fvoi-
xcoTati^ Ja eoixsy i\ 6id rdv x^v/idv slvai [^xal^ TiQOöXaßovOa -ncQoaiQsOiv . . [avdqsCa
(lrai\ Die Eudem, III, 1, 1221), 28 sagen allerdings nur einfach ofiwg
db ftdXiCita (fvOixri rj rov r^v/xav.
III, 13, 1117, 29 otov (fiXoTifiCa tpilofid&eia' sxdtsqoq yaq tovtcov %aiQSi
ov (fi^rixdc iotir. Scaliger tovtc-i, man weiss wirklich nicht, was man
vorziehen soll ; wäre das concretum (pdoTif^iog g)dofiadrjg, so wäre der
Genetiv ganz natürlich ; man wird sich mehr zu Scaligers Aenderung
hinneigen. 1118, 8 täiv J' imd^viimv al (xiv xoival SoxovOiv fivai, al d' idioi
xai sTtii^sToi. Scaliger der Concinnität wegen xoival xai (fvaixal, da so-
gleich als Beispiel folgt olov i] fiiv Tfjg Tgo(pfjg (pvaix^ und ebenso nachher;
übrigens kann dieser Begriff auch in dem Worte xoi-val enthalten liegen,
aber der Gegensatz macht den Zusatz wahrscheinlich.
III, 14, 1119, 14 setzt Scaliger die Worte om" dnovrwv XvnsTTm ovv'
iTiiiH>iuT in die nächste Zeile nach die ixt} Ssl.
V, 1, 1129, 8 oQM/xev drj Tidvteg Ttjv TOiavtrjv ^'^iv ßovXofiävovg Xiysiv
dtxaioGvvTjV , d<f^ rjg nqaxxixol tcSv SixaCwv sioi xai d<p^ rjg dhxaioiXQayovOi xai
ftovXovzai TU dixaia' rdv avtdv dh tqdnov xai nfql ddixiag, d(f^ rjg ddixovOi xai
ßovXovtai TU udixa. Auffallend ist, dass im ersten Satze drei, im zweiten
zwei Glieder sind, und da dixaionqaytlv und ddixetv den Gegensatz bilden,
80 könnte man den ersten Satz als unächt streichen wollen; an sich
aber ist der Begriff nqaxiixol zwv dixaCwv nicht ungeeignet, V, 9, 1134, 2.
Wenn durchaus Gleichheit der Sätze sein soll, kann diese durch Tilgung
207
der Worte siol xal dtp' ^g hergestellt werden. Achtet man auf den
Sprachgebrauch des Aristoteles , so wird man finden , dass er auf eine
solche Concinnität weniger als andere Autoren Gewicht legt, und sich
nicht scheut einen nahe liegenden bezeichnenden Ausdruck noch zum
Besten zu geben, wie VII, 1 tt^qI Jt dxqaoiag xal (laXaxiaq xal rgvtpfjg Xtx-
te'ov, xal TTSQi iyxffaxsiag xal xagtsQiaq, WO der Zusatz xal VQV^rfg ganz über-
flüssig ist, aber er sagt auch Cap. 7 ovrog naXaxdc xal TQVfficöv xal yccQ
ij TQV(pr} fxaXaxCa tig soriv und gibt dadurch den (irund, warum er das
Wort damit verbunden hat.
V, 2, 1129, 2ß s'oixs 6^ nXsovaxüig Xs'ysO^ai i] dixaioövvrj xal rj ddixCa,
dXXd did To Gvvsyyvg elvai rrjv diKüVVfiiav Xav^dvei xal ovx cijGttsq inl t(Sv tzöqqoo
6rjXrj fiäXXov. Das letzte Wort gehört nicht zu Si^Xri, sondern zu ttöqqo),
SO viel als noqqoTSQoi. Seine jetzige Stellung ist kaum zu rechtfertigen,
vielleicht genügt es inl zdiv ttoqqo) fiäXXov dVjXrj zu setzen. Vgl. oben
zu II, 1.
V. o2 SoxsT d^ o TS TTaqdvoiJiog aSixog eivai xal 6 TiXeovsxTrjc xal 6 äviOog,
cüOts ÖTjXov oTi xal 6 öixaiog sörai o rs v6fMiJ,og xal 6 i'Oog, to [xh' di'xaiov aqu zd
■v6fxip,ov xal To l'oov, tö d' adixov td rragdvo^ov xal rd aviOov. Längst hatte
ich in meinem Exemplare die Worte xal 6 nXsovsxTi]g als dem Zusammen-
hange entgegen gestrichen ; um so auffallender war es mir , dass Tren-
delenburg nicht diese , sondern die nächsten xal 6 aviOog als falsch er-
klärte und Bekker sie einschloss. Das richtige hat Hampke Philol.
XVI, 62 ; ich will noch hinzusetzen, dass V, 5 dicogiorai Sr] to aSixov rd
X£ naqdvoixov xal xd äviOov , to 6i Sixaiov to ts rd/^uf^iov xal to i'öor Sich aui
unsere Stelle bezieht und allein schon entscheidend ist.
V, o, 112J b 16 ot 6i vdjiioi dyoqsvovOi nsql dndvTwv OToyi^a^d^svoi rj
Tov xoivfj öviKfsqovTog näoiv ^ Totg dqiöToig rj ToTg xvqCoig xar^ dqeTijv rj xaz'
äXXov Tiva Tqdnov. So können die Worte nicht richtig sein; denn xvqioi
xaT' dqsTTjv sind die äqioroi. Es fehlt aber xaT' dq£Tr]v in k und den Aus-
gaben der Endemien, Sylburg zu pag. 125, 25; dann muss rj xoTg xvqioig
xaz' aXXov gelesen werden ; gemeint ist Oligarchie, Timokratie u. A. Ist
aber xar^ dqsTrjv richtig, so bleibt nichts als rj Totg dqiOToig zu streichen.
Y, 4, 1130, 14 ZrjTovfjLsv 66 ys tvv iv (xsqsi dqsTfjg dixaioOvvrjv . . ofioioog
J^ xal nsql ddixiag xfjg xard fis'qog. Ich halte dqsTfjg für einen erklärenden
Zusatz, eben so dqsTrjv am Anfange des nächsten Capitels V, 5 Bti /.Uv
208
ovi <w'of ^ixaioovvai nXst'ovg xal ori fon Tic xal hega naqd xrjv oXtjv aQszrjVy
6i'Xoi\, der oL] Sixaioovvij steht rj iv [iegsi oder /j xarä fiäqog entgegen. V. 22
äXXi^ ddtxia MC fiegoc r/yc oXi^c. 33 ddixi'a naqd tijv oXtjv aXXij iv fiegsi. b 16 Sore
xal TreQi t;"c ev [.it'gei dtxaioGvvi^g xal tisqI tiJc dv jWf'^« d6ixiag Xfxräov. Der er-
klärende Zusatz ergab sich leicht, weil einige Zeilen vorher v. 8 vor-
ausgeht aintj fiiv ovv t] SixaioGvrt^ ov /nsQog dqtzfjg dXX' oXt] dQsz/j iöxiv. —
V. 27 ixfTvog 6' dSixog, dxoXaOrog 6' ov' dfjXov dg« ori 6id to xsgSaivsiv. Dieses
ist kein Folgesatz, sondern Begründung, daher Scaliger richtig ydQ
gesell rieben hat.
\, 5, 1130 b 8 ÖKüQiGiai Srf %d ddixov to ts 7ictqdvof.iov xal tö dviOov,
t6 öi di'xaior tö re vofiifiov xcci t6 l'oov. xaxd f.ihv ovv t6 nagdvofiov "tj ixqotsqov
fiQi^fu'it^ dSixitt eOTi'v. STisi 6^ to aviOov xai to nXsov ov tavtöv dXX' i'teqov cog
fUQog TTQog oXov (to fih' ydq nXe'ov anav driOov, to 6s dviOov ov ndv nXs'ov), xai
TU aöixov xal i] ddixi'a oi) tavtd dXX^ ^tsqa ixsCvwv, td [xev cog fieqrj td ä^ wg
o/«* l^iiQoc ydg avtt^ r^ ddixi'a tilg ^^V^ däikiag, o/jioicog 6i xal t] dixaioOvvr] trjg
öixatoövvr^g. Was Aristoteles hier sagt, ist gegen seine Ansicht und man kann
durch keine Erklärung helfen. Nach ihm ist das naQdvofiov der Inbegriff der
oXr^ dSixia, und das vdfii/xov die oXrj SixaioavvTj ; darum das zweite, das dvioov
und roov die partikulare ddixCa und 6ixaioovvtj. Der hier gegebenen Er-
klärung gemäss aber würde von der particularen dSixCa wieder ein Un-
terschied gemacht, und zwar das dviaov das genus, das nXäov die species
bezeichnen, was ganz gegen den Zusammenhang und den Gedankengang
des Verfassers ist. Man streiche den Erklärungssatz to [xhv ydq nXsov
anav dviaov, to dk dvioov ov ndv nXiov und alles ist richtig; schon im
Alterthum wurde der Gedanke falsch aufgefasst, vergl. scholia fol. 62, 6.
Nicht den Unterschied von dviOov und nXiov will Aristoteles geben, son-
dern den von naqdvofiov und dviOov', er sagt, dieses dvioov oder nXiov
(dieses hebt er hervor, weil die Ungerechtigkeit zumeist in der nXsovs^Ca
besteht) ist nur ein Theil von dem naqdvofiov, folglich das Fehlen in
diesem nur oJ? ii^qog von dem gesammten naqdvo^ov, d. h. die specielle
döixia von der gesammten dSixia. Das hat Jemand nicht verstanden
und indem er glaubte, Aristoteles spreche vom Unterschiede des dviaov
und TiXiov, durch unzeitige und ungeschickte Erklärung dieser Wörter,
die zwar an sich richtig ist, die ganze Stelle unverständlich gemacht.
Das Verkehrte muss schon frühe bemerkt worden sein — Muretus ist
nicht der erste, der das p. 383 E. eingesehen hat — und so findet
209
sich in andern Handschriften (M, 0. bei Bekker) folgende abweichende
rorm eTiei S^ ro aviOov xal zd n(XQdvof.iov ov Tavtdv rd /iih' )'a^ äviOov anav
naQcivofiov, %d Sk naqdvofiov ov^ olnav aviOov xal id nXiov. Das ist nur die
Verbesserung einer schon vorhandenen Interpolation, um einigermassen
Zusammenhang hervorzubringen, die aber selbst den Gedanken des
Aristoteles schlecht trifft. Dieses ist zugleich eine von den vielen Stellen,
wie die Sätze des Stagiriten überarbeitet worden sind, und wie die
Kritik vorsichtig zu verfahren hat, um A echtes und Unächtes abzuson-
dern. Hier geben die Handschriften selbst ganz Verschiedenes, die ge-
hörige Untersuchung aber lehrt, dass weder das eine noch das andere
von Aristoteles herrühren kann , und ein unverständiger Zusatz eine
dem Gedanken scheinbar mehr entsprechende Verbesserung herbei-
geführt hat, — So hatte ich mich schon früher über diese bestrit-
tene Stelle geäussert; später fand ich, dass Trendelenburg S. 8 jene
Variante von M. 0. gebilligt und Bekker sie in seinem neuen Abdrucke
aufgenommen hat. Ich kann die Autorität jener Bücher nicht aner-
kennen und diese bedeutende Aenderung nur für eine Interpolation, um
den Worten einen zusammenhängenden Gedanken zu leihen , halten.
Ebenso Münscher pag. 63.
V, 5. Hol, 12 sl ovv rd adixov äriüor , xd dixaiov l'oov , otiiq xal avsv
Xöyov öoxsT TiaOiv. snel 6i rd i'oov fisOov, rd Sixaiov f^isOov n av si'rj. söTt 6i xd
l'oov SV iXaxiOxoig dvOiv dvdyxrj xoCvvv xd dixaiov fxäöov xs xal lOov elvai [xal
TCQog xi\ xal xiGi'v, xal fj fxtv fis'Oov , xniSv [xavia J' sOxi nXtlov xal sXaxxov), fj
6' I'gov sOxi, dvolv, jj 6^ dixaiov, xioiv. olg xt ydq dixaiov xvy^dvti ov , 6vo iOxi,
xal iv olg xd nqdyi^iaxa, 6vo, xal rj ainrj sOxai iodxtjg, olg xal sv olg' cog ydq
ixsTva s%si xd iv olg, ovxco xdxsTva ^xsi' sl ydq /Uy »öot, ovx loa t^ovOiv , crAA'
svxsv^iv al ixdxcci xal xd iyxXr'jnaxa . . . Dem Sinne nach ist die Stelle
ganz klar , die Worte aber bieten manche Schwierigkeit. Scaliger hat
in seinem Exemplare vieles gestrichen und ich glaube manches mit
Recht. Nach dvolv v. 15 setzt er nqdg xi xal xioi, streicht dagegen v. 17
die ganze Parenthese xama d" ioxl nXaiov xal sXaxrov,^) ferner v. 18 iox\,
dann V. 20 xd nQdy^iaxa, V. 21 xd sv oic, endlich V. 22 s'^si' sl ydq fxrj
Ij Scaliger scheint gleich Münscher pag. 66 den Inhalt der Parenthese für unrichtig gehalten
zu haben; dass sie aber die M. M. hatten, sieht mau aus 1193 b 20 üiart xo Xaov av jilti-
ovos xcd tXuzTovo^ iiTj (fixccwy. Sehr leicht entbehrt man sowohl jd ngäy/uctTa, als r« t'y oig,
ohne jedoch beweisen zu köunen, dass sie fehlen müssen.
Abh d. 1. LI. d. k. Ak. d. Wiss. X Bd. I. Abth. 27
nioK ovx iba l'^oi'o/. Hie von Bekker eingeklammerten Worte lässt die
beste Handschrift ä aus. Im obigen erwartet man am Anfange sTiel 6i
rd niov fttdov, l^rd ^t Sixaior niov), ro dtxaiov fis'öor xt av si'rj. Man muss es
jedenfalls aus dem vorausgehenden ergänzen. Dann folgt die Unter-
scheidung von Sachen und Personen, und hier soll nichts stehen als:
clvdyxi^ loirvv id di'xatof ntüor i> xici Tüov (or) elvca (rivdjv) xal riOiv, xai rj fitv
^inJov, iiiwi; ji S' i'üov, TiOt'i. dvdyxij aqa xo dixaiov iv ska^iüroig sivai thTtaqüiv
oh Tt ydg di'xaiov rvyxdvfi or, 6vo ^oti , xal iv ok. Hat Aristoteles an zweiter
Stelle, wie nicht zu zweifeln, tivmv geschrieben, so stand dasselbe auch
an erster, wo bliese Angabe in K ausgefallen ist, und darf nicht aus
andern Handschriften durch ttqoc ji ergänzt werden ; er hat wie den
Dativ , so auch den Genetiv zweimal geschrieben. Der Zusatz f^ Si
Si'xniov Tioi'r gehört nicht hieher. da das di'xaiov nur als i.uoov und l'aov
näher erkli'irt werden soll. Und dennoch kann es scheinen, dass die
Politik III, 9, 1200, Ki . welche unsere Stelle vor Augen hat: ijid rd
dixuiDV Tiaiv xai diTJgtjTai idr avcdv tqüttov ini T€ tü)V Ttgay/jittTcov xal oig, xa-
O^dTTtQ ftgr^Tai ngÖTegov iv roTq vii^ixoTg dafür spricht. Aus den M. M. 1193
b 32 lässt sich etwas sicheres nicht beweisen; denn diese gehen von
der dixatoovvrj aus und ordnen dieser das Sixaiov unter, so dass hier die
drei Begriffe des di'xaiov Toov und näaov wirklich auf gleicher Linie
stehen , um daraus den Unterschied von Personen und Sachen zu be-
stimmen ; es ist aber wahrscheinlich, dass auch sie jene Worte rj di di'-
xaiov Tialv im Texte bereits vorgefunden haben. — Münscher schreibt
pag. 65 — 68 dvdyxtj Toi'vvv rd dixaiov fiiOov re xal i'oov (or) tivai (xal sv tiOi)
xal Tiotv und streicht alles folgende xai fi /ilv . . di'xaiov naiv. Hier würde
die Ordnung wenigstens fordern afvai xal riolv (xal iv Tiair), wie schon
das nächste olg und iv olg zeigt.
V, 9. 1134, b rJ d' ddixi'a tovvavTi'ov %ov ddixov tovto d' iürlv vnsqßoXr^
xal t).Xfixpig Tov o](ffXt'(jbov ij ßXaßsqov nagd rd dvdXoyov. Nach der Bestim-
mung, was die dixaioovvrj ist, heisst es, das Gegentheil davon ist die
ddixia, der Zusatz tov ddixov ist überflüssig, dann muss es wohl xal ßXa-
ßtqov heissen, nicht r], beides ist verbunden. Oben v. 7, 1132, 4 steht
TOV ßXdßovg, während sonst tov ßXaßsQov oder r^g ßXdßr]g gesagt wird.
V, 10, 11. '54, 19 '^ ovTu) [liv ovdiv dioiOf^i; ich vermuthete ovdtv sei
zu tilgen : oder wird der Unterschied so sein, dass es besonders auf die
211
TXQoaiqsaig ankommt? Diesen Gedanken hat meines Wissens nocli Nie-
mand in dieser Stelle erkannt; jetzt will Münscher pag. 83 diesen posi-
tiven Sinn auch in dem negativen Ausdrucke mit ovS^v finden.
1134, b 22 >]' To alya i)vtiv dXXd /xr] 6vo nqoßccTa. Dazu macht Sca-
liger die Bemerkung: dvo del. M(uretus), ego censo yrgößara delendum
et Svo retinendum. — 1135, 6 hat derselbe richtig wg t6 xu^oXov statt
%d. — V. 19 döixrjfia Jt xai SixaionQdyrjua wgiOTai tm ixovüCo^ xal dxovoCoj.
Münscher j^ag. 88 will, weil es ein Schluss sei, Jry; ich ging noch weiter
und habe eben deswegen auch cogioO-oo vermuthet, wie nachher v. 30
ofioiwg 6i t6 toiovtov Siojqi'oS^co — V. oo noXXd yuQ xal twv (pvOsi vTiaQ^ovrcav
slSoTfg xal TcgaTTO^hV xal ndO'/^of^uv, wv ovlhtv ovx/ ixovGiov ovt^ dxovüiwv sOtiv,
olov to yrjgäv rj dno^vr^oxeiv. Eine merkwürdige Behauptung; man sollte
denken, das wahre wäre doch nur wv ov^iv ixovoiov ioviv. — 1136, 1
av J' ix TiQoaiQsOecüg ßXdiprj, dSixsT, xal xard ravr' rjörj %d dSixrj/nata 6 ciöixöHv
döixog. Dieses ist die Beantwortung der am Anfange des Capitels auf-
geworfenen Frage 6 noia dSixriiaxa ddixmv ijSrj döixog ioriv ixdOTrjV dätxiav ;
SO dass man auch dort nur xal 6 zavr' ijSrj zd ddixrniaia däixm' erwartet.
VI, 1, 1 1386, 20 TovTo Sie'Xwfifv. Vielmehr Su'X^cofiev, doch wird die
Entscheidung, da die Verwechslung dieser Wörter öfter vorkommt, von
der Vergleichung sämmtlicher Stellen abhängen.
VI, 2, 1139, 3 Xeywiisv ovTcog. Ich glaube ovrcog findet sich bei solchen
üebergängen sonst in Aristoteles nicht. Im folgenden tiqötsqov fiiv ovv
iXä^^ri 6v' slvai fJiSQii] fi^g ipvxfjg, ro ts Xoyov s'xov xal t6 dXoyov vvv di tt^qI tov
Xöyov sxovrog ... SiaiQfxeov. scheint etwas ausgefallen zu sein, z. B. dXoyov
\a)V jjSrj dioSqiOTai ro dXoyor^ vvv
VI, 8. 1141 b 25 Tr:g 6i tzsqI noXiv tj fiH' cog aQxiTfxTovixr] [(fQovrjOig^
vofio^ftixrj . . . avTT] St nqaxtixrj xal [ßovXsvrixTJ]. die eingeschlossenen Wörter
streicht Scaliger (xal nach nQaxnxrJ fehlt in den Ausgaben und K L), ich
glaube mit Recht; nur so stimmt es mit dem folgenden. — v. 31 xal
s^fi avTTj ro xoivov ovoiia (pqovrjOiv , ixsCvuiv dh r^ /liv olxovofiia tj 8i vo/xod^fGia,
Tj 6i TioXiTixij. Erwartet man hier nicht nothwendig fxsivr]'?
VI, 9 b 33 £i3og iikv ovv Tt äv si'r] yvwoswg ro avro) sldsvai. Auffallend
ist yvwüswg, die Frage ist, ob das t6 arx^li dya^ov slSe'vai zur (fQovrjGig ge-
hört oder nicht, und sollte yvwoig von dem erst unten Cap. 11 erläu-
terten yvwiirj viel verschieden sein? In den Versen des Euripides füllt
27*
•) 1 ■)
Soaliger noch Taov n^aoxfTv die Lücke (aus Dio), schreibt aber t^~ oo(p(a-
TctKo Te'xyr^c statt Tvx)]?, den nächsten Vers
tovg Y"Q TTtQiOOovg xaC zi TiQaöOovtag tiXsov
ergänzt er ex ingenio mit dem Zusätze fiioovoiv ot ^soC. damals war viel-
leicht Canters Stobaeus noch nicht bekannt, wo steht
Tifi(J5/nt%' arSgag t' er nöXei vofiit,ofi£v.
er wollte wenigstens einen vollständigen Satz und Gedanken. Auffallend
ist VI, 4 in Agathons Verse
it'xvt] rt'x/yi' k'üTfQ'^s xal tvxt^j Ts'xvrjv
seine Aenderung sts^sr. In dem Verse des Anaxandridas VII, 11
jj TToXig sßovXfd^^ fi rdfiwr ov(Sh> (xsXei
hat er ißovXtv" was auch Muretus und Lambinus vermutheten; die
letzten Worte erwähnt Sext. Emp. pag. 576 Bkk. was Meinecke nicht
bemerkt hat. \ III , 2 Evgim'Srjg fi^v (fjaüxwv iqäv fi^v ofißqov yaiav ^r^qav-
&6i0av, €QÜv Jt Osfivöv ovqtxvov nXtjQovixevov ofißgov nsOstv elc yaiav hat er im
guten Glauben, vollständige Trimeter seien angeführt, den Verswidrigen
Aorist ^r^gar^etöav sofort in das Perfect i^r]Qafisvrjv verwandelt. Sonst
hat er die gewöhnliche Sprache hergestellt und dadurch häufig die
Eigenthümlichkeit des Autors verwischt; z, B. VII, 15. 1154, 24 cöW«
in der Apodosis gestrichen, oder xat d statt des bei Aristoteles nicht
seltenen xär d gesetzt , selbst sprachliche Versehen kann man mitunter
treffen, z. E. statt fuj oväiv Xsywöiv die falsche Correctur fn^d^tv Xsywoiv,
dergleichen ist billiger Weise mit Stillschweigen zu umgehen; denn
Scaligers Geist und Schärfe ist von solchen Kleinigkeiten abgesehen nir-
gends zu verkennen.
VI, 11, 1142 b ;)4 töTi S^ xal r) OvvsOig xal y dovveOia, xa^' ag Xs'yofisv
ovverovg xal dovrsTovg . . hier kann nicht wie im fünften Buche von
6ixaioavvt^ und ddixia von dem positiven und negativen gesprochen wer-
den; der ganze Artikel weist darauf hin, dass es evoweoia und evov-
vitovg heissen muss, wie gleich nachher folgt zavvov ydg ovv^oig xal svav-
vaai'a xal üvvttol xal svovvsvoi, aber gerade diese Erklärung kann dort,
wenigstens nicht ohne Aenderung von yuq in ^i, nicht stehen ; dagegen
hat sie hier ihre geeignete Stelle, ja selbst auch einige Zeilen später
V. 1<J nach den Worten xal evtsv&sv . . svoihsroi. Soll v. 15 mit xd ydq
SV t(f xaXwg tavidv nicht das unmittelbar vorausgehende xgirniv xaXdjg er-
213
klärt werden, sondern das weit abgehende oder erst v. 17 folgende
svovvftoi? in ersterem Falle erwartet man ro) ydq fv td xaXwq Tavtöv.
V. 21 Tov ydq sjiisixrj fiäXiGra tpa^isv slvai Ovyyvioi^iovixov xal i ms ixi g z6 e%£iv
Tie(jl h'ia ovyyvco/urjv. Ich vermuthe iuieixovg, denn von der Person (des
sivai und s^nv V. 19) ist die Rede. V. 26 Xsyofisv ydq yvwfirjv xal OvveOiv
xal (pQÖvrjOtv xal vovv srcl rovg avtovg STncps'govzsg yvcofxrjv s^siv xal vovv Tjdrj
(das heisst r^ 6 rf) xal (pQov i[.io vg xal Ovvezovg.
VII, o, 1145 D 2G ovd-sva yoLQ vuoXa/xßdvovra ngarTsiv nagd xo ßsk-
TiOTov, dXXd öl" ayvoiav. Hier kann ögit^öig nicht aus v. 21 ergänzt werden.
1146, 21 sTi 0 oo(piGvix6g Xoyog xpsvöofxsvog dnoQia. Die Sophistik über-
haupt^ nicht der Trugschluss xpsvSöfisvog allein ist gemeint, jene ist aller-
dings \pev3oiisvri, aber da voraus geht 6id t6 Xvnsio^ai ipsvSo^isvog scheint
das Wort unrichtig wiederholt,
vll, 5, 1147 b 17 ttsqI fx&v ovv Tov sldora xal /iirj, xal mag fiSoza ivdi-
fezai dxQazsvsOd-ai, zooavza siQi^o^o). Am Anfange heisst es vollständiger
OxsnzBOV nozsQov slöozsg rj ov, xal nrng elSozeg, aha, WO man das verbum
dxgazevovzai oder wenigstens dxQatstg hart vermisst; hier ist die P'orm
des Satzes geändert, weil bewiesen ist, dass man wissend und nicht
wissend, und wie wissend fehlen kann. Aendern darf man nicht, wie
ich einst vermuthete.
VII, 6, 1148 b 27 ai Si voorjfxazcSSsig tj i^ rj^ovg, nach der V. 34
folgenden Erklärung cooavzwg de xal zotg voor^fiazw^öig s'xovoi 61" fdog ist die
Partikel r] zu streichen.
VII, 8, llöO, bO züjv Stj Xsxd^svzorv Z(f fih> fiaXaxiag etJog [xdXXov, 6 J''
dxoXaOzog, dvzixfizat J* zr^ f^iiv dxQazsT o iyxQazrjg, zo) Se fiaXaxfp 6 xagzsQixog.
Man erwartet vielmehr als Gegensatz zd J' dxQaatag, Im vorhergehenden
V. 27 navzl d' av Soleis xsCqcov sivai hat Scaliger jtdvzi] geändert, im
folgenden b 14 iv zotg ^xv^olv ßaoiXsvoir schreibt er ßaaiXfioig Herod.
ot svdgisg iv zotg ßaoiXeioig 2xv^ai,g, davon steht bei Herod. l, 105. IV, 67
nichts.
vll, lo snel zd dyad-dv di%<Sg . . xal ai (pvo'stg xal ai f'^ft? dxoXovdrjOovOiv,
(üOz8 xal at xivt^Osig xal ysväOsig, xal at (pavXai SoxovOai tivai at /jir duXwg (pavXai
Zivi 6' ov dXX' aiQszal zojös, s'viai 6^ ovdh zmöt dXXd noz^ xal öXiyov xQdvov,
aiQ£zal ()" ov- at J' ovd^ rj6oval dXXd tpaivovzai . . Scaliger Streicht dxoXov^T]-
oovoiv , mir ist aiqszal d" ov unverständlich, denn sie sind ja atgszal aber
LM4
nicht «rr/wc sondern nur noti, war vielleicht xQovov ulqsrai, aid' ov6' . .?
llöi>. ob setzt Scaliger nach vntgßoXcic das Verbum (pevyet ein und so
hat M. nuin kann den Satz als Anakoluth erklären, das in dem folgen-
den 616 0 o'(ü(fQcov (ffvysi raviug seinen Abschluss enthält. Ich vermisse
aber V. 27 ro 6i rdr OüXfQova (pevyeiv xal tov (pqovifiov dicoxnv töv äXvnov ßiov
uugerne den Zusatz rd rjSv oder rdg rjdordg, wie oben Cap. 12 steht.
VII, 12, lir)2 b 1() ^Vt £}xn66iov kT) (pqovstv at rj6oval , xal üoo) (xäXkov
XcctQfi , näX?.or oiov r >; r Twr ct(fQod'iOi'(ov' ovdäva yccQ uv ävvao&ai vofjOai ti sv
avTiJ. Kür das auft'allende njv, welches Zell durch ein zu ergänzendes
Xcd'Qioy, Fritzsclio durch den Uebergang in die oratio indirecta erklärt,
vermuthete ich einst S, 89 doch nicht ohne Bedenken rj. Später fand
ich , dass auch Scaliger so geändert hat. Man darf jedoch so seltsame
Erscheinungen nicht sogleich in das gewöhnliche zurückführen. Viel-
leicht ist das zweite naXXov zu streichen, und hängt xaiqtt, olov riyV genau
zusammen, Eud, II, 8, 1224 b 11 x"''c« i^fjv an:' sXnidog r,dovrjv. VI (Nie.
VII) 15 6 ^s6q dal ixiuv xal ceTrXfjv xaiqei i^^Sorrjv.
b 22 tri S' ovx äqiOTOV rj r^öovr'j. Kurz vorher V, 12 sivai t6 ccQiaxov
rSovr^v. V. 25 firj efvai dya^ov fxi^äk z6 aQiOtov. 1153 b 12 mOts fh] av rig
r^Sovrj %d ccQiorov. V, 26 eJvai rrwg rd ccqiotov atTrjv. Gegenüber diesen Stellen
wird man wohl kein Bedenken tragen hier ov rd agiUTov zu schreiben,
aber auch 1153 b 7 (((jiarov r' ov6iv xotXvei iqSovtjj' nva fhtti kann nicht
stehen. Damit beginnt ein neuer Abschnitt (die Abtheilung der Capitel
ist verkehrt) und dieser Uebergang kann hier kaum mit ts eingeführt
werden; auch haben alle Ausgaben ausser Bekker d", nicht t\ Ks wird
indessen auch hier id aqiorov oder %aqioiov 6" gestanden haben.
VII, 15 v. 27 jiqunov fiH' ovv Oll ixxQovei tr^v XvnrjV. Scallger ixxqov-
ovü(, denn voraus geht ow/xaTixal 7]6oi'ai,es müsste also, wenn der Sin-
gularis richtig ist, der allgemeine Begriff TfJow/ vorwalten, üeberhaupt
hat Scaliger auch hier auf Grammatik strenge geachtet, IV, 7, 1123 b 26
ö di -fuinug nqdg savrdv fi&v vneqßdXXsi , ov fxijv tov ys fisyaXdipvxov, WO er
n(fdg vor vdv einsetzt. VII, 11 niit. roioinog oiog . . x««?*^^' ^^ ^^' richtig
xni'oHv setzt, aber auch das nächste xal ovx sn/xa'vwv steht diesem gleich,
Vlil, 11, 1160, 8 av^fOx^ai rf^ nä(fvxev Sfia tfj (piXia xal %d Sixaiov o'ig iv roTg
avtoig övta xal. in" lOov dir]xovi:a, nämlich beide, aber Scaliger corrigirt
215
ov . . SiTfxov. IX, 11, 1171 b 4 rd d^ limov[j,€vov aia^ärsa&m, Scaliger ganz
schön XvTTOV f.l€'VO)V.
VIII, 2, 1155 b 32 Tovg S^ ßoifXofxsvoiK ovro) rdya^d evvovg Xsyovöiv, idr
firj ravTO xccl nag' sxsivov yiyvr^%ai' svvoiav ydg iv dwinsTTOv^'J-oOi (fiXiccv slvai.
Scaliger schien (wie auch mir einst) der Gedanke unrichtig, er ergänzt
XäyovGiv, (ol S' ovx), idv [ir], aber es ist nur Missverständniss und nichts
zu ändern ; wo Zuneigung nur von einer Seite herrscht , ist es svvoia,
wo von beiden (pdi'a, doch ist dieser Gedanke nicht übereinstimmend
mit VIII, 7, 1158, 7. v. 27 erwartet man rgiäv 61] ottojv . . ßovXrjOii;
ixeivoig dyad^o v.
VIII, 7, 1158, 2 iv dt roig OTgvcpvoTg xal TTQsoßvtixotg. Warum nicht
wie V. 5 und kurz voraus nQsaßmaig'i Diese neun Zeilen sind nämlich,
wie Fritzsche richtig bemerkt hat, nur eine Wiederholung aus dem vor-
hergehenden Capitel ; eine wichtige Variante , welche vielleicht über die
gleichen Worte und denselben Gedanken noch hinausgeht; erst eine
genaue Zusammenstellung aller solcher Wiederholungen in Aristoteles
wird einigen Aufschluss geben. Gleich auffallend ist mir X, 8, 1178,
23 — 34 die Erwähnung der Nothwendigkeit äusserer Güter, da diese
im nächsten Capitel näher bestimmt wird.
VIII, 12. Ueber die Verschiedenheit der Staatsverfassungen erklärt
sich auch Isocrat. Panath. §. 131, dort ist ein Ausfall auf die, welche
die Tj dno zifujf.idTwv an die Stelle der dt]f,ioxQa'cia setzen. Dieser Tadel
trifft jedenfalls unsere Ethik. Erwägt man, dass Aristoteles am Ende
dieses Werkes X, 10, 1181, 12 sich entschieden gegen einen Ausspruch
in der Antidosis , ohne den Isokrates zu nennen , aber kennbar genug
äussert, so darf es nicht auftallen, wenn dieser in seiner letzten Schrift,
den Panathenaicus , Gleiches mit Gleichen vergelten wollte, und unter
den vielen Leuten , die zwar nicht dumm seien , aber um diese Dinge
sich nicht kümmern (also nichts davon verstehen), vorzüglich Aristoteles
im Sinne hatte. Ethik ist gewiss eines der ersten ausgegebenen Werke
unsers Philosophen. — 1160, 9 xal (pavegcoTsgov inl ravTrjg oTi xiigiGiTj-
xäxiOTov S^ t6 ivavTiov t^ü ßslriOToj. Letzteres ist die Begründung, warum
die Tvqavvlg %ti,Qiorrj ist, und SO wird nicht Sh, sondern ydg gefordert,
Casaubonus hat dieses bereits im Text aufgenommen.
IX, 4. Das neunte Buch besteht aus Aporien ; es sind Zweifel und
216
liedenkeu, die, nachdem die Erklärung von der (pdCa vca vorausgehenden
Buche gegeben ist , entstehen kcninen und gelöst werden müssen , wie
etwa bei der dixaioavir; V, 11. Zwischen der dritten Frage, ob und
wann man die Freundschaft aufgeben müsse , Cap, 3 , und der vierten,
warum die Gönner die begünstigten mehr lieben als diese jene, Cap. 7,
treffen wir einen besondern Abschnitt von drei Capiteln (4 — 6), dessen
Inhalt mit diesen dTToqiai nichts zu thun hat, und dessen Stellung an
diesem Orte keineswegs einleuchtet. Es sind die (pdixd, alles was ge-
eignet und förderlich, ja nothwendig ist, um Freundschaft zu bewirken,
ausgehend von dem Begriffe des eigenen selbst und in vier Erschei-
nungen sich vorzüglich äussernd, angewendet auf den nächsten, da der
Freund als alter ego gilt. Zu solchen (fdixd werden dann auch noch
evvoict ^) und ofioioia gerechnet. So wichtig nun der Inhalt ist (IX, 8
bezieht sich auf Cap. 4), so wenig weiss ich dessen Stellung an diesem
Platze zu rechtfertigen ; er gehört zur Darstellung und Erklärung der
(fdia selbst, wie diese im vorhergehenden Buche gegeben ist. Vergleicht
man die Eudem. Ethik, so ist dort alles in Ordnung. Der erste Ab-
schnitt umfasst daselbst die ersten fünf Capitel, den Unterschied der
(ftXia nach dqarr], xQtjOißov, i]dv Cap. 2, ferner den xar' lodzrjTa und vTtsQoxrjv
Cnp. 3 — 4 und die Erklärung über die vermeintlichen Gegensätze Cap 5
mit der Schlussformel TroOa ixhv ovv sTörj (fiXinc. xal riveg Sia(poQal xa^' dg
käyortai oi' xs (plXoi xal ol qtlovvreg xal ot (piloiif^iavoi, xal ovrcog mOxs (piXoi th'ai
xal avev tovtov, siQrjTai. Dann folgt ttsqI tov amov amo) <piXov slvai ri /irj"
Cap. 6 und hier werden die (piXixd aufgezählt, diesen reiht sich die
ofiovoia und i-vvoia an Cap. 7 , dann die Frage i^id xi fxaXXov (piXovrteg ot
Tton'JGari:eg tv zovg nu^ovrag ij ol TvaOnvrsg sv Tovg rroi/jOarrag; Cap. 8, mit
der Schlussformel für diesen Abschnitt xal neql fxiv (piXiag Trfg ngog amov
xal vflg fv nXsCoot, Sicogio^o) tdv tqottov toviov, um im nächsten das öixaiov
{(fihxov iuit.) nachzuweisen , welches in der Familie wie im Staate auf-
tritt. Der Verfasser dieser Ethik hat also unsere fraglichen Capitel
sammt der nächsten Aporie, d. h. Cap. 4 — 7 in das vorhergehende
Buch vor Cap. 11 gesetzt. Ob er diese Ordnung bereits in seinem
\) Der Zusammenhang zeugt, dass IX, 5 n «^ ' twom cpi'Aia /uiy i'oixty, ov fi^r i'ari yt cpdia
mit der guten HandscVirift K (pcki-xw, wie Fritzsche gethaii hat, aufzunelimen ist, obschon
die vulgata auch Vjeim Paraph. steht.
217
Exemplare der Nikom. vorgefunden , oder ob er auf eigene Autorität
diese Umstellung vorgenommen habe , lässt sich nicht bestimmen. Die
M. M. gehen von dieser Ordnung nur insoferne ab, als sie das dixaiov
sogleich nach der Frage tiotsqov avTcp nqoq amdv (fiXia 7] ov setzen und
erst dann II, 12, 1211, b 39 die eihoia und dixovoia folgen lassen.
In den ersten Worten IX , 4 tcc (pdixd 6^ td ngog zotk tpilovg xal olg
ai (fiXi'ai OQi^ovrai soixsv ix tdiv Tigdc savtov sXrjXv^s'vai streicht ocallger, wie
schon Muretus gethan, ji^dg T.>ig cpüovg (die alten Ausgaben kennen das
zweite zd nicht), und ich weiss in der That nicht, was sie bedeuten
sollen ; denn überhaupt nur von den y/'/ot ist die Rede und der Aus-
druck g)iXixd keiner Missdeutung fähig ; eher ginge noch ttsqI tovg (fi'Xovg,
auch der Paraphrast kennt die Worte nicht. Statt xal olg könnte man
olg xal vermuthen, weil nachher gesagt wird rovron' 6s zivi xal Tr]v (pdiav
oqC^ovxai. Aber K hat noch einen Zusatz, nqog rovg (fiXovg neXag xal ooai
(fiXiai xal olg und in der That fassen die Kudemia den Inhalt dieses
Capitels VII, 6, 1240 b 37 in die Worte zusammen noaaxwg f^ih' ovv %d
(piXstv Xäysxai . . d^Aov ix ziSv dgrjfiivcov doch sieht das Ganze zu sehr
einer Randbemerkung ähnlich, um einen Werth darauf zu legen.
IX, 4, 1166, 12 £oix£ Y^Q xa^dniQ eiQrjrai fiirgov ixdOTCj) t^ dqsxi] xal 6
anovSalog ehai. Ist ixdoro^) richtig? es kann ganz geeignet von den vor-
ausgehenden ToTg XomoTg, jeder der nicht tugendhaft ist, verstanden wer-
den, aber die Berufung auf früheres lässt doch wieder zweifeln ; gemeint
ist zunächst III, 6 6 Onov6aiog t(^ xdXr^^kg iv sxdOToig oqäv coOnsQ xarcov xal
(letQov avTwv mv, was auf des Protagoras fxitQov dndvrm' XQVI^"'^^'*' S^^^^y
und X, 5 treffen wir wieder d d^ tovto xaXdJg Xiystai, xadaneq Soxft, xal
Mativ ixdöTov fiirqov r] d^szi] xal 6 dya&ög. Also statt des Dativus vielmehr
der Genetivus, überall in allem, demnach auch in der Freundschaft.
IX, 7, 1167 b 25 'Em'xaQfiog fih' ovv t«x' «V (fccirj tama Xiysiv amovg
ix novrjQov ^sansvovg. Scaliger streicht die Worte xama Xeysiv.
IX, 9, 1170, 17 To dk ^rjv ToTg ^woig Svvccfiei aiod^vöswg, dv^QWTtoig S'
aio&f]Os(og tj' vonjoscog] warum steht hier nicht xal voijoscog, da Aristoteles
sonst stets das vorjnxdv als die höhere, nur dem Menschen zukommende
Potenz, gegenüber dem ala^rjrixov der übrigen lebenden Wesen hervor-
hebt? und doch ist kaum zu ändern erlaubt; denn sogleich folgt wieder
eoixe 6j] x6 ^rjv elvai xvQiwg tö alod^dveadai 'q voeiv. V. 32 xd J' oxi aio&avo-
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 28 .
218
/tfi>a tj vooviiifv, ort eaf.i£'v' tö yuQ ttrai rfr mO^dveOx^ai tj vosTv. Wenn die
Endemische Ethik VII, 12, 1244, b, 24 seqq. von diesen zwei Kräften
s{)richt , sagt sie immer cdo&drta^ni xal yvcogt^tiv, nur einmal lesen wir
1245, G er rff) aiöO^dveo'^ai ij yvcogi^aii', aber hier ist das Verhältniss ein
anderes, und die Partikel -q nicht ungeeignet; denn es heisst: je nach-
dem wir die «"a.>/;(j«g oder das yrcogi^eiv haben.
X, 2. Der erste Beweis des Eudoxus , dass die rj6ov7^ das raya^dv
sei, ist in Form eines Schlusses vorgebracht, dieser aber keineswegs
folgerichtig. Will man auch das erste unbeanstandet lassen näoi d' eivat
td uiQiior tnitixig, xal lo ixäXiöia xqccTiotov (einige Werden vielleicht ydq for-
dern, andere noch weiter gehen), es ist doch das nächste so zu geben :
%6 ÖS (nicht Srf) Trair' inl lavTÖ (fäqsOO^ai /.ir^vvsiv cog TcäOi tovzo dyad-ov
(nicht ccQiOTovj . • 10 Si (nicht Jtj") näoiv dyaOdr [xal] ov Tidvx' scpisrai, xdya-
i^iiv ihm. Auch der zweite Beweis ist nicht vollständig: oy'x r^xxov J« ^W
iivai (/ctitQov sx lov iraviiov xt'jv ydq XvnijV xaO-^ avro ticcOi (fsvxxov slvai, ofxoicog
dl' TovvavTi'ov atqsTÖr, nicht das einfache atqszov, das dyu&6v ii, sondern
das absolute, das- layai^-or will Eudoxus beweisen, und so werden auch
die Worte covravTim' {xa&" uvto ttccOiv) atqsrov gefordert ; die erste Abhand-
lung VII, 14 schliesst allerdings auffallend aus dieser Prämisse nur ein.
dyad-nv t , aber Eudoxus wollte das offenbar nicht. Hat der nächste
Satz als dritter Beweis ndXiOTu 3' slvai alqtrov '6 (itl di' i'xsqov prjS' ixs'qov
Xdqiv atqov/is^a, xoiovior d" ofioXoyov/xivoog ilvai xrv ijJorjjV seine Beziehung
auf die obigen Worte des ersten xd alqtxdv inuixig, xal xd (idXioxa xqd-
tioxov, oder war auch hier das ganze vollständig gegeben , etwa z. B.
in der Form atqexöv. [fti xdya^dv xd fidhaxa alqsxdv), fxaXiOxa 6^ tivai aiqsxdv . .?
Am autfallendsten ist der vierte and letzte Beweis : 7i:qoati^i-/tt'rrjv xs dxowvv
xwf dyuÜMv aiqfrcüxeqor noitTv, olov xm SixuiorcqayeTv xal OaxfQovsiv, xal av^e-
a^ai (frj xd dya^dr \avxd] avxüj. Hat Eudoxus seinem Satze diese Form
gegel)eri. so scheint Aristoteles mit Recht zu sagen, dieser Grund, soixe
drl (d'V) oindc yt () Xdyoc, beweise nur, dass die Lust ein dyaddv, keineswegs
dass sie das xdyaO^dv sei. Aber wie konnte dann Eudoxus, der das
tdya^dv beweisen wollte, ein solches Argument anführen? Dieser scheint
vielmehr etwas ganz anderes gemeint zu haben, nämlich, wenn die vSovrj
zu irgend einem dyu^dv gesetzt wird, so übertrifft dieses auch alle an-
dern dya^d; was aber mit dem kleinsten dyad^dv verbunden, dieses höher
219
als die andern dya^a stellt, muss selbst höher als diese stehen, muss
das a'iQSTwxarov, demnach das Taya^dr selbst sein. Das ist ein Beweis,
welcher wenigstens Verstand hat und hieher passt. Die Sache wird um
so auffallender, als bereits Aristoteles selbst, wie ich glaube, dieses
Argument für die BvSai^iovCa geltend gemacht hat; denn nur so, anders
gar nicht kann ich die viel besprochenen Worte 1, 5 verstehen: hi ds
nävTcor aiQsrcütdrrjv jxr^ Gvragi&ixovfxsvr^v , OvvaQi^fJiov(.uvrjV di tf^j^of (og aigerw-
■fiqav fierce tov iXaxiOtov rcov dyce^wv vnfgoxif yaQ dyaif^wv yivsrai to nqoOxiihi-
fisvov, aya&täv de t6 nsi^ov aiQsrwrsQov dsi. Alle Erklärungsversuche der
jüngsten Zeit (Münscher pag. 9 — 18, Rassow Beiträge 1862 S. 5 — 10)
sind, weil der Text etwas verdorben ist, ungenügend; der einfachste
Gedanke scheint mir nur dieser: die evöaitnovia mit dem kleinsten dyad^ov
verbunden {ovvaq. nszd t. i. t. d.) stellt dieses sogleich über die andern
dyax^d, durch ihren Zusatz entsteht sofort eine vnsQoxrl dyaddov, also ist
sie das fxsTCov dya-9-dv, und darum aiQezwreQor, als die andern dyaä^d.
X, 8, 1178, 22 Tooomov ydg neQi avr^g H(jr]o^w. Scaliger Si und SO
hat M. ; es folgt nämlich 6iaxQißwOcci ydq ixsl^ov tov nqoxsifievov iOTiv. —
b, 20 TÖ) drj ^ävTi TOV ngdtrsiv d(pai,qov/j,£Vov, k'ri 6i (laXXov tov noisiv, tC Xsi-
nerai nXrlv ^ecogiag; Scaliger, damit das Verbum nicht passiv gebraucht
wird TO TtQaTTflV . . TO TlOlstv.
X, 10, 1180 b 10 oT£ TivxTixdg Tocog ov näoi ttjV «iVjjV fidxi]v TTfQiTi-
^TjOtv. Scaliger dväyxtjv, vielleicht weil wie vorher vom Artzte, so hier
von YVfivaarrlg die Lebensart angegeben werden soll.
Zu S. 174 =: 6 Anm. 1.
Die Basler Ausgabe enthält die Eudemia überhaupt nicht , es ist aber gewiss , dass der
vielfach verderbte Text auf Scaliger's Geist einen um so grösseren Reiz üben musste, gerade
an diesem W^erke seine Divinationsgabe zu beweisen. Wahrscheinlich findet sich in Holland
oder England noch das Exemplar mit seinen Verbesserungen zur Eudemischen Ethik, und
ich wünsche, dass diese Angabe zum weitern Forschen und glücklichen Auffinden führen
möge. Die Bemerkungen Scaliger's, welche die Basler Ausgabe enthält, werden jetzt von
Dr. Oncken in der Eos bekannt gemacht, I, 103—12.
28^
Seite 173 ^ 5, 13 lies Wenn statt Wann
178 = 10, 23 „ in statt im
„ = „ Anm. 1. lies P statt T
185 = 17, 14 lies (ocpi^ijfta
189 =: 21, 4 Anm. 1. lies nu^irtoy
195 = 27, 4 lies b statt 6
199 ^ 31, 4 „ ixovaiov und äxovaioy
200 = 32, 6 „ denn statt dann
204 = 36, 21 ,, ntcpvxoxuiv
Der
Periplus des Pontus Euxinus.
Nach
Münchener Handschriften.
(Mit einer Karte.)
Ingleichen
der Paraplus von Syrien und Palästina
und
der Paraplus von Armenien (des Mittelalters).
Von
Georg Martin Thomas.
Gelesen in der Sitzung der philos.-philol. Classe am 5. December 1863.
T^ff Tov (piXoaocpov nQayjuartiag eiyai yofii^ofiiy
i'iniq äXXrjy Tivd xai x^v yta)yqa(pi,xrjv.
Strabo.
Es sind nun gerade zwanzig Jahre, dass Schmeller in der Sitzung^
unserer philos.-philol. Classe — am 2. December 1843 — jene interes-
sante Mittheilung „über einige ältere handschriftliche Seekarten" der
hiesigen Bibliothek gegeben hat (vgl. Abhandlungen der I. Classe Bd. 4
Abth. 1), welche dann zu späteren fruchtbaren Arbeiten im Schoosse
der Akademie selbst geführt hat.
Sowohl die verdienstlichen Studien eines unserer Collegen in der
historischen Classe, des Herrn Prof. Kunstmann, reihen sich genetisch
an jene Anregung Schmellers an, als es darf auch der Gedanke,
welchen die Akademie bei ihrer Säcularfeier der Gelegenheit würdig
durchgeführt hat, einen Atlas zur Entdeckungsgeschichte Amerikas aus
hiesigem handschriftlichen Vorrath herauszugeben , bis auf jene fernere
Zeit in seinem Ursprung zurückversetzt werden.
Schmeller hatte es ausgesprochen: ,, handschriftliche und hand-
gezeichnete Karten werden mit Recht unter die interessanteren Denk-
male der Vergangenheit gezählt, die in einer Bibliothek vorkommen
können. Abgesehen von dem heutzutage in solcher Verwendung unge-
wöhnlichen Material, dem Pergament, auf welchem, und von der Kunst,
mit welcher sie etwa ausgeführt sind , geben sie ühersichtlicJier als
diess durch Bücher geschehen kann, den Stand des geographischen
Wissens je ihres Zeitraums zu erkennen. Und besonders in Ansehung
jener wichtigen Epoche, in welcher früher unberührte Küsten und Eilande
der älteren Welttheile bekannt, und ein ganz neuer entdeckt worden,
224
ist es anziehend , auf solchen Karten die Instanzen zu verfolgen , in
^velchen das völlige Nichtwissen, dann das Käthen und Vermuthen end-
lich einem bestinunten Wissen Platz gemacht hat."
In die Sprache nioderner Philologie übergetragen heisst diess soviel
als solche handschriftliche Karten sind die besten und ursprünglichen
Quellen, gleichsam die Codices archetypi, für Feststellung geographischer
Kenntniss gewisser Land- und Seestriche in gewissen Zeiten; sie sind
die zuverlässigsten üeberlieferungen , weil ihre Abfassung der Zeit und
den Urhebern nach der schriftlichen Aufzeichnung in Berichten und
Reiseschilderungen vorangeht, weil sie, wenigstens in ihrem ersten
Aufriss, als wirkliche Portulane, von den Piloten und Entdeckern oder
Schifi'fahrern selbst fixirt worden sind.
Selbstverständlich wurden die Gesetze handschriftlicher Texteskritik
sofort auch für diese Abtheilung von Codices giltig und auch verwen-
det ; Zeitalter, Ort, Sprache, Kunst und Manier der Karte wurde Gegen-
stand der Forschung und es wird, wenn einmal noch reicheres Material
gewonnen und sachgemäss zusammengestellt ist, die Genealogie dieser
handschriftlichen Kunstwerke nach Familie und Schule so sicher geordnet
werden können, wie der Texteskenner die Handschriften eines Classikers
oder der Kunstrichter die Gemälde einer Malerschule schon länger zu
sichten und zu bestimmen gelernt hat.
Diese handschriftlichen Karten bieten nun aber nicht bloss für das
Zeitalter ihrer Entstehung einen trefflichen Apparat geographischer
Wissenschaft, sondern auch — im Gebiete der alten Culturvölker , für
die Kenntniss derselben in früherer, ja zum Theil auch in alter Zeit.
Die Namen von Oertern , Städten und Landschaften , von Flüssen,
Buchten und Meeren haben ein zähes Leben: es überdauert jene die
da gelebt und gewirkt, gewohnt und gehandelt haben, Jahrhunderte
und Jahrtausende ; oder auch — es bezeugt uns irgend ein Ortsname,
der uns vereinzelt wo entgegenkommt, dass da noch, wenn auch ver-
einzelt, eine Stätte einer bestimmten Cultur, ein Landungs- oder Kauf-
platz eines bestimmten Handelsvolkes sich erhalten und selbständig fort-
gedauert hat, nachdem vielleicht das Haupt- und Mutterland lange seine
Selbstherrlichkeit verloren oder seine Lebenskraft eingebüsst hatte.
Mögen diese kartographischen Pergamente rücksichtlich der neu
225
entdeckten Welttheile eine grössere Anziehung ausüben — wie diess
auch Vergleichungsweise sich herausstellt, ihre Wichtigkeit für die ört-
liche Erkenntniss der alten und mittleren Welt ist gleich gross. Nichts
überragt doch die Bewegung der Menschengeschichte, sowie sie sich
Jahrtausende um das Becken des Mittehneeres und seine Inselwelt und
seine grossen Nebenmeere entwickelt hat.
Die Verbindung mit meinem unvergesslichen Freunde Gott lieb
T a f e 1 zur Herausgabe des Venezianischen Diplomatars , die Handels-
beziehungen der Republik Venedig zu Byzanz und den Orient umfassend,
— bis jetzt drei Bände in den 'Fontes rerum Austriacarum' der kais.
Akademie in Wien, Band 12, 13, 14 — brachte aach mich nothwendig
zu besonderen geographischen Studien, wesentlich vorerst der mittleren
Zeit. An der Hand eines Meisters Hess sich der oft schwierige und
verkommene Weg leichter machen und sicherer finden. Tafel hatte
schon vorher in seiner 'Via Egnatia , seiner 'Thessalonica', seinem 'Con-
stantinus Porphyrogenitus' und seinen 'Symbolae criticae ad geographiam
Byzantinam spectantes' sich als ersten Forscher und Kenner auf diesem
Felde bewährt; die grösste Belesenheit, unterstützt von einem nie täu-
schenden Gedächtniss, paarte sich in ihm mit einer wundervollen Divi-
nation» Tafel machte am Studiertisch geographische Entdeckungen,
wie sie eine feine und sichere Spürkraft kaum am Orte glücklicher
machen kann. Diese Studien Tafel 's gelten mit Fug als stete und
feste Gewährschaft und auf ihnen lässt sich als auf gutem Grunde ruhen.
Dieser besonderen Anlage und Neigung Tafel' s und seinem, dem
Freunde und Jünger gegenüber wahrhaft und in jeder Art freigebigen
Sinne — einer seltenen Tugend echter Wissenschaftlichkeit — hat man
es zu danken , dass dem besagten Urkundenbuche nicht bloss geogra-
phische Notizen, sondern ganze geographische Epimetra und eingehende
Untersuchungen beigegeben sind.
Während der Beschäftigung mit jenem historisch - archivalischen
Werke kamen zwischen uns noch manche Plane in Ueberlegung oder
doch in Anregung ; zu diesen zählte auch der Gedanke : den Periplus
des Pontus Euxinus aus den handschriftlichen Karten von München neu
herauszugehen. Schon ein Blick auf diese Pergamente musste einladen,
dieses noch im 16. Jahrhundert an allen seinen Küsten merkwürdig
Abb. d. I. Cl. d. k. Ak. d Wies. X. Bd. I. Abth. 29
22ii
belebte Meer nach diesen schönen Vorlagen der gelehrten Welt mitzu-
theilen.
Ein sogenannter "^Periplus Ponti JEuxini octuplus' auf Grund von acht
Mappen der Wiener Bibliothek war im J. 1836 ohne Namen des Her-
ausgebers, als Rolle auf einem Blatte, in Wien erschienen. Diesen hatte
Tafel selbst wiederholt im Appendix No. 7 seines Programms zu Con-
stantiuus Porphjrogenitus (Tübingen 1846) mit der Bemerkung: est
autem noster periplus perquam utilis ad cognoscenda nomina aevi medii
geographica incredibiliter depravata ideoque emendanda ; dein varia con-
tribuit ad augendam historiam mercaturae, brevi ante renovatam Indiae
Orientalis cognitionem in Ponto Euxino tam strenue exercitae. Postremo
emergunt novae quaedam Europaeae atque Asiaticae geographiae stationes.
Einen weiteren Abdruck für Italien besorgte später der Verfasser
der Geschichte der Krim, der Genuese Michele Giuseppe Canale
(1855). Er benützte dabei ausser der früheren vom Archivar Gevay
(wie wir dabei erfahren) besorgten Ausgabe noch eine Copie von Enrico
C o r n e t.
Uebrigens waren zwei dieser Wiener Karten, die des Petrus Ves-
conte de Janua v. J. 1318 und des Gratiosus Benincasa von
Ancona v. J. 1480 (in jenen Ausgaben No. 1 und 4) schon vom
Grafen J. l'otocki in seinem 'Memoire sur un nouveau peryple du
Pont Euxin' etc. Vienne 1796 4*^* benützt worden, das unserer Hof-
Bibliothek erst aus dem Quatremere'schen Erwerb zugekommen ist. « Der
Periplus dieses hierin wichtigen Memoires begreift ausserdem noch die
]>erühmten Karten der Wolfenhüttier Sammlung, darunter die des ,,Contes
Hoctoiiianus Fredutiis von Äncono" vom J. 1497.
Es ist nur eine der kleineren Schulden, welche ich im Andenken
an Tafel abzutragen habe, — namentlich wenn ich die Pflicht erwäge
allein nun das Diplomatar von Venedig abzuschliessen — indem ich
Gelegenheit nehme, hierorts den Periplus des Pontus Euxinus zur Sprache
und aus unserem handschriftlichen Apparat weiter ausgerüstet zur Vor-
lage und zur Veröffentlichung zu bringen.
Die genaue Aljschrift der Karten ist bereits seit mehreren Jahren
von mir sell)st und mit Müsse und mit Mühe gemacht worden. Ich
habe das nifht zu Ijereuen, je mehr einige Pergamente schon durch
227
die Zeit gelitten haben und fortgehend leiden , und je mehr das Auge
wehrt und warnt, sich in lauter so punctiliösen Arbeiten zu verzehren.
Es sind acht Originalkarten, welche ich hier vergleichen oder besser
zur Vergleichung copiren konnte. Der 'Periplus octuplus' wird also
gerade ein 'bis octoplus'.
Die Beschreibung der Karten ist schon bei anderer Gelegenheit
genügend gegeben, theils von Seh melier in der eingangs genannten
Abhandlung, theils von Kunstmann in der Säcularschrift ,,die Ent-
deckung Amerikas" im zweiten Anhang, theils von mir selbst im 'Cata-
logus Codd. manuscriptorum Bibl. reg. Moh. Gall. Hispan. Ital. etc.
Monachii a. 1858.' Es war also kein Anlass hier über ein kurzes Maass
hinauszugehen.
N. 1 ist Cod. manuscr. 337 der Münchener Universitätsbibliothek,
die ihn von den Jesuiten Ingolstadts überkommen hat ; diese selbst hatten
denselben 1656 ,, ex haereditate Herwartiana" erhalten. Vgl. Kunstmann
a. a. 0. S. 146. Wir bemerken nur noch, dass dem Cod. der gedruckte Aus-
weis : E Museo Joannis Georgii Herwart ab Hohenburg, V, J. Doctoris,
ex Assessore summi tribunalis Imperatorij, et ex Cancellario supremo
Serenissimi vtriusque Bauariae Ducis , suae serenissimae Celsitudinis
Consiharij ex intimis, Praesidis prouintiae Schuabae, et inclytorum vtri-
usque Bauariae Statuum Cancellarij — auf dem hinteren Deckblatt auf-
geklebt ist, das seiner Zeit auch einen zierlichen Compass getragen hat.
Sie fällt nach 1534. Wir haben dieser Karte den ersten Platz gegeben,
weil sie die meisten und deutlichsten Namen trägt : ebendeswegen wurde
sie auch zur Reproduction in der artistischen Beilage ausgewählt.
No. 2 u. 3 sind grosse Pergament-Karten, die im Haupt-Conserva-
torium der Armee (k. b. Kriegsministerium) niedergelegt und gut vei-
wahrt sind. Eine ausführlichere Notiz darüber gab zuerst H ö f 1 e r in
einem Vortrage der Akademie, vgl. Gelehrte Anzeigen 1847, Bd. 24.
No. 116. 117. Kunstmann a. a. 0. S. 127. 129.
No. 2 trägt die Aufschrift: 'Saluat de Pilestrina en Mallorques en
lay MDXL' Dass dieser nicht auch der Urheber der anderen sei, haben
die Berichterstatter aus guten Gründen angedeutet. Uebrigens ist gerade
auch diese (dritte) durch Zeichnung und wohlerhaltene Frische hervor-
ragend.
29*
228
No. 4 ist Codex icoiiogTaphicus lol der Hof- und Staatsbibliothek.
Ueber diese Karte hat ausfülirlich gehandelt Schm eller a. a. 0. S.
244 — 247. Ihre Zeitbestimmung ist unsicher: doch darf sie eher dem
Ende des 15. als dem Anfang des 16. Jahrhunderts zuerkannt werden.
No. 5 ist Cod. icouographicus 133; vgl. 8chmeller 250 — 253,
Er setzt ihre Zeit zwischen 1501 — 1506.
No. G ist Cod. iconographicus 135; vgl. Schmeller 253 — 255.
Kunstmann, die Entdeckung Amerikas 8. 135. Codd. m. scr. bibl.
r. Monac. Gallici etc. p. 271. Nach einer Jahreszahl auf fol. 3 der
Handschrift wäre 1519 das Alter und ihr Urheber der „Vesconte de
Maiollo" von Genua.
No. 7 ist Cod. iconographicus 136; vgl. Schmeller 255 — 259.
Kunst mann S. 145. Codd. m. bibl. etc p. 272. Ihre Zeit ist
nach 1532.
No. 8 ist Cod. iconographicus 137; vgl. Schmeller 259 — 263;
Kunstmaun S. 146. Codd. m. scr. bibl. etc. p. 88. Die reiche
Handschrift ist das Werk Fernäo Vaz Dourados vom J. 1580.
In der Tabelle des Periplus schien es am einfachsten, die acht
Karten nui' nach der eben angegebenen Reihenfolge mit Ziffern zu be-
zeichnen. Auf allen Karten sind einzelne Stationen mit rother Farbe
eingetragen : diese Haupt- Stationen sind im Drucke durch Cursiv-Schrift
hervorgehoben. l*unctirte Buchstaben sind nur schwach oder kaum
leserliche. Die wie in den Originalien quer aufgesetzten Namen sind
die IJenennungen der hinter der abgeschlossenen Küste liegenden Provinz
oder Landschaft, oder auch einzelner Inseln und Inselgruppen. Die
Zahlen am Rande von je 5 Zeilen sollen dienen , theils um für einige
Ijemerkimgen liinter dem Tabellen-Texte die Stelle leichter finden zu
lassen , theils überhaupt künftige Anführungen zu vereinfachen. Eben
aus jener Rücksicht schien es auch gerathen, das Ganze des Periplus
in einige Unterabtheilungen auseinander zu legen.
Diese Bemerkungen sollen im wesentlichen nur zum Nachweise dienen,
ol) und was am Litorale des schwarzen Meeres bis herein in die mittlere,
ja noch neuere Zeit — d. h. ehe die Wirkung der Entdeckung Amerikas
und der neuen Seewege um Afrika nach Ostindien auf den alten Han-
delsverkehr der Mittelmeerstaaten entschieden fühlbar wurde — aus
229
hellenischer Vorzeit, wenigstens dem Namen nach, wenn auch in oft starker
Metamorphose des Wortes , sich erhalten hat. Diese Reste haben für
uns Philologen doch das meiste Ansehen. Eine und die andere neue
Station hellenischen Verkehrs scheint doch aus diesen Notizen zu ge-
winnen, während eine ziemliche Menge griechischer Hafen- und Handels-
orte, die alt berühmten Emporien abgerechnet, vorzüglich an der Nord-
küste Kleinasiens von den Cyaneen bis zum Sagenlande Kolchis noch
im 15. und 16. Jahrhundert hervortaucht, nachdem — ohne von der
Eroberung der Römer zu reden — der Sturm der Völkerwanderung,
die Fluten der Slaven und Normannen, die Züge der Kreuzfahrer und
mit ihnen eine westliche Reaction, getragen von den mächtigeii Repub-
liken Pisa, Venedig, Genua, die wilden Wogen mongolischer Horden und
die siegreiche Kraft der Osmanen mehr oder minder über alle (lestade
des Meeres verwüstend, zerstörend, aber auch neues Leben gründend,
hingegangen waren.
Von diesem grossen tausendjährigen Geschick gibt uns der Periplus
des Pontus Euxinus ein merkwürdiges Zeugniss.
Hier begegnen uns neben den ehrwürdigen Spuren althellenisclier
Cultur die Malzeichen des byzantinischen Kaiserthums und seiner Filiale ;
dann feste Stätten der Lateiner, tlieils vor, mehr aber nach der Erober-
ung von Constantinopel durch die Kreuzfahrer und der hochwichtigen
Theilungsacte im Blachernenpalast , der Frucht von Heinrich Dandolo's
genialer und wirksamer Staatsklugheit, der, grosser Vorgänger nicht ent-
behrend, doch hiemit wie mit einem Ruck die Republik Venedig zum
Angelpunct östlicher und westlicher Politik gemacht hat. Bezeugt uns
der Porto Pisan am Tanais die jener Katastrophe schon vorhergehende
Rührigkeit des später niedergedrückten Pisa, ein Porto Malfttan (eine
ganz neu erhobene Station) beim kolchischen Sebastopolis die noch
weiter hinaufreichende Unternehmungskraft des alten Amalfi, neben den
bekannten grossen Stapelplätzen der Genuesen auf Gazaria, so liegt uns
in Casal deli Rossi an der Ostküste des Palus Maeotis oder in Cava
Rossofar in der westlichen Krim , in Varangolimen gleichfalls auf dieser
Taurischen Küste ein unumstösslicher Beweis , wie dort die Russen (im
engeren Sinn) und hier die normannischen Warägen bei ihren bekannten
südlichen Zügen verstanden haben, sich gleich an rechter Stelle festzu-
'260
setzen. Dass von dort aus der Weg nach Constantinopel in gerader
Linie fülire, lebte in diesen Eroberern des 10. Jahz-hunderts so ahnungs-
voll, als es seit Katharina II bewusst und nicht bloss auf dem berühmten
Wegweiser des Thores von Kherson, sondern in der Seele jedes echten
Russen geschrieben steht.
Wenn uns an der Küste Bulgariens südlich von Varna ein Rusico
und nördlich davon — fast am Donau-Delta — ein Proslaviza begegnet,
wenn die schmale luselzunge, die heute Tendra heisst, der dq6f.io(; ^AxdX^taq
der Alten, Zncori benamst ist, so weiss man, dass es hier um Slavische
Elemente sich handelt ; anderseits wenn der Dniester (der Tyras der
Alten) Flumen Turlo heisst , und hinwieder am östlichen Gestade des
Azow'schen Meeres ein Tar magno und Tar parvo (grosses, kleines Wasser?)
aufstösst, so haben wir tatarisch-mongolische Sprachstämme. Mitunter
stehen ganz eigene Namen, selbst wie Inselchen im Wortmeere ; so Flor
de lis , unfern der Mündung des Tiligul; man glaubt etwa das alte
OSi^oodg. Wie kommt dieser in spanische Sprache gekleidete Ausdruck
hieher, welcher die Wappenlilie im französischen Schild bezeichnet? Ist
es etwa eine kirchliche Stiftung, ein Kloster? In Madrid gibt es eine
Kirche einer Madonna dieses Namens. Oder wurden einmal schweifende
Cafalanen dorthin verschlagen? Andere Namen scheinen entstellt, viel-
leicht verdorben, aber gerade in ihnen zeigen die verschiedenen Karten
eine merkwürdige Uebereinstimmung. Hier ist noch Arbeit und Studium
genug zu verwenden.
Einen vollkommnen und ins einzelne dringenden Commentar zu
diesem Periplus zu geben wäre nicht geringes Verdienst. Ich muss mich
dessen bescheiden ; weder reichen meine Kenntnisse aus, noch stehen selbst
hier alle jene Mittel zu Gebote, deren man dabei nicht entrathen könnte.
Ich halte es für genug, wenn ich dafür sorgen konnte, dass das
hiesige handschriftliche Material nicht länger oder am Ende ganz ver-
borgen blieb. Ich hoffe damit Männern, wie Carl Müller, einen Dienst
zu erweisen, der uns in der Vorrede zu den Geographi Graeci Minores
— einem der gediegensten Werke der neueren historisch-philologischen
Epoche — im 3, Bande eben die Sammlung dieser und ähnlicher werth-
vollen Schriften für die byzantinische Geographie versprochen hat. Ist
das erreicht, so bin ich ganz befriedigt.
231
Zugleich mit diesem Periplus des Pontus Euxinus veröffentliche ich
noch, aus denselben Quellen geschöpft, den Paraplus Syriens (und Pa-
lästinas) und den Paraplus Armeniens (im Sinne des Mittelalters). Es
mögen diese paar Tafeln als Nachtrag zu jenen Capiteln dienen, welche
wir — Tafel im 1. Bande unseres Urkundenbuches von Venedig, S.
375 — 381 anschliessend an Marin Sanudo für Armenien, und ich im
2. Bande S. 399 — 416 für Syrien — ausgearbeitet haben; vgl. dazu
die Addenda im 3, Bande S. 462 und 466. Einige andere Beigaben
werden sich selbst empfehlen.
Die Literatur zum Periplus des Pontus Euxinus hat zuletzt Herr
W. Hejd in Stuttgart in seiner Abhandlung ,,Die italienischen Han-
delscolonien am schwarzen Meer" (Tübinger Zeitschrift für Staatswissen-
schaft 1862, erster Artikel, S. 668) zusammengestellt; diese Abhand-
lung selbst muss, wie die ihr vorausgehenden historischen Aufsätze des
gründlichen Gelehrten, als eine ansehnliche Bereicherung dieser heute
ins Leben greifenden handelspolitischen Studien von uns hier anerkannt
werden. Besonderen Vergleich heischt unter den dort genannten Quellen
die Catalanische Karte und was darüber in den Notices et Extraits t. 14
im 2. Theile p. 80 — 84 und 99 — 101 von Buchon und Tastu aus-
geführt ist.
Auch was £lie de La Primaudaie, der in seinen fitudes sur le com-
merce au moyen äge unserem Periplus eine besondere Sorgfalt gewidmet
hat, im 12. und 13. Capitel pag. 207 — 265 nach der Reihenfolge der
Namen, mehr beschreibend und die spätere Zeit berücksichtigend, nieder-
gelegt hat, verdient unsere Beachtung.
Nicht unwichtig und unvortheilhaft ist es auch, die älteren italieni-
schen ÄM^gdiOen des Claudius Ptolemaeus, seien es lateinische oder
auch sogenannte 'Volgarizzamenti', zu Rathe zu ziehen. Sie stellen näm-
lich im Texte den alten Namen zum Theil die in ihrer Zeit geläufigen
an die Seite. Ist dabei gewiss vorsichtig zu fragen, woher und worauf
hin? — so springt dafür sicherlich auch mancher Lichtstrahl entgegen.
Zugleich sind sie mit Karten ausgestattet, die uns das geographische
Wissen jener Zeit trefflich erkennen lassen. Lelewel, bewunderswerth
in seinem Fleisse, hat diess auch erkannt; er gibt in seiner Geographie
du moyen-äge t. 2 , pag. 207 in den Appendices eine Reihe solcher
2o2
Ausgaben mit der triftigen Bemerkung: Voici la suite des editions, dont
plusieurs sont de la plus baute importance pour l'etude de l'histoire de
la geographie ä cause qu'elles offrent de nombreuses Varietes et con-
tiennent des reuseignenients curieux et les cartes nouvelles pour exa-
miuer la niarche de la geographie ä cette epoque.
Ich habe von diesen älteren Ausgaben zwei benützen können, die
von Pietro Andrea Mattiolo aus Siena, welcher Jacopo Gastaldo
wesentliche Dienste geleistet hat, (Venedig 1548), und die des Josephus
Moletill s Matheuiaticus, (Venedig 1562). Ein paar Stellen daraus sind
in den Noten angezogen.
VAixe gute Monographie : 'Die Gestade des Pontus Kuxinus vom
Ister bis zum Borysthenes in Bezug auf die im Alterthume dort gele-
genen Colonien von Dr. P. Becker. Nebst einer Karte. St. Petersburg
1852' ist mir durch freundschaftliche Mittheilung des Herrn Dr. med.
Nar, welcher längere Zeit in Odessa lebte, zur Kenntniss gekommen.
Das Schriftchen von Michel - Giuseppe Canale: Indicazione di
opere e documenti sopra i viaggi, le navigazioni, le scoperte, le carte
nautiche, il commercio, le colonie degl' Italiani nel medio evo per una
bibliografia nautica Italiana — Lucca 1861 — nur eine kurze Ueber-
schau der einschlägigen Literatur — war mir deshalb eine erwünschte
Gabe, weil man daraus die Hoffnung schöpfen kann, dass die 'Commis-
sione Nautica' in Turin vorhat, aus dem reichen Schatze des Genueser
Archivs zur s})eciellen Geschichte des Handels, der Seefahrt, der Finan-
zen u. s. w. jedenfalls höchst wichtige Beiträge zu veröffentlichen.
Der Periplus des Pontus Euxinus.
29'
235
Karte der Universität.
Karten des Kriegsministeriums.
Karten
10
15
20
25
Cumstanünopoli
Constantinopoli
CostantinopoU
pera
pera
^
giro
•
•
filea
ferle
.
malatra
malatr.
.
oniidie
,
.
polici
pollici
.
stagnaira
stachynay
stanhaira
gatopoli
Gastopoli
.
uerrli>;o
verdizo
•
lesini
esine
^
sisopoli
sisopoli
•
scafidia
S.ffe
ßcafidia
porro
•
•
aclilo
,
.
mesemhre
mesemhria
mesenber
c. delemano
c. de lemano
,
leuiza
lauize
lauica
mauro
mauro
•
gallato
,
.
ru.sico
rossica
roxico
uerna
barna
.
castri
Gastrici
castria
Vom Bosporus bis an
Constantinopoli
Pera
giro
filea
malatr o
omidie
polici
stagnaira
gatopoli
uordizo
lesini
sisopoli
scafidia
porro
lasilo
mesenhre
c. de lemano
leuiza
mauro
gallato
rusico
Uarna
castri
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth.
236
5
6
7
8
der k ö n
iglichen Hof- u
nd Staats-Bibli
0 t h e k.
onaumündungen
,
tantinopoU
ConstantynopoU
Cumstantinopoli
Costamtinopoli
pera
pera
•
•
filea
giro
filea
'
malitra
malatra
omalasti
omidie
omidie
,
3i
wrra
polla
stanara
polici
stagnara
estahuine
poli
iza
gatopoli
verdixo
gatopoli
uerdizo
gastopoli
berdizo
axine
lesiiii
esine
sisopoli
scafida
sisopoli
scafidia
sizopoli
estafadi
•
porro
achilo
•
misenher
mesenhre
mezemher
. c, de lemano
c. de lemano
de lemano
Lauiza
leuiza
.
mauro
mauro
mauro
gallato
Rossicho
gallato
rusico
•
Varna
uerna
baria
castrisa
castri
castoci
30
10
15
20
25
Karte der Universität.
2
Karten des Kriegsministeriums.
carbona
gauarna
caiacla
losilusicho
pangalla
costanza
grossea
proslauiza
stranicho
laspera
Sauzorzi
salina
.2 licostoma
jg chieli
saline
falconaire
mo Castro
flumen turlo
la zinestra
flor de lix
carbona
Gauarna
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la spreya
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salina
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moncasi/ro
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barbaraxa
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gauarna
zanauarda
Grossea
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San zorzo
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licostoma
salina
falconaira
la zinestra
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barhari
Karten
carbona
gauarna
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costanza
grossea
proslauiza
BVRGiRIA
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pangalay
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laspera
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flumen turlo
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filustuio
La zinestra
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244
der königlichen Hof- und Staats-Bibliothek.
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flonda
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langusi
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34*
Anmerkungen,
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 35
I. Vom Bosporus bis an die Donau-Mündungen.
GIRO, "IsQÖv t6 Bv^avTi'wv, im Gegensatz zu '/f^oV to XaXxiiöovicov,
nach Strabo, 7, 6 p. 265 ed. Müller. "Isqov 'Pw^eXiag zu Gillius' Zeit.
Vgl. 0. Frick zu: Dionysii Byz. Anaplus Bospori p. 29. Heute Rmnili
Kawnk. Beide uralte Tempelstätten bezeichnen unsere Karten mit gleichem
Namen ; über die letztere auf asiatischer Seite siehe unten am Ende
dieser Bemerkungen.
FILEA. (piXeaq u. (PtAtag ; Vgl. C. Müller Geographi Graeci minores
1, p. 224, zum (sogenannten) Scymnus Chius v. 723:
Bv^avriwv %(üQa (PiXia xaXovn£%>rj.
MALATRA heute noch Cap Malatra.
OMIDIA. Mr]6sia der Byzantiner, an der Stelle des alten ^aXfxvärjOOog,
heute Midia; vgl, Tafel Symbol, critt. 2, pag. 98. Urkundenbuch von
Venedig 1, p. 474. C. Müller zum Scymnus p. 224. Viel genannt als
byzantinisches Archiepiscopat, s. Actus Patriarchatus Constantinopolitani
ed. Miklosich et Jos. Müller (t. 2) in indice.
STAGNAIRA. Unter den Lesarten ist Stacliynay u. JEstahuine beson-
ders auffallend. Es träfe auf Owidg dxrr]^ C. Müller p. 400, zum Periplus
des Arrian. Die mittelgriechische Redeweise ig Qwidda konnte allerdings,
nachdem ihr Sinn verloren war, verschieden mundgerecht gemacht
werden. Heute Cap Äinata. Ist aber das Wort romanisch, so hat
Du Gange schon das rechte gefunden, wenn er zu Anna Comn. Alex. 1 0,
p. 216 ed. Venet. : ttsqI tt^v Uqrh XifjLvrjv . . rrjg ^Ay/idXov dy/ov Siaxeifis'vrjv
bemerkt (p. 79 der Ven. Ausg.): ,,illa forte de qua Plin. 1. 4 c. 11.
hodie Stagnara.'-'' Diesem pflichtet bei Stritter memoriae 3, p. 966.
Stagno ist allerdings vulgär gleich At/trjy.
GATOPOLI. ^AyaihonoXig der Byzantiner, Tafel a. a. 0., Urkunden-
buch von Venedig 1, p. 474 ; heute Ähteholi, AvXaiov rsTxog des Arrian,
Müller p. 401.
SISOPOLI. 2u)^6noXig der Byzantiner, Tafel a. a. 0., Urkundenbuch
a. a. 0., früher "AvcoXXwvCa Strabo 7, 6, 1. Heute SizohoU.
35*
258
ACHILO. 'AyxidXt], Uyxfccloc der Griechen u. Byzantiner; heute ÄkiaU.
MESEMBRK. Mtot]inßQta, uralt. MeyaQswv ajtoixog, Strabo 7, 6, 1;
heute 3Iissivria.
C. DELEMArsO, ro Aifior ö'^oc i«*x?' ^'T^' ^^pQO ^aXdrnjg dii^xor, Strabo
7, 6, 1, mous Haemus vasto iugo procumbens in Pontum, Plin, 6, 11,45;
heute Cap Eiiiona.
GALATO erscheint im heutigen Ca2) Galata.
VARNA BaQvij, setzt man an die Stelle von "OäijOaoi;, vgl. Wesseling
in Hieroclis Synecdemum p. 408 ed. Bonn.; von den folgenden Namen
sind
GAVARNA ßt^w'rjj? und
CAIACLA d. i. CALIACRA, i\ Ti^i^ig üxga, später auch "Axqu allein
(Müller p. 400), byzant. Ka'XhaxQij, noch jetzt geläufig.
COSTANZA. Äcöf(?«^ar?rtaVa des Hierocles (p. 391 ed.- Bonn.), Procop.
de aedificiis p. 307 (ed. Bonn.). ,,Constantia. Bulgariae urbs, inter
Conopam et Varnam ad Pont. Eux. sita, hodie Chioustrmze et Praslovitscha" ,
Stritter im Index geogr. p. 262, vgl. II, 603.
Von der bulgarischen Küste an schwinden, wie man bemerkt, fast
alle alte Namen und bedarf es eigener Vorsicht das spätere an früheres
anzuknüpfen. Wir verweisen hier neben anderen auf E. Taitbout de Ma-
rigny Atlas de la mer noire et de la mer d'Azov. Odessa 1850.
Im Donau-Delta begegnen uns vier Mündungen ; darunter erinnert
LASPERA an Spireon stoma bei Plin. 4, 12, 79. Ptolem. 3, 10.
LICOSTOMA. „Lacliostoma e MaurocJiastro, due cittä, che il com-
mercio avea rese grandi e popolate. Giaceva la prima sulla sponda
superiore della foce piü settentrionale del Danubio ; l'altra sulla sponda
inferiore del Niester non lungi dalla sua foce." Eormaleoni storia della
navigazione etc. nel mar nero II, p. 111-112. Man setzt Lichostoma
— ob das i^iXov OToi^a der Peripli? vgl. Müller p. 397 — an die Mün-
dung VOR Kala. Dieses selbst aber unterscheidet unsere erste Karte
(wie noch die fünfte des älteren Perij^lus) ganz deutlich in
CIIIELI. Dass Cldeli ein Haujitstapelplatz gewesen, zeigt noch ein
anderes Blatt des gleichen Codex (der Universität) fol. 15, wo es bei
einem kartogi-aphischen Bilde von Moscovien und der mehr östlichen
Länder am (Jaspischen Meer in den nackt gegebenen Umrissen des
259
Pontus am Donaudelta allein als Stadt hervorragt. ,,I1 porto di Kilia
nova rendesi interessante per il traifico dei grani e come il centro di
tutti i prodotti della Vallacliia, dell' Ungheria, Bosnia, Servia ed Austria."
Formaleoni 2, p. 153. Dieses Kilia nova, unser Chieli, im Gegensatz
zu Kilia vetus, der Insel Achillea, wird von Mattiolo als Chilia an die
Stelle von "A^iovnoXig Ässio citta bei Ptolemäus 3, 10" gesetzt; ebenso
von Moleti. Die ursprüngliche Benennung mag mit der Wanderung
der Achilles-Sage zusammenhängen, wie sie in der nächst folgenden
Station vorliegt.
FIDONISI, "AiiXXswc vfGoc, yisvxij, nicht zu verwechseln mit "JxdUwg
Sgofiog, wie im Periplus des Arrian geschieht c. 32. Ueber diese Insel
wurde von Reisenden und Gelehrten schon viel gehandelt; vgl. neben
anderen Clarke Travels 4 ed. t. 2 p. 394 — 401 und jüngst Köchly zu
Euripides' Iphigenie in Taurien v. 435 :
TCiV TloXvÖQVl^OV STl' al-
av, Xsvxdv dxTccv, Axikr^-
og SQOfJbovg xaXXiOzaSCovg,
a^sivov xazd noviov.
ILLA DE BIXES. Diese Station bietet von allen Karten, auch
den älteren Periplus octuplus mitgenommen, nur eine unserer Karten
Nr. 2. Ein Beweis von langem Leben der Worte. Diese Insel im
Donaudelta, heute S. Georg, zwischen dem Arme von Sulina und dem
von S. Georg, beschreibt Strabo 7, 3, 15 : ixqoc 6^ zalg ixßoXatg [sc. rov
"lOTQOv] fxsydXrj irj'öo'c sGriv t] Jlsvxrj- xaraOxdvreg 6' umrj^' BaGrdqvai üsvxivoi
nQoOrjogsi>^7]Oav • slal Si- xal aXXai vfjooi noXv iXdxvovg, at [xiv dvcoTsqu) TavTtjg,
al di TiQog r^ ^ccXaztr]. srndorofiog yd^ iötf fisyiGTOV di ro tsqov Grdf^ia xaXov-
fisvov, 6i.' ov GtaSimv dvdnXovg inl trjv Usvxr^v ixardv el'xoGi — und etwas
weiter unten C. 17 nochmals ot dt %r]v Jlfvxrjv xaraGxovrsg rrjv SV Ti[i''lorQoj
rifffov Jlevxivoi. Vgl. Ptol. 3, 10: rd voTiohavov jusgog nsQiXaßov vrJGov xaXov-
fu'vijv Iluvxriv. Mela 2, 7: sex sunt (sc. insulae) inter Istri ostia: ex his
Peuce notissima et maxima. Jornandes de rebus Geticis ed. Basil.
a. 1575 p. 607 insula: Peuce quae ostio Danubii Ponto mergenti adjacet.
260
II. Vom Donaugebiet bis zum Taurischen Isthmus.
(Landenge von Perecop).
MOCASTIU), cl. h. Maurocastro, s. oben unter LICOSTOMA.
F LUMEN TUivLO. „Turla est encore aujourd'hui le nom que les
Turcs dounent au' Dniester," Potocki.
ISOLA NOGAY [p. 16, 1, 24] der sechsten Karte ist eine sehr merkwür-
dige Bestimmung. Ueber die Stämme der Nogai-Tataren s. Hammer mehr-
fach in seiner Geschichte des Osmanischen Reiches, z. B. 4, 169 (vgl. den
Index) und in der Geschichte der Chane der Krim p. 116. Zu ihrem
Aufenthalt in Bessarabien haben wir damit einen für diese Zeit giltigen,
wohl neuen Hinweis. Die Nogai-Tataren nordwestlich vom Caspischen
Meer hat ein Blatt des Üniversitäts-Codex als einen Hauptstamm, wie
er es denn war; vgl. Klaproth zu Potocki histoire primitive des peuples
de la Russie p. 128.
BORISTENE. Potocki macht hier einen Abschweif, welchen ich
bei der Seltenheit seines Memoirs wiedergebe:
,,Ici j'interromprai mon Periple, pour dire quelques mots sur les
differens noms que l'on a donnes au tleuve Dnepr. Les anciens le
nommaient Borysthene, mais la table de Peutinger nous le fait dejä
connaitre sous le nom de Nu.sacus, et Jemandes, parlant d'evenemens
arrives dans le quatrieme siecle, designe le Konskijia-vody sous le nom
d'l^ac. [Diese Stelle des Jornandes ist 'de rebus Geticis' p. 625 der
Basler Ausgabe von 1575: tertio proelio ad Huvium nomine Emc]
L'empereur Constantin Porphyrogenete , ecrivain du dixieme siecle,
est le premier qui donne ä ce fleuve le nom de Dnepr ou Danapros.
Environ un siecle et demi apres, les Ouz on GJ102 ont donne a ce
fleuve le nom dWus-sou, et c'est encore aujourd'hui le nom dont se
servent les Turcs. Les Ouz sont appeles aujourd'hui Turcomaus, ou,
comme disent les Busses, Troukhmentsy.
Le Genois Pierre Visconti, dont la carte est de l'annee 1318,
designe clairement deux lits ditferens, et met d'un cote du fleuve aussi
bien que de l'autre Flaw,ena d'Ellexe; en quoi il montre clairement
qu'il donne le meme nom au Dnepr et au Konskyia-vody.
Josaphat Barbaro, qui voyageaiten l'annee 1436, appellele Dnepr Elice,
261
Contarini, qui voyageait en 1473, dit: La fiumana, che si cMama
Banambre in lor lingiin, et nella nostra Leresse.
Jean de Luca, qui ne dit pas dans quelle annee il a voyage, appelle
le Dnepr L'Exi, et plus loin VExij.
Graciosus Benincasa, dont la carte est de l'annee 1480 , ne donne
aucun nom au Dnepr, mais il est le premier qui designe le Konskyia-
vody sous le nom de Erexe, nom qui ne s'eloigne pas essentiellement
du nom d'-Eroc, que leur donne Jornandes.
Hoctomane Freduce, qui etait d'Ancone aussi bien que Benincasa,
et qui a fait sa carte en l'annee 1497, se conforme en tout ä son
compatriote.
Baptiste le Genois, dont la carte est de l'annee 1514, donne au
Dnepr le nom F. Lussem.
Enfin r Atlas anonyme de la bibliotheque de Wolfenbuttel met
Boristhene fiume, et plus bas F. Lusen, puis Orexe.
Teile est la singuliere histoire des divers noms qu' a portes le
Dnepr. L'obscurite qui l'enveloppe est due en partie ä ce que les
habitans des bords de ce fleuve ont regarde le bras oriental cornme
une continuation de la riviere appelee aujourd'hui Konshßd-vodif. Si
bien que le fleuve ne portait pas le meme nom sur sa rive droite que
sur sa rive gauche. Au reste le Konski/'la-vodi/ n'est autre chose que
le Panticapee [lies Pantkapes] d'Herodote, et il n'y a, pour s'en convaincre,
qu' ä ouvrir cet auteur ä l'endroit oü il parle des fleuves de la Scythie ;
mais en voilä dejä assez sur ce sujet, que je reserve pour un memoire
particulier".
Potocki hat diesen Passus selbst zum Theil wiederholt in seiner
'Histoire primitive des peuples de la Russie', in der Ausgabe von M.
Klaproth, Paris 1829 p. 161. Man vergleiche hiezu p. 145. Am Schluss
dieses Bandes findet sich auch das ganze 'Memoire sur le periple du
Pont-Euxin' sammt der Karte wieder abgedruckt, da das Original äusserst
selten und überaus kostbar geworden ist; man zahlte für ein Exemplar
ohne Karte 155 Franken. Ob Potocki, wie er oben am Schluss sagt,
ein eigenes Memoir hinterlassen hat? die Aufzählung seiner Werke bei
Klaproth hat es nicht.
262
Auf unseren Münchener Karten ergibt sich folgende Zusammen-
stelhmg der verschiedenen Namen des Dniepr:
1. horisthene f. — f. lusen. erexe.
2. — — erexe.
3. — — elleixe.
4. — f. lusen. erexe.
5. — f. lusom. ereze.
6. — — erex.
7. f. lusen. f. horisthene. erexe.
8. — — clexe.
PORTO DE BOVO. Nach den Karten eine grosse Insel im Dnieper-
Liraan. Ptolem. 3, 5 gibt xaXog Xifitjv, nach Mattiolo Bon porto, hoggi
Porto ho, nach Moleti Bonus portus [Porto ho]. Schon Potocki bemerkt,
dass von einer solchen Insel keine Spur mehr sei. Es könne dutch
den Strom eine Veränderung eingetreten sein. Wie gewaltig derartige
Verschiebungen oder Umgestaltungen an den Mündungen jener vi^ildfrei
ausströmenden Flüsse sind , bezeugt uns Becker in der angeführten
Schrift (S. 23) vom Dniester: ,,Aus dem von mir bisher Gesagten geht
hervor, dass ich mir die Gestalt des Landes bei der Mündung des
Dniesterlimans im Alterthume ganz verschieden von der jetzigen denke,
aber Jeder, der hinlänglich bekannt ist mit den Eigenthümlichkeiten
der hiesigen Flüsse, wird meiner Ansicht, als einer richtigen und voll-
kommen wahren, seine Billigung kaum versagen können. Bei Unter-
suchung des von uns näher zu behandelnden Ufergestades müssen wir
nämlich die Formationen der ältesten historischen Zeit von den Nach-
bildungen späterer Jahrhunderte genau unterscheiden; und namentlich
auf die veränderte Gestaltung fast sämmtlicher Flussgebiete ausdrück-
lich hinweisen. Das Streben zur Bildung von Peresypen, jenen die
Flusslimane vom Meere trennenden Sandbänken , ist bei den hiesigen
Flüssen ein so allgemeines, dass, wenn die Hand des Menschen hier
nicht kräftig einseift und dem allmählichen Wirken der Natur nicht
gebieterisch entgegentritt, nach dem Verlaufe einiger Jahrhunderte durch
die sich unvermerkt bildenden Peresype die direkte Verbindung der
Donau und des Dniesters mit dem Meere gänzlich aufhören muss."
Ueber die Schwierigkeiten der Fahrt im Dnieper-Liman vgl. Jules de
263
Hagemeister 'Memoire sur le commerce des ports de la Nouvelle Russie'
(Odessa 1835) p. 62.
ZACORI. "AxdXsoig Sqofioq der Alten. Ptolem. 3, 5 ed. Molet. ,,0c-
cidentale Achillei cursus Promontorium quod sacrum vocatur Promon-
torium — hodie Sagori". Ebenso Mattiolo. ^
MEGARICO. Plinius 4, 12, 85. In ora a Carcinite oppida
Taphrae . . . mox Heraclea Cherronesus .... Megarice vocabatur antea,
praecipui nitoris in toto eo tractu, custoditis Graeciae moribus. Hier
hätten wir in Erhaltung des uralten Namens einen Beweis für die letzten
Worte des Plinius. Woher aber dieser Name auf Scythien? Es müsste
eine Enkelcolonie der Megarer von Mesembria gewesen sein, vgl. Strabo
7, 6, 1. Der gleiche Name begegnet uns für eine der Lycischen Inseln
auf dem Paraplus von Armenien.
PIDEA. Ptolem. 3, 5 hat äXoog 'Exdzrjg axqov, bei Mattiolo: Selva
di Diana promontorio, hoggi Pidea citta; bei Moleti: Nemus Dianae Pro-
montorium [Fidea civitas.
G. DE NIGROPOLI. Das heisst Necropylae; „portes de la mort,
nom que le Grecs avoient donne ä ce golphe a cause de quelques rochers
qui en rendoient l'entree dangereuse." Potocki. Es ist die Einfahrt
gegen das heutige Perecop. Constant. Porphyrog. de admin. imp. c. 42 :
ano To OTOfiiov notafiov zov Javccnqsoog eioi td 'ASagd xal ixeiGs xoXnog ioti
(Jl/äyag 6 Xsyofievog %d NsxgoTivXa, iv (/} rig SisX^sTv adwarsT navxeXöig.
IHISCAN (Sescham). ,,A peu pres ä la place ou est aujourd'hui
Perecop.'-'' Potocki. Ptolem. 3, 5 ij Bvxr] Xifivr] — bei Mattiolo und Mo-
leti: Seschan. Bei beiden wird auch der eben berührte Cercinitische
Busen mit golfo de Nigropoli oder Golfus Nigropolorum identificirt.
Uebrigens erscheint unser Sescham erklärlicher Weise auf den meisten
Karten mehr am östlichen Einschnitt des sogenannten faulen Meeres,
daher hinter Vospro oder Kertsch.
III. Der Taurische Chersonesus (die Krim).
LEFTI. yiemif? Wenigstens begegnet uns das nämliche als Station
unten auf der anatolischen (kleinasiatischen) Küste.
GEREZONDA. Bei Petro Vesconte noch Cersona, das altberühmte
Xe^Qovr^aog, Xeqowv der Byzantiner, seine Ruinen nun vereint mit denen
des neuen Sebastopol!
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 3 6
2G4
CEMBARO. 2vfiß6X(ov Xiixr]v, Strabo 7, 4, 3. Heute Balaklawa.
LAIA. ,,C. Aia." Taitbout de Marignj. ,,la Lagyra de Ptolemee."
Potocki. Die Stelle des Ptolemaeus ist 3, 6 Aayvqa, ed. Mattiolo: Legira.
S. TODARO. „Cap Aiotodor." Marigny.
VAGROPOLI od» PANGROPOLI deutet vielleicht auf 'AxqönoXig,
eine Hoclistation , eine "Axqa-, solcher Hochburgen gab es dort unter den
Byzantinern mehrere.
LUSTA. ,,aujourd'hui Aluszty" Potocki, der mit Recht auf Procop.
de aedificiis 3, 7 (ed. Bonn. p. 261) hinweist: xal fjii]v xat BoOnoqov xal
XsQGiüi'og TCoXsuiv . . . TXSTTOvrjxota nawäiraGi, tu Tst'xrj ei^'Qcov (scil. 'lovOriviccvog)
ig /iitja Ti xdXXovg xe xal dOifaXsCag xa&sOTtJGaTO '^qTjfxa. svd-a Srj xal (pqovQux
nf7roit]Tai rö ts 'AXovOtov xaXovfxsvov xal zo iv FoQ^ovßCzaig. Eine geogra-
phisch bedeutsame Stelle liefern hier die Acta Patriarch. Cpolitani H,
p. 150 Nr. 419 aus einer ngä^ig xov XsQOavog, wo eine Synode vom
J. 1390 ausspricht, der Metropolit solle wieder erhalten rrfv xoSqav Kiv-
odvovg xal TTccoag tag ttsqI avvrjv xov aiy laXov ^bSqag, rrjV (Povvav, rrjv 'AXaviav,
TTjV 'AXovOtav, zrjv AaimaSoTraQx^svCtav xal rr^v 2vxkav fiezd xal tov XQi^aQi.
STUTA oder STOTY, richtiger Scuty, heute Uskut. Sxv^ozavqwv Xiiirjv
des Anonymus §. 52, u. Arrian §. 30.
SODAIA, 2ovydaia, ein Hauptplatz der Genuesen. Noch bedeutender aber
CAFA, Katpd, so seit Constantin Porphyrogenetes de admin. imper.
0. 53, 0so6ooCa der Hellenen. Eines naXaiog Xt/jbi^v irzfi nsqioxfj tov KatpS
erwähnen die Acta Patriarchat, Cpolitani 1, p. 486, Nr. 226.
ZAVIDA. K(änri Ka^äxag des Anonymus §. 50. KaCs'xa des Arrian
§. 30. Heute Tachkatschik.
CIPRICO, oqog Kififxtqiov, Strabo 7, 4, 3. To Kififisqixov noXig ^v nqo-
%eqov inl xsqqovrioovidqvusvri, derselbe IJ, 2, 5. Vgl. Müller zum Scymnus
p. 233, und zum Anonymus p. 415.
ASPROMITI mahnt an: to 2dqxsX "Aanqov donmov bei Constantinus
Prophyrog. de admin. imp. c. 42 (p. 177 ed. Bonn.). Vgl. Vivien de
St. Martin les Khäzars p. 39.
VOSPRO offenbar das alte BoOnoqog (6 Kififieqiog) , das die Italiener
des Mittelalters bewahrten, früher naviixänaiov, das jetzige Kertsch,
eine wahre Fundgrube von Alterthümern. Clarke a. a. 0. p. 100: the
natives of the Crimea still call the town of Kertchy Vospor , and the
265
straits Vospor, although they write the word Bospor. In der Note
(p. 451) wird noch Plin. 4, 12, 24 angezogen: ad Panticapaeum quod aliqui
Bosporum vocant. Vgl. Müller p. 414. Potocki aber setzt Panticapaeum
auf die nächste Station
PONDICO, PANDICO und identificirt Kertsch nur mit Vospro. Heyd
a. a. 0. 1863 S. 164. Wenn Saint-Martin a, a. 0. p. 69, 70 annimmt,
dass nach Gründung des Chanats in der Krim im J. 1441 der Name
Gazaria ausser Gebrauch gekommen und allmählich erloschen sei, so
bringen mehrere unserer Karten noch ein Dasein desselben hundert
Jahre später in Evidenz; allerdings nur für die Krim.
IV. Die Küsten des Mäotischen Sees (des Azowschen Meeres).
Von den nächsten Stationen, welche ausserhalb der Strasse von
Jenikale theils noch der sich daran schliessenden Küste angehören, dann
aber in dem breiten Golf des Don, einer vielbesuchten Wasserstrasse,
zu suchen sind, ist
COMANIA, zugleich wohl auch landschaftlicher Begriff, Sitz der
von den Genuesen zurückgedrängten Comanen. Ptolem. 3, 5 ed. Molet.
Cnema civitas : Comania vulgo. So auch Mattiolo.
CABARDI verbinden Potocki und Saint - Martin mit den Kdßaqoi
des Constantinus Porphyrog. 1. 1. c. 39 p. (171 ed. Bonn.); letzterer
bemerkt p. 71: ,,les cartes genoises du moyen äge inscrivent le nom
de Cahardi vers la pointe septentrionale de la mer de Zabache (notre
mer d'Azof), ä l'ouest des bouches du Don, indice certaiu de la presence
de la tribu sur ce point ä une epoque comprise entre le XIF et le XV
siecle. Ce nom de Cabardi nous signale la forme que l'ancienne deno-
mination des Käbars ou Kaberes, teile que l'ecrivent les Byzantins,
avait prise dans l'usage vulgaire". Die beiden genannten Herausgeber
des Ptolem. setzen Tahardi an die Stelle von Hyhris.
TANA, Venezianischer und Genuesischer Stapelplatz, am Don, wie
vordem der Hellenen : inl ro) novafxciJ xal rfj Xi'/xvrj noXig oj^KüW/^iog ohetrai
Tävaig, xciOficc rööv zov BoOnogov dx^vzcov 'EXh^vwv .... ifv J' sfiTtoQiov xoivov
Ttov T€ 'AOiavcov xal Tuiv EvQcoTTaimv vofxdSmv xal röov ix rov BoOnoqov zrjv XiiivrjV
nXs6vr(üV, nSv fihv dvSQanoda ayörtcov xal Ssgi-iaTa xal ei xi äXXo twv vofiadixdiJv,
Ttov ä' ioif^Ta xal olvov xal xdXka, oGa rrjg riixsqov ^laizrjg olxsTa, dvvi^OQTiCoixivwv.
36*
2G6
Strabo 11, 2, o. So war es in Tanais, so in Tanna, so in Azow, und
ist es heute noch in den Häfen jener Küste.
Im Cod. lat. Mon. 10801, fol. 188 steht folgende Notiz von der
Hand des Venezianers Johannes Bembo, dessen Autobiographie Mommsen
in unseren Sitzungsberichten 1861, 1, 5, p. 581 ff. veröffentlicht hat.
Sie schickt sich gerade hier bekannt gegeben zu werden :
Da la boccha del fiume de Tanais se nauiga in suso millia 18 doue
e la terra de la Tana a banda dricta nel Asia.
Da la Tana fino in Moschouia i, e. in Rosia sono zornate ad
cauallo n". 40. Li Moschouiti i. e. Rossi ueneno cum suo zopoli grandi
come brigantini ad la Tana zoso per lo fiume Tanais et portano pelle
fine ad uendere et altre cose.
CASAL DELI ROSSI. Ptolem. 5, 9 navidqdig, hoggi Casal de Rossi
Mattiolo. Ruhrorum vicus Moleti.
lACARIA. Tocari bei den genannten Herausgebern des Ptolemaeus
(5, 9) an der Stelle von Patarve [llaTaQovrj].
BACINACHI. Eine wohl unbestreitbare Hinweisung auf die viel
genannten, weitgreifenden llax^Cvaxoi; vgl. Stritter memoriae 3, 773 ff.
TAR MAGNO. Trari magno bei Mattiolo zu Ptolem. 5, 9 an der
Stelle von Tvqdfißrj. Trapano hodie Moleti.
LOTITL 'ÄTTixkov TioTufiov sxßoXal Ptolem. 5,9. Latiti hodie Moleti,
Lariti Mattiolo.
COPA. ,,C'estrembouchure occidentale du Couban.'-'- Potocki. ifißdXXsi
6k dg rrjv lifxvrjv (sc. KoQoxovJafiiTiv , heute der Golf von Tanian) dnoqqm^
Tig Tov 'AvTixsizov zivig 6b xal rovrov röv noTu^xdv "Ynaviv UQoOayo-
QSvovOi, xaOunsQ xal töv nqdg T(f BoqvO^svsi Strabo 11, 2, 9. Coppa war
ein bedeutender Platz des Genuesischen Handels.
V. Vom Cimmerischen Bosporus (der Strasse von Kertsch)
bis an den Phasis.
CAVO DE CROCE. Nach den besagten Herausgebern des Ptolem,
KlflfXtQlOV äxQOV.
MATREGA. ro xuotqov tov Mdraqxa des Constantin Porphyrogen.
c. 42 (ed. Bonn. p. 177); vgl. darüber Vivien de Saint-Martin etudes
de geographie ancienne 2, p. 239. Matriga bei Mattiolo zu MuTrjta
267
des Ptolem. 5, 9, während Moleti Hier Copa setzt. Ein iirjtQOTtoXCrrig
Zr]xxiag xai MaTQaxoov kommt vor in den Acta Patr. Cpolitani II. p. 269
Nr. 504.
MAPA heute Anapa stellt man mit ^ivdixi] der Hellenen und der
Peripli zusammen. Vgl. Strabo 11, 2, 10 und 14. Müller zum Arrian p. 394.
CALOLIMENA, ob hqdg Xi{ii]v des Arrian? vgl. Müller p. 393.
MAURO LA CO. Bei Ptolem aeus 5, 9 wird ein Bata portus und
ein Bata oppidum unterschieden, jenes ist bei Mattiolo und Moleti porfo
Mauro , Maurus portus, dieses Mavi. Wegen Bard xcofirj xal Xinr^v vgl.
Strabo 11, 2, 14. Man setzt Maurolaco an die Bai von Glielindjik,
Calolimena an die von TscJieme [Sudjuk Kaie).
MAUROZECHIA u. ALBAZECHIA, sowie ZICHIA (Karte 6). Diese Na-
men spiegeln, wenn nicht die Zvyol des Strabo (11, 2, 12), doch die Zfjxxot
des Procop (de bello Goth. 4, 4, p. 473), die Zrjxol, Zrjxia {ZixCa) des
Constantin Porphyrogenetes wieder. Vgl. Müller zu Arrian p. 379, 380,
393 und die ausführlichen Untersuchungen von Saint-Martin a. a. 0.
p. 161 ff. 219 ff., besonders p. 171, 213, 240. Die Herausgeber des
Ptolemaeus bestätigen es, "AfxipaXig und Älhasequia gleich zu stellen.
F. LONDIA, nach den Herausgebern des Ptolem. 5, 9 ^^vxQog noza-
fiog. Die Form deutet auf einen Accusativ. 'cPtorwa? vgl. unten an der
anatol. trapezuntinischen Küste FLONDA.
PORTO DE SUSACO, nach eben diesen der Sinus Cerceticus, Ksqxsnog
xoXnog, desselben.
SANNA hinwieder mahnt an die 2dvvoi, T^dvoi der Hellenen und
Byzantiner. Vgl. Müller p. 378, Saint-Martin p. 182.
CAVO DE CUBA nach Mattiolo und Moleti TuQSTixr} äxQa des
Ptolemaeus.
LAIAZO. Diese Station mit fast gleichen Varianten haben unsere
Karten am Meerbusen von Issus, wo es dem alten AiyaXai entspricht,
vgl. Urkundenbuch von Venedig 1, p. 375. Müller zum Stadiasmus
Maris Magni p. 479. Der nämliche Ort kann auch an der Küste von
Avogasien bestanden haben, Oder ist das Wort ein Rest der alten
Achäischen Küstenanwohner, von denen dort wohl Strabo 11, 2, 14
berichtet {ji twv HxcckSv xal zcSv oiXXoov nagaXCa jws'x^t JioOxovQiddog), der
naXaid "Axdi'a Arrians? Vgl. Müller p. 393.
268
S. SOFIA. Oivcivd-eia OenantMa des Ptolem. nach den italienisclien
Herau^ebern.
AVOGAXIA (auf Karte 6) nach eben diesen Fortia Moenia, KaqxsQdv
TfTxog desselben.
PEZONDA. niTvovvta (mittelgriechisch), llitvovg bei Strabo 11, 2,
14. „hii BitcJw'inda des chroniqueurs georgiens, nommee plus habituelle-
ment Pttziounta dans les relations europeennes". Saint-Martin p. 213.
SAVASTOPOLI. 2fßccGt67ioXig näXai JioOxovqidg ixccksho, änoixog toJv
Mth,o(u>v. Arrian Periplus §. 14. Müller p. 378 und p. 61. ,,Hoggi
SavatopoW Mattiolo, ,,vulgo Sehastropori'' Moleti.
CICABAR (Cicabo Karte 2), Kvaväov noTafiov ixßoXal Ptolem. 5, 10.
„Cicaho" beide Italiener.
COREBENDIA. ^lydveov Ptolem. 5, 10, „Garhendia" dieselben.
NEGAPOTIMO. mdTioXig Ptolem. 5, 10, „Negapotimo'' dieselben.
LIPOTIMO. A}'a noXig Ptolem. 5, 10. „Lipotomo" beide. Während
die letzteren Namen oÖenbar auf Küstenflüsse deuten , setzen unsere
Italiener feste Orte dafür an. Gerade der Strich von Sebastopolis bis
zum Phasis hat in der topographischen Fixirung noch manche Bedenken.
Eine üebersicht gibt Müller zum Periplus des Arrian p. 377.
VI. Vom Phasis bis an den Halys.
FASSO. o Wäoig, ue'yag norafiog mit der gleichnamigen Stadt,
dem altberühmten »f^TTo^tov %(üv KoXxav, die nach Strabo (11, 2, 17) auf
einem Delta lag: zfj fi^v nqoßeßXrjfxs'vrj %6v norafidv, tfl 6k Xifxvr^v, tfj 6k t?;V
^äXazxav. Das ganze dortige Ufer erscheint bei ihm als ein der Ver-
änderung unterworfenes, von Wadden durchzogenes, wie er denn auch
schon in der Einleitung (1, 3, 7), wo er von der Anschwemmung —
TCQooxooig — an den Mündungen gewisser Ströme spricht, den Phasis
erwähnt: ne^l 6k rd zov <l>dOi6og rj KoXxLxrj naqaXCa, 6CafXfiog xccl Tunsivrj xaX
liaXuxr] ovOa.
PALIO STOMA, wohl rd naXaiov oröfia, die 'alte Mündung' des
Phasis, später zum See umbordet.
LOVATI. 0 Ba^vg norafiog, Arrian. Peripl. 9, p. 375, Plin. 6, 4
flumina Acampsis, Isis, Mogrus, Bathys. Der Name ist noch heute in
Batum als Stadt und Vorgebirg erhalten.
269
GONEA leitet auf das heutige Gunieh, westlich vom Acampsis.
ARCAVI. d"Agxc(ßig Arrian Peripl. 8, p. 374, Anonym, p. 411,
heute noch Arkhavi.
QUISSA, Kiooa des Ptolemaeus, Cissa der Tab. Peutinger. , heute
Kisseh; Müller p. 374; nur stimmt die Lage nicht ganz, weil der Arkhavi
vor dieser Station in's Meer geht.
SENTINA. mittelgriech. Stinas gleich 'A^fjvai, von welchem der
Periplus Arrian. des weiteren erzählt, a. a. 0. p. 374 und 372. Procop.
de hello Goth. 4, 2. Heute Äthina.
RISSO, d TC^iog Tiorafjiog Arrian. Peripl. 8, p. 374.
STILLO klingt byzantinisch. Nach den Peripli treffen noch zwei
Flüsse o ^vxQog und 'd Kaldg Tcotafxog hieher.
SURMENA. 2ovodQfiia des Anonym, p. 411. Äw^ary SovaovQ/xaiva des
Procop. de hello Goth. 4, 2; früher "t^ooov hfirjv, Müller p, 371.
FLONDA. 'Ocpiovg des Anonymus p. 411. Der Accusativ ^^Oipiovvta
ward wie gerne zum Nominativ. Auch hier wäre wie oben bei Arcavi
eine Versetzung, da dieser Fluss hinter Surmeneh, d. h. östlicher in den
Pontus mündet.
TRAPEZONDA. j^' TquTts^ovg, noXig 'ElXrjvig, 2i,vo}7iewv unoixog, irvl
^aXdoari o}xio^evrj Anonym, p. 410.
PLATENA, das alte 'Eqixmaooa, Strabo 12, 3, 17. Arrian. Peripl.
24, p. 392, noch jetzt Fiatana. ,, Dieser Ort, der im Munde des Volkes
wahrscheinlich seit Urzeiten diesen Namen trägt, ist von Trapezunt nur
etwas über vier Stunden entfernt .... Die Platane wächst in der
Umgegend, besonders am Bach von Kalanoma auf der Seite gegen Tra-
bosan, mit unvergleichlicher Pracht." Fallmerayer, Fragmente aus dem
Orient, 1, 245.
SGORDILLI auf keiner unserer Karten mehr, nur auf der ältesten
von Petro Vesconte des Wiener Periplus octuplus (p, 27, 1. 22) , ist
Koqdvlrj der Peripli (p. 391 und 410) — x»?*ov ^v 4 ''"* oqixog ioti, por-
tus Chordule Plin. 6, 4. Der Name scheint also seit dem 15. Jahr-
hunderte vergessen. Heute Äk-kalaJi. Fallmerayer 1, 243.
GIRO (cavo giro). "isqSv oQog der Peripli (p. 391 u. 410). Heute Cap loros.
VIOPOLI. Plin. 6, 4 : sine fluvio Liviopolis. Heute Fol — östlich
von Boyük-liman — Falbnerayer 1, 240.
270
CAROLLA (p. 2 7, 1. 25) nur auf einer Karte des Wiener Periplus von 1408
ist KögaXXa, Arrian. Peripl. 24, p. 391, heute Cap Kereli, Fallmerayer 1, 235.
S. UIGENI. ,"Ayiog Evyiviog der Griechen, heute Äi-jenesin deresi,
d. i. Thalbach des heil. Eugenius". Fallmerayer 1, 236.
LAKTOS (Laitos) träfe auf %cc "Aqyv^ia der Peripli, p. 391, 410.
TRIPOLI. TqCnoXig der Peripli a. a. 0. , Plin. 6, 4 : Tripolis castellum
et fluvius; heute Tereholi, Fallmerayer 1, 230.
ZEFANO [Zeffara bei Vesconte) möchte man auf Zstpvqioq Xifxrjv des
Skylax, Zetfvqiov der Peripli deuten, s. Müller p. 64 ; heute Sephreh.
CIIIRIZONDA. So bestritten das Xenophontische Keqaoovq, so wechsel-
voll ist die Gestalt des Namens in unseren Urkunden. Selbst ein Tra-
pizonda taucht daneben auf. In
GIRAPRIMO, was vorausgeht, scheint die erste Hälfte selbst wieder
auf Kerasus zu führen, die zweite möchte aber nach einer Lesart PTINO,
d. i. PETRINO , auf nsTqa hinweisen. Sollte ein wie ein Hörn hinaus-
ragender Strandzacken damit gemeint sein, wie sie Fallmerayer dort
schildert (1, 218 ff.)? oder das Eiland, welches jetzt Kerasun-Äda
heisst, den Griechen einst Insel des Mars, später 'AqrjTidg, dem PUn.
6, 13 Chalceritis hiess?
SANBASILL d olyiog Baoihog, oft in den Reisen erwähnt.
OMIDIE. Wie kommt hieher der gleiche byzantinische Name für
das alte laXfivdrjooög'i vgl. oben die erste Seite dieser Anmerkungen.
Eigenthümlich versetzt Aeschylus im Prometheus (v. 724 ff. ed. Her-
mann.) das berüchtigte Gestade des thracischen Landes hieher in's
Amazonenland am Thermodon
i'v^' 'Afjba^övwv Otqardv
t^ei OTvyävoq', ai &£fiiOxvQdv noxs
xaToixiovOiv djjKpl QeqfiwSov^' , Iva
TQU^eTtt novtov SaXiivdrjGOia yvd^og
ix&Qo^svog vavzaiOi, (nqvQvid vewv.
SECHIN. Was oben bei Laiazo an der Caucasischen Küste beobach-
tet worden, kehrt hier wieder. Ein Sechin oder Sessin (Sequin) bietet
die Cilicische Küste unserer Pergamente. Nun ist 2vxri {2vxäa) nach
Athen. 3, 78 B. und Stephan. Byz. wirklich eine Cilicische Stadt, deren
Lage, östlich vom Vorgebirg Anemurium, durch unsere Karten äugen-
271
scheinlich wird. Danach ist nun auch Marin Sahudo (ürkundenbuch
von Venedig 1, 377) vollkommen verständlich und mehrfach zu ver-
bessern. Man darf auch dieses Sechin ohne Gefahr auf 2vxij zurück-
führen. Ein drittes Sechin findet sich am asiatischen Ufer der Propontis,
Diese drei gleichnamigen Stationen, an den drei Ufern Kleinasiens,
können füglich als ein Anhalt dienen für die Geschichte der Cultur des
Feigenbaums und seiner geographischen Verbreitung. Die Früchte des-
selben waren im Mittelalter wohl noch höher geschätzt als im Alter-
thum. Hatte Byzanz einstens seine 2vxal oder nach Strabo 7, 6, 2
seinen Feigen -Hafen (t6v imo nj 2vxij xaXovfitvov hus'va), so bietet sich
jetzt noch auf unserer Küste, ostwärts am Cap Hieron-Oros (s. oben GIRO),
,,eine malerisch schöne Felsenbucht;, IndscMr-Uman (Feigenhafen) ge-
nannt," Fallmerayer 1, 241, wo in der Nähe ,, dichte Obstwälder aus
Maulbeer-, Kastanien-, Aepfel-, Birn-, Kirsch- und Feigenbäumen."
LAVONA. Bocuv der Peripll, Xifxrjv nävzwv dvsfxwv xal oQfiog vavoiv.
Müller zu Skylax p. 65 ; heute Vona.
DIASSONI auf der Karte von 1408 des Wiener Periplus ist 'Taooviovj
Strabo 12, 3, (p, 469 ed. Müller) oder "laoovta der Peripli, heute Jasun.
PORMON. jioXsfioU'iov der Peripli, Polemonium der Römer, heute Puleman.
FADIZA. ^ddiooa ((l>a6iodvrj) des Anonymus p, 409. Strabo 12, 3,
16 hat ein OdßSa. Heute Fatsa.
HOMO leitet auf Olvdrj oder OTviog, heute Unieh, Müller p. 390.
Ein Hauptstapelplatz des Seidenhandels. Fallmerayer 1, 279.
LAMIRO. svTav^tt /.ijxijv fut'yag 6 Xeyofievog yiafivQwv, oq^iog vavol xal
vÖQoOToXog, Anonym, p. 408, an der Mündung des Thermodon^, gedeckt
vom Vorgebirg Herakleon; vielleicht ein Begriff zum folgenden
LIMINA, wenn dies nicht 'Ayxwv Xifxriv ist (Müller p. 389), wo der
LIRIO o ^Igig ausmündet.
SIMISO. "Afiioog, noXig d^ioXoyog, wie Strabo sagt. Wenn derselbe
das Land hinter der Mündung des Halys also schildert (12, 3, 13
p. 468 ed. Müll.) ^wst« 6^ rrjv exßoXrfv tov "AXvog rj raSiXcovhi'g sGri (Ji'SXQi tfjg
2ccQafirjvt^g, €v6ai[i(ov ywqa xal nsdidg nüGa xal ndfKfogog, SO hätten Wir lür
PLATAGONA als generellen Ausdruck für die Charakteristik des
Küstenstriches eine gute Begründung. Vgl, die Schilderung der Land-
schaft bei Fallmerayer 1, 36, 37.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth. 3 7
272
VII. Vom Halys bis an den Bosporus.
LALI o "AXvg.
PANIGERIO, etwa nur allgemein TravrjyvQiov .Markt', wie öfter das
türkische Bnzar wiederkehrt?
CALIPO. KdXinnoi des Anonym, p. 406.
CAROSSA. KciQovoa oder Kdqovoou des Skylax und Arrian (ed. Müll,
p. 66. 388). Heute Gerseh.
SINOPI 2iv(67ir]. Sinuh.
ERMINIO "Agfisvi] (AQfirjvTj), Seit Xenophon Anab. 6, 1, 14: dg)Mvovvvai
eig ^iiami^y xal coQfii'OavTO stg l4Qfxi^vr]v Ttjg 2iV(ü7vrjg.
LEFTl. yismr] (axga) des Arrian. Peripl. §. 21, p. 387.
STEFANIO 2t€(pdv)] Xi^iilv, Müller zu Skylax p. 66.
QUINOLI. Plinius 6, 2 : oppida Cimolis, Stephane. KivcoXig der Pe-
ripli, Cinolu heute,
GINOPOLI '[(ovoTioXig , früher 'AßcSvov reTxog, heute Ineholi. Müller
p. 387. Zu den hier genannten Stellen füge noch Leon. Sap. index
eccles. 15, 1 d 'IvvovTioXecog.
CARAMI. KdqafJbßig, äxqa (xsydXrj, nqog rag aqxtovg dvaTSTafis'vrj, Strabo
12, 3, 10. Das Cap Caramhe, in alter und neuer Zeit als Scheide von
Wind und Wetter* im Euxinus bekannt. Fallmerayer 1, 35.
GIRAPETRINO, vgl. oben. 'legd Härga?
CASTELLE. Die älteste Karte von P. Vesconte gibt hier bestimm-
ter Qitolli, d. i. offenbar ^c» Kihcogov — ifxnoqivv tiots ^ivwnswv, wie Strabo
sagt 12, 3, 10; heute Kidros.
COMANA nicht mehr verstanden, nur eine Lesart Cromena (Wiener
Periplus v. J. 1408) erinnert sogleich an Kgöjfiva, das, wie auch Strabo
(12, 3, 10) bemerkt, schon Homer unter den Paphlagonischen Städten
aufführt (Ilias 2, 855):
KqaJixvuv i' AlyiaXov t£ xal viprjXovg ^QvO-ivovg —
auf diese letzteren treffen wahrscheinlich die
TPJPISILLI; bei Strabo wohl nur dvo S'dal öxonsXoi.
BVSCANL TiXeiöTTj (ft xai aQiGzrj nv^og (fvszai xard rr^v 'AfiaOXQiavrjV xal fiä-
Xiotu ntql xo Kvxoyqov — berichtet Strabo a. a. 0. Sollte der Reichthum
273
an Bux und Buschwaldung überhaupt nicht unseren Namen erklären
und rechtfertigen? Die bis heute unzerstörte Waldpracht der anatoli-
schen Küste hat wie keiner Fallmerayer vor die Augen gezaubert.
Wegen der Umgebung von Ämassero vgl. ihn, 1, 35.
SAMASTRO. "AfiaGTQig, jifidoTQa; vgl. Müller p. 405.
PARTENI. 0 üaqd-sviog fioraixog 6id ftaqmv dv^rjgwv (psQÖinsvog xal did
%ovTo Tov ovdfiatog xovtov rsTvxtjxcog — Strabo 12, 3, 8. Er bildete die Grenze
zwischen Bithynien und Paphlagonien. Copireana der Karte von 1367
im Wiener Peripl. ist Cavo pireana und würde auf das Cap Fartheni zu
beziehen sein.
TIO ist Tiog, Mdrjoioov anoixog, Müller p. 385. TCsiov bei Strabo und
Skylax, ebend. p. 67.
C. PISELLO, ob iPvXXa der Peripli, ^vXXiov des Ptolemaeus? vgl.
Müller p. 385.
PENDERACHIA. JiovTorjgdxXeia der Byzantiner, ^HqdxXsia ndvrov —
nöXig svXi'fisvog xal aXXwg d^iöXoyog, wie Strabo sagt 12, 3, 6, Der Name
hat eine merkwürdige Verschiebung bis zu Punta RacJiia erfahren.
NIPO möchte auf "Tmog (g zoNvniov),
LIRIO auf AtXaiog (AiXXiog), zwei Flüsse der Landschaft, passen, vgl.
Müller p. 383 ; ;t u. ^ vertreten sich gerne. Da eine unserer Karten
(No. 2) diese Stationen vor Penderachia hat, wird die Bestimmung
noch zweifelhafter.
ZAGARI, ^ayydgiog, Sakaria heute noch.
AQUA. Da Fenosia als Insel den Zusammenhang mit Carpi des
Festlandes nicht aufhebt, so möchte man hier die schon von Xenophon
(Anab. 6 , 4 , 3 ; vgl. Müller p. 382) gerühmte Süss wasserquelle —
XQTjVrj 6i rjösog vSaxog xal äcpx^ovog Qs'ovOa iv athfj ttJ ^aXdtTTj — nicht Über-
sehen. Dass die Portulane die Wasser-Stationen so gut als die Saline,
Moline u. s. w. anführen, weiss der Kundige.
FENOSIA, die Insel Jatpvovoia, Jdg)vrj, früher ^AnoXXwvidg nach dem
Anonym, p. 402. Die Verkürzung gieng bis Feno und Lafen.
CARPI (CALPI), mit gleicher Doppelschreibung KdXTtrj und Edgirr],
heute Kerpe liman (Müller p. 382), hat sich seit Xenophon erhalten,
Anab. 6, 4, 3 : 6 KdXnrjg Xifiilv iv fis'Oo) fi^v xshai ixaTfQco^sv nXsövxwv i^
'HgaxXeiag xal Bv^avriov.
37*
274
DEPOTIMO , richtiger Dipotamo (bei Vesconte), d. i. Jmoxafiog, ein
mehr allgemeiner Ausdruck für einen 'Landstrich zwischen zwei Flüssen*,
was etwa dem ^isooyaiov entspricht. Vgl. Tafel Symbol, criticae 1,
p. 87, 87, 88, 2, p. 182. Urkundenbuch von Venedig 1, 488.
SILLI, i^aXiq, ^iXtg, ^taXiov, 9h'hov; vgl. Müller p. 382. Plin. 6, 1:
ergo in faucibus Bospori est amnis Bhehas, quem alii Rhesum dixerunt.
Deinde Psillis , portus Calpas, Sangaris fluvius ex inclutis.
RIVA. 'Pijßag. Der Fluss heisst noch heute Biva.
GIRO. "hgov. Dieses Heiligthum des Zevg Ovgtog wurde schon bei
den Alten einfach mit "I^qov bezeichnet ; Cicero gedenkt dessen (in Verrem
4, 57) als eines der drei weltberühmten signa Jovis Imperatoris — quod
auteni est ad introitum Ponti, id, cum tarn multa ex illo mari bella
emerserint, tam multa porro in Pontum invecta sint, usque ad hanc
diem integrum inviolatumque servatum est. Hat er wohl geahnt, dass
die Heiligkeit des Orts den Namen noch anderthalb Jahrtausende be-
wahren werde?
Ausser der eingehenden Note von Müller p. 380 vgl. noch Otto
Frick: Dionysii Byzantii Anaplus ex Gillio excerptus p. 33. Die beiden
Hieron, heute Anadoli-Kawak , und auf der Gegenseite Rumili-Kawak,
die Schlüssel des hier engsten Bosporus , hatten auch im Mittelalter
eine hohe Bedeutung, namentlich für die Kauffahrer. Darüber hat
jüngst W. Heyd gesprochen im zweiten Artikel seiner oben angeführten
Abhandlung, Tübinger Zeitschrift vom J. 1863, 2, p. 169, 170.
Der Paraplus von Syrien und Patestina.
10
15
20
1
Karte der Universität.
2
3
4
Karten des Krie
gsminis teriums.
Karte
n
alesandreta
alaxandrera
alexamlreta
Alexandreta
candelona
candelona
can de lona
can de lana
p. boneli
p. bonel
p. boneo
p. banel
rasalganzir
c. raxtanxir
rosolganzir
soldin
Soldj
solin
p. uallo
p. vollo
p. ualo
pocin
gloriata
laleclna
p. tim
Gloriata
lalitxa
lalitia
pocin
gloriata
la lecJiia
beona
beona
beone
beona
ualinea
balimea
,
ualinea
margato
magrado
margato
margatto
maracrea
p. magrea
marcrea
maracrea
tortosa
tortossa
.
tortosa
prexon
larcha
proximi
larca
•
prexon
larcha
tripoli
neun
tripol de suria
tripoli de soria
•
tripoli
nefin
c. pozo
bodrom
pondico
podro
podro
bodro
podio
bodron
(
gibelleto
gibelloto
•
gibeleto
f. canis
fluni en can
flumidenis
f. canis
haruti
barutt
bnruti
haruti
damor
damor
damor
damor
saitto
serafem
saytos
sarfent
serafent
saito
serafen
mr
sur
•
sur
Abh. d. I. Cl. d.k. Ak. d. Wiss. X. Bd. I. Abth.
278
5
(>
1
8
der k ö n
iglichen Hof- u
nd Staats-Bibli
0 t h e k.
candria
Alisandreta
can de lona
Alexandreta
can de loii
Allexandreta
Le boneil
p. bonbolizo
p. bonel
p. benei
,
Rasa canixir
rasalganzir
raidalixa
i
M. nigra
Sodin
soldin
•
lallo
p. vallo
p. ualo
•
lata
erclia
pasera „
lexsera
groriata
La lecia
polcin
gloriata
la lechia
llorita
llalixa
aea
begone
gib eile
beona
ualinea
uallinea
.
Margato
margato
•
acrea
marcrea
maracrea
.
^ssa
tortosa
tortosa
tortoza
ha
prexon
larcha
prepon
larcha
proxime
oli
i/ripolly
neffi
tripoli
tripol de seuia
nife
rom
cauo de pogio
bodron
c. pozo
bodron
uedro
\
'
gibeleto
tauilla
gibeleto
•
len canis
f. canis
f. canis
tuscani
iti
Baruti
haruti
pauste
.
damor
damor
damor
0
saity
sarafere
saitto
serafen
ffrestamte
Sur
sur
suro
38
27i)
1
Karte der Universität.
3
4
■ 8
Karten des
Kriegsministeriums.
Karte
n
5
c. bianco
c. bianch
c. bianco
\
acri
acrj
.
acri
i
caifasso
cayfazo
.
caifaso
ia
carmene
carnia
.
carmene
e
castell pelegrin
castel pelegrj
castel pelegrin
castel pelegri
10
cesana
arzufo
spezayia
arzuffo
cesaria
cesaria
arzufo
S(
zaff'o
Jaffa
iaffa
zaffa
(I
castell beroaldo
berardo
,
c. beroaldo
excalotia
escalona
escallona
exscalona
b
15
gazara
Gilzata
gazara
gazara
a
daron
deroni
darom
daron
^
p. berton
berto
berto
p. berton
.
G. de larissa
G. larissa
G. de larisa
G. de larissa
larissa
larissa
larisa
•
f
z t
Der Codex Herwartianus der
Universität bietet auf fol. 15 noch besond(R
Relief gemalt. Ich halte es für noth wendig, hier die Namen der Küstenor
te, ^K
Es sind folgende :
haruti. sidon magna nunc sagita.
sareta sidoniorum. thirus nunc sur.
puU
tholemaida nunc acris olini. caifas.
s. helie. castrum peregrinorum.
eccle
ioppe vel iapha. ramia portus iudeorum. castrum beroaldi. acaron.
asat
280
der könisriichen Hof- und Staats-Bibliothek.
nanco
asso
smeni
aria
ona
ira
sa
cauo janco
Acry
arzufo
c arm inj
caste pelegrino
caifaso
arzufo
Jaffa
caste berardo
Scallona
Gazara
damor
p. berto
la Costa
G. Larissa
c. bianco
acri
caifasso
carmene
castel pelegrin
cesaria
arzufo
zaffo
castel beroaldo
exscalona
gazara
daron
p. berton
g. de larissa
brancche
acra
cusfazo
custell pelagi
Jafa
arzufo
escalora
gatzara
birefa
llarige
t Z.
ar anschauliches Bild des heiligen Landes, gleichsam aus der Vogelschau in
,rauf verzeichnet sind, zum Vergleiche auszuheben.
im uiuentimn. sandalium castrum quod prius dicebatur alexandreta. sarona.
ariae. fortalicium. cesaria palestinae. antipatrida siue dor uel assur.
na. gaza uel gazara. daron.
38^
Jos. l/nt/er sc.
Abh d I Cl d.k At.dWiss, XBd.I Attk.
ZuD^'-StreWAtM.
283
10
15
20
25
1
Karte der Universität.
2
3
4
Karten des Krie
gsminis teriums.
Karten
G. de zaramella
ii
Garmella
. Ci
G. de zaramela e
m. gaibo
.
.
m. gaibo h
1(11020
layassa
laiaco
laiazo t
p. de lipai
c. lipay
p. de li paim
p. de lipai
malmista
malasta
malmistra
malmistra a
c. mallo
malo
malo
mallo 0
adena
adena
adena
adena la
tarso
teraso
tarso
tarso iö
lamo
<
lame
.
lamo A 3
p. bonbolizo lo
p. boiibolizo
3
bombolizo
.
iauuzo
t—t
iamizi
.
ianuzo
cur eil 0
<
curcho
turco
curco \
lena de bagassa
lengua de ba
le mia
lena de bagassa
s. todaro
(2;
.
san dero
s. todaro ec
p. pin
<
portopi
p. pim
p. pin
la proenzall
esculpensal
•
la proensal
p. caualer
p. caualer
.
p. cavaler ;a
p. papadola
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tarso
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curcho
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39
285
10
15
20
25
30
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1
2 3
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Karte der Universität.
Karten des Krie
gsministeriums.
Karten
sannicolao
S. nicola
.
sannicolao
sangrigor
S. grigor
sangrigor
sangrigor
Pamphyli
satalia uechia
Satallia veya
,
satalia uechia
satalia
Satallia
,
satalia
G. de satalia
G. de satallia
G. de satalia
g. de satalia
aiopende
ajopendia
.
aiopende
quirpastor
quirpot
quir pastor
quirpastor
aratia
arustia
.
aratia
p. zenouese
S.steue
Gani"
.
ganbrosa
p. zenouese
c.cbilidonie
zambruso
c. de sitidania brosa.
siridonie
san
Stefano
siridonie
finica
san steua
finica
,
finica
gambrage
gerouda
lecorente
stronbilo
gorande
gironda
geronda
sansteuan
lecorente
.
castel-
stermire
, ,
,
stronbilo
caccauo
pattera
macri
G. de maci
metireme
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cacamo
patera
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G. magrj
metiremie
lagouente
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castelroig
porteile
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cacamo
c. patera
G. mar
metiremi
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Castrongo
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caccauo <^^'^f^s^°
pocele
patera mogorico
macri
g. de macri | 7. cap
metireme ^^"^
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iglichen Hof- u
nd Staats-Bibli
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San nicolao
s. nicolao
s. nicolao
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san grigor
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satalia vega
satalia uechia
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satallia
g. de satalia
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le satalia
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satalia
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quir pastor
qui : pastor
amepasto
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aratia
aratia
arustia
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donie
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p. jenoese
siridonie
finica
gambroxa
stö Stefano
p. zenouese
chilidonie
finica
gambruse
sansteua
ffinica
s. esteui
•
geronda
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le corente
geronda
lecorente
stronbilo
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cacamo
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casterogio
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caccauo
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g. de macri
patera
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megarico
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casteloigi
p. agelli
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prepia
metireme
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la via
la guia
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la roza
la rosa
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.
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p. fixsco
p. fischio
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•
traquia
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p. anconitan
anconitan
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messt
p. fielli
•
messy
stadia
•
39'
Der Paraplus von Armenien (des Mittelalters).
38**
Anhang.
Zu den Namen der Winde.
Es ist eine ausgemachte Sache, dass im Mittelalter der Aufriss und
die Zeichnung der Karten, namentlich der Seekarten, nach der Windrose
bestimmt und ausgeführt wurde. Es ist desshalb Sorge getragen, dass
auch auf der Karte, welche den Peripius des Pontus Euxinus als künst-
lerische Beilage schmücken soll, diese Art des Entwurfes andeutungs-
weise zur Anschauung kommt; denn auch sie ist nach dieser Weise
angelegt.
Häufig sind nun in diesen alten Karten auch die Namen der Winde,
der vier Hauptwinde und ihrer vier oder acht Neben winde, neben der
bildlichen Darstellung der blasenden bausbäckigen Aeoliden entschieden
beachtenswerth. Sie haben sich aus dem fernen Alterthum weit herab
erhalten, sowohl die griechischen als die römischen Namen treten hier
noch auf, manchmal jedoch eigens verkürzt oder umgewandelt. Lelewel
— um andere zu übergehen — hat in seinem Werke ein paar mal
(2, p, 15 und im Epilogue p. 47) solche Naoien-Complexe aus Karten
ausgezogen.
In unseren Münchener Pergamenten zeichnen sich gleichfalls mehrere
durch diese Attribute aus. Ich habe es für zweckdienlich erachtet, die
bedeutungsvolleren derselben hier wiederzugeben.
A. Sind die Namen der Winde auf den Karten (2, 3) des Kriegs-
ministeriums; zu denselben ist die Tabelle der eingangsgenannten Cata-
lanischen Karte, Notice s et Extraits t. 14, 2. p. 25 — zu vergleichen.
Die griechische Windrose nach Strabo (A*) ist zur Erörterung beigegeben.
B. Ist die volle Windrose nach dem Atlas der Universität; sie hat
häufig Doppelnamen der einzelnen Winde und gehört auch dadurch zu
den reicheren Quellen.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wis8. X. Bd. I. Abth. 40
288
C. Ist eine kosmische Tafel aus dem Codex Tegernseensis 628,
jetzt Cod. lat. Mouac. 18628, dem 10. Jahrhundert angehörig. Ihr
Alter nicht bloss, sondern auch die Beifügung der althochdeutschen
Namen der Winde macht sie für den Vergleich besonders geschickt
und werthvoll.
Ihre Existenz verdankt sie muthmasslich der Stelle des im Cod.
enthaltenen Sedulius (Opus paschale 5, 188 — 195):
neue quis ignoret speciem crucis esse colendam
quae dominum portauit ouans, ratione potenti
quattuor inde piagas quadrati colliget orbis.
splendidus auctoris de uertice fulget eous.
occiduo sacrae lambuntur sydere plantae.
arcton dextra tenet. medium leua erigit axem.
cunctaque de membris uiuit natura creantis
et cruce complexum Christus regit undique mundum
und dem dazu gehörigen Scholion: Cruce sua dominus continet totum
mundum. sicut ipse dixit. Cum exaltatus fuero a terra omnia traham
ad me ipsum. Positus ergo in cruce dominus uertice tenuit orientem.
pedibus occidentem. dextera septentrionem. leua meridiem. hae sunt
quattuor partes mundi quae grece ita uocantur
ORIENS. OCCIDENS. SEPTENTRIO. MERIDIES.
ANATHOLE. DISIS. ARCTOS. MESIMBRIA.
289
A.
(Nord.)
Tramontana. Tremuntana.
(Nordwest.) (Nordost.)
Maistro. Mestral. Greco. Grech.
(West.) (Ost.)
Ponente. Ponent. Levante. Lleuant,
(Südwest ) (Südost.)
Garbin. Llebeych. Siroccho. Seloch.
(Süd.)
Ostro. Myorn.
A.*
BoQs'ag [Septem ti'io]
jtQYe'aTTjg [Caurus] Kaixiag [Aquilo]
Ze(pvQog [Favonius] "AnrjkKüxt^g [Solanus]
Ahp [Africus] Evqog [Eurus]
TioTog [Auster].
B.
Septemtrio vel Aparctias.
Circius vel Resias. Aquilo vel Boreas.
Caurus. Corus vel Lapixsi. ' Cecias. Apeliotes.
Vigestes.
Favonius vel Zephirus. Subsolanus.
Affricus vel Libus. Vulturnus. Eurus.
Libonotus. Euro-Auster. Euro-Notus.
Auster vel Notus.
40*
290
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OSTANNORD.
OSTANUUINT.
OSTANSUNDAN.
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Die
Tesserae gladiatoriae
der Römer.
Von
Friedrich Ritschl.
M^it drei litliograpliirten Tafeln.
Abh. d. I. Gl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. II. Abth. 4 1
Die
Tesserae gladiatoriae
der Römer.
Von Friedrich Bitschl.
Mit drei lithographirten Tafeln.
I.
Unter den mehrfachen Arten von 'tesserae', die im Alterthum üblich
waren und aus ihm auf uns gekommen sind, haben von jeher eine
besondere Aufmerksamkeit diejenigen auf sich gezogen, welche man
sich seit lange gewöhnt hat als 'tesserae gladiatoriae' zu bezeichnen.
Es sind diess bekanntlich jene kleinen vierseitigen, der Figur eines
Parallelepipedon nahe kommenden Stäbchen von Knochen oder Elfenbein,^)
welche am vordem Ende mit einem verschiedentlich gestalteten, zugleich
durchbohrten Knopf zum Anbinden oder Aufhängen versehen, auf jeder
Langseite eine Schriftzeile führen : auf den zwei ersten in der Regel
die Namen eines Sklaven und seines Herrn, nur einigemal eines Freien;
auf der dritten nach der Sigle SP, die sehr selten variirt erscheint,
die Angabe eines Monatstages; auf der vierten in abgekürzten Namen
eine Consulatsbezeichnung. Allmählig durch neue Funde bis zu einer
Zahl von 60 — 70 für acht gehaltenen Stücken angewachsen, erstrecken
sie sich von den Zeiten des ersten Mithridatischen Krieges oder genauer
vom Tode des Marius und Cinna über einen mehr als anderthalbhundert-
jährigen Zeitraum bis in die Regierung defe Vespasian hinein, wo sie
1) Ein einziges Mal wird Hirschhorn als Material erwähnt, aber zweifelhaft; s. u. die An-
merkung zu n. 12.
41*
294
ebenso plötzlicli abbrechen, wie sie in der Sullanischen Periode zuerst
auftauchen. Kein Wunder dass sie, bei dem entschiedenen chronologi-
schen Interesse das sie darbieten, sowie bei der {läthselhaftigkeit ihrer
Bestimmung, seit mehrern Jahrhunderten eben so sehr Gegenstand der
wissenschaftlichen Erörterung wie der dilettantischen Liebhaberei gewor-
den sind , ebendarum aber auch der litterarischen oder industriellen
Fälschung.
Nach vereinzelten Publicationen und gelegentlichen Besprechungen
früherer Zeiten, und den dürftigen Anfängen einer' Zusammenstellung
wie sie schon Manutius, Gruter, Reinesius, Fabretti versuchten, war es
erst in unsern Tagen, dass demente Cardinali eine umfassendere,
auf Vollständigkeit ausgehende Sammlung unternahm, und zwar zweimal.
Zuerst 1824 in seiner 'Dissertazione intorno alcune tessere gladiatorie
inedite', gedruckt in den 'Memorie Romane di antichitä e di belle arti*
Bd. II (Roma 1825) S. 129 — 152, wo er 37 Stück zusammenbrachte
(mit einem Nachtrag in Bd. III S. 69. 77), auch die ersten Schritte
zur Ausscheidung muthmasslich unächter that. In beiden Beziehungen
führten den Gegenstand weiter Giovanni Labus in den Zusätzen zu
dem von ihm veröffentlichten Aufsatze S. A. Morcelli's : 'Delle tessere
degli spettacoli romani' (Milano 1827) S. 47 — 52, und Graf Borghesi
in der Abhandlung 'Sopra due tessere gladiatorie consolari scoperte
ultimameute in Roma', die im 54. Bde des 'Giornale arcadico di scienze,
lettere, ed arti' (Roma 1832) S. 66 — 98 erschien und demnächst im
zweiten Bande der durch kaiserliche Munificenz bewirkten Gesammt-
ausgabe der Borghesischen Werke wieder erscheinen wird. Auf diese
Materialien sowohl als kritischen Entscheidungen gestützt veranstaltete
sodann Cardinali seine zweite, ansehnlich vermehrte Sammlung in den
zu Velletri 1835 herausgegebenen 'Diplomi imperial^, in denen sie von
S. 121 bis 124 einen eigenen Excurs bildet, welcher 57 ächte und 27
gefälschte oder der Fälschung verdächtige Stücke aufzählt. Was seitdem
von einzelnen Entdeckungen hinzukam , pflegte regelmässig in den
Schriften des archäologischen Instituts in Rom zur öffentlichen Kunde
zu gelangen und besprochen zu werden: durch Cavedoni Bull. 1834
S. 231 und 1835 S. 205; Labus ebend. 1835 S. 107; Capranesi
€bend. S. 44; Borghesi ebend. 1842 S. 31 und Annal. 1850 S. 358;
295
besonders aber durch Henzen, hauptsächlich Ann. 1848 S. 287 (womit sich
die Pubhcationen von Roulez in den 'Bulletins de l'acad. des sciences
et belles lettres de Bruxelles' 1841 t. VIII, 1 S. 98 decken), sodann
Ann. 1856 S. 45; 1859 S. 5, desgleichen Bull. 1860 S. 173 und 1862
S. 81. Nach diesen Vorarbeiten hat die jüngste, zugleich vollständigste
und genaueste Zusammenstellung des gesammten Materials, welche Th.
Mommsen im ersten Bande des 'Corpus inscriptionum Latinarum'
S. 195 — 201 (nebst den Nachträgen der 'Addenda' S. 560) gegeben, die
Gesammtzahl der für acht zu haltenden Tesserae auf 62 festgestellt,
während zugleich die wohlthätige Schärfe seiner negativen Kritik etwa
30 als 'suspectae et falsae' ausgeschieden hat, unter ihnen natürlich
auch die lange Reihe völlig abgeschmackter Fictionen^, die schon Bor-
ghesi mit Einem Wort beseitigt hatte. Dass diese Kritik in mehrern
Fällen (obenan bei n. 757, 758) sogar noch schärfer hätte durchschnei-
den sollen, wird sich später ergeben.
Die werthvollste Bereicherung, die das vorher bekannte Material
hier erhalten hat, besteht unstreitig in der Auffindung einer, wenngleich
nur handschriftlich überlieferten Tessera von Arelate (n. 776"^), die zu
den zwei bis dahin allein bekannten municipalen Tesseren aus der Um-
gegend von Parma und von Mutina als dritte hinzugekommen ist,
während alle übrigen ohne Ausnahme römische, darum auch (so weit
wir darüber unterrichtet sind) in oder bei Rom gefunden sind. Offen-
bar ist sie aber zu Mommsen's Kenntniss erst gekommen , als seine
Bearbeitung der übrigen Tesseren schon abgeschlossen war; sonst hätte
er schwerlich unterlassen von ihr diejenige Anwendung zu machen,
durch welche die ganze alte Streitfrage über die eigentliche Bedeutung
und Bestimmung dieser Tesseren endgültig entschieden wird.
Bekanntlich war man in dieser Beziehung seit geraumer Zeit, laut
oder stillschweigend, übereingekommen, die Abkürzung SP als ^Pectatus
zu verstehen und auf das öffentliche Auftreten des auf der Tessera
genannten Individuums in bestimmten Gladiatorenspielen zu beziehen:
eine Auffassung, die zuerst,, wie es scheint, von Fulvius ürsinus (bei
Andr. Schott 'Nodi Cicer.' II, 6) aufgestellt, nach andern von Gasp. AI.
Oderici in den 'Dissertationes et adnot. in aliquot ineditas veteruin
inscriptiones et numismata' (Romae 1765) S. 185 getheilt, weiterhin von
2JH";
Amati im 'Giornale arcadico' Bd. 32 (1826) S. 105 empfohlen, neuer-
dings vornehmlich durch Labus neubegründet und in Umlauf gesetzt
ward, zuerst in den Zusätzen zu Morcelli (1827), sodann zum zweiten
und dritten Mal im 'Bullettino dell' Inst, archeol.' 1835 S. 107 ff. und
in der Vorrede zu Visconti' s 'Monumenti Gabini della villa Pinciana'
(Milano 1835) S. VI ff. Dazu gab in jüngster Zeit seine Zustimmung
am ausdrücklichsten Furlanetto in 'Antiche lapidi Patavine' (Päd. 1847)
S. 121 ff. Dieser Auffassung ist jetzt Mommsen entgegengetreten:
nicht als wenn er sie schlechthin verwürfe, aber doch insoweit, dass
er sie für unbewiesen erklärt und sehr bestimmte Bedenken gegen sie
geltend macht, für die er keine genügende Lösung sieht : daher er, auch
den Namen 'tesserae gladiatoriae' ganz beseitigt und dafür die nichts
präjudicirende Bezeichnung 'tesserae consulares' eingeführt hat. Und
seine Gründe scheinen wenigstens für Henzen ganz überzeugend gewesen
zu sein, wie man aus dessen Aeusserungen im Bullett. dell' Inst. 1862
S. 81 f. um so deutlicher erkennt, je vertrauensvoller er sich früher in
seiner gelehrten 'Explicatio musivi in villa Burghesiana asservati' (in
'Dissertazioni della pontificia accad. Rom. di archeol.' Bd. 12, 1852)
S. 104 der alten Erklärung angeschlossen hatte. Wenn es nun unstreitig
ein Verdienst ist^ Zweifel zu erheben gegen traditionelle Meinungen
denen die rechte Begründung fehlt, so wird es anderseits nicht für un-
verdienstlich gelten , solche Zweifel zu heben und eine herkömmliche
Vorstellung mit neuen Beweismitteln in ihr Recht einzusetzen: wie diess
die Absicht der folgenden Blätter ist.
Um diess in zugleich einleuchtender und anschaulicher Weise thun
zu können, habe ich erstens eine übersichtliche Zusammenstellung
aller bisher bekannt gewordenen Tesseren für zweckdienlich gehalten,
wie sie die nachfolgende Tabelle gibt; und zweitens die möglichst
vollständige Facsimilirung der Originale bewirken zu sollen geglaubt,
wie sie auf den drei beigefügten Tafeln erscheint.
In die Tabelle sind, aus Nützlichkeitsgründen , ausser den ächten
Stücken sogleich auch diejenigen aufgenommen, welche sich nur über-
haupt, vermöge einer irgend verständlichen Jahresdatirung, in die chro-
nologische Reihenfolge einordnen Hessen , jedoch so , dass die von
erweislicher Unächtheit mit f, alle irgendwie zweifelhaften oder ange-
297
zweifelten mit * bezeichnet sind. Wobei ich nicht verhehlen will, dass
mir, nach subjectiver Empfindung, die Asterisken so ziemlich alle für
Kreuze gelten. — In der ersten Columne ist zur leichtern Orientirung
die Mommsen'sche Nuraerirung in Klammern beigesetzt, in der zweiten
die Nachweisung der facsimilirten Nachbildungen gegeben. ,
Was diese Nachbildungen betrifft, so enthalten Tafel I und II bis-
her noch nicht facsimilirte Stücke; auf Tafel III habe^ich mich aus
bewegenden Gründen nachträglich entschlossen auch alle diejenigen zu
wiederholen , welche bereits in den 'Priscae Latinitatis monumenta
epigraphica auf Taf. III und Taf. XCVII (Enarr. p. 91. 92) gegeben
waren, für die ich demnach hier eine Vergleichungstabelle folgen lasse. ^)
Taf. in ^ = Monum. III H
B =
XCVII H
C =
XCVII J
D -
III J
E =
III K
F =
m u
G =
III Jf
H -
III 0
J -
III R
Taf. III K =
Monum. IE P
L =
III W
M =
III N
N =
„ m L
0 =
„ XCVII L
P =
ni Q
Q =
„ XCVII K
R =
„ XCVII M
S =
III S
Es sind jedoch diese sämmtlichen Stücke keineswegs nach den früheren
Lithographien wiederholt, sondern durchgängig nach den noch in meinen
Händen befindlichen Original-Zeichnungen oder Abdrücken, zu einem
ansehnlichen Theile auch nach neuerdings erhaltenen Mittheilungen neu
gezeichnet worden. Sehr sorgfältige Zeichnungen sämmtlicher im 'Cabinet
des medailles et antiques' befindlichen Stücke verdanke ich der ent-
gegenkommenden Güte des Herrn Ernest Desjardins in Paris. Wie
bei diesen, so bin ich auch bei den römischen, den Florentiner und den
Neapolitaner Tesseren durch die gefällige Vermittelung der Herren
Heinrich Brunn und Wolfgang Heibig, August Reifferscheid und
1) Nur n. 30 ^ Mon. III T ist wegen besonderer Rücksichten schon auf Taf. I N gesetzt
worden: so wie anderseits die eigentlich auf Taf. II gehörige n. 4ü aus Noth ans Ende
von Taf. III kommen musste, weil zu deren Abdruck und Zeichnung erst sehr spät, nach
langen und hingebenden Bemühungen Dr. Helbig's, von den Hütern des Collegio Romano
die Erlaubniss zu erlangen war.
2i>8
Fra«z Umpfenbach, sowie Giulio Minervini, in den Stand gesetzt
worden, jetzt die genauen Umrisse der K()pfe hinzuzufügen, mit denen
die Originale versehen sind; wenn dieselben in früheren Mittheilungen
als für epigraphische Zwecke unwesentlich meist ganz bei Seite gelassen
waren, so gewannen sie doch für mich im Laufe der Untersuchung eine
gewisse Bedeutung unter einem Gesichtspunkte, von dem zu n. 33 die
Rede sein wird.
Zu den hier zum zweitenmal erscheinenden 19 Facsimile's sind
nun auf Tafel I und II zunächst 23 neue unter A bis Z hinzugekommen.
Vermehren sie auch das urkundliche Material, das bis jetzt zu Gebote
stand, nur um zwei früher gar nicht bekannte und ein erst halb be-
kanntes Stück (n. (5. 31.23), so wird doch der Werth auch der übrigen
für Berichtigung oder Sicherung bisheriger Lesungen, für die paläo-
graphische Würdigung, sowie für verschiedene andere Punkte aus den
nachfolgenden Erörterungen genugsam hervorgehen. Ihnen reiht sich
sodann auf Taf. II unter a bis g noch eine kleine Zahl ausgemachter
Fälschungen an, um auch von diesen ein anschauliches Bild vor Augen
zu stellen. — Der beste Theil dieses ganzen Zuwachses, nämlich n. 1.
4. 9. 10. 23. 27. 41. 52, ausserdem noch 72. 73. 74, betrifft Originale
des British Museum in London, von denen ich vortrefiPliche Kautschuk-
Abdrucke, durch die Vermittelung meines Freundes Dr. Walter Perry,
den überaus gütigen Bemühungen des Herrn William Forsjth, Queens
Counsel, und der preiswürdigen Liberalität der Vorsteher des Museums
verdanke. Andere Wohlthäter, die mich durch Mittheilung einzelner
Stücke oder belehrende Auskunft verpflichtet haben , werden bei der
Ein/elbesprechung mit geziemendem Danke zu nennen sein. — Als Er-
satz für verschollene oder durchaus unerreichbare Originale habe ich
die Wiederholung älterer Stiche aus gedruckten Werken nicht ver-
schmäht; so roh sie auch grösstentheils sind und so augenscheinlich
ungenügend in Absicht auf paläographische Treue, so lässt sich doch
immet-hin Einiges aus ihnen lernen oder schliessen. Auf solche Quellen,
die sicli zuerst bei Mommsen vollständig benutzt finden , deuten die
unter die bezüglichen Stücke gesetzten Namenschiffern, nämlich:
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Sad. — Dialoghi di Don Antonio Agostini intorno alle medaglie in-
scrittioni et altre antichitä tradotti da Dion. Ott. Sada. Roma
1592. fol. — p. 71 [n. 5. 8. 34].
Pign, = Laur. Pignorii de servis commentarius. Aug. Vindel. 1613.
4. — p. 162 [n. 71^].
Tom. = De tesseris hospitalitatis liber singularis auctore lac. Phil.
Tomasino. Vtini 1647. 4. — p. 72 [n. 46. 76. vgl. zu 41]. —
Die Ausgabe Amstelod. 1670. 12 wiederholt p. 115 auch die
Stücke des Sada.
Crua. = Musei Capitolini antiquae inscriptiones a Franc. Eug. Guasco
editae. Romae 1775 sq. fol. — t. II p. 67 [n. 70].
Anderer Bücher, in denen sich noch gestochene Nachbildungen
finden und deren an ihrem Orte Erwähnung zu thun sein wird (s. be-
sonders zu n. 41), bedurfte ich für diesen Zweck nicht, da mir für
die daselbst gegebenen Stücke die Originale zugänglich waren.
II.
Die nachstehenden Bemerkungen zu einzelnen Nummern der
mitgetheilten Tabelle beschränken sich, neben der Erläuterung der Fac-
simile's, lediglich auf Ergänzung oder Berichtigung des Mommsen'schen
Textes, dessen litterarische Nachweisungen, die ein wesentliches Verdienst
seiner Bearbeitung bilden , überall vorausgesetzt werden. Wenn es
einigemal der Zusammenhang der Erörterung unvermeidlich macht,
die Beziehung unserer Tesseren auf die Gladiatur als schon bewiesen
vorauszusetzen, so wird das die spätere Darlegung zu rechtfertigen haben.
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. II. Abth.
42
300
1 (717) = Taf. I A. A. W. Zumpt sah diese Tessera des Britisclien
Museums in zwei Stücken, die er aber für Theile verschiedener Tesseren
hielt und unvollständig copirte. Das Facsimile zeigt, dass und wie sie
der Länge nach in zwei Hälften zerbrochen war, die offenbar jetzt
wieder zu einem Ganzen zusammengefügt sind. Ganz derselbe Fall
scheint es, nach Ausweis des Abdrucks und des Facsimile's, mit n. 10
zu sein : während wir es bei n. 9 und 23 nur mit Rissen der Ober-
fläche zu thun haben, die sich bei Knochen oder Elfenbein so leicht
einstellen. — In paläographischer Beziehung verdient hervorgehoben zu
werden, dass sich in dieser Klasse von Monumenten der Gebrauch des
quadratischen (oder fast quadratischen) P in einer Anzahl von Fällen
weit über die Zeitgrenze hinaus, wo es sonst allgemein verschwindet,
wie traditionell forterhalten hat, vermuthlich mit darum, weil es be-
quemer zu schneiden war als das gerundete P. Wie hier, so n. 4. 5:
8. 9. 11, 23, 34, und mit zum Theil auffallendem Wechsel beider For-
men n. 6. 10. 17, 21: also noch im 8ten Jahrhundert, Auch die eigen-
thümliche Figur des jsj , in der die zweite Verticallinie beträchtlich
höher reicht als die linke, ist bemerkenswerth ; sie kehrt wieder n. 4,
wo sie Zumpt miss verständlich für eine Ligatur von NX (wie in n. 13)
nahm, desgleichen n, 2, 9. 11, 15. 23, — Der Sklaveuname COCERO
übrigens, der jeder Ableitung aus dem Griechischen oder Lateinischen
spottet, wird eben darum ausländischen Ursprungs sein, obwohl er nicht
eben barbarisch klingt. Einen bestimmtem Anhaltpunkt findet mein
sprachenkundiger College Gildemeister in keiner bekannten Sprache;
am unwahrscheinlichsten wäre nach ihm eine Herkunft aus dem Semi-
tischen, also auch Punischen, woran jemand dachte.
t 3 (p, 560'') = Taf, III B. Diese Tessera des 'Cabinet des medailles
et antiques' zu Paris wurde Enarr, S, 90 als unächt bezeichnet in Be-
tracht ihres Materials, weil sie allein unter allen übrigen nicht von
Knochen oder Elfenbein, sondern von Metall sei; doch wurde daneben
der Möglichkeit Raum gelassen, dass es die moderne Copie eines alten
Stücks sein könne. Denn dass überhaupt solche Copien, wenn auch
zunächst ebenfalls in Knochen oder Elfenbein , von ächten Originalen
mehrfach gemacht worden sind, ist eine Thatsache, die durch n. 15,
18 und 34 (vgl, zu n, 41) bewiesen wird. Jene Möglichkeit aber kann
301
ein nicht unbedeutendes Gewicht dadurch zu gewinnen scheinen, dass
sich in einer andern Pariser Sammlung, im Kabinet des Herrn Brunet
de Presle, zwei gleichfalls metallene Tesseren vorfinden, deren eine
mit dieser des HERMETVS identisch und nur ein zweites Exemplar ^)
ist, die andere aber, unter n. 6 hier zum erstenmal publicirt, in ihrer
ganzen Fassung und unter jedem sonstigen Gesichtspunkte so durchaus
normal erscheint, dass gegen die innere Aechtheit kein noch so leises
Bedenken aufgebracht werden kann. Ich vejrdanke ihre Kenntniss, nebst
sorgfältigen Papierabdrücken, der zuvorkommenden Güte des Herrn
Emil Egger, dessen brieflichem Berichte ich das Folgende entnehme.
Erworben habe sie der jetzige Besitzer aus dem Nachlass 'Oberlins': je-
doch nicht etwa des alten Strassburger Professors J. J. Oberlin, der
1806 starb, sondern eines Enkels von ihm, der um 1831 oder 1832 in
Paris starb. '^) Und zwar zugleich mit einer ebenfalls bronzenen Copie
eines 'römischen Fusses', der doch schwerlich das Produkt eines frei-
schaffenden Fälschers war. Auf angefügten Etiketten aber werden sie
als 'Copien von Originalen' bezeichnet, welche letztere sich im Besitz
des Abbe de Tersan befanden. Dieser bekannte Antiquar, Liebhaber
und Sammler von Kunstgegenständen und Alterthümern, Charles Philippe
Campion de Tersan, hinterliess bei seinem Tode 1819 eine reiche Samm-
lung, die in demselben Jahre zur öffentlichen Versteigerung kam auf
Grund eines gedruckten 'Catalogue des objets d'antiquites et de curiosites
1) Doubletten im strengsten Sinne sind es nur insofern nicht, als die Schrift doch kleine
Verschiedenheiten zeigt, tlieils in der Gestalt der Buchstaben , theils in der Interpunktion,
die im Brunet'schen Exemplar hinzutritt zwischen D und IVNIVS, nach SPECT, zwischen
Q und CAT, vielleicht auch zwischen LEPID und Q (denn der mir vorliegende Papier-
abdruck ist hier nicht scharf genug). An Abgüsse aus zwei verschiedenen P'ormen braucht
man darum doch nicht zu denken, da ja die Schrift auf die glatt gegossenen Stücke kann
hinterher aus freier Hand eingravirt sein. Auch das Brunet'sche Exemplar nach dem Papier-
abdruck nochmals besonders zu facsimiliren schien mir nicht der Mühe werth.
2) Da dieser, wie mir hinzugefügt wird, bei seinem Tode erst zwanzig Jahre alt war, so wird
es sein um 1829 als Vierzigjähriger gestorbener Vater sein, der die Copien der Tersan'schen
Stücke erwarb. Beide, sowohl der Sohn als der Enkel des alten Oberlin waren 'employea
au cabinet des medailles'. — Es läge nahe anzunehmen, dass es geradezu die (möglicher
Weise nur bronzenen) Tersan'schen Stücke selbst waren, welche der mittlere Oberlin bei
der Versteigerung 1819 an sich gebracht hätte, wenn es nicht eben in Herrn Egger's
Bericht ausdrücklich hiesse: j'ai sous les yeux les copies en bronze de deux tesseres dont
l'original, suivant une note attachee ä chacun de ces petits bronzes, appartenait ä
' l'abbe de Tersan.'
42*
302
laissees par — ': s. den Artikel der Biographie universelle anc. et mod.
Bd. 45 S. 195. In diesem Katalog finden sich nun zwar die beiden
Tesseren nicht speciell verzeichnet; darauf ist indessen ein Gewicht
darum nicht zu legen, weil es überhaupt nur ein sehr summarisch ge-
machtes Verzeichniss ist, worin häufig unter einer Nummer eine Anzahl
verschiedener, nicht namentlich aufgeführter Gegenstände mit etc. zu-
sammengefasst sind und so namentlich auch unter n. 219 der 'pied
romain' mit einem solchen nachfolgenden etc. steht. Schade nur, dass
wir eben darum auch nicht erfahren, ob die beiden Tersan'schen Stücke,
als deren Copien die Oberlin'schen bezeichnet werden, von Elfenbein
oder etwa selbst nur von Bronze waren, ^) d. h. Copien der, wir wissen
nicht wo zu suchenden wirklichen Originale. Sei dem aber wie ihm
wolle: da wir auch Elfenbein-Tesseren genug haben, die ganz und gar
fingirt sind, so sind wir in keinem Falle behindert, auch unsere Stücke
lediglich nach Innern Kriterien der Aechtheit oder Unächtheit zu wür-
digen. — Da tritt uns denn, was die Hermetus-Tessera betrifft, zunächst
die Abkürzung SPECT statt des normalen SP entgegen, die für Mommsen
durchgängig als kaum trügliches Zeichen der Fälschung gegolten hat.
An sich ist nun allerdings nicht zu leugnen, dass wenn SP wirklich
^^ectatus bedeutete, dieses Wort auch ein und das andere Mal anders
als gewöhnlich abgekürzt werden konnte , da ja bekanntlich in diesem
Punkte die Römer im Allgemeinen äusserst lässlich waren. Und
dieses um so mehr, als in der That in einem Beispiel die ebenfalls
abweichende Abkürzung SPE (in n. 26) nicht zu bezweifeln ist ; vollends
aber seitdem durch die merkwürdige Tessera von Arles (n. 12) auch
ein SPECTAT zum Vorschein gekommen ist. Aber dennoch: jener all-
gemeinen Lässlichkeit hält doch auch wieder, gerade bei den Römern,
eine merkwürdige Zähigkeit das Gegenwicht, mit der sich in einem be-
sondern Kreise der Kunstübung ein Traditionelles und Individuelles so
unverändert fortpflanzt, als wenn es unter einem besondern schützenden
1) In diesem Falle könnte sehr wohl das jetzt im Cabinet des medailles befindliche Exemplar
der Hermetus-Tessera eben das Tersan'sche sein, während die Pilodamus-Tessera beim Ver-
kauf der Tersan'schen Sammlung nicht gleichzeitig miterworben worden wäre. Voraus-
gesetzt nämlich, dass die erstere nicht etwa schon vor 1819 im Besitz des Cabinet des
medailles war, in welchem Falle wir die Existenz drei verschiedener Exemplare anzuer-
kennen hätten.
3oa
Banne stände. Kannten wir ein einziges Stück mit SPECT, welches
übrigens keinerlei Verdaclitsgrund darböte, so würden, ja müssten wir
uns beruhigen; aber dass im Gegentheil von den einzigen drei Nummern,
welche ausser der unsrigen jene Abkürzung noch haben, die eine (38)
entschieden falsch ist, die beiden andern (5, 32) anderweitige Unregel-
mässigkeiten aufzeigen, die bei keinem einzigen der unzweifelhaft ächten
Stücke wiederkehren, das ist ein zu verftingiiches Zusammentreffen, als
dass man sich bedeutender Skrupel erwehren könnte und nicht vielmehr
der Vermuthung Raum geben sollte, SPECT stamme erst aus der Zeit,
in der die Antiquare in dem Begriff spectatus (oder auch, wenngleich
thörichter Weise, spectavit) die Auflösung der Sigle SP gefunden hatten. —
Für unsere Tessera bedürfen wir übrigens solcher Wahrscheinlichkeits-
berechnungen gar nicht, um ihre ünächtheit einzusehen. Zwar das
Bedenken, welches die Namensform Hermetus hervorruft^ werden wir
darangeben müssen. Es ist wahr, sie fügt sich keiner sprachlichen
Analogie und weist jede normale Ableitung von sich ; aber wie wir
uns bei römischen Cognomina, namentlich von Sklaven, schon an man-
ches haben gewöhnen müssen, dessen ratio räthselhaft bleibt, so wird
in der That auch Hermetus durch einen P • STATIVS • HERMETVS bei
Orelli n.4453 sicher gestellt, wozu noch bestätigend VIREIO- HERMETIONE
ebend. 2325 kömmt: zwei Belege, auf die mich K. Keil's freundliche
Mittheilung aufmerksam gemacht hat. — Aber, was die Hauptsache ist,
der ganze D. lunius Hermetus ist unzulässig. Es könnte natürlich nur
ein Freigelassener sein. Dass kein L (ibertus) nachfolgt, hätte zwar nichts
zu sagen; denn auch das '^[ervus) ist nur dreimal (n. 12. 26. 35) hin-
zugefügt, sonst regelmässig weggelassen.^) Aber dass ein Nichtsklav —
gleichviel ob ingenuus oder libertus — als Gladiator aufgetreten, wäre
für jene Epoche der Republik etwas schlechthin Unerhörtes. Dass es
in den Kaiserzeiten nicht nur vorkam, sondern sogar gewöhnlich wurde,
1) Labus' Gedanke, dieses S für SecMtor zn nehmen (Bull. 1835 S. 107), ist entschieden unzu-
lässig. Ist auch die Möglichkeit der Sigle zuzugeben nach den Beispielen bei Kellermann
Vigil. S. 22, wozu ein S kömmt aus I. R. N. 2847, so waren ja doch die secutores nur eine
Species des genus gladiatorium ; wie sollte es also zugehen, dass auf einer so grossen An-
zahl von Tesseren gerade nur diese eine Species, niemals z. B. retiarii oder mirmillones
oder Tlircces u. s. w. erwähnt würden? Und wie soll man dann vollends die Ueberzahl der-
jenigen fassen, die gar keinen Zusatz zum Genitiv haben?
304
wissen wir durch zahlreiche Zeugnisse, die nach Lipsius Saturnal. II, 3
am vollständigsten von C. Friedländer im Rhein. Mus. 10, S. 552 ff.
zusammengestellt sind. In unsern Tesseren findet sich das älteste Bei-
spiel im J. 740 (n. 37); ausserdem nur noch vier andere (n. 40. 42.
49. 63) aus den Jahren 747. 752. 760 und der Regierung des Claudius.
Allerdings wird uns von Sueton Caes. 39 und Dio 43, 23 berichtet,
dass schon bei C. Julius Cäsars vierfachen Triumphzügen (708) römische
Ritter, nach Sueton selbst ein gewesener Senator, als Gladiatoren auf-
traten ; aber abgesehen von der ganzen Ausnahmestellung dieses Anlasses
machen auch die drei Jahrzehnte seit dem Tode des Sulla in der römi-
schen Sittengeschichte einen gewaltigen Unterschied. Noch weniger
beweist der brutale Zwang , den einem römischen Bürger Fadius der
Quästor Baibus anthat nach dem Bericht des Asinius Pollio (vom J. 711)
in Cicero's Briefen ad fam. 10, 32. Ganz ungehörig aber ist es, wenn
Labus (zu Morc. S. 50) hier die Spiele einmischt, die Scipio im J. 548
in Spanien gab, bei denen nach Livius 28, 21 freie Eingeborne frei-
willig auftraten. — Schliesslich ist es der Beachtung nicht unwerth,
dass auch in der äussern Form unsere Tessera von allen übrigen da-
durch abweicht, dass sie als Griff nicht den gewöhnlichen Knopf, son-
dern einen durchbohrten Ring hat, zugleich aber als Abschluss des
andern Endes nicht den gewöhnlichen, nur durch eine Abtheilungslinie
bezeichneten Streifen, sondern einen fast in Knopfform gestalteten An-
satz, was ähnlich nur bei dem allerjüngsten Stück n. 67, zur Carricatur
gesteigert bei den Fälschungen n. 70. 76 wiederkehrt. Ein entschei-
dendes Gewicht ist diesen Aeusserlichkeiten im gegebenen Falle nur
darum nicht beizulegen, weil, auch bei sonst treuer Nachbildung eines
ächten Stücks, doch die Verzierungen leicht konnten als unwesentlich
betrachtet und mit Freiheit behandelt werden. Wie es sich in dieser
Beziehung mit dem Brunet'schen Exemplar verhält, ist leider aus dem
Papierabdruck nicht zu ersehen.
*5 (p. 200*) = Taf. I C. Wenn eine unter den von Mommsen
verurtheilten Tesseren bis zu einem gewissen Grade eine Vertheidigung
zulässt, so ist es diese. Gewiss ist, dass die meisten von ihm vorge-
brachten Einwürfe, für sich genommen, keine ausreichende Beweiskraft
haben. Dass die drei nexus litterarum PH, AM und TE 'contra usum
305
huius aetatis admissi' seien, ist jedenfalls zu viel gesagt, da dergleichen
schon um die Mitte des 7. Jahrhunderts, namentlich in den Campanischen
Inschriften, in ziemlicher Anzahl auftreten: vgl. P, L. M. enarr. S. 55,
Aber auch in dem engern Kreise dieser Tesseren selbst haben sie nichts
Bedenkliches, da nicht nur 10 Jahre später, in der municipalen Tessera
n. 12, vier solche Ligaturen (AN zweimal, VL, und eine später zu be-
sprechende) auf einmal vorkommen, sondern auch schon 7 Jahre vorher
in der römischen n. 2 ebenfalls zwei (MA und ET), Weiter: sowohl
der Sklavenname PHILODAMms als der des Herrn DOSSEm sind freilich
nicht ausgeschrieben, während die volle Form das Gewöhnliche ist. In-
dessen finden wir doch auch n. 12 ANCHIAL, n. 28 PHILOGEN, n. 35
MVMMEIAN: um von METEL in n, 32 zu schweigen. Wollte ferner
jemand Anstoss nehmen an dem aspirirten PH, so wäre zu erwidern,
dass die Nichtaspiration auf diesen Tesseren sich zwar noch bis zum
J. 707 fortsetzt (PILODAMVS n. 6. 9. 22, PILOTIMVS n. 7, PILARGVRVS
n. 8, AESCINVS n. 11, ANTIOCVS n. 13. 23, TEOPROPVs n. 21), dass
aber doch, ganz in Uebereinstimmung mit dem längst anderweitig Er-
mittelten, in demselben Zeitraum daneben auch schon ANCHIALms n, 12,
PHILARGVRVs n. 17, ELEVTHERVS n. 18, PHILEMO n, 24, PAM-
PHILVS n, 26 u. s. w. auftritt. So bleiben uns nur zwei wirkliche
Verdachtsgründe übrig, deren jeder für sich allein sehr bedingte Ent-
scheidungskraft hätte , die aber in ihrer Gemeinschaft , wie schon zu
n. 3 hervorgehoben wurde, allerdings stutzig machen müssen. Der eine
beruht auf der dort bereits besprochenen Abkürzung SPECT ; der andere
auf der ungewöhnlichen Reihenfolge sowohl als Vertheilung der Zeilen,
welche diese ist:
PHILODAM •
DOSSE
A
•D-X-K
•NOV
SPECT
M-
TEREN •
C-CAS
statt dass die Regel erforderte : PElLOBAMus | DOSSEm | SP • A • D •
X • K • NOV I M • TEREN • C • CAS. Zwar dass hier Sklaven- und Herren-
name in eine Zeile zusammengedrängt sind, statt auf zwei vertheilt zu
300
sein, das lässt sich, obgleich es sonst nur auf fünf gefälschten oder
verdächtigen (n. 32. 38. 56. 70. 71) wiederkehrt, doch theils durch
n. 12 (s. u.) theils durch die noch viel auffiillendere, sogar mit Wort-
brechung verbundene Abtheilung der ächten n. 35 (von Mutina) ver-
theidigen :
LEPIDVS • MVMME
lAN
S • SP
M • I V N
C • 8 E N T I( ) • C 0 S
während doch hier die regelmässige Anordnung LEPIDVS MVMMEIAN
• S I SP • M • IVN I C • SENTIO • COS eben so bequem wie natürlich war.
Waren aber einmal die beiden Namen in derselben Zeile vereinigt, so
war es nur eine Eolge davon, dass, ebenso ungewöhnlicher Weise, das
SPECT eine Zeile für sich einnahm. Hingegen was das Befremdliche
bleibt, ist dieses, dass die Formel SP(ec^) nicht, wie es sonst feste Regel
und zugleich das Natürliche ist, vor dem Monatsdatum und den Jahres-
consuln steht, sondern zwischen beide eingeschoben ist. Auch hier liegt
es ja nahe genug zu sagen, dass doch gar leicht, sei es aus Gleichgül-
tigkeit oder aus Versehen, einmal variirt werden konnte, da in der
That etwas Wesentliches auf die Reihenfolge der Angaben nicht ankam.
Aber nicht so leicht ist zu sagen, wie dann doch der wunderbare Zufall
zu erklären sei, dass in Betreff der Stellung dieses SP eine Abweichung
von der Regel auch nicht ein einzigesmal auf einer der etwa 60 unbe-
stritten ächten, weil in allem Uebrigen vollkommen normalen, Tesse-
ren vorkömmt, sondern nur bei solchen, die entweder durch ihre
Fassung noch ein anderweitiges Bedenken hervorrufen, wie n. 32, oder
sogar sicher gefälscht sind, wie n. 38. Eine Möglichkeit, freilich eine
allzuvage, bliebe nur die, dass das verschollene Original die richtige
Folge der Zeilen gehabt hätte: SPECT | A-D'X-K-NOV, und diese
nur in der Publikation verwechselt wären. Denn dass dergleichen, und
nicht blos in Drucktexten, sondern selbst in Stichen, mehr als einmal
wirklich geschehen, beweisen nicht nur n. 41 und 71 (Tomasini war
307
ein sehr nachlässiger Mann), sondern selbst das Beispiel von Caylus in
n. 56, ja was mehr ist, das von Marini in n. 38. — Um das Resultat
von allen diesen Ueberlegungen zu ziehen, so lässt sich zwar die Un-
ächtheit unserer Tessera nicht strict beweisen, aber eben so wenig, wo
nicht noch weniger, ihre Aechtheit zu einer einigermassen befestigten
Ueberzeugung bringen. Und diess trotz zweier Kriterien, die an sich
der Aechtheit günstig sind. Sie bestehen in der Hinzufügung des A * D •
zum Mouatsdatum und in der Weglassung des COS nach den Consuln-
namen : wovon das erstere nach Mommsen's richtiger Beobachtung in
den Zeiten der Republik regelmässig ist und nun zuerst mit n, 31 im
J. 728 aufhört; das letztere aber, mit alleiniger Ausnahme der Munici-
paltesseren (n. 12. 20), denselben Zeiten der Republik fremd ist und
erst im Kaiserreiche (n. 30 ff.), wenngleich niemals regelmässig, eintritt.
6 (— ) = Taf. I 1):
PILODAMVS
I VNI
SP A D VI ID lA
P LEN CN ORE
Ueber diese der Pariser Privatsammlung des Herrn Brunet de Presle
angehörige Bronze-Tessera, die aber trotz des Materials nicht dem min-
desten Verdachte Raum gibt und darum ohne Zweifel auf ein verlorenes
Original von Elfenbein zurückzuführen ist, ist alles Nöthige bereits zu
n. 3 beigebracht. Auf sie findet in seiner zweiten Hälfte dasjenige
Anwendung, was ich Enarr. S. 90 in Bezug auf n. 3 sagte: 'Quamquam
fieri potest ut vetus archetypum osseum sive falsarius sive ludibundus
faber aere imitatus sit.' — Das gänzliche Fehlen der Interpunktion
kehrt ebenso in den keinerlei Verdachte ausgesetzten n. 10. (34.) und
67 wieder.
8 (721) --= Taf. I K Die durch Sada's Stich bezeugte Buch-
stabenform P wird auch durch Scaliger's Abschrift in dem von Mommsen
im Nachtrag S. 201 (ganz am Ende) erwähnten Cod. Leid. Seal. 32
fol. 3 r. bestätigt, nur dass sie hier in der ersten Zeile als f] erscheint.
Abb. d. I.Cl. d. k.Ak. d. Wiss. X.Bd. II.Abth.
43
308
Dass iu der letzten Zeile GN, wie Sada's Stich gibt, statt CN wirklich
gestanden habe , ist zwar nicht zu verbürgen , auch nicht besonders
wahrscheinlich, aber sehr wohl möglich. Sowohl für GN = CN als für
G — C fehlt es gar nicht an Beispielen, die als individuelle Versuche,
vielleicht auch Ausflüsse einer bewussten Theorie anzusehen sind, die
aus einer altern Periode überkommene Schrift der wirklichen Aussprache
tfnzupassen. Mommsen hat solche Spuren verwischt, wenn er I. L. A.
n. 571. 632, gegen den offenbaren Augenschein in P. L. M. t. 65, 10 und
56, E, in G • BLOSSI und G • SEXTIVS • G • F dreimal ein C substituirte.i)
9. 10 (722. 723) = Taf. I F G. Diese beiden Tesseren mit
der dritten n. 40, welche von Mommsen als 'in museo Hertziano' zu
Liverpool befindlich bezeichnet werden, gehören gegenwärtig dem Briti-
schen Museum an, wo nur die dritte, darum auch hier nicht mit fac-
similirte, augenblicklich nicht aufzufinden war. Die ganze Hertz'sche
Saimnlung wurde nämlich, wie mir Dr. Wilhelm Ihne in Liverpool
(seit Kurzem in Heidelberg wieder der Unsrige) berichtet, von Herrn
Joseph Majer, einem Liverpooler Silberschmied und Kunstsammler , in
London angekauft, bald nachher aber wieder verkauft, bei welcher
Gelegenheit 'die drei tesserae gladiatoriae vom Britischen Museum er-
worben wurden.' Dass diess seit 1857 geschah, geht aus dem namen-
reichen Titel des gedruckten Katalogs hervor: 'Catalogue of the Collec-
tion of Assyrian, Babylonian, Greek, Etruscan, Roman, Indian, Peruvian,
and Mexican Antiquities, foi-med by B. Hertz. Now in the possession
of Jos. Mayer. Liverpool 1857.' 4*^, — Dass in n. 9 die Figur P durch-
gehend ist, zeigt das Facsimile gegen Borghesi (Giorn. arcad. 54 S. 70),
der sie gar nicht, und den Katalog, der sie nur einmal wiedergibt. —
Wofern wir auf beiden Stücken ein und dasselbe Consulat des Cn. Pom-
peius und M. Crassus hätten, und nicht etwa das eine aus 684, das
andere aus 699 ist, ergäbe sich hier auch das einzige Beispiel zweier
zufällig aus demselben Festspiel (K • QVINCT) stammenden Tesseren.
11 (724: vgl. Add. S. 560) -^ Taf. Hl C. Das Pariser Original
hat wirklich K • A P, wie in n. 8. 17, nicht K-A, wie Henzen Bull.
1) Viel irrationeller muss das Umgekehrte erscheinen, dass der althergebrachten Sigle CN zu
Liebe auch der ausgeschriebene Name ein C annulim, wie das geschehen ist in dem CNEVS
(noch dazu mit E für AE) auf der Münze von Paestum P. L. M. enarr. p. 13 n. 66 (Z.
309
1860 S. 174 nach Hübner's Mittheilung drucken Hess. Ich finde diesen
Monat überhaupt niemals blos mit A abgekürzt (wie doch sonst ein-
zeln F, M, S, 0, N, D vorkommen)^ auch nicht in der Zeit, in der noch
keine Verwechselung mit AVG möglich war.
12 (776") = Taf. II Z. Dass ich diese von Mommsen in einem
Manuscript des 'Lanthelmus Romieu Arelatensis' in der Lejdener Bi-
bliothek, Cod. Voss. Germ. Gall. Q, 1, fol. 88 ^) entdeckte Tessera nach
einer gefälligen Durchzeichnung des Herrn Paul Marquard habe können
facsimiliren lassen, gewährt den kleinen, aber immerhin nicht zu verach-
tenden Gewinn, vier Ligaturen statt der drei bei Mommsen, und ausser-
dem die Abtheilungsstriche aufzuzeigen , durch welche augenscheinlich
die Zeilenenden bezeichnet sind. Hiernach ist das Original zweifellos
in dieser Gestalt zu reconstruiren, wie man es freilich auch ohne jenen
Anhaltspunkt gethan haben würde : -)
ANCHIAL • SIRTI • L • S
SPECTAT • NVV\
MENSE • FEBR
M • TVL • C • ANT • COS
nur dass ich die Ligatur der zweiten Zeile vorläufig noch auf sich
beruhen lasse. Romieu hat nur zufällig bei der dritten Zeile zu lesen
angefangen. — Dass bloss der Monat, nicht wie in den römischen
Tesseren allen, auch der Tag bezeichnet ist, hat Mommsen als gemein-
same Eigenthümlichkeit der drei municipalen Tesseren (n. 20. 35), dem-
I
1) Der Wortlaut der Stelle ist mir buchstäblich so copirt worden: Ores ie comence, icy ä
fere mention des Epitaphes d'Arles (i'entende des anciens Romains) Et en premier
lieu ie veus reciter l'escrit memorable, qui se list clairement en vne piece d'yuoire ou
plustot de corne de cerf que i'ay, qui a este nouuellement trouuee icy a la poincte, au
bord du Rosne, laquelle est si minue, et estroicte, qu'elle n'est jDas plus longue, ne plus
large, que la moytie du petit doigt de ma main, estant percee ä l'un des bouts: ou est faite
mention de Ciceron, et de Caius Antonius, du temps quils furent ensemble Consuls de Rome,
enuiron soixante deux ans auant la natiuite de Jesuchrist, et y a ainsi /
1) In der That ist es so geschehen von Cavedoni in der mir so eben erst zugehenden 'Ap-
pendice alla nuova silloge epigrafica Modenese' (aus den 'Memorie della R. accademia di
scienze, lettere ed arti' t. IV) 1862, S. 16.
43*
310
nach als Kriterium für die Aechtheit der vorliegenden, gebührend her-
vorgehoben.^) Nur auf zvi^eien von ihnen ist Nervus hinzugefügt, was
unter den römischen ein einzigesmal (n. 26) vorkömmt. Vgl. übrigens
zu n. 35. — Schliesslich darf darauf aufmerksam gemacht werden, dass
jetzt nicht mehr Caes. de b. civ. 1, 36. 2, 5, sondern diese Tessera
das älteste historische Zeugniss für die Stadt Arelate ist, die, wenn sie
eigene Fechterspiele hatte, schon damals von einer gewissen Bedeutung
gewesen sein muss. Wie sehr dieser Luxus in späteren Zeiten dort
gesteigert war, wird durch die Ruinen eines Amphitheaters bezeugt,
welches an Umfang das von Nimes noch übertraf: s. Miliin Voyage dans
les dep. du midi de la France III S. 615 ff.
15 (727) = Taf. III 7). Von der Copie, die von dieser Tessera auf
der INIarciana (früher in Rimini) existirt, hat mir zwar Herr Bibliothekar
Valentinelli mit grosser Gefälligkeit einen Stanniolabdruck gesandt;
derselbe ist aber in seinem Briefcouvert so zerquetscht in meine Hände
gelangt, dass kaum noch ein Buchstab zu erkennen ist. Nur eben noch
lässt sich die Schreibung APOLONIVS constatiren, durch die sich dieser
Fälscher (wofern es nicht etwa ein harmloser Dilettant war), ähnlich wie
der von n. 56, als solchen verrathen hat.
1) Durch diese Uebereiiistimmuns: erweist sich die Anwendung als irrig, die Borghesi Giora.
arc. 54 S. 67 f. von n. 20 machte, als wenn nur ein zufälliges Vergessen des längst ver-
flossenen Termins die Weglassung des Tagesdatums verursacht hätte. Vermuthlich war
der wahre Grund kein anderer, als dass in Municipal- oder Provinzialstädten Gladiatoren-
spiele überhaupt nicht so häufig vorkamen, dass man irgend eine Nöthigung gefühlt hätte,
verschiedene Aujfführungen ausser der Monatsbezeichnung auch noch durch Tagesangabe
zu unterscheiden, wenigstens gewiss nicht in der altern Periode; denn die Pompejani-
schen programmata gladiatoria geben allerdings wiederholt auch das Tagesdatum: s. die
Heispiele bei Friedländer im Handb. der röm. Alterth. 4, S. 563. Dass die Tage ein für
allemal bestimmte gewesen wären und darum nicht genannt zu werden brauchten, wie
Cavedoni Bull. 1834 8. 252 annahm, war zwar eine nichts weniger als einleuchtende Be-
hauptung; gleichwohl hätte er diese Vorstellung wenigstens nicht gegen die Borghesi'sche
aufgeben sollen ib. 1835 S. 206. — In der vorher citirten 'Appendice' S. 18 Anm. stellt er
jetzt als Grund, wainim ein einzelner Tag gar nicht habe bezeichnet werden können, ver-
mutliungsweise dieses auf, dass das Fest eben mehrere Tage gedauert haben werde. Wenn
aber in Proyinzialstädten, so war das sicher in Kom um so viel mehr der Fall, und warum
nannte man hier nichts dejtoweniger den einen Tag der mehrtägigen Spiele mit ausnahm-
loser Regelmässigkeit? — Von vorhandenen Zeugnissen für mehrtägige Dauer ist übrigens
hierbei kein Gebrauch zu machen, weil sie alle aus späterer Zeit sind, z. B. munerarms
bidui in Benevent I. R. N. 1501: triluo in Peltuinum \h. 6036; qnaäriäuo in Puteoli 2518,
diehm Uli in Minturnae 4063.
311
17 (729) = Taf. I H. Der von Brunn erhaltene Stanniolabdruck
dieser Tessera des Vatican lässt keinen Zweifel darüber, dass der Name
PHILARGVRV ohne s vollständig ist und sein sollte: was zur Beui'-
theilung von n. 21 nicht undienlich ist.
18 (730). Die in Rimini befindliche Copie dieser Tessera ist mir,
trotz mehrfacher freundschaftlicher Bemühungen Henzen's, nicht zu-
gänglich geworden.
19 (1537 Add. S. 560) = Taf. I J, wurde schon in Priscae Latini-
tatis epigraphicae supplementum I (Bonnae 1862) S. 15 = Taf. I C
facsimilirt gegeben, nur ohne den jetzt, wie bei so vielen andern, zum
erstenmal hinzugekommenen Griff oder Henkel.
20 (731). PETILI ist natürlich derselbe Name, der n. 27. 50 mit
der Schreibung PETILLI wiederkehrt. Es ist nur dasselbe Schwanken
zwischen Gemination und Nichtgemination , aus dem die Römer in so
manchen Worten, namentlich aber Eigennamen, niemals ganz heraus
und zu einer festen Entscheidung gekommen sind: zum sichern Beweis
übrigens, dass das i ein naturlanges ist, da diess die Bedingung ist, an
die solcher Wechsel geknüpft zu sein jjflegt. Dasselbe PETILI steht
auf einem der Baldinischen Aschentöpfe (I. L. A. 1)34), aber PETILI AE
auch noch in einer Apulischen Inschrift späterer Zeit (I. R. N. 622);
dagegen in einer wahrscheinlich noch republikanischen PETILLI AE (I. L.
A, 1050). — Vgl. übrigens zu n. 12 und 35.
21 (732) = Taf. III E. Dass Mommsen, lediglich nach Labus' (zu
Morc. S. 48) willkürlichem Vorgange , die Tessera am Ende für defect
hält und TEOPROPVs, OC^, AP • d ergänzt, ist unrichtig. Das Floren-
tiner Original ist genau so vollständig, wie es in P. L. M. t. III K fac-
similirt gegeben wurde und wie es auch Gori Inscr. Etr. I S. 265, aus
dem Labus allein schöpfte, schon gegeben hatte, nur dass hier am
Schluss der letzten Zeile ein ebenfalls nicht gerechtfertigtes Lücken-
zeichen steht. TEOPROPV, so selten auch die Abwerfung des s bei
der Endung us (im Gegensatz zu os) im Ganzen auftritt, ist doch schon
durch PHILARGVRV in n. 17 vollkommen sichergestellt. OC statt OCT
hatten wir schon n. 1, und es kann nicht mehr befremden, als lA n. 6,
AP n. 8. 11. 17, QVI n. 9. 14. 18. 19. 20, und die analogen Abkür-
zungen FE, MA, IV, SE, NO, DE in den P. L. M. enarr. S. 118 (neben
312 k -
AP und OC) zusammengestellten Beispielen. Wobei nur die Einschrän-
kung gilt, dass dergleichen allerdings nach der republikanischen Periode
auf unsern Tesseren ebensowenig mehr erscheint wie die auf das knappste
Maass beschränkten Kürzungen der Consulnnamen PA, PO, VA, LE, DO
(n. 1. 8. 9. 14. 20. 22. 28). In der vierten Zeile endlich scheint
freilich nach AP ein CL[auci) kaum zu entbehren: aber es steht nun
doch einmal nicht da, trotz des dafür vollkommen ausreichenden Platzes,
der leer ist. Will man also nicht sagen, dass es der Graveur lediglich
vergessen habe, so bleibt nur die Möglichkeit, dass in Folge der Son-
derstellung, welche nach Mommsen's eigener Entwickelung (Rhein. Mus.
f. Phil. 15 S. 184 f. ^) gerade die Appier im System der römischen
Namengebung einnahmen, die Hinzafügung des eigentlichen Gentilnamens
neben L • DOM, wodurch das Jahr sicher bestimmt war, überhaupt nicht
für nöthig befunden wurde.
22 (7oo). Es war kein schlechter Grund, dass Cardinali diese
Tessera für unächt darum hielt, weil im Monat Januar, den sie als
Datum gibt , M. Valerius Messalla und Cn. Domitius Calvinus noch gar
nicht Consuln waren, sondern ganz ausnahmsweise im Jahre 701 ihr
Amt erst im Juli antraten: s. Dio 40, 17 und 45, vergl. Appian b. c.
2, 19. Sehr einleuchtend hat indess Borghesi, dem Mommsen beitritt,
a. a. 0. S. <37 sie damit vertheidigt, dass man eben darum, weil es im
Januar und noch Monate lang nachher überhaupt keine Consuln in
Rom gab, auch bei der Anfertigung der Tessera, die man sich doch
natürlich ziemlich bald nach dem Festspiel zu denken hat, keine nennen
konnte, daher den dafür herkömmlichen Platz vorläufig leer Hess und
ihn erst später gelegentlich ausfüllte (wenn man es nicht vergass oder aus
irgend einem Grunde unterliess wie bei n. 23). Zwar wenn Borghesi
für einen solchen Hergang eine Bestätigung in n. 12 , wo bloss der
Monat ohne den Tag genannt ist, und eine andere in n. 70, wo die
letzte Seite ganz leer ist, zu finden meinte, so fällt das erste Beispiel
durch die oben S. 310 Anm. aufgestellte Erklärung weg, und im zwei-
ten Falle hat er sich ohne Zweifel durch eine Fälschung täuschen lassen.
Aber glücklicher Weise lässt sich dafür ein anderer Beleg substituiren,
welcher genau jener Absicht dient, nämlich die folgende n. 23.
1) Jetzt in 'ßöm. Forschungen" I (18G4) S. 25.
313
23 (775) = Taf. I K. Von dieser Tessera sah Osann, wie er in
Fleckeisen's Jahrb. f. Phil. Bd. 77 (1858) S. 651 berichtet, im Britischen
Museum nur die beiden Seiten 2 und 3 , offenbar weil ihm die zwei
andern durch die Aufstellung verdeckt waren. Während nun jetzt der
Name der ersten Zeile richtig zum Vorschein kömmt:
A
N
T
I 0
c
V
S
S
C
R
I B
0
N
I
SP-
A
•D
• V-
ID
•
[AN
finden wir mit sehr getäuschter Erwartung die vierte in der That leer.
Ich wüsste dafür keine andere Erklärung als die zu n. 22 von Borghesi
gegebene ; aber auch kein anderes Jahr, welches für die Annahme man-
gelnder Consuln im Januar so passend wäre wie 701 : daher ich nicht
angestanden habe die Tessera hieher zu stellen. Dass sie aus älterer
Zeit sei, schloss schon Mommsen aus dem Zusatz des A"D, wovon s.
zu n. 5 a. E,
24 (735). lieber diese Tessera einiges Nähere bei n. 64,
25 (735). Weder Bimard de la Bastie in den Mem. de Facad. des
inscr, t. XV (1 74:3) S. 426, noch Miliin Voyage dans les dep, du midi
de la France t, II (1807) S, 236, denen die Kenntniss dieser Tessera
verdankt wird, sagen uns welche Zeile eigentlich leer geblieben ; sehr
möglicher Weise kann es statt der zweiten, die Mommsen angenommen
hat, auch die vierte sein. Dass überhaupt hier, wie sonst nirgends
weiter auf allen unsern Tesseren, dem Namen des Gladiators kein Herren-
name hinzugefügt ist, braucht mit nichten auf irgendwelche zufällige
Ursache zurückzugehen, sondern wird sehr einfach seinen guten Grund
darin haben, dass Hermia nicht Sklav im Privatbesitz , sondern servus
publicus war.
26 (736). Dass hier wirklich SPE, nicht SP stand (wovon s. zu
n. 3), wird man der von Mommsen benutzten handschriftlichen Samm-
lung des Gudius, gegenüber Reinesius und Fabretti, unbedingt zu glauben
haben. Denn da Gudius und Reinesius VI, 60 S. 391 in der Angabe
314
über die Herkunft 'Romae apud Franc, Gothofredum' (woher auch n. 15.
18 stammen) übereinstimmen, so ist es ja unleugbar dieselbe Tessera
mit der, für welche der (bereits von Mommsen citirte) N. Heinsius in
einem Briefe an J. F. Gronov in Burm. Syll. III S. 297 die Sigle SPE
mit diesen Worten bezeugt: 'illud SP sportulam interpretantur' (das war
Agostini's Meinung) ; 'sed cum in alia apud Franciscum Gottefredum
antiquarium Romanum tres litteras expressas viderim SPE, spectaculum
potius videtur interj^retandum'.
27 (7o7) = Taf. I L. Ueber den Schrifttypus dieser Tessera s.
zu n. 43.
28 (738) = Taf. I M. Dass ich dieses Stück des Musee du Louvre
nicht nach Grivaud de la Vincelle's, paläographisch gar nicht treuem
Stich in dessen 'Recueil de monumens antiques decouverts dans l'an-
cienne Gaule' (Paris 1817. 4) pl. XXXVI wiederzugeben brauchte, ver-
danke ich einem von Herrn de Longperier, conservateur des musees
du Louvre, lange erbetenen, jetzt gütig vergönnten Abdruck des Originals.
30 (739) = Taf. I N. Wenn hier Mommsen das Facsimile der
P. L, M. t. HI T berichtigt, so treffen diese Berichtigungen vielmehr
die Abbildung in den von ihm ganz übersehenen 'Monumenti inediti
deir Inst.', Bd. IV Taf. 53, woher ich ja diese Tessera ebensowohl, wie
die unter n. 43. 54, in Ermangelung neuer Abdrücke lediglich entlehnt
hatte, und zwar, wie ich gestehe, in vollem Vertrauen auf die absolute
Zuverlässigkeit des Vorbildes.^) Um nunmehr über die Varianten der
Mommsen'schen Lesung und des römischen Stichs auf's Reine zu kommen,
erbat und erhielt ich von der besondern Freundlichkeit des jetzigen
Besitzers dieser Tesseren, Herrn Dr. Hermann Kestner in Hannover,
eine genaue Zeichnung, die dem gegenwärtigen Facsimile zu Grunde
liegt, zugleich mit nachstehendem Bericht über den Thatbestand. ,,Die
möglichst sorgfältige Nachzeichnung stimmt, wie Sie sehen werden, bis
auf einige immer noch zweifelhaft bleibende Schriftspuren so ziemlich
mit den Ergebnissen der Mommsen'schen Untersuchung überein. An
dem genau wiedergegebenen Profil meiner Zeichnung werden Sie be-
1) Wie sehr mich freilich dieses Vertrauen getäuscht hat, zeigt jetzt der Augenschein an
n. 43. 54 (Taf. III J und S).
315
merken, dass nur die Seiten 1 und 3 (letztere vollständig) die ursprüng-
liche Oberfläche bewahren , während 2 und 4 von einer vandalischen
Hand vermittelst einer Feile abgeglättet sind. Diese Feilenvertiefungen
gibt die Publikation des archäologischen Instituts ziemlich genau wieder
und bezeichne ich sie mit ähnlichen Strichlagen. In diesen Tiefen ist
selbst mit dem schärfsten Auge kaum noch etwas Buchstabenartiges zu
entdecken ; doch glaube ich auf Seite 1 nicht allein Mommsen's S an
der bezeichneten Stelle zu erkennen , sondern am Anfang auch noch
die im Instituts-Stich angedeuteten Buchstaben IV und etwas Aehnliches
wie ES . . . (?). Seite 2 ist völlig abgefeilt und das von Mommsen ge-
setzte verlängerte 1 , wie mir scheint , nichts als ein etwas tieferer
Feilenschnitt. Spuren von Buchstaben in der Mitte dürften sich kaum
mit einiger Bestimmtheit herausbringen lassen , und scheint mir die
sonderbare (fast einem hebräischen Aleph ähnelnde) Figur nur eine
spätere Kritzelei. Seite 3 bedarf nur hinsichtlich des |< einer kleinen
Correctur des Instituts-Stichs, der auch unrichtig hinter SP und K zwei
Punkte gibt statt eines einzigen. Seite 4 scheint Mommsen richtig
gelesen zu haben hinsichtlich des IMP , vielleicht auch des darauf folgen-
den C. Vor dem Schluss COS lese ich in zweifelhaften Spuren — um
so verdächtiger, als sie aus der sonst exacten geraden Linie fallen wür-
den — wie meine Zeichnung es genau andeutet, noch XII und davor
in richtiger Höhe noch ein paar buchstabenartige Vertiefungen." —
Hiernach hatte ich in der Uebersichtstabelle an der Mommsen'schen
Abschrift nichts zu ändern, als dass ich das wenig beglaubigte I am
Ende der zweiten Zeile wegliess. — üebrigens gibt es unseres Wissens
keine zweite Tessera, deren Knopf mit so zierlicher Kunst gearbeitet wäre
wie diese mit einem vollständigen Frauenkopf geschmückte. Die Vermuth-
ung liegt nahe , dass es das Porträt eines Mitglieds der kaiserlichen Familie
sei, dem zu Ehren das bezügliche Festspiel gegeben wurde. Nicht übel
würden Kopf und Profil für eine Livia passen , wenn auch deren be-
kannte Porträts in Visconti's Iconogr. rom. pl. 19, die jugendlicher
gehalten sind, oder auf den Münzen bei Cohen 'Descr. hist. des me-
dailles imperiales' I pl. 5 (p. 106) keinen Anhaltpunkt geben. Es müsste
eben die schon reifere Frau von gegen 50 Jahren sein (geboren war
sie am Ende des 7. Jahrhunderts). Als frühestes Jahr böte sich dafür
Abb. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. II. Abth. 44
316
741) dar, in welches des Augustus 12tes Consulat fällt: denn zwischen
731 nnd 74'J wai' er bekanntlich gar nicht Consul. Auf diese, natür-
lich ganz hypothetische , Combination haben übrigens die an sich so
zweifelhaften Spuren der vermeintlichen Zahl XII keinen Einfluss ; die
Zeile Hesse sich zwar ausfüllen, wenn man sich geschrieben dächte IMP •
CAE8 ' DIV • F • XII • COS ; aber auffallend bliebe dabei, selbst abgesehen
von der Stellung der Zahl, immer die Weglassung des Consulatscollegen
L. Cornelius P. F. Sulla, von dessen etwaigem Abtreten uns doch nichts
bekannt ist.
31 ( — ) ~ Taf. I 0. Diese meines Wissens hier zum erstenmal
bekannt werdende Tessera
H
I L A
Li I 0
C
A K C
I L I
SP
• III • K
•NO V
IMP-
c- vin
• T • TAV
gehört dem k. k. Münz- und Antiken -Kabinet in Wien an; über die
Herkunft ist dort nichts bekannt. Ihre sehr saubere Zeichnung ver-
danke ich der (jefälligkeit der Herren Joseph Ritter von Arneth und
Dr. Friedrich Kenner. — Es ist nicht uninteressant, dass sich in
diesem Stück eine Gdadiatoren-Tessera aus dem Consulatsjahr desselben
T. Stiatilius Taurus erhalten hat, dem Rom vier Jahre vorher (724) den
Bau des ersten steinernen Amphitheaters verdankte : s. Becker Handb. d.
röm. Alt. I S. 642. 68 1. Und aller Wahrscheinlichkeit nach ist dieses
auch als Lokal des Fechterspiels zu denken, in dem unser Hilario Cae-
cili 'spectatus' war. — üebrigens hätte die Consulatsbezeichnung
genauer lauten sollen T • TAVRO • 11, da er schon am Ende des J. 717
consal suffectus gewesen war: s. Henzen C. I. L. t. I S. 449. Das iterum
durfte aber wegbleiben, weil die Zahlangabe beim kaiserlichen Collegen
jede Verwechselung ausschloss. Aus demselben Grunde durfte es n. 26
einfach C • CAES heissen ohne III, und n. 40 TI • CLAV ohne IL Auch
die. WeglasHung von III bei L • CIN in n. 1 und von II bei L • SVL in
II. 2 liesse sich so auffassen, wenn nicht die Vergleichung von n. 8.
317
9. 10 zeigte, dass diese Fälle vielmehr aus der allgemeinen Unbeküm-
mertheit der altern Zeit in diesem Punkte zu erklären seien. — Vgl.
auch zu n. 21.
* 32 (p. 201^) = Taf. I P. Gern möchte man sich dieser Tessera
des Museo nazionale zu Neapel annehmen, wenn sie es einem nur nicht
gar zu schwer machte durch diese ihre Gestalt:
PHILOXENVS • METEL
SPECT
Imp-cae -x-c-norb
3
K-IVL
wobei zu bemerken, dass das Knöpfchen, in welches bei Z. 2 und 4 die
vordere Hälfte des durchgebohrten Loches fiel, durch Zufall abgebrochen
ist, ähnlich wie bei n. 15 und 23. Irgend ein grober Schnitzer, bei
dem man den Fälscher gleichsam in flagranti ertappte (wie bei n. 38),
ist ja nicht darin: aber wiederum dasselbe Zusammentreffen einer gan-
zen Reihe von Unregelmässigkeiten, von denen jede einzelne allenfalls
zu ertragen wäre, die Summe aller aber allzuschwer in's Gewicht fällt.
Wir dürfen milde sein in Bezug auf das Cognomen METEhli statt des
üblichen Gentilnamens ; denn auch n. 14. 43 bieten mit LANI
undTHYBRIDIS Cognomina, wenn auch das MVMMEIAN in n. 35 vielleicht
eher als Mummeianws (ßervus), denn als Mummeiani zu fassen sein mag.
Aber im Uebrigen : die Vereinigung beider Namen in einer Zeile, das
ausgeschriebene SPECT, vor Allem die verkehrte Stellung des Monats-
datums nach der Jahrszahl: — wiederum dieselben oder ähnliche Ein-
zelheiten auf Einem Haufen, deren Verfänglichkeit zu n. 3 und 5 aus-
geführt wurde und kaum ein anderes Schlussurtheil , mindestens keine
andere S chluss Stimmung , zulässt als über n. 5 gefällt wurde. Und
dieses um so mehr, als nach derselben Seite hin so gut wie entschei-
dend das paläographische Moment wirkt. Auf den ersten Blick muss
es einleuchten, dass wir hier erstens (mit einziger Ausnahme des wirk-
lich antik geformten M) den reinen Typus eleganter Versalien moderner
Druckschrift vor uns haben, und zweitens genau denselben Schrift-
44*
318
Charakter in n. 38 wiederfinden. Ist nun aber das letztere Stück, wie
sich alsbald zeigen wird, eine erweisliche Fälschung, so zieht diese fast
nothwendig das unsrige in dieselbe Verdammniss hinein und lässt kaum
einen Zweifel, dass beide aus einer und' derselben Fabrik stammen.
Wie sie denn ebendarum auch wohl beide aus dem museo Borgia in
das heutige Napolitanische gekommen sein mögen, was uns durch Marini
Arv. S. 26 nur für n. 38 bezeugt ist,
* 33 (7-il) = Taf. III F. Auch diesem Stück konnte die Bekreuzung
nicht erspart werden. So günstig auch für die Aechtheit der allein
genannte Consul Lollius zu sprechen scheint, da er, wie Borghesi Bull.
1845 S. 164 hervorhob, wirklich im Anfang des Januar 733 ohne
Collegen amtierte (Dio 54, 6), so wenig hätte man sich doch entschliessen
sollen, zumal für den Beginn der Augusteischen Periode, an einen so
gar abscheulichen Schnitzer zu glauben, wie er in der Schreibung HY-
POLITVS für HIPPOLYTVS vorläge. Denn dass dieser Name und kein
anderer gemeint sei, dafür wird allerdings eines jeden erstes Gefühl so
entschieden sprechen , dass jede anderweitige Ableitung als gesuchte
Künstlichkeit erscheinen muss. Wie sehr l)erechtigt wir aber sind,
orthographische Schnitzer als Verräther einer Fälschung zu nehmen,
kann die zu n. 52 gegebene Zusammenstellung lehren. Gleichwohl gibt
es einen Weg der Vertheidigung , der sich nicht geradezu absperren
lässt. Zwar an ein imöhd^og oder vTioXvxoi wird kein Verständiger den-
ken : wohl a'oer bieten uns die alten Glossarien ein "tenuiculus, vnoXiroi,
und ich möchte nicht behaupten, dass eine solche Namengebung, selbst für
einen Gladiator, unmf)glich wäre, da die Alten in diesem Punkte auch
dem Humor seinen Spielraum Hessen.^) — Nichts destoweniger ist auch
hiermit die Sache noch nicht abgethan , weil noch eine Instanz übrig
1) Denn es leidet wohl keinen Zweifel, dass die meisten Gladiatorennamen erst später beige-
legte waren, weil sonst die auf unsern Tesseren erscheinenden Gladiatoren (sofern es nicht
in Rom geborene waren) so überwiegend geborene Griechen gewesen sein müssten, wie es
nach den geschiclifclichen Verhältnissen völlig unglaublich ist. — Nachträglich finde ich
die Ableitung von vnoXuog schon von Cavedoni aufgestellt in 'Nnova silloge epigrafica Mo-
denese o sia Supplimento agli antichi marmi Modenesi' (aus den 'Memorie della R. Acca-
dcmia di scienze, lettere ed arti di Modena' t. IV) 1862, S. 9, auch wiederholt in der S. 309
citirten 'Appendice' dazu S. 18 Anra., unter Vergleichung der Namen Gracilis, Gracillus
und ähnlicher. In s(jlche Analugie bringt K. Keil aucli die Avq. Atirri aus C. I. G. n 2348,
welche Pape in K'Uiitt umänderte.
319
ist, gegen die schwer aufzukommen sein wird : eine sehr äusserliche, aber
darum nichts weniger als verächtliche. Man sehe sich sämmtliche auf
Taf I und II unter Ä bis Y und auf Taf. III unter A bis T facsimilirten
Tesseren darauf an, wie die Durchbohrung des am Vorderende befind-
lichen Knopfes vorgenommen ist. Nehmen wir von Sada's Stücken
I, C; E und Q Abstand, die, weil ganz nach der Schablone gemacht,
gar nichts Zuverlässiges lehren können ; desgleichen von II, T, wo das
Loch überhaupt nicht bezeichnet, und von III, G, wo die Figur des
Knopfes nicht bekannt ist: so finden wir unter 36 nicht weniger als
34, oder wenn I, P. II, R. III, B. 0 abgerechnet werden, unter 32 nicht
weniger als 30 Stücke^ bei denen mit grösster Gleichförmigkeit die
Durchbohrung von der zweiten nach der vierten Seite geht, nur zwei
(das unsrige und III, B), wo sie die erste und dritte trifft. Es ist
unmöglich, in solcher Regelmässigkeit bloss Spiel des Zufalls zu suchen,
und nicht schwer, die zu Grunde liegende Absicht zu finden. Der
Zweck der Durchbohrung selbst konnte kein anderer sein als eine
Schnur durchzuziehen, mittels deren die Tessera auf- oder angehängt
d. h. nach Labus' höchst einleuchtender Vermuthung um den Hals ge-
tragen wurde und als Decoration auf die Brust herabhing. Man ver-
anschauliche sich nur diese Umhängung, um sogleich zu begreifen, dass,
wenn die Hauptseite d. h. doch ohne Zweifel die mit dem Namen des
Decorirten bezeichnete, nach vorn gewendet sein sollte, um die Ehre
des Trägers der Welt sichtbar zu machen, noth wendig die Schnur durch
die zweite und vierte Seite gehen musste, während, wenn die erste und
dritte durchbohrt war, der Name nicht vorn, sondern zur Linken oder
Rechten zu hängen kam. Mit dieser Absicht stehen auch alle Neben-
umstände in der genauesten Uebereinstimmung. Obenan der, dass die
Figur unserer Tesseren selten ein reines Parallelepipedon bildet, sondern
fast immer zwei gegenüberstehende Seiten breiter hat als die zwei andern,
und zwar dann immer die erste und dritte: sehr natürlich, weil mit
einer von diesen die Tessera auf der Brust aufliegen sollte. Zuweilen
tritt dieser Unterschied der Flächenpaare sehr auffallend hervor, z. B.
I, M. II, U. W. m, H. J. K. L. M. P.Q.S- oft ist er fast verschwin-
dend, auf Null reducirt fast nirgends. Ferner sind aber auch die
Knöpfchen meist so gearbeitet, dass die Flächen 1 und 3 offenbar als
320
Front- und Rückseite, 2 und 4 als Seitenansichten erscheinen; und
ganz entscheidend ist in dieser Beziehung 1, N (n. 30) mit dem Frauen-
kopf, der doch natürlich en face gesehen werden sollte, dieses aber
nur wurde, wenn die Fläche 1, d. i. die mit dem Namen des Decorirten
beschriebene, vorn hing, demnach die nur das Profil gebenden Flächen
2 und 4 das Band durch sich hindurchgehen Hessen.^) — Haben wir
so in der normalen Durchbohrung einen eben so thatsächlich festen
wie rationell begründeten Gebrauch erkannt, so kann es zwar nicht
Wunder nehmen, wenn Fälscher, sei es durch Zufall oder weil sie etwa
ein richtiges Muster nachahmten, öfter das Rechte trafen; wohl aber
verräth sich das gefälschte Machwerk auf der Stelle durch ein auf den
falschen Seiten des Knopfes angebrachtes Loch, Nichts kann dafür
überzeugender sein als die vier ausgemachten Fälschungen auf Taf. II,
c d e und g: die eine (rf) zufällig richtig durchbohrt, die drei andern
sämmtlich verkehrt ; um von der geradezu unsinnigen Durchbohrung
von a gar nicht zu reden. Und in dieser Beziehung vornehmlich ist
es, dass ich bedauere von der langen Reihe moderner Fictionen in
Rimini (Borghesi Giorn. arc. 54 S. 69 f. zählt 10 auf), sowie von den
drei modernen Copien alter Stücke n. 15. 18. 34 keine autoptische
Kenntniss erlangt zu haben. Wer dazu Gelegenheit hat, thäte nichts
Unnützes, sie einmal auf unsern Gesichtspunkt anzusehen, für dessen
Richtigkeit sie ohne Zweifel noch manche Bestätigung geben werden. —
1) Diesem geschlossenen Zusammenhange gegenüber wird, denke ich, der etwaige Einwurf
verstummen, dass nicht auf den Sklaven, der ja nur Sache war, sondern vielmehr auf den
Namen des Herrn (also auf die je zweite Fläche der Tessera) das Hauptgewicht falle: ein
Einwurf, welcher der fanatischen Gunst keine Rechnung tragen würde, mit der das römische
Publikum die Person eines siegreichen Gladiators über seinen Stand hinaushob und ge-
wissermassen in der öfientlichen Meinung nobilitirte. — Nicht minder muss auch die sub-
sidiarische Vermuthung von Labus (zu Morc. S. 51) fallen, dass die Tessera vielleicht nicht
frei um den Hals hing, sondern mit ihrem Schnürchen selbst erst wieder an eine queer-
liegende Kette angeknüpft gewesen sei: wofür er die torques gladiatorias aus Capitolinus
vit. Pertin. 8 heranziehen zu dürfen glaubte. Man sieht leicht ein, dass diese Befestigungs-
weise, bei der thatsächlich vorliegenden Durchbohrungsart, die oben nachgewiesene Absicht
gerade wieder in ihr Gegentheil verkehrt hätte. Dasselbe gilt von Amati's Vorstellung,
der sich eine Reihe von Tesseren vom untern Rande des Panzers oder der Tunica herab-
hängend dachte: s. Giern, arcad. Bd. 32 (1826) S. 105. Mindestens war aber Amati dem
Labus darin vorangegangen, dass er sich überhaupt irgend ein concretes Bild von der
Befestigungsart zu machen suchte.
321
Kehren wir jetzt zu unsern beiden n. 33 und 67 zurück, so stehen
selbst sie nicht ganz auf gleicher Linie. Nicht nur dass die, übrigens
höchst unverdächtige, n. 67 die jüngste von allen ist, beinahe hundert
Jahre später als n. 33, nach welchem langen Zwischenräume sich dieses
und jenes ändern konnte, so hat es auch mit n. 67 eine ganz beson-
dere Bewandtniss. Sie hat nämlich, wie ich durch Herrn Desjardin's
sorgfältige Mittheilung erfahre, nicht nur die eine herkömmliche Queer-
durchbohrung zweier (wenn auch falscher) Seitenflächen,^) sondern da-
neben noch den Anfang einer zweiten , die von der vordem Basis aus
sich in der Längenrichtung der Tessera erstreckt und offenbar so weit
vorwärts gehen sollte, bis sie in den andern Kanal einmündete. Nun
ist sie zwar nicht bis zu diesem Punkte fortgesetzt, aber die Absicht
muss das doch gewesen sein, und als Grund dieser Absicht lässt sich
sehr füglich erkennen, dass die ursprünglich aus Versehen falsch ange-
brachte Bohrung später durch ein Gegenmittel wieder gut gemacht
werden sollte : denn wenn der durch das Queerloch gezogene Draht sich
von der innern Mitte aus wieder mit seinen zwei Enden nach oben aus-
zweigte, so hatte man es mittels einer äussern Knotung der letztern ganz in
seiner Hand, bei der Umhängung um den Hals eine beliebige Fläche
(also hier die mit MAXIMVS) dauerhaft nach aussen zu bringen."^) Nichts
der Art lässt sich aber für unsere HYPOLITVS-Tessera mit ihren auf der
ersten und dritten Fläche durchbohrten Hörnern (die in dieser Gestalt auch
nicht zum zweitenmal vorkommen) irgend vorbringen. Wem es nun
freilich beliebt, auch hier nur ein zufälliges Hand werker versehen, dem
1) Auch darin weicht diese jüngste unserer Tesseren von fast allen übrigen ab, dass ihr
Knöpfchen von so äusserst schmaler Dimension ist, dass die Durchbohrung gar nicht in
seinen Umfang fallen konnte, sondern auf der nachfolgenden Fläche selbst vorgenommen
werden musste. Am nächsten kommen ihr in letzterer Beziehung Taf. III, N und S; ge-
rade auf die Grenzlinie von Knopf und Fläche fällt das Loch Taf. 1, P. II, B. ü. Y. III,
H. L. P Q, theilweise (jedoch nur in Folge schiefer Bohrung) auch III, K und M. Na-
türlich sind das unwesentliche Zufälligkeiten.
2) Möglich wäre freilich auch, dass im Laufe der Zeit die Sitte gewechselt und eine neue
Art, die Decoration zu tragen, eingeführt hätte, z. B. eine ähnliche wie die in der Anm. zu
S. 320 besprochene, mit der sich dann die Durchbohrung gerade der ersten und dritten
Fläche als wohlberechnet vertragen würde. Die unvollendete Längenbohrung wäre dann,
wofern anders nicht reine Spielerei, vielleicht ein Versuch, zur frühern Tragweise zurückr
zukehren.
322
nur eben so zufällig hinterher nicht wieder abgeholfen wurde, zu er-
blicken, wie ja dergleichen im täglichen Leben vorkommen kann , der
lässt sich allerdings nicht widerlegen. Kinem weniger gläubigen als
skeptischen Gemüthe wird es jedoch nicht zu verdenken sein , in dem
auffallenden Zusammentreffen des onomatologischen und des mechani-
schen Bedenkens eine ernste Mahnung an das vä(fe xul fis'ixvao' dmoxsTv
zu sehen.
34 (742) = Taf. I Q. Dass es auch von dieser Tessera eine mo-
derne Copie in Rimini (im 'museo Gervasoni Angelini') gibt oder gab,
wissen wir durch Borghesi's Zeugniss Giorn. arc. 54 S. 69 (wo 835
nur verdruckt ist für 735, wie unmittelbar vorher 996 für 696).
35 (743) = Taf. III G. Dass das Facsimile in P. L. M. t. III M.
L • EPIDVS gebe statt LEPIDVS, würde ich an Mommsen's Stelle nicht
gesagt haben, sondern wenn etwas, nur diess, dass es nach dem L eine
einem Punkte ähnliche Verletzung des Originals zeige. So unwesentlich
dergleichen für einen Herausgeber sein kann, so wenig steht es dem
facsimilirenden Nachbildner zu, sich darüber hinwegzusetzen. Ich sage
diess besonders wegen der buchstabenähnlichen Züge, die, fast wie
i CO oder wenigstens 10 aussehend, gleich einem leisen Schatten
zwischen lAN und S • SP in der Mitte der zweiten Zeile sichtbar sind,
und denen gegenüber Mommsen sagt 'sequor Cavedonium'. Dass auch
ich diess thue, ist aus Enarr. p. 6 ersichtlich; möglich aber bleibt
dabei, dass der Graveur zuerst etwas Falsches gesetzt hatte, was er
dann wieder löschte, und der unverhältnissmässig grosse leere Raum
kann das sogar glaublich erscheinen lassen. ^) — Ueber die Unregelmässig-
keiten der Zeilenabtheilung s. zu n. 5. Ueberhaupt ist leicht zu er-
1) Es ist eine merkwürdige Verwechselung der Begriffe über das was die Aufgabe einer tech-
nischen Nachbildung ist, wenn auch Cavedoni in der mehrerwähnten 'Appendice' etc. S. 18
von vermeintlichen falschen Zusätzen in dem Facsimile spricht und dieselben auf Täuschun-
gen des Stanniolabdrucks zurückführen will. Man erwartet, dass es dieser Abdruck sei,
dem er die Zuverlässigkeit abspreche: denn dass ein solcher beim Transport, beim Ver-
packen, ja schon bei der Anfertigung, durch etwaige Brüche oder Verknitterung des Mate-
rials, zufällige Verletzungen erleiden könne, lässt sich ja nicht leugnen. Aber nein, Ca-
vedoni verneint die Richtigkeit des Facsimiles darum, weil ja das Original, das so viele
Jahrhunderte unter der Erde gelegen, dadurch leicht habe leiden können, vielleicht auch
von Anfang an keine vollkommen geglättete Oberfläche gehabt habe. Sehr möglich aller-
dings; aber wie ein Monument muthmasslicb vor 1900 Jahren aussah, das darzustellen ist
323
kennen , wie zu verstehen , dass ausserhalb Roms bei Abfassung und
Anfertigung- dieser Tesseren nicht die uniforme Strenge einer tradi-
tionellen Handwerkstechnik herrschte, wie wir sie durchgängig auf den
städtischen finden; Beweis dafür sind sowohl n. 12 von Arelate wie
unsere n. 35 von Mutina; nur n. 20 von Parma schliesst sich der
römischen Norm genau an — abgesehen von der allen dreien gemein-
samen Weglassung des Tagesdatums, worüber s. zu n. 12, — Auch die
ungewöhnliche Grösse der Modeneser Tessera gehört dahin; bis auf die
allerjüngste aus der Vespasianischen Zeit (n. 67) ist sie von allen (nicht
bloss durch Abschrift bekannten) die umfänglichste, wie n. 21 von allen
die winzigste. — Die Umrisse des Griffs konnten nicht gegeben werden,
weil die Tessera mit den übrigen Modeneser Kunstschätzen und Alter-
thümern von ihrem herzoglichen Besitzer nach Wien geschleppt worden
und dort unzugänglich ist ; dass er durchbohrt war, erinnert sich Cave-
doni besser als wie er es war,
37 (745), Die Schreibung Id statt ID, hier sowohl wie n. 39,
beruht auf Scaliger's Abschrift in dem zu n. 8 citirten Leidener Codex,
t 38 (p. 201 f) = Taf, II B. Nach dem durch H, Brunn von dem
Original des Museo nazionale zu Neapel genommenen Stanniolabdruck
lautet die Tessera genau so :
Sache des Herausgebers; Sache des Lithographen dagegen, es so zu geben wie es jetzt aus-
sieht. — • Auch das Beispiel, das Cavedoni zur weitern Verdeutlichung seiner Aeusserung
beibringt, ist nicht glücklich gewählt. In der Popillius-Inschrift P. L M. Taf. 51 B soll ich
mich, wenn ich PKAEITOR statt PRAETOR zu erkennen meinte, ebenfalls durch den Papier-
abdruck haben täuschen lassen. Woher weiss denn das Monsignor Cavedoni ? Etwa weil
es Mommsen n. 551 S. 154 sagt? Aber der sagt ja nichts anderes als was ich Enarr.
S. 46 selbst gesagt, nämlich dass wir beide einen und denselben Papierabdruck auf den
streitigen Buchstaben genau untersucht und die betreuende Stelle — nicht etwa nur des
Abdrucks, sondern nach dessen Anleitung auch des Steines selbst so beschaffen gefunden
haben, dass der eine sich mehr dahin neigte, in der unzweifelhaft vorhandenen Vertiefung
(bei zugleich ungewöhnlich breitem Zwischenräume) die Reste eines I zu sehen, der andere
mehr dahin, nur die Wirkung eines äus.sern Einflusses auf die Oberfläche des Steines, näher
eine durch Regenströmung gebildete Rinne, darin zu erblicken. Also adhuc sub iudice lis
est. Denn für einen Beweis wird doch Cavedoni das nicht ausgeben wollen, dass Momm-
sen nebenbei den consensus derer erwähnt, die den Stein früher gesehen und kein I gelesen
haben: was um so begreiflicher ist, je ferner ihnen auch nur der Gedanke an eine Form
praeitor gelegen haben wird. Mommsen selbst wenigstens würde es sich gewiss verbitten,
dasjenige einen Beweis zu nennen, was unzählige Beispiele, in denen er zuerst und allein
richtiger gelesen hat als alle seine Vorgänger, aus der Reihe seiner Leistungen streichen
würde.
Abh. d. L Gl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. IL Abth. 45
324
1 0 L
L A • S A L V I E
N I
IV
N
MAR
iNER •
CLAVD • T
QVINT-
COS
S
PECT
Denn es ist kein Grund, mit Momnisen, wie jetzt so schon I. R. N.
6304, die letzte Zeile zur ersten zu machen, während sie Marini Att.
Arval. S. 26 ganz falsch zwischen die erste und zweite einschiebt.
MAR gab Mommseu früher richtig mit Marini statt des jetzt von ihm
gesetzten MARX. Eben so richtig schrieb Marini das COS aus, während
bei Mommsen beidemale nur CO/// steht. — Wenn Marini diese Tessera
wegen der Schreibung QVINT • verwarf, so schien diess Mommsen
(I. N.) mit Recht kein genügender Grund. So gewiss dass QVINCT an-
tiker und correcter ist — die Capitolinischen Consularfasten bewahren
es in den Personennamen durchgängig — , so wenig ist doch zu ver-
kennen, dass QVINT schon ziemlich früh eintrat. Nicht nur geben die
Triumphalfasten im Monatsnamen (was doch ganz auf Eins hinauskömmt)
eben so regelmässig QVINT ; nicht nur finden wir z. B. unter Nero im
J. 812 QVINTIA geschrieben I. R. N. 3067 und im J. 816 QVINTR^S
Or. 517, unter Vespasian 823 QVINTILIVS I. R. N. 6769 zweimal,
um 830 QVINTILIANVS Or. 2243; i) sondern ebendieselben Consuln
unseres Jahres 741 sind I. R. N. 4834 TI • CLAVDIO • NER • P • QVIN-
TILIO geschrieben. Aber wohl zu merken, P • QVINTILIO, nicht T • vde
auf unserer Tessera, wodurch die Fälschung derselben unwidersprechlich
ins Auge springt. Es ist zu verwundern, dass das, wie schon Marini,
so auch Mommsen unbemerkt gelassen hat, der I. N. über die Aecht-
heitsfrage schwankte und sich erst jetzt für die Unächtheit entschied.
1) Und 80 weiter unter Nerva QVINTO Or. 2782; unter Antoninus QVINTILLO ib. 3062 und
4092; unter Marc Aurel gVINTKIO ib. 22ü7 vergl. m. Henzen III S. 186, QVINTILLO ib,
2566 und ohne Zweifel auch I. N. 271, QVINTILO Or. 6268, QVINTIO ib. 2877; unter
SeptimiuB Severus QVINTILLTANO ib. 5317; unter Alexander Severus QVINTIANO ib.
2377. 6492. 6053. Daneben ist jedoch mit nicliten die alte Schreibung verschwunden; viel-
mehr setzt sie sich von dem Augusteischen QVINCTIVS Grut. 187, 4 an fort durch die
NervianiHche Zeit (in QVINCTILIO Or. 5970) bis zu Marc Aurol (QVINCTIO QVINCTIAN'O
ib. 6502) und Comraodus i QVINCTO ib. 2214, QVINCTIVS ib. 6823) und vermuthlich noch weiter.
325
Denn dass das Pränomen P. unzweifelhaft feststeht , lehren ja ausserdem
alle Fastenüberlieferungen: s. C. I. L. t. I, S. 467. 564. Hier haben wir
also einmal eine handgreifliche Bestätigung für die Beweiskraft auch
der untergeordneten Anstösse, von denen als Unächtheitskriterien zu
n. 3. 5. 32 zur Genüge die Rede war und die sich hier nicht minder
häufen. Es sollte mich wundern, wenn Avellino , dessen über diese
Tessera handelnde epistola an Arditi Mommsen I. N. erwähnt, eine
Rettung versucht hätte ; gesehen habe ich die Act. acad. Hercul. , wo
sie t. III p. 77 stehen soll, so wenig wie Mommsen. Denn wohin soll
man sich in Deutschland wenden, wenn die Bibliotheken von München,
Güttingen, Wien im Stiche lassen, deren Reichthum nur von ihrer Libe-
ralität übertroffen wird?
39 (746). Wegen [D s. zu n. 37. Ob Manutius mit der Schreibung
GENS , oder Scaligei- mit GEN Recht habe , bleibt dahingestellt. Ich
bin letzterm gefolgt. Vgl. zu n. 47. 50.
40 (747). Dass diese Tessera des ehemaligen Hertz'schen Kabinets
in das Britische Museum übergegangen ist, aber augenblicklich dort
nicht zugänglich war, wurde zu n. 9. 10 bemerkt. — So abnorm bei
einem Freien die Weglassung des Pränomen erscheinen mag, welches
n. 37 und 49 richtig hinzugesetzt ist, so müssen wir uns das doch hier
so gut gefallen lassen wie n. 42. 63 bei FLORONIVS ROMANVS und
GVRTIVS PROGVLVS: abgesehen davon, dass der Herr des Sklaven in
allen Tesseren ohne Ausnahme das Pränomen entbehrt.
* 41 C'^'iS) = Taf. II S. Das SP, wofür Mommsen nach Zumpt
(oder nur nach Fabretti?) bloss sP gesetzt, erscheint auf dem Abdruck
des Londoner Originals ganz vollständig. — Entweder gibt oder gab
es von dieser Tessera mehr als ein Exemplar, oder, wenn nur das hier
facsimilirte , so ist sie ohne Zweifel unächt. Die Familienähnlichkeit
mit den ausgemachten Fälschungen n. 72. 73. 74 (Taf. II c 6^ e), auch
n. 56 (Taf. III 0), springt zu stark in die Augen, als dass es vieler
Worte bedürfte. Auf allen ganz derselbe Schriftcharakter, wenn man
eine Gharakterlosigkeit so nennen kann, die nicht etwa nur durch ein-
zelne Buchstabenformen wie P, M und das lächerlich schiefliegende S,
sondern durch ihr ganzes dünnbeiniges, kritzliges Wesen den schärfsten
Gegensatz zum antiken Typus bildet, wie er uns überhaupt bekannt ist
45*
326
und insbesoudere auf den ächten Tesseren allen entgegentritt; überall
ferner dieselbe Spielerßt, jede Scliriftzeile noch mit einem besondern
Rahmen zu umschliessen, woran auch die Fälscher von n. 70. 71. 77
ein besonderes Wohlgefallen gefunden haben ; dazu vorzugsweise bei
unserm Stück ein Mangel an Accuratesse, der in den unsymmetrischen
und schiefvertheilten Linien bis zur Hässlichkeit hervortritt. Also : im
besten Falle haben wir an dem Londoner Exemplar nur die moderne
Copie einer ächten Tessera, wie wir deren ja auch von n. 6. 15. 18.
34 kennen. Und sehr möglicher Weise könnte die auffallend variirende
Herkunftsangabe ('Romae apud Franc. Angelonum' bei Tomasini 1647,
'apud cardinalem Barberinum' bei Doni f 1669, 'apud Didacum a Vida-
nia' bei Fabretti 1702, 'Leidae in museo Thomsiano' bei Saxe ^) vielmehr
auf verschiedene Exemplare, statt auf blossen Wechsel des Besitzes
eines einzigen zurückgehen. Selbst die Varianten scheinen diese An-
nahme zu begünstigen. Denn wenn Fabretti Z. 3 nur ///P statt SP hat, so
deutet auf ein vorn defectes Exemplar noch deutlicher die Publication
Tomasini's hin, die ich Anschaulichkeits halber, unter Bewahrung der
Masse, mit der unsrigen zusammenstelle:
DEMETRIVS
FADENI
SP- K- IVN
L-LENT-M-MES-
COS
DEM
T
R I V
S
FADENI
LENT-
M-
MES-
COS
K
IVN
Dass Tomasini's Abbildung plump und ungeschickt ist und die Schrift
im ordinären Drucktypus wiedergibt, darf weiter nicht in's Gewicht
fallen; man verstand es eben damals nicht besser, wie die als Facsimile's
ohne Zweifel abscheulichen Darstellungen von n. 46 und besonders n. 76
{Taf. II T und f) augenscheinlich beweisen, während sich auch von den
Sada'schen Abbildungen (n. 5. 8. 34), sowie von denen des Pignorius
und Guasco (n. 71. 70), desgleichen von der Oderici'schen (zu n. 45),
denen des Malvasia (zu 68. 69), und der des de la Chausse (zu n. 55)
kaum etwas Löblicheres sagen lässt. Auch die verkehrte Reihenfolge
1) Nämlich in Act. lit. eoc. Rheno-Traiect. t. IV (1803) S. 49.
327
der Zeilen braucht nur auf dieselbe Nachlässigkeit zurückzugehen, von
der so auffallende Beispiele zu n. 5. zusammengestellt wurden. — Trotz
alledem bleibt natürlich die als möglich hingestellte liechtfertigimg un-
serer Tessera sehr problematisch, obschon sich sonst gegen die Fassung
der letztern nichts einwenden lässt.
43 (750) = Taf, III J. Zu Nutz und Frommen solcher, welche
nicht in der Lage waren sich durch viel eigene Anschauung mit dem
specifischen Charakter antiker Schriftzüge vertraut zu machen, und die
daher zu der Entscheidungskraft des paläographischen Moments , wie
es namentlich zu n. 32 und 41 geltend gemacht wurde, kein rechtes
Zutrauen fassen mögen, sei hier mitgetheilt, dass die beiden Stücke 43
und 54 auf Taf. III unter J und 8 bereits eben so wiederholt waren,
wie sie in P. L. M. Taf. III i? und 8 aus den Mouumenti des römischen
Instituts IV t. 53 n. 48. 49 herübergenommen waren: als sich mir, bei
der Schlussrevision der lithographischen Tafel, der schon früher auf-
gestiegene, aber immer wieder beschwichtigte Zweifel au der wirklichen
Alterthümlichkeit dieser Buchstabenformen von Neuem so unabweislich
aufdrängte, dass ich zu der Alternative kam , entweder seien auch diese
Tesseren, trotz aller sonstigen Unverfänglichkeit, modernes Machwerk,
oder die Nachbildung sei eine äusserst untreue und willkürliche. Schnell
erbetene und eben so schnell gewährte Haudzeichnungen des jetzigen
Besitzers, Herrn H. Kestner in Hannover, entschieden bald für den
zweiten Theil jener Alternative ; die nach ihnen jetzt bewirkte Umar-
beitung der Schrift kann jedem, der sich die Mühe nimmt sie mit der
frühern Facsimilirung zu vergleichen, den Unterschied augenfällig machen ;
der römische Stecher (oder Zeichner) hat im Wesentlichen ebenso mo- ^
dernisirt wie der Graveur von n. 32 und 38. — Was die römische
Epigraphik überhaupt, im Ganzen und Grossen, lehrt, das stellen uns
im Kleinen auch unsere Tesseren vor Augen: den Gegensatz zweier
Schrifttypen, der, wenn nicht in allem Detail definirbar, nichts desto
weniger vermöge seines Gesammteindrucks sehr markirt hervortritt.
Es ist das der Gegensatz des republikanischen und des kaiserlichen
Typus, welche beide ein halbwegs geübter Blick fast ohne Irren unter-
scheidet. Wie uns der erstere in seiner derben Schlichtheit und, möchte
ich sagen, unbewussten Grossheit unverkennbar entgegentritt auf Taf. I
328
iu ^ />' D F G U J K M und Taf. III 'm Ä C D E, ^o nicht min-
der gleichartig die zierliche Gemessenheit, das bewusste Ebenmass des
zweiten auf Taf. I in .V 0, Taf. \l U W Y, Taf. III F H J K L M
N P Q R S T. Kann man selbst in der letztern Reihe wiederum
gewisse Nuancen unterscheiden zwischen dem ganzen achten Jahrhun-
dert und den zwei der Neronisch-Vespasianischen Periode angehörigen
Stücken Taf. II Y und III B, so ist der altrepublikanische Typus mit dem
Eintreten der Monarchie geradezu wie abgeschnitten. Kein Widerspruch
ist die einzige scheinbare Ausnahme der n. 35 = Taf. III G, mit ent-
schieden republikanischer Schrift aus dem 12. Regierungsjahre des
Augustus ; denn nicht nur, dass es ja absolut scharfe Scheidelinien nir-
gends, vielmehr überall Uebergänge mit verfrühten Vorläufern und ver-
späteten Naclizüglern gibt, so haben wir es auch nicht mit einem
Moaumeut von Rom oder Latium zu thun, sondern mit einem aus dem
cisalpinischeu Gallien ; wie lange aber der Provinzialgebrauch zuweilen
zurückblieb in Sprache und Schrift, können uns Steinschriften lehren
wie z. B. F. L. M. t. 85 B, 86 ^: vgl. Enarr. S. 74. 75 und Ind.
p. 120'-' im. — Zufällig sind es auch zwei Typen der Fälschung, die
wir unterscheiden können : der elegant modernisirende Taf. I P und
Taf. II B, und der charakterlos flüchtige Taf. 11 S c d e, III 0. Zwi-
schen dem letztern und dem acht republikanischen nimmt, wie man
zugestehen muss, eine gewisse Mitte die Schrift von n. 27 = Taf. I L
ein, in der ausser dem M besonders das schiefe S befremdet; indessen
schienen diese Anstösse doch nicht durchschlagend genug, um zu einer
entschiedenen Verdächtigung zu berechtigen.
45 (752) = Taf. III T. Hier kann ich für die unbedingte Treue
des Facsimile's nicht einstehen. Der Stanniolabdruck (s. o. S. 297 Anm.)
kam so zerquetscht in meine Hände, dass nur durch Combination seiner
lesbaren Reste mit einer gleichzeitig übersandten flüchtigen Handzeich-
nung eine thunlichst befriedigende Nachbildung zusammenzusetzen war.
So viel sieht mau jedenfalls daraus, dass das angebliche, obwohl in
Kupfer gestochene Facsimile bei Oderici in 'Uiss. et adnot. in aliq.
ined. vet. inscr. et num'. S. 185 diesen Namen so wenig wie möglich
verdient (s. zu n, 41).
47 (754). Mommsen führt aus dem Scaliger'schen Codex (s. zu
329
n. 8. 37. 39. 50) die Variante OCTO an, was an sich nicht sehr glaub-
lich wäre ; in der mir zugegangenen Durchzeichnung steht nur OCT.
* 48 (755). Wenn wirklich auf dieser Tessera, welche Marini Arv.
S. 643 von E. Q. Visconti, aber vermuthlich doch nur in Abschrift,
mitgetheilt erhielt, SOCIORVM geschrieben steht, so ist sie gewiss falsch.
Denn es hat , wie Marini mit Recht hervorhebt , keinen Sinn , dass
jemand der Sklav von 'Compagnons' genannt werde, deren Namen man
nicht erfährt. Um so auffallender daher, dass Mommsen von diesem
vermeintlichen SOCIORVM sogar den Gebrauch gemacht hat, es aus
Conjectur für n. 52 vorzuschlagen. Unter diesen Umständen wäre sehr
zu wünschen, dass die ansprechende Vermuthung Marini's, SOCIORVM
sei für SOSIORVM verlesen worden , durch Wiederauffindung der ehe-
mals in der Sammlung Poniatowsky befindlichen Tessera Bestätigung
fände. Doch gestehe ich daran einigermassen zu zweifeln, da mich auch
noch ein zweiter Verdachtsgrund bedenklich macht. Er beruht auf
der Abkürzung KAL statt des in älterer Zeit fast ausschliesslich üb-
lichen, jedenfalls im Kreise dieser Tesseren, bis auf die um ein halbes
Jahrhundert jüngere n. 65, ohne Ausnahme herrschenden K. Die ganzen
Zeiten der Republik bieten unter weit über hundert Beispielen des K
ein einziges von KAL dar in der lex agraria des J. 643. Die sämmt-
lichen Kalenderfasten, desgleichen die Consular- wie die Triumphalfasten,
die altern Acten der Arvalbrüderschaft u. a. kennen neben dem regel-
mässigen NON und EID kein KAL, sondern ausschliesslich K. Höchst
schüchtern und vereinzelt tritt das KAL in den ersten Kaiserzeiten auf:
unter Augustus einmal Or. 1411, unter Nero ib. 517, unter Domitian
ib. 3118, unter Traian ib. 784, unter Antoninus ib. 1541 u. s, w.
Erst von den Zeiten des Commodus an gewinnt es mehr und mehr
die Ueberhand, ohne dass jedoch K daneben verschwindet. Unter diesen
Umständen wird man zugeben müssen, dass das KAL auf unserer Tessera,
wenn auch für das J. 759 nicht unmöglich, doch gar sehr geeignet
ist, einen anderweitig begründeten Verdacht zu verstärken.
50 (759). Dass ich FEB statt FEBR geschrieben, beruht auf
Scaliger' s Abschrift. Zwischen ihm und Manutius hat man hier eben
so die Wahl wie n. 39.
51 (760) = Taf. III M. Wenn die frühere Lithographie P. L. M.
330
t. lll -V einige offene A gab (wie sie n. 67 wirklich hat), so hat schär-
fere Untersuchnng gelehrt, dass sie alle den Queerstrich haben, nur so
hoch nach der Spitze zu, dass er mit dieser fast zusammenfliesst.
52 (761) = Taf. 11 U. lu der letzten Zeile dieser Londoner Tessera
hätte Mommsen Zumpt ganz folgen sollen, da dieser auch CO statt COS
richtig angibt. Wenn derselbe Zumpt aber in Z. 2 für CVRCIORVM,
wie Cardinali aus Vettori's Scheden edirt hatte, CV-CIORVM setzte,
so führte er damit sehr in die Irre. So übel zerstört auch die Ober-
fläche der Tessera an jener Stelle ist, so lassen doch erstlich die erhal-
tenen Reste des dritten Buchstaben an einem R nicht füglich zweifeln.
Wäre aber darauf wirklich ein C gefolgt, so müsste die Tessera ohne
Gnade als Fälschung gelten, da die unerhörte Schreibung Curcius so
ziemlich auf einer Linie stände mit CAELER n. 76 oder MVZIO n. 77,
jedenfalls viel schlimmer wäre als MARCELINVS n. 56 und APOLONIVS
zu n. 15, und wenig besser als ANTTIO n. 72. Glücklicherweise ist
dem nicht so, vielmehr deutlich die obere Hälfte eines T zu erkennen,
dessen Queerbalken genau so in der Richtung nach rechts mit einer
leisen Steigung nach oben geht wie in dem T der ersten Zeile. Nur
indem man den etwas kürzern linken Arm ausser Acht Hess und mit
dem Rest des Buchstaben das Ende des durch CVRT gehenden breiten
Risses verband, erhielt man das trügerische Bild eines C. — Dass ein
Sklav mehrern Herren, namentlich Brüdern, angehört, ist bekanntlich
etwas sehr Gewöhnliches. Um so begreiflicher, dass eine ganze familia
gladiatorum im gemeinschaftlichen Besitz einer Compagniegesellschaft
ist, wie in den von Böckh C. L G. n. 2511 und Add. t. II S. 1028
nachgewiesenen Beispielen.
54 (763) = Taf. IH S. Wegen der Schrift s. zu n. 43.
55 (764) =: Taf. III Q. Die ganz rohe und willkürliche Abbildung
bei Labus zu Morcelli 'sulle tessere' etc. S. 52, der ich leider in P. L.
M. t. XCVII K in Beziehung auf den vorstehenden Knopf folgte, ist
lediglich Wiederholung des sogenannten Facsimile's in Mich. Ang. Causei
(de la Chausse) Romanum museum sive thesaurus eruditae antiquitatis
(Romae 1746) sect. VI tab. 8, obgleich es Labus nicht sagt. — Das
kleine Queerhäkchen am zweiten L der vierten Zeile ist natürlich nur
eine der bedeutungslosen Zufälligkeiten, wie sich deren mehrere auf
331
diesen Tesseren finden; so der schräge Verbindungsstrich zwischen II
in n, 11, oder der Schwanz an VII in n. 21, wo dem Arbeiter nur
der Grabstichel ansgeglitscht sein wird.
t 56 (p. 201 Ä) = Taf. III 0. Kaum hat diese Tessera, selbst mit
einem Kreuz, ihre Stelle hier verdient: denn dass sie so falsch wie
möglich ist, darüber ist nach Borghesi a. a. 0. S. 90 ff. kaum noch
etwas zu sagen, obschon ein Theil seiner Gründe weggefallen wäre, wenn
er sie in ihrer wahren Gestalt gekannt hätte, welche diese ist:
MARCELINVS • Q
• MAX
F A S F C I 0
A •
D • X • K • NOV
M
• SIL • L • NOR •
COS
Nur dass nach E. Hübner's noch so peinlicher, durch die Lupe unter-
stützter Untersuchung nicht mit Sicherheit zu ermitteln war, ob in dem
Namen der zweiten Zeile der erste Buchstab ein T oder (wie es nach
dem Abdruck scheinen muss) ein F sein solle, und dass der vierte
durchaus kein reines V ist, sondern unten einen von links nach rechts
gehenden Schwanz hat, wodurch das Ganze fast wie ein schief gekehrtes
j erscheint. Unerklärlich falsch ist die, noch dazu in Kupfer gestochene,
Publication von Caylus im Recueil d'antiquites t. III S. 290 Taf. 79,
der Mommsen folgte, während eine viel richtigere, wenngleich nicht
ganz richtige, von Chabouillet im 'Catalogue general des camees et
pierres gravees de la bibliotheque imp., suivi de la description des
autres monuments exposes dans le cabinet des medailles et antiques'
(Paris 1858) S. 555 n. 3248 gegeben war. Chabouillet theilt noch mit
Caylus die so irrthümliche wie unverständliche Lesung NO * B statt des
völlig sichern NOR ; aber er gibt die richtige Folge der Zeilen, während
Caylus die Consulnnamen dem Monatsdatum vorangehen lässt und diese
Folge unbegreiflicher Weise noch ausdrücklich durch 1 und 2 bezeichnet.
Er lässt ferner das von Caylus ganz aus der Luft gegriffene V • hinter
TASVCIO ' (was nach seiner Angabe auch FASVLIO gelesen werden
könne) ganz weg: eine vermeintliche Sigle, die so viel Kopfbrechens
Abb. d. I. CL d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. II. Abth. 46
332
gemacht hat uud von Orelli n. 2561 durch Yicit erklärt wurde, von
der aber Chabouüiet mit Recht ausdrücklich sagt 'je dois dire que je
ne distingue pas la lettre V. Aber wiederum druckt dieser in der ^
ersten Zeile MAllCELLINVS , wo Caylus das richtige MARCELINVS
gab; Mommsen hat das sowohl bei Caylus, als auch (Add. S. 560) in
dem Facsimile der P. L. M. t. XCVII L übersehen, indem er beide-
male irrthümlich LL schreibt. Wie sehr aber die Schreibung
MARCELINVS an das APOLONIVS der nachgemachten Venezianischen
Copie von n. 15 erinnere, drängt sich jedem auf; den entgegengesetzten
Schnitzer haben wir n. 72 in ANTTIO. Welch entscheidendes Kriterium
für die Unächtheit aber in dem kleinlichen, spinnebeinigen Gekritzel der
Schrift selbst liege, die hier wo möglich noch etwas unantiker ist als
in u. 72 — 74 und 41, ward zu n. 41 und 43 ausführlich dargelegt.
Ebenda haben auch die übrigen Aeusserlichkeiten , die besondere Ein-
rahmung jeder Schriftzeile, sowie die ringförmige Gestalt des Henkels
(ähnlich wie n. 3), ihre Erörterung gefunden. Die Durchbohrung des
letztern ist übrigens keine doppelte, wie es nach dem Facsimile den
Anschein hat, indem der Kreis auf der ersten und dritten Seitenfläche
kein durchgehendes Loch, wie es auf Seite 2 und 4 wirklich vorhanden
ist, bezeichnet, sondern nur auf der Oberfläche eingeritzt ist: gleich als
wenn der Verfertiger zuerst falsch begonnen und sich noch rechtzeitig
besonnen hätte, wo das Loch richtiger anzubringen sei. Vgl. zu n. 33.
58 (7G6) = Taf. III F. Den Namen PINVS meinte ich auf Tiivog
zurückführen zu sollen. Keil — 6 dvoiiaToXoyog — gab die Möglichkeit
zu , da es nicht an Analogien fehle wie KonQsvg C. I. G. 3444 B 2,
KoriQia ib. 5712, 4; ^rtgxoQiog ib. U553, Stercoria I. R. N. 7187; Fimus
Rossi n. 16, ^<'^oi; Philistor 11,428 col. 1,61. Doch glaubte er zugleich
an den erdichteten Ahnherrn der linarii, den jITvog bei Plutarch Num. 21,
erinnern zu müssen, welchen Namen er auch aus der Liste der sne'yyQa^oi
C. I. G. 284 III a, 37 nachweist. Man hat also die Wahl frei.
()0 (768) — Taf. II W. Auch von dieser, in des römischen Stein-
schneiders Saulini Besitz befindlichen Tessera verdanke ich den Stanniol-
abdruck, nach dem das Facsimile gearbeitet ist, der freundschaftlichen
Mittheilung II. Drunn's.
03 (n. 776). In der Zeitbestimmung durfte ich, wie schon Momii.sen
•
333
und Henzen Or. n. 6161, Borghesi's Bestimmung Bull. d. Inst. 1842
S, 3 1 folgen , der den Consul M. Vettius (Niger) in die Regierung des
Claudius setzt, wenn auch Gewissheit dafür fehlt.
64 (772). Sollen wir denn wirklich glauben, dass diese Tessera
zugleich acht und, die einzige unter 60 — 70 vierseitigen, sechsseitig
sei? Freilich sagt es kein Geringerer als Marini Arv. S. 822 f. und gibt
sie in dieser Gestalt:
PINITVS
ALLEI
SP- K-FEB
TI-CL-CAES- II
C • CAEC
COS
Aber dieses Hexagon ist und bleibt doch etwas nicht nur aus der
besondern Norm des engern Kreises, sondern auch aus der allge-
meinen Gewohnheitsmässigkeit , die in solchen Dingen bei den Alten
herrscht , so ganz und gar heraustretendes , dass es sich wohl verlohnt
zu fragen, wie verbürgt denn eigentlich diese Beschreibung sei. Der
Wortlaut bei Marini ist dieser: '. . . nella seguente tessera gladiatoria
di forma esagona, trovata insiem con quella, che ho dato alla p. 665,
nella Villa Panfilj, possedute ora tutte e due del Sig. Ab. Lelli '. Hat
er sie also selbst gesehen? Man denkt es wohl unwillkürlich, aber
weder sagt er es, noch — darf man hinzufügen — hätte er das was
er sagt so, wie er es thut, gesagt, wenn es der Fall wäre. So muss
es wenigstens durchaus scheinen bei Vergleichung eben der frühern
Stelle p. 665, wo er die Tessera n. 24 mit diesen Worten publicirt:
'siccome si ha anche da questa sincerissima tessera gladiatoria, che ho
veduto presso uno Scrittore del Tribunale del S. 0.' Warum sagt er
nicht auch von der andern, die ihm doch ihrer Form wegen viel auf-
fallender sein musste als diese wegen des CN • POMP • III • COS , dass er
sie nach Autopsie gebe? Wie möglich also, dass ihm nur eine Abschrift
mitgetheilt war, welche — denn was ist in solcher Beziehung nicht
46*
334
alles geschehen! — die Zeilenabtheilung als unwesentlich behandelte,
die aber Marini für genau hielt. Denn der Einwurf, dass die Noth zu
einer Ausnahme von der Regel geführt habe, weil die ungewöhnlich
lange Consulatsbezeichnung nicht in Eine Zeile ging, hält Angesichts
der n. 67 nicht tStich, wo es noch ein paar Buchstaben mehr sind und
doch in Eine Zeile gedrängt. Jene Möglichkeit aber für Wirklichkeit
zu nehmen bestimmt mich der entscheidende Umstand , dass unsere
Tessera mit der unzweifelhaft ächten n. 24 zusammen gefunden wor-
den , also selbst unmöglich modernen Ursprungs ist. Erst von dieser
(iewissheit aus lässt sich das an sich ziemlich bedenkliche PINITVS glaub-
haft rechtfertigen. Dass es das griechische jiivvTÖg oder vielmehr der auch
dort mehrfach wiederkehrende Name nivvtog (s. Pape) sei, sahen mehrere;
aber die Schreibung mit i, statt entweder Pinutus oder Pinytus , muss
von vornherein weit eher Verdacht als Glauben erwecken, wo es sich um
Claudianische Zeit handelt. Denn man würde nur einen grossen Irr-
thum theilen, wie er manchen heutigen Textesausgaben zur wider-
sinnigsten Verunstaltung gereicht, wenn man die geschichtliche Exi-
stenz dieser wie vieler ähnlichen orthographischen Incorrectheiten nach
Massgabe unserer Handschriftenüberlieferung beurtheilen und sie sich
für frühere Zeit in ähnlicher Häutigkeit vorstellen wollte, wie sie
in den mittelalterlichen Codices, die wir die besten zu nennen pflegen, auf-
treten. Die vermöge ihrer Gleichzeitigkeit allein verlässliche Inschriften-
überlieferung lehrt vielmehr, dass die ersten Jahrhunderte n. Chr. im
Ganzen und Grossen durchaus noch die correcte Norm bewahrten und
nur sehr vereinzelten Vorspielen der mittelalterlichen Nachlässigkeit
Kaum gaben. Was insbesondere die Vertauschung des Y mit I betrifft,
so beweisen zunächst die paar Beispiele , die es aus der ganzen langen
Epoche der Republik gibt, gar nichts, weil sie überhaupt vor die Ein-
führung oder doch durchgesetzte Aufnahme des Buchstabenzeichens Y
fallen, also in eine Zeit, die noch ini Ringen begriffen war, wie sie den
fremden Laut mit den einheimischen Zeichen am adäquatesten auszu-
drücken hätte. Dahin gehören also die Mon. epigr. tr. S. 26 ^), Rhein.
Mus. 10 S. 448 und Enarr. S. 124 bes})rochenen Schreibungen SISIPVS
1) Dan hier aus c 724 beigebrachte SIRIA Or. 572 muss durch die Mommsen'sche Publicatioii
I. R. N. 4320, die SYRIA gibt, beseitigt scheinen.
335
HIMINIS, mit denen nur der Versuch gemacht wurde, dem griechischen
Laute näher zu kommen als mit dem althergebrachten V, Für die Kaiser-
zeiten aber mag die folgende kleine Reihe datirter oder datirbarer
Belege^) die Seltenheit des I veranschaulichen: unter Tiberius (785)
NEDIMI I. R. N. 4607; unter Nero EVTICHVS Or. 5772; vor Titus die
Pompejanischen Mauerinschriften lAClNTVS, SCILAX , OALLITICHE,
CORITVS bei Garrucci Inscr. grav. (1854) S. 33 ; unter Trajan LISIMACVS
Or. 799 = I. R. N. 3048; unter Hadrian (872) BORISTHENES Or. 824;
unter Antoninus SARDONICHI ib. 2795 ; unter Septimius Severus NIM-
PHAEVM ib. 6753; unter Alexander Severus BERECINT und CIMBAL
ib. 2328 (= I. R. N. 1399), CRISTALLINIS ib. 2952. In diese Reihe
also, wird man zugeben müssen, darf bei der gegebenen Sachlage auch
ein Claudianisches PINITVS eintreten, so sehr auch im Allgemeinen die
correcte Schreibung mit y in denselben Zeiten durchaus das Herrschende
ist. Neben ihm hatte sich übrigens selbst das alte u noch keineswegs
verloren, wie z. B. unter Augustus (753) TITVRVS Or. 2966, unter
Claudius SIBVLLINIS L R. N. 2211, unter Nero SVRIA Or. 1946 u. s. w.:
woran sich denn die in den Texten der Schriftsteller der Kaiserzeit,
z. B. Tacitus, überlieferten Schreibungen gleicher Art naturgemäss an-
schliessen und als wohlberechtigt ergeben.
65 (776 fe) = Taf. II Y. Mit dem museo Campana, wo sie Henzen
abschrieb und an Mommsen schickte, in das musee Napoleon über-
gegangen, befindet sich diese Tessera leider in einem so verwitterten
Zustande, dass es Herrn de Longperier nicht möglich war einen les-
baren Gypsabguss herzustellen, sondern er sich mit einem geschwärzten
Papierabdruck begnügen musste, dem das Facsimile, so gut sich's thun
Hess , nachgebildet worden. In der dritten Zeile , bemerkt Longperier,
il ne reste rien de KA (was Henzen zu lesen glaubte) qu'une trace'.
In der zweiten aber liest er nicht VIBI, sondern VIBn,^) allem An-
1) Auf solche beschränke ich mich vorläufig bei dergleichen Untersuchungen grundsätzlich,
da sie allein eine feste Grundlage und verlässliche Anhaltpunkte geben, während die vor-
zeitige Einmischung der chronologisch unbestimmten nur Unsicherheit und Verwirrung
bewirken kann.
2) Wenn unmittelbar an das letzte I ein paar Risse der Oberfläche zufällig so ansetzen, dass
sie mit ihm znsammengefasst den Schein eines N geben, so ist diess zwar selbstverständ-
lich eben nur Schein ohne jede Bedeutung ; indessen werde ich wohl nach den gemachten
3i36
schein nach mit Recht, wie denn das auch der hier (gleichwie in n. 67)
sichtlicli bewahrten Symmetrie entspricht. Gerade aber diese zweisilbige
Genitivendung, in Verbindung erstens mit der Abkürzung KAL statt K,
und zweitens mit dem zwischen die beiden Consulnnamen eingeschobenen
ET — das sind drei Ungewöhnlichkeiten auf einmal, die, für Neronische
Zeit, wohl einen und den andern bedenklich machen könnten. Gleich-
wohl fiihrt eine unbefangene Erwägung zu der Ueberzeugung, dass, da
sich jede der drei Bedenklichkeiten auf rein historischem Wege vollstän-
dig erledigen lässt, an der Aechtheit um so weniger zu zweifeln ist,
je unverfänglicher die Tessera im Paläographischen sowohl wie in allem
Aeusserlichen erscheint. Ueber KAL statt K kann auf die Erörterung
zu n. 48 verwiesen werden; vom Genitiv 11 wird zu n. 68. 69 die Rede
sein ; mit dem ET stände es misslicher , wenn Borghesi's Bestimmung
(Bull. d. Inst. 1835 S. 6) ausreichte, nach welcher die Verbindungs-
partikel wesentlich erst vom Zeitalter der Antonine an in Aufnahme
gekommen wäre. Sie ist, wenn auch nur in einzelnen Beispielen, viel
älter, und zwar nicht nur bei der kurzen Bezeichnung der Consuln
durch blosses Nomen oder Cognomen (vgl. zu n. 68. 69), sondern
auch bei vollständiger Nomenclatur. Dass die Anfänge der Neu-
erung, von der die ganze republicanische Periode nicht ein einziges
Beispiel aufweist, schon in die Augustische Zeit fallen, lehren die
Pränestinischen Fasten mit sechs Beispielen C. I. L. S. 312. 313. 314.
317, wozu sich aus d. J. 746 Or. n. 1 fügen lässt. Für die Regierung
des Tiberius bezeugen es die Vaticanischen und die Amiternischen
Fasten S. 322. 324, sowie Or. n. 7379 (J. 769), n. 4046 (J. 779),
n. 156 (J. 780); für Claudius n. 1588 (J. 804): lauter ältere Belege als
unsere Tessera. So aber auch weiterhin: unter Domitian n. 2782
(J. 842), unter Trajan n. 6774 (J. 851), n. 5840 (J. 861); bis schon
unter Hadrian das ET so entschieden durchbricht, dass wir es z. B. im
J. 876 finden Or. n. 85G a und 3126; in 877 n. 5681; in 883 n. 794;
in 888 n. 1280; in 889 n. 1681 und Grut. 874, 5; in 890 Or. 6527.
(>6 (773). Die Zeitbestimmung nach Borghesi's Combination a. a. 0.
S. 72, der Mommsen gefolgt ist.
Erfahrungen (s. zu n. 35) darauf gefasst sein müssen, dass man auch hier die Treue der
Nachbildung als Untreue gegen die ursprüngliche Beschafifenheit des Originals schelte.
337
67 (774) = Taf. III R. lieber die Aeusserlichkeiten , welche bei
dieser jüngsten (auch grösten) aller unserer Tesseren in Betracht kommen,
ist alles Nöthige bereits zu n, 33 , sowie zu n. 3 beigebracht worden.
Ihre neue Zeichnung hat der Besitzer, Herr Noel des Vergers in
Paris, mit freundlichster Liberalität vergönnt.
Indem hiermit die in der vorausgeschickten Tabelle verzeichneten
Stücke erledigt sind, bleiben noch solche Fälschungen zu erwähnen,
welche wegen mangelhafter, unverbürgter oder gänzlich unverständlicher
Jahresbezeichnung dort gar keinen Platz fanden. Unter ihnen stehen
obenan
t 68. 69 (757. 758), die Mommsen zwar nicht ohne Andeutung seiner
Zweifel mit den ächten in Reihe und Glied gestellt hat, aber unstreitig
richtiger geradezu in seine Abtheilung der 'suspectae et falsae' ver-
setzt hätte: ,
ASPER
STATU
C
SP • K • IVN
ARRIO • • VIR
3
3
)
)
C
VIRIVS CAESII
BASSVS
SP • K • IVL
")
D
APRONIO )
So nämlich gibt sie in Stichen, die nicht besser* sind als alle da-
maligen, Car. Caes. Malvasia in seinen 'Marmora Felsinea' (Bonon. 1690)
S. 368, mit der Angabe, dass sie beide 'in museo metallico solertissimi
olim antiquarii Francisci Loth' befindlich waren. Um der zweiten Sinn
und Stil zu geben, las sie ('leggo' sagt er sehr lakonisch) Cardinali Dipl.
n. 201 also:
BASSVS
CAESII
SP • K • IVL
VIBIO • APRONIO
und hatte damit die Consuln des J. 761, Aber selbst so nur ohne
Pränomina, deren Weglassung für jene Zeit unerhört ist, wenigstens
338
wenn nicht alsdann gleichzeitig ET dazwischentritt,*) wie ee allerdings
schon unter Tiberius vorkömmt Or. n. 7379 in PLANCO * ET • SIL«0 •
COS und TAVliÜ- ET-LIBONE-COS, und in gleichen Beispielen n.
4046. 156. Uebrigens versteht sich wohl von selbst, dass, wer heut-
zutage eine solche Cardinali' sehe 'Lesung' vorbrächte, nur scheinen könnte
mit seinen Lesern Scherz zu treiben. Würde schon ein seltener Grad
von Liederlichkeit dazu gehören, so falsch abzuschreiben, so pflegt man
sich doch unter allen umständen ein Original, das man in Kupfer
stechen lässt, wenigstens etwas genauer anzusehen. — Von dieser
Seite wäre gegen Hagenbuch's (Epist. epigr. S. 371) Herstellung der
ersten Tessera, in deren vierter Zeile er APRONIO (oder APROwio) VIB
lesen wollte, nichts einzuwenden ; nur dass zu dem schon gegen Cardi-
nali sprechenden Grunde noch der von Mommsen geltend gemachte
durchschlagende kömmt, dass im Juni Apronius und Vibius noch gar
nicht Consuln waren. — Aber noch nicht genug: gegen beide zusammen
spricht noch ein sprachliches Kriterium, welches den letzten Zweifel an
der Unächtheit verschwinden lassen wird: die zweisilbige Genitivenduug
ii. Mit der schönen und fruchtbaren Bentley'schen Beobachtung, dass
sie im Dichtergebrauch erst durch Properz und Ovid Eingang fand, ist
der Gebrauch des Lebens nichts weniger als erschöpft, ja nicht einmal
adäquat. Hier dauerte es, wie uns die Inschriften lehren und nur sie
lehren können, noch gar lange, ehe von einem wirklichen, nur einiger-
massen geläufigen Gebrauch die Rede sein kann. So misslich auch bei
dem heutigen Stande der epigraphischen Texte ^) abschliessende Bestim-
1) Das scheint, wenigstens früher, Cardinali selbst gefühlt zu haben, wenn er Mem. Rom. II
p. 150 wirklich schrieb: 'era da leggere BASSVS- CAESH • SP • K • IVL ■ VIBIO • ET •
APRONIO".
2) Welche Vorsiclit in dieser Beziehung geboten ist, wo es sich um einen einzigen, sachlich
irrelevanten Buchstaben und um eine der modernen Gewohnheit nicht conforme Schreibung
handelt, können Beispiele der sonst vertrauenswürdigsten Gewährmänner lehren. In der,
noch dazu republicanischen, Inschrift P. L. M. t. 71 A gab Marini HOSTII, während ohne
jeden Zweifel HOSTILi stand. Derselbe Hess Alb. S. 88 n. 94 CLAVDII drucken, wo nach
Cardinali Inscr. Velit S. 81, dem Borghesi Ann. d. Inst. 1850 S. 365 folgt, CLAVDI steht.
Selbst Henzen gab eine unserer Tesseren, n. 33, mit der Form SEPTIMII Ann. 1856 S. 45,
während unser Facsimile gar keinen Zweifel über SEPTIMI lässt. Dagegen erfahren wir
durch denselben Or. III S. 66, dass in Or. 693 der Stein nicht BENEFICII, sondern nur
BENEFIC hat. In n. 656 gibt Orelli TVLII, aber Mommsen I. R. N. 81 nach anderer
Abschrift IVLI. Auch Gr. 6341 nahm Henzen zwar im Text CLAVDlI auf, aber mit der
339
mungen sind^ so wird uns doch die nachstehende kleine Reihe der da-
tirten Beispiele, wenn man sie mit der ungezählten Menge der entgegen-
stehenden zusammenhält, ein ziemlich richtiges Bild von dem sparsamen
Vorkommen der neuen Form im ganzen ersten Jahrhundert der Kaiser-
zeit geben. Ein älteres als aus dem J. 764 das BENEFICII der ara
Narbonensis bei Or. 2489 (wo wenigstens Gruter's und Millin's Zeugniss
zusammenstimmt) kenne ich nicht. Unter Tiberius bieten sich dar
TIBERII Or. 2925, bestätigt durch I. R. N. 2908; POLYBII, aber neben
POLYBI, Or. 1753 vgl. mit Henzen III S. 156; IVLII ib. 211; MVNI-
CIPII zweimal ib. 4046 , sichergestellt durch einen in meinen Händen
befindlichen Papierabklatsch. ^) Weiter unter Nero CLAVDII ib. 719 und
ausdrücklichen Variantenangabe CLAVDI, die höchst wahrscheinlich das Wahre trifft. Bei
Or. 1413 ist CALEVII oder CALERII zwar ohne Variante, aber die ganze Inschrift ist
falsch und darum von Mommsen I. R- N. in den Anhang unter n. 20 * verwiesen. Aus
den Pränestinischen Fasten brachte Lachmann zu Lucr. S. 328 TARVILII bei: die neueste
Bearbeitung im C. I. L. S. 319 (zum 23. Dec.) lehrt dass, was auch der Steinmetz an der,
gerade dort nicht mit Sicherheit zu lesenden Stelle schreiben wollte oder sollte, doch
nichts einen Genitiv auf ü indicirt. Wenn derselbe Lachmann ebend. aus dem monumentum
Ancyranum die Schreibungen DIVI • IVLI , COLLEGI , PROELl anführt und hier das
lange I als Zeichen für ii darum ansieht, weil ebenda auch AVRI ' CORONARI und lOVIS ■
FERETRI vorkommen: wonach also dem Augustus selbst die zweislbige Genitivform schon
ganz geläufig gewesen wäre: so verhält sich auch diess anders. Die ganze Inschrift ist
nämlich, wie jetzt aus Perrot's schönem Facsimile ('Exploration archeol. de la Galatie et
de la Bithynie', Paris 1862 ff) ersichtlich wird, so vollgefüllt mit unzähligen langen i, die
schlechterdings nicht für ii gesetzt sind, dass jene graphische Verlängerung einleuchtender
Weise auch hier nichts anderes als was überall bedeutet d. i. naturlangen Vocal. So gleich
in der üeberschrift nicht weniger als achtmal: DIvI * AVGVSTI, IMPERIO, INCISARVM,
AHENEIS ■ PIlIS. üebrigens sind auch die Lachmann'schen Beispiele grösstentheils an
sich nicht richtig: 4, 2 steht DIVI-IVLI; 4, 24 DIVl IVLl; 6, 32 einfach DIVI • IVLI;
4, 37 ist wenigstens jetzt nur noch COLLEG übrig; 4, 5 steht nur FERETRI: G, 31 aber
ist dieses Wort gar erst Herausgebersupplement: so dass schliesslich bloss PROELI und
CORONARl übrig bleiben.
1) Ich wage nicht mit einiger Zuversicht hier das IMPERlI einzureihen, welches in der Lyoner
Rede des Kaisers Claudius Col. 1 Z 36 gestanden zu haben scheint Denn jetzt geht
der Bruch der Erztafel, durch den sie in zwei grosse Hälften zerspalten ist, gerade nach
IMPER durch, und nach ihm ist nur I übrig. Denkbar wäre nun, dass bei der Zusammen-
löthung beider Hälften der Zwischenraum, in dem man jetzt ein dem I ehemals voraus-
gegangenes I zu vermuthen versucht ist, ein wenig zu gross gerathen wäre, also doch nur
IMPERI gestanden hätte. Was dieser Annahme an sich geneigt machen muss, ist der
Umstand, dass dasselbe Monument noch drei Genitive dieser Art hat und diese alle mit
einsilbiger Endung: CAELI, TARQVINI und ein zweites IMPERI in nächster Nähe des
ersten. Trotzdem lässt indess eine geometrisch-genaue Untersuchung, wie sie durch die
Abh.d. I.Cl. d. k.Ak. d.Wiss. X.Bd.n.Abth. 47
340
2250 vgl. m. Henzen S. 189; COLLEGII ib. 1812; und wenig später
LVCRETII nebst FILII ib. 2219. Genügen diese Neronischen Beispiele
vollkommen zur Rechtfertigung des VIBII in n. 65, so wird das Niemand
von dem Augustischen BENEFICII in Beziehung auf unsere beiden
Tessereu behaupten, zumal wenn er die enge Genossenschaft erwägt, in
der sie dadurch stehen, dass sie erstlich beide (im besten Falle) aus
einem und demselben Jahre sein sollen, und zweitens, dass sie beide
von demselben Antiquar herstammen. — üebrigens wird nach Nero
die zweisilbige Endung zwar allmählich häufiger; aber weit gefehlt,
dass sie die kurze Form verdrängt hätte, hat diese vielmehr bis über
die Zeiten der Gordiane hinaus, genauer bis zum J. 1000 (weiter habe
ich die Sache z. Z. nicht verfolgt), also bis zur Mitte des 3. Jhdts.
n. eh., das Feld noch zur guten Hälfte inne, behauptet wohl gar, wenn
man genau abzählte, die Oberhand. — Nomina propria und appellativa
bei dieser ganzen Frage zu unterscheiden habe ich in den Thatsachen
selbst keine besondere Veranlassung gefunden, auch nicht lateinische
und griechische Worte oder Namen.
t '^0 (p. 200 c) — Taf. II a nach Guasco's elender Abbildung, wo-
rüber vgl. zu n. 3 und 41, und in Betreff der völlig unsinnigen Durch-
bohrung zweier neben einander liegenden Flächen zu n. 33. Gemacht
ist diese Fälschung auf Grund der unglücklichen Conjectur — vielleicht
selbst um diese zu erhärten — , dass die Sigle SP mit ^Vectavit auf-
zulösen sei: s. zu n. 71. Warum die vierte Seite, welche die Consulats-
bezeichnung haben sollte, leer geblieben, lässt sich nicht errathen; ein
analoges Beispiel aus dem Alterthmne (wie n. 23), das etwa als Vorbild
gedient hätte, war damals unseres Wissens nicht bekannt. Daran hielt
sich vielleicht Borghesi, wenn er S. 67 die Tessera als unverdächtig
behandelte, nachdem sie mit Recht schon von Labus S. 52 verworfen
war, und zwar verworfen trotz seiner verzweifelten Beweisführung, dass
spectavit eben für spectatus est gesagt sein könne , so gut nämlich wie
mutaoit orhi^ für inutatus est, terra movit für mota est, tempestas sedavit
verschiedenen Lyoner Publicationen, darunter die auf Veranstaltung der Stadt prächtig iu
Kupfer gestochene, mir ausserdem noch durch einen trefflichen Papierabklatsch E. Hübner's
ermöglicht ist, in hohem Grade zweifelhaft, ob nicht doch vielmehr an ein ursprüngliches
IMi'KKll zu glauben sein dürfte.
341
für sedata est u. d. m. : was denn freilich die Grammatik des berühmten
'I. R. Epigrafista' nicht in glänzendem Lichte erscheinen lässt. — Ueber
den Namen DIOCLES s. zu n. 76.
t 71 (p. 200 b) = Taf, II b^ und b ^ : die erste Figur nach Tomasini,
aus dem sie Sert. ürsati in seinen 'Monumenta Patavina' (Pat. 1652)
S. 178 wiederholte, die zweite, schon ältere, nach Pignorius : beide, wie
man sieht, trotz der Autopsie mit verschiedener Reihenfolge der Zeilen.
Da die des Toniasini durch eine, ausdrückliche und wörtliche, hand-
schriftliche Angabe des Peirescius bestätigt wird, so ist ihr Mommsen
wohl mit Recht gefolgt. Die Lebenszeit der sich ablösenden Besitzer,
Hieron. Aleander d. j., Pignorius, Joh. Rhodius zeigt, dass die thörichte
Erklärung ^Vectavit schon im Anfang des 17. oder gegen Ende des 16.
Jahrhunderts aufgekommen war. Die Harpune als Kampfwaffe der
Retiarier war allbekannt; die Palme (in n. 77 wiederkehrend) konnte
man, wofern man sie nicht überhaupt nur im Sinne eines Siegeszeichens
nahm oder auch aus ihrer notorischen Anwendung im Circusspiel einmischte,
aus ihrer speciellen Erwähnung bei Gelegenheit von Fechterspielen ent-
lehnen, wie bei Sueton Calig. 82 'mirmillonem e ludo rudibus secum
batuentem . . . confodit . . . ac more victorum cum palma discucurrit ;'
bei Lampridius vit. Comm. 12 'tantum palmarum gladiatoriarum con-
fecisse vel victis retiariis vel occisis, ut mille contingeret' : wonach auch
Cic. pro Rose. Am. 6, 17 'plurimarum palmarum vetus ac nobilis gla-
diator habetur' nicht blos metaphorisch braucht gesagt zu sein. —
Ueber den Namen PERELI s. zu n. 76. Uebrigens sprach die Unächt-
heit auch dieser Tessera zuerst Labus a. a. 0. aus.
t 72 (p. 201 aa) = Taf. II c 1 Dass diese drei Stücke des Briti-
schen Museums, von denen die zwei
letztern eine bis zur ünverständlich-
keit alberne Fassung haben, sammt n. 41 und 56 höchst wahrscheinlich
aus einer und derselben Fälscherfabrik hervorgegangen sind, ist zu n.
41 und 43 aus dem Schriftcharakter eingehend entwickelt worden. Als
vorzugsweise unantik gibt sich namentlich in allen dreien das schief
liegende S, sowie in den beiden ersten das Q zu erkennen, dessen Schwanz
nicht an der rechten Seite oder wenigstens in der Mitte, sondern an
der linken Seite des Kreises ansetzt : ein verrätherisches Zeichen , das
47*
t 73 (p. 201 0 = Taf. H d
t 74 (p. 201 w) = Taf. H e J
342
schon anderwärts als Beweis modernen Ursprungs geltend gemacht
wurde: s. Rhein. Mus. XIV S. 141 und P. L. M. enarr. S. 88. Nicht
minder verrätherisch ist der Mangel an Erfindungskraft, der in der
Wiederkehr derselben Namen zu Tage tritt: worüber zu n. 76. — In n.
72 las Zumpt richtig ANTTIO, wovon s. zu n, 56; in n. 74 ebenfalls
richtig SECVNDO, während es in der ersten Zeile weder TI ' F, wie
bei Cardinali und Mommsen , noch L * F , wie Zumpt angibt , sondern
P • F heisst.
f 75 (p. 201 v). Unter dieser Nummer erwähne ich die Fiction,
die bei Cardinali nnd Mommsen so lautet: TI • SENTIVS | C- ANTONI 1 SP-
K • APR L • ALBINVS, von Zumpt aber sehr abweichend so gelesen
wurde: L • ALPINVS | SP . . . . APR | M . . A . TIVS | C • ANTÜNI,
nur deshalb , um zu sagen dass ich darüber keine Auskunft zu geben
vermag , weil auch diese Nummer , wie schon n. 40 , im Britischen
Museum nicht aufzufinden war.
t 76 (p. 200 d) = Taf. II f. Möglich dass auch dieses Stück
aus derselben Fabrik ist wie n. 72 — 74, worauf die gleichmässige Ver-
wendung eines angeblichen Consul Catius in n. 74 und 76 führen kann.
Selbst die Namen MANLIVS und MARTIALIS kehren in den Fälschungen
bei Mommsen p. 201 m und o wieder, und auch CAELER dürfen wir
in dem CELER p. 201 _(/ wiedererkennen. Dass sowohl Schrift wie
Grössenmass und Gestalt der Tomasini' sehen Figur die grösstmögliche
Nichtübereinstimmung mit n. 72 — 74 zeigen, ist wenigstens kein Gegen-
beweis, da die unglaubliche Willkür und völlige Unzuverlässigkeit aller
alten Stiche (zusammengestellt zu n. 41) durch die Fälle, in denen uns
eine Vergleichung mit erhaltenen Originalen gestattet ist, hinlänglich
constatirt wird ; selbst dass die unförmliche Figur mit zwei, noch dazu
weit vorragenden Knöpfen, an jedem Ende einem, verziert ist, was weder
bei irgend einer ächten Tessera vorkömmt (s. zu n. 3) , noch irgend
einen praktischen Zweck haben konnte, darf man sehr füglich für ein
reines Phantasiestück des Tomasinischen Zeichners nehmen. Jedenfalls
verdient es Beachtung, wie häufig sich auf den falschen Stücken dieselben
Namen wiederholen, die entweder auf andern falschen oder auch auf ächten
vorkommen. So ausser den obigen Beispielen PERELI in n. 71 undp. 201 i
und r; ALBINVS in n. 72 und 75; BATO wahrscheinlich aus n. 2 über-
gegangen in n. 76; DIOCLES aus n. 4 in n. 70; PETILI oder PETILLI
aus n. 20. 27. 50 in p. 201 o und x: PETICI aus n. 15 wiederum in p. 201 x^
wo endlich auch noch drittens das TAMVDI aus n. 18 entlehnt scheint.
Sogar das vereinigte Namenpaar PAMPHILVS • SEßVILI theilt n. 73 mit
n. 26. Auf DEMETRIVS in n. 41 und p. 201 k, SVAVIS in n. 43 und
p. 201 2, sowie auf FABl in n. 21 und p. 201 s und t/, ANTONI n. 46 und
p. 201 l und V wollen wir dabei nicht einmal besonderes Gewicht legen,
obgleich doch hier das Gleichartige in derselben Richtung gehäufter er-
scheint als in allen ächten Tesseren zusammengenommen. Es sollte
mich gar nicht wundern, wenn eine vergleichende Besichtigung aller
noch zugänglichen falschen Stücke, deren Nichtkenntniss ich unter einem
verwandten Gesichtspunkte schon zu n. 33 bedauerte, zu der Einsicht
führte, dass der allergrösste Theil dieser Fälschungen aus einer und
derselben Quelle stamme, d. h. aus der Fabrik eines halbgebildeten
Industriellen, der mit dieser Waare ein Geldgeschäft machte.
t 77 (p. 201 bb) ~ Taf. 11 g. Nach dem, was über diesen unge-
schlachten Klotz von Tessera (einen Gypsabguss verdanke ich der freund-
lichen Besorgung des Hrn. Prof. Christ) schon zu n. 33. 71. 76 gesagt
worden, wäre jedes weitere Wort über die unvergleichliche Abgeschmackt-
heit der Inschrift selbst oder über das Unicum MVZIO zu viel.
III.
Die in den vorstehenden Erörterungen als Gladiatoren-Marken be-
handelten Monumente sind es also, denen Mommsen eben diese Eigen-
schaft streitig macht. Zwar erkennt er ausdrücklich an, dass eine lange
Reihe von Namen, unter denen gar keine Frau, ganz wenige Freie, und
mit diesen wenigen (5) Ausnahmen lauter Sklaven vorkommen, unsere
Vorstellung von vornherein mit fast zwingender Gewalt auf Gladiatoren
hinführe. Aber einestheils vermisst er dafür jeden Beweis, und ander-
seits findet er in zwei Umständen bestimmte Gegenindicien. Ohne die
letztern würde das Fehlen positiver Beweise für die Beziehung auf
Gladiatur wenig Bedeutung haben j denn wie vieles nehmen wir doch
344
für wahr ohne strengen Beweis, blos gestützt auf das anerkannte Recht
probabler Combinution ? Und ist das nicht wenigstens ein apagogischer
Beweis, wenn sich eine andere Beziehung, die man jener Reihe von
Skhivennamen geben könnte, eben nicht auflinden lässt, also dass gerade
nur die Gladiatur als einzig denkbare Möglichkeit übrig bleibt?
Meinestheils glaube ich einleuchtend darthun zu können: dass die ver-
meintlichen (jegenindicien theils auf Missverständniss beruhen, theils die
ihnen beigelegte Kraft nicht haben; dass sich aus Probabilitätsgründen
ein sehr befriedigender Indicienbeweis für die alte Meinung gestaltet;
dass es aber sogar an dem entscheidenden Zeugenbeweis nicht fehlt.
Dass nun zuvörderst die richtige Autlösung der Sigle SP wirklich
ai^ectata^ ist, das ist die erste schätzbare Belehrung, die wir der neu-
aufgefundenen Arelatischen Tessera (n. 12} verdanken, auf der uns
uiclit blos ein SPE wie ganz vereinzelt in n. 26, oder ein nur auf
falschen oder verdächtigen Stücken (s. zu n. 3) vorkommendes SPECT,
«ondern ein in zwei vollen Silben ausgeschriebenes SPECTAT • entgegen-
tritt. Durch diese authentische Interpretation ^) fallen also mit Einem
Schlage alle die verschiedenartigen Einbildungen, vermöge deren Agostini
in Si^ortulam, Schott Nod. Cic. II, 6 in SPeculator (tesserarius), Manche
in SPectoy«Y (s. zu n. 70. 71), was Morcelli de stilo inscr. I, 3 n. 457
(ed. 2) und in der Abhandlung delle tessere u. s. w. wieder aufnahm,
Andere wie (jori Inscr. Etr. I S. 74 in SFectactdum, noch Andere end-
lich in i^Fectalitur (oder HPectanduti^ den Schlüssel zu dem räthselhaften
SP zu finden meinten: das letztere Arditi in der Monographie 'Le
tessere gladiatorie' (Napoli 1832. 4) S. 22 ff., der Labus eine gründ-
liche Widerlegung gewidmet hat in der Vorrede zur Mailänder Ausgabe
von Visconti's 'Monumenti Gabini' S. VI — IX.
Gegen den Ausdruck fipectatua eat nun, als Bezeichnung des Auf-
tretens im Fechterkampf, richtet sich das erste Bedenken Mommsen's;
das Einfache und Natürliche, behauptet er , würde dafür pugnavit sein.
Aber hat denn jemals jemand das spectatus in dem Sinne von 'er ist
geschaut worden* d.h. 'ist aufgetreten, hat gekämpft', genommen, oder
1) Denn die formelle Möglichkeit, SPECTATor oder SPECTATmot zu ergänzen, verdient kaum
Erwähnung, theils aus Gründen die jeder selbst sieht, theils aus denen, die schon Labus
gegen Morcelli's sjjtctavit treffend entwickelt hat.
345
nicht vielmehr in der allgeläufigen Bedeutung 'er hat sich bewährt, ist
erprobt', demnach so viel wie 'er hat seine Sache brav gemacht, hat
sich wacker gehalten , ist wohl bestanden', mit Einem Worte 'hat g e-
siegt'? Allerdings konnte sich für einen Gladiator auch die Aufzeich-
nung verlohnen, wie oft er überhaupt aufgetreten sei und gekämpft
habe während seiner Gladiatorlaufbahn. Wohl also finden wir in mehr-
fachen inschriftlichen Beispielen (bei Labus S. 50, Orelli zu n. 2567)
die Gesammtzahl der pugnae eines Gladiator angegeben : PVGNARVM • V,
PVGNARVM • VII, PVGNARVM • Villi, PVGNARVM • XXVII, oder auch
PVGNAVIT • XIII ^) ; wohl finden wir in den beiden namhaften Inschriften
von Venusia I. R. N. 736. 737 und der Venafranischen ib. 4649 zwei '
Reihen von Ziffern, deren erstere ohne Zweifel die Zahl der pugnae, die
zweite die der victoriae berichtet, wie es ausgeschrieben Or. 2571
PVGNAT • XXXIIII • VICIT • XXI heisst. Hingegen für die editores oder
curatores munerum hat es doch keinen Sinn, anzunehmen, sie hätten
einem Gladiator jedes einzelne Auftreten durch Verleihung einer Aus-
zeichnung attestirt, die er ja alsdann auch in dem Falle erhalten hätte,
wenn er besiegt ward oder sich schlecht gehalten hatte. Vielmehr kann
es kaum einem Zweifel unterliegen, dass die Ertheilung der Tessera kein
allgemeines 'Combattantenzeugniss', sondern eine 'Tapferkeit&medaille' war,
also keineswegs pugnavit der Begriff ist den man erwartete, sondern
vielmehr ein fortiter oder cum laude, cum successu pugnavit d. i. eben
spectatus est in demselben Sinne, in dem es von einem Theaterstück
plg,cuit oder stetit heisst. Wenn es aber dafür noch einer ausdrücklichen
Bestätigung bedarf, so ist sie doch wahrlich in vollgültigster Weise
gegeben durch das berühmte römische Gladiatorenverzeichniss Or. 2566,
in dem so augenfällig drei Kategorien unterschieden werden: acht
lYRones (mit einfachem T ohne Zahl der pugnae bezeichnet I. R. N.
736. 737), zwei '$>Vectati, und elf VETerom. Kann man mehr Gunst der
Ueberlieferung verlangen, um die recipirte Erklärung der Tesseren-Sigle
1) Hiernach und nach Or. 2571 bleibt es ganz zweifelhaft, ob das PVGN • VIII bei Gruter
S. 334, 1 durch PVGNarMm oder PVGNa^t« zu ergänzen ist. Das PVGNAS • V der Pata-
vinischen Inschrift bei Or. 2567 erklärt man durch hinzugedachtes tulit, was gar kein
Latein ist; Furlanetto wollte dafür PVGNAR • ; es wird aber vielmehr für PVGNAhS
stehen: s. die in Prise. Lat. epigr. suppl. I S. XVI citirten Erörterungen.
346
^P und ihre Beziehung auf die Gladiatur gerechtfertigt zu finden?
Gewiss hatte es diese Hauptstütze der alten Meinung nicht verdient,
von Mommsen als gar nicht vorhanden behandelt , d. h. mit völligem
Stillschweigen übergangen zu werden. Zum UeberÜuss haben wir jetzt
auch noch einen VROYocator SPectatus in der römischen Inschrift bei
Henzen Or. 6173, wo die von letzterm erwähnte Möglichkeit, das SP
als Pränomeu zu den Namen der folgenden Zeile zu ziehen, wenig Wahr-
scheinlichkeit haben dürfte. — Sind wir aber einmal so weit gekommen
in unserer Erkenntniss des wahren Sachverhalts, so wäre es ein wider-
natürlicher Zwang, den man sich selbst anthäte, zu glauben, dass Horaz
seine Verse Epist. I, init :
Spectatuni satis et donatum iam rüde quaeris,
Maecenas, iterum antiquo me includere ludo
habe dichten können ohne den Gedanken an die technische Bedeutung
des spectatus als eines Genossen der sich rühmlich 'eingepaukt' in das
Corps, der rudis als ehrenvollen Entlassungszeichens des bewährten und
ausgedienten Fechters,^) des ludus im feststehenden Sinne von 'üebungs-
schule' der familia gladiatoria. Kaum dürfte daher diese, seit Ursini
von so vielen wiederholte Auffassung der Horazischen Worte durch
Moramsen's Widerspruch, dass doch darin kein eigentlicher Beweis liege,
grossen Abbruch leiden. Aber wenn auch, jedenfalls bedürfen wir,
nach allem Vorgesagten, dieses Beweises oder Nichtbeweises gar nicht,
um doch an unserer Erklärung des SFectatus mit hinlänglich begrün-
deter Ueberzeugung festzuhalten.
Gewichtiger kann Mommsen's zweite Einwendung scheinen, die
daher entlehnt ist, dass einerseits auf unsern Tesseren gerade diejenigen
Monatstage, die überlieferter Weise in Rom ständige waren für Gladiatoren-
spiele, nämlich a. d. XIII — X. K. Apr. nach Ovid's Fasten 3, 813, nie-
mals vorkommen, anderseits die Kaienden mit 23, die Idus mit 11, die
Nonen mit 4 , alle drei zusammen also mit 38 Beispielen ein so ent-
schiedenes Uebergewicht über die intermediären Tage haben, dass deren
Zahl nur 18, also noch nicht einmal die Hälfte betrage: was nicht
<ca8U factum' sein könne. Zugegeben, dass die Thatsache auf den ersten
1) W^egen der hinlänglich bekannten rudis wird es genügen auf Henzen Expl. mus. Burghes.
S. 104 f. zu verweisen.
347
Blick ihr Befremdliches habe: unter allen Umständen sind wir doch,
auf dem durch zusammenwirkende Momente bereits gewonnenen Stand-
punkte unserer Einsicht, meines Erachtens methodisch verpflichtet,
mit jenem Bedenken uns abzufinden wie wir können, im Nothfall auf
eine befriedigende Erklärung vorläufig zu verzichten, ehe wir dem einen
negativen Grunde alle entgegenstehenden positiven zum Opfer bringen.
Bedürfen wir denn aber überhaupt eines tiefern Erklärungsgrundes, als
dass, wo die Wahl zwischen 30 oder 31 Monatstagen ^) völlig freigegeben
war für die Anberaumung eines Festspieles, ein rein natürlicher Instinkt
vorzugsweise auf diejenigen führte, welche als die eponymen sich für
das Gemeinbewusstsein unter der namenlosen Menge von selbst hervor-
hoben, ohne dass sich an eine solche Wahl eine besondere Absicht
knüpfte? Und wiederum, ist es zu verwundern, dass dann das zunächst-
liegende die Kaienden als Führer des ganzen Monats waren, erst nach
ihnen der zweite Tag im Range, die Monatsscheide der Iden, kam, vollends
gegen beide weit zurückstanden die Nonen, deren erstes Beispiel (n. 50)
sogar erst an das Ende der Regierung des Augustus fällt? Nichts kann
für diese populäre Auffassung bestätigender sein als die Analogie der
Triumphaltage, deren Wahl doch einem gleich freien Belieben anheimfiel.
Gleichwohl sind sie so weit entfernt, das wirkliche arithmetische Ver-
hältniss der eponymen und nichteponymen Monatstage, d. h. ungefflhr
das von 3:27 oder 1:9, einzuhalten, dass sich vielmehr in den Capito-
linischen Triumphalfasten (einschliesslich ihrer sichern Ergänzungen)
unter 148 Triumphen nicht weniger als 52 finden, die auf eponyme
Tage fallen, nur 96, die den intermediären angehören:^) also beinahe
ganz dasselbe Verhältniss wie auf unsern Tesseren, nur umgekehrt, aber
selbst so, wenn man einmal der Mommsen'schen Proportionalrechnung
eine Berechtigung zugestehen will, noch befremdlich genug, da sich 1 : 2
zwar nicht so weit wie 2:1 von 1:9 entfernt^ aber doch noch immer
1) Oder vorsichtiger zu reden, zwischen annähernd 30, weil die dies atri und 'male ominati*
ausfallen: wie denn auch z. B. kein einziges Tesserendatum auf einen der dies postriduani
nach den Kaienden, Nonen, Iden fällt.
2) Ich habe dabei der Einfachheit wegen die fünf Fälle ausser Rechnung gelassen , in denen es
weder Kalendis noch Idibus noch Nonis in den Triumphalacten heisst, sonA^vw Quirinalihus
(a. 404. 432. 478. 481. 587): eine Bezeichnung, die eher der Kategorie der eponymen als
der nichteponymen Tage zuzurechnen sein würde.
Äbh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. II. Abth. 48
348
weit genug, um sehr abnorm zu sein. Allein das Verhältniss stellt sich
noch ganz anders, sobald wir den Wechsel der Zeiten berücksichtigen
und verschiedene Perioden auseinander halten. Bis in die Gracchischen
Zeiten (bis 625 incl.) finden wir die Vorliebe für eponyme Triumphal-
tage so gross, dass deren nicht weniger als 49 auf 60 nichteponyme
kommen, also 5:6; von da an bis 735, also während der Dauer von
vollen 110 Jahren, verschwinden die eponymen Tage dergestalt, dass
ihrer nur 3 gegen 36 nichteponyme stehen, also 1:12. Woher ein so
auffallender Abstand? Wir wissen es nicht, wie so vieles Andere. Dürf-
ten wir darum, wenn uns diese Triumphaldaten zufällig nicht als solche,
sondern in einer Weise überliefert wären, dass die Beziehung auf den
Triumph nur auf probabler Combination beruhte, diese Beziehung selbst
leugnen? — Durchaus vergleichbar ist ein Zeitenunterschied, der uns
bei den Gladiatorentagen entgegentritt, wenngleich in umgekehrter Rich-
tung. Und zwar fällt hier der Wendepunkt um das Jahr der gewonnenen
Alleinherrschaft des C. Julius Cäsar, von wo an sich so Vieles änderte.
Wenn wir, wie billig, von allen verdächtigen Tesseren, ausserdem von
den drei municipalen n. 12. 20. 35 ohne Tagdatum, und der defecten
n. 14 absehen, so bleiben uns für den Zeitraum von 669 bis zum Jahre
dÄ" Schlacht von Thapsus (April 708) 21 Tesseren, unter ihnen 12 mit
intermediären Monatstagen, nur 9 mit eponymen : gewiss ein in keiner
Weise befremdliches, sondern nach dem vorher Erörterten so natürliches
Verhältniss, dass daraus gewiss niemand das leiseste Bedenken gegen
die Beziehung auf die Gladiatur geschöpft hätte. Warum also sollen
wir das thun, weil es nachher anders geworden ist? Denn erst seit
708 beginnt, aus nicht näher nachzuweisender Ursache, mit einem aller-
dings ziemlich plötzlichen Sprunge die Liebhaberei für die eponymen
Tage, die nun im Laufe der Kaiserzeiten ein so gewaltiges Uebergewicht
erlangen, dass unter 34 Tesseren nicht weniger als 27 auf eponyme,
nur 7 auf nichteponyme Tage fallen. Es wurde das eben Mode für
die Fechterspiele, und wir haben es als eine Thatsache aus den Tesseren
zu lernen,^) anstatt mit ihrer vermeintlichen Unverständlichkeit gegen
die Annahme der Gladiatur zu argumentiren. Dass kaum ein tieferes
1) Auch das hätten wir daher zu lernen, ohne den Grund einzusehen, dass unter den Kaienden
die des Februar und des April mit je 4, des Januar und des August mit je 3, desgleichen
349
Motiv als das natürliche Gefühl für den Vorzug der benannten Monats-
tage vor den unbenannten zu Grunde lag, kann wiederum die Vergleichung
der eponymen Triumphaltage nach ihren drei Kategorien lehren. Auch
hier sind es die Kaienden , die mit 2 6 Beispielen im Vordergrunde
stehen, während ihnen die Iden mit 20 nahe kommen, beiden die Nonen
mit nur 6 nachhinken.
Aber allerdings ist hiermit die andere Frage noch nicht erledigt :
wie es doch komme, dass sich die vier letzten Tage der Quinquatrus
(20 — 23 März), die nach Ovid Gladiatorenspielen regelmässig gewidmet
waren, auf unsern Tesseren nirgends finden, und ebensowenig die Sa-
turnalientage (a. d. XVI — XIV. K. lan. = 17 — 19 Dec), an denen
wenigstens in Ausonius' (Ecl. de fer. Rom. 33) und Lactantius' (Inst.
VI, 20, 35) Zeiten ebenfalls ständige Gladiatorenspiele scheinen statt-
gefunden zu haben. In Beziehung hierauf muss ich nun erstens gestehen,
meinestheils keine besonders starke Zumuthung darin zu finden, dass
man hier reinen Zufall anerkenne. Und zwar diess ebensowohl in Be-
tracht des kleinen Bruchtheils, den unsere erhaltenen Tesseren von den
Tausenden einst vorhandener bilden, als auch des Bruchtheils, den vier
ständige Gladiatorentage unter der ohne Zweifel sehr viel grössern Zahl
sämmtlicher auf ein Jahr fallender Fechterspiele ausmachen, zumal in
der Kaiserzeit. Auch die kaiserlichen Geburtstage (vgl. Marquardt im
Handbuch IV S. 221) finden wir wider Erwarten nicht ein einziges Mal
unter unsern Tesseradaten. — Aber es gibt auch noch andere Wege.
Warum treten diese Tesseren erst in der Sullanischen Zeit auf? warum
brechen sie in der Vespasianischen auf einmal ab , während doch aus-
gemachter Weise die Leidenschaft für das Gladiatorenspiel nicht ab-,
sondern immer zunahm? Labus stellte zur Erklärung des letztern Um-
standes die Vermuthung auf, eben durch den gesteigerten Luxus habe
ein kostbareres Material der Tesseren Eingang gefunden, Silber oder Gold ;
während nun edles Metall begreiflicher Weise später eingeschmolzen
worden sei, habe sich nur das werthlose Elfenbein oder Bein der altern
Zeit in einer Anzahl von Exemplaren glücklich erhalten. Sehr möglich,
unter den Iden die des Juni und des August ebenfalls mit je 3 Beispielen den entschiedenen
Vorrang vor allen übrigen behaupten, wenn nicht doch eine viel grössere Gesammtzahl
von Beispielen nöthig schiene, um den Gedanken an blossen Zufall wirklich auszuschliessen.
48*
350
und an sich nichts weniger als unwahrscheinlich. Lässt man aber diese
Hypothese einmal gelten , was hindert die analoge aufzustellen , dass,
nachdem sich aus gelegentlichen Productionen bei Leichenfeiern (dem
notorischen Ursprung der Gladiatorenspiele) ein unabweisliches Volks-
bedürfniss, somit ein ständiges Jahresfest entwickelt hatte, diese regel-
mässige Staatsleistung ein anderes Material, sei es ein werthvolleres
oder auch ein vergänglicheres, zu den an die siegreichen Gladiatoren zu
vertheilenden Ehrenzeichen verwendete, als bei den freien Spenden von Pri-
vaten oder ausserordentlichen Ehrenleistungen von Magistraten der Fall
zu sein pflegte? Eine solche Vermuthung, nur eine unter andern, hat,
vag wie sie ist, selbstverständlich gar keinen positiven Werth; aber sie
hat den negativen, dass nicht mehr behauptet werden kann, das Fehlen
von Quinquatrusdaten auf unsern Tesseren sei ein gültiger Gegenbeweis
gegen die Beziehung der letztern auf Gladiatorenspiele.
Sei aber die eigentliche Bewandtniss, die es hiermit hat, so dunkel
wie sie wolle , uns genügt das helle Licht, welches auf die Bestimmung
unserer Tesseren schliesslich durch die eine Arelatische fällt, der wir
schon die Gewissheit der Siglenauflösung SPECTATms verdanken. Sie
gibt nach diesem Worte noch eine Ligatur, in der dem ersten Anschein
nach NVM steht. Was dieses num bedeute, erklärte Mommsen nicht
zu errathen. Glücklicher meinte Cavedoni zu sein, wenn er in der
'Appendice alla nuova silloge epigrafica Modenese', 1862, (die mir erst
während der Abfassung dieser Blätter zu Händen gekommen ist) S, 16
vorschlug NVMawae zu lesen 'od altro nome della cittä, ove Anchialus
spectatus est'. Es wäre nun unstreitig schon diess sehr seltsam, dass
die Stadt die Hinzufügung ihres Namens nöthig befunden hätte für ein
in ihrer Mitte für die eigenen Mitbürger stattgehabtes Festspiel, wäh-
rend dergleichen weder der Stadt Rom, noch auch den Parmensern oder
Mutinensern eingefallen ist. Und eine so namenlose Stadt wie jenes
Numana ! Warum nicht wenigstens ^YMantiae ? Aber wie abenteuerlich
vollends, dass sich an der Rhone, im südlichen Frankreich, eine Tessera
verhalten haben sollte, die von der Picenischen Küste (denn da lag
Numana) oder aus Spanien stammte ! Nein , nichts kann einleuchtender
sein, als dass der gute Romieu von Arles mit seinem yVWV die Ligatur
des Originals missverstand und ein scheinbares NVM gab statt MVN:
351
sei es nun dass auf der Tessera wirklich AVW stand mit Anwendung der nicht
ganz seltenen Figur VI für N, oder dass er sich so verlas oder verschrieb für
AW, was ebenfals sehr wohl Zusammenziehung vonMVN sein kann. Es wird
erlaubt sein an das Ei des Columbus zu denken, und in SPECTATms MVNerß
den schwerlich anfechtbaren Zeugenbeweis für Gladiatorenspiel zu erkennen.
Der Ablativ ist genau derselbe wie in acta ludis (fabula) ; dass aber munus
schlechthin so viel ist wie munus glodiatorium, ist ein so feststehender und
durchgehender Sprachgebrauch, dass Nachweisungen dafür eher über-
flüssig als nöthig scheinen können. Doch lässt sich bei dieser Gelegen-
heit Einiges schärfer bestimmen als gewöhnlich geschieht. Einen an-
dern Gattungsnamen als munus, mit oder ohne den Zusatz gladiatorium,
gibt es überhaupt nicht für Fechterspiele, sowie umgekehrt munus ganz
und gar nicht jede Art von Schauspiel bezeichnet. Vielmehr zerfallen
nach römischer Begriffsscheidung sämmtliche spectacula in die zwei grossen
Klassen der ludi und der munera; und wie sich die erstem wieder
theilen in circenses und scaenici, so die letztern in gladiatorum munera,
munera gladiatoria oder munera schlechtweg, und ferarum munera (wie es
bei Sueton Calig. 27 heisst) oder mit gebräuchlicherm Ausdruck vena-
tiones, vollständiger venatio ferarum im Theodosianischen Codex 15 tit. 11.^)
1) Nur weil Fechterspiele und Thierhetzen das Amphitheater als gemeinsames Lokal hatten,
auch bei den venationes gewöhnlich Gladiatoren mitwirkten, ist allerdings der Unterschied
zwischen munus gladiatorium und venatio nicht so scharf wie zwischen ludi circenses und
scaenici und konnten die erstem auch zusammengefasst und demgemäss drei Hauptklassen
angenommen werden, wie das im Theodosianischen Codex 6, 4, 4 geschieht: 'ubi ludi scae-
nicorum vel circensium vel muneris ratio poscit', während 15, 5, 2 'aut theatralibus ludis
aut circensium certaminibus aut ferarum cursibus' die Gladiatoren nur deswegen fehlen,
weil sie seit Honorius aufgehoben und abgeschafft waren. — Ganz uneigentlicher Ausdruck
und nur poetische Uebertragung ist drei munus bei Ovid Fast. 5, 190; denn wenn aus-
nahmsweise auch der (oder ein) Circus statt des Amphitheaters benutzt wurde (Suet. Aug.
43, Inscr. Neap. 2123, wo sich GLADIAiontm CIRCENSIVM schwerlich trennen lässt; vgl.
Friedländer Rhein. Mus. 10 S. 565, Handb. d. r. Alt. 4 S. 523), so kann diess doch für die
Allgemeinheit der Ovidischen Stelle nicht in Betracht kommen. — Umgekehrt sind ludi
gladiatorii, was ein Lieblingsausdruck der Neuern ist, nach altrömischem Begriff ein Un-
ding ; es hat auch niemals jemand so gesagt vor den Scriptores historiae Augustae, wo sich
einmal ludis gladiatoriis findet bei Spart. Hadr. 9; denn bei Trebell. Claud. 5 'habuit tuus
libellus munerarius hoc nomen in indice ludorum ist mit Salmasius ludiorum aus dem Palatinus
aufzunehmen. Ganz etwas Anderes ist es natürlich mit ludus gladiatorius in der Bedeutung von
Gladiatoren schule. — Dagegen versteht sich von selbst, dass man auch zum allgemeinsten
Gattungsbegriff zurückgreifen und spectaculum gladiatorium sagen konnte, wie bei Livius
39, 42, Capitolinus Anton. 8, neben spectaculum gladiatorum Liv. 28, 21, Inscr. Neap. 2123
352
Hauptstellen, die über diese Gesammtgliederung belehren, sind namentlich
Sueton Caes. 39 und Domit. 4 , auch Ner. 1 1 , und Lactanz 6, 20 , 35
(nach Lipsius' Emendation Saturn. I, 5); der allgemeine Gegensatz von
ludi und munera wiederholt sich oft, z. B. bei demselben Sueton Aug.
45 und Tib. 34, und wie schon bei Cicero ad fam. 3, 8, 6, so noch
im Theod. Cod. 6, 4, 4, Je nachdem munus im engern oder weitern
Sinne genommen ward, konnte 'munera ac venationes gesagt werden
bei Sueton Calig. 27, und ganz ähnlich bei Lactanz a. a. 0. Venationes
et quae vocantur munera' (vgl. 'gladiatores aut venationem' bei Seneca
de benef. 1, 12, 3; 'armis gladiatoriis et venatibus' bei Capitolinus
Anton. 8); aber auch 'bestias ad munus populi comparatas' bei Suet.
Caes. 75, 'qui bestiis obiectus munus instructurus sum mei domini' bei
Appuleius Metam. 10, 22 (vgl. c. 28 extr. und 29 init.) ; desgleichen
munus orenae in Dichterstellen des Manilius, Lucan, Claudian, gesammelt
von Heinsius zu Claud. in Ruf. II, 395. Meist im engern Sinne, d. h.
mit der speciellen Vorstellung von gladiatores — nur dass bestiarum
venationes , seit sie überhaupt aufgekommen waren , als Beiwerk nicht
nothwendig ausgeschlossen zu sein brauchen — geht sodann der tech-
nische Ausdruck munus durch alle Zeiten und Schriftsteller und Urkunden
in unzähligen Beispielen durch. Cicero selbst (weil doch in sein Con-
sulat die Arelatische Tessera fällt) hat ihn pro Sulla 19, 54 dreimal
hinter einander : 'posset alia familia Fausti munus praebere', 'cum longe
(SPECTACVLVM • GLAD ■ 6036); desgleichen muneris spectacula Suet. Domit. 4, I. Neap.
1952, so gut wie spectacula drei oder scaenae anderwärts. — In keiner Weise aber damit
parallel zu stellen ist munus funebre, z. B. bei Plinius N. H. 33 §. 53 Sill., Capitolinus
a. a. 0., womit so wenig eine besondere Klasse der munera, wie mit ludi funebres eine besondere
Klasse der ludi bezeichnet wird, sondern nichts als ein munus oder ludi bei der zufälligen Gele-
genheit eines funus, unter Umständen auch wohl das funus selbst, sofern seinen Hauptbestand-
theil munus oder ludi bilden (oder auch beide vereinigt wie z. B. bei Liv. 23, 30. 31, 50). Ganz
vorzugsweise indess fallen die Begriffe von funus und munus als Gladiatorenspiel darum zu-
sammen, weil von der sehr frühzeitigen und dann ganz usuellen Verwendung des letztern zu
feierlichen parentalia der ganze Sprachgebrauch, nach dem munus = spectaeulum gladiato-
rium, ausgegangen ist. Denn gewiss mit Recht erklärt TertuUian de spect. 12 den Namen
munus als officium honori mortuorum debitum, während ihn Servius zu Virg. Aen. 3, 67 von
dem zufälligen Umstände herleiten will, dass zu der ersten mit Gladiatoren begangenen
Leichenfeier des Junius Brutus viele Kämpfer von auswärts als Geschenk geschickt wor-
den seien. Auch Friedländers Auffassung Handb. d. Alterth. 4 S 481, dass, weil die Leichen-
feste 'freiwillig gegeben' waren, davon der Name munus allen, auch nicht mehr freiwillig
gegebenen Fechterspielen geblieben sei, scheint mir nicht tief genug zu greifen.
353
tempus muneris abesset', 'tempus dandi muneris'; desgleichen pro Sest.
58, 124 'consessu gladiatorio . . . erat enim munus Scipionis' ^) ; de offic.
2, 16, 57 'magnificentissima vero nostri Pompei munera secundo consu-
latu'; Philipp. 2, 45, 116 'muneribus, monumentis , congiariis, epulis
multitudinem lenire' ; ad famil. 2, 3, 1 'Rupae Studium non defuit decla-
randorum munerum tuo nomine'; 2, 6, 3 'propter magnificentiam mu-
nerum'; ad Att. 4, 4^, 2 'medius fidius ne tu emisti ludum praeclarum:
gladiatores audio pugnare mirifice ; si locare voluisses, duobus his
muneribus liber esses'. Von spätem Autoren begnüge ich mich den
Sueton hervorzuheben, bei dem man die zahlreichsten Beispiele finden
wird, darunter folgende zum Beleg der einfachen Ablativconstruction :
Caes. 39 'munere depugnavit, ludis mimum egit'; Aug. 43 'nepotum
suorum munere transiit e loco suo'; Ner. 12 'munere, quod in amphi-
theatro dedit, neminem occidit' ^). Neben den Autoren sind die Inschriften
voll von Beispielen desselben Gebrauchs, in Formeln wie muneris oder
muneris publici cura, editio , curator , editor; munus familiae gladiatoriae ;
pro munere u. a. : wofür es genügt auf Mommsen's Indices I. R. Neap.
S. 481 zu verweisen. — Noch strenger hat sich die Bedeutung von
munerarius fixirt, was als Substantivum nie etwas anderes als einen
editor muneris bezeichnet, z. B. munerario egregiae editionis Inscr. Neap.
328, munerarius bidui ib. 1501, und öfter, wofür die Autorenstellen
schon die Lexica geben ; wie denn auch das Prädicat munificus oder muni-
ficentissimus in ganz demselben Sinne üblich geworden ist, z. B. ib. 947.
2627. 4768, Orell. 2557. Wenn früher Einige in Sueton's Worten
Dom. 10 'Threcem murmilloni parem, munerario imparem' eine beson-
dere Klasse von Gladiatoren mit Namen munerarius (wie eben Threx, mur-
millo, retiarius, secutor, provocator u. s. w.) zu finden wähnten, so hätte man
damals auch darauf verfallen können, in der Arelatischen Tessera SPECTAT^*5
1) Die folgenden Worte enthalten den schlagenden Beweis, wie sehr es schon damals das
Interesse für das Gladiatorenspiel über alle andern Arten von Schauspiel davon getragen
hatte: 'id autem spectaculi genus erat, quod omni frequentia et omni genere hominum cele-
bratur, quo multitudo maxime delectatur': wovon weiter unten Anwendung zu machen.
2) Denselben Ablativ mit dem Zusatz gladiatorio hat man Tib. 40 'gladiatorio munere perierant' ;
Calig. 26 'gladiatorio munere emitti quemquam iubebat' ; Claud. 2 'gladiatorio munere, quod
memoriae patris edebat, palliolatus novo more praesedit'. — Habe ich recht gezählt, so
braucht überhaupt Sueton munus schlechtweg 18mal, gladiatorium munus nur 12mal.
354
MY^erarius zu lesen ; jetzt zweifelt wohl niemand, dass dort gerade der
Festgeber und der Fechter in Gegensatz gestellt werden sollen, genau
wie bei Florus 2, 8, 9 'si de gladiatore munerarius bustum fecisset*,
wo man ehedem ein ganz singuläres munerator las. Ausserdem hätte
man auch in Cicero's Zeit nicht einmal so schreiben können, wenn es
wahr ist, was Quintilian 8, 3, 34 berichtet, dass das Wort munerarius
überhaupt Niemand vor Augustus gebraucht habe.
Also SPFCTAT^^s MVNere: ich denke nicht, dass es von der Instanz
der Arelatischen Tessera noch eine Appellation geben wird.
Zum Schluss noch ein paar allgemeinere Vermuthungen, deren Werth
einem jeden anheimgegeben sei. Welchen Zweck hatte man eigentlich
im Auge, wenn man, um Gladiatorentapferkeit zu bezeugen, sich nicht
mit der einfachen Angabe des Sieges überhaupt begnügte, die doch nach
aussen wie für den Empfänger ganz denselben Effect machte, sondern
mit so peinlicher Gewissenhaftigkeit nicht nur das Consulat, sondern
selbst den Tag des Kampfes verzeichnete, dagegen wiederum die Art
dieses Kampfes ohne jede Erwähnung Hess? Was soll man sich ferner
als Grund denken , dass zwar der ^Vectatus als solcher ausgezeichnet
und decorirt wurde, dagegen für die doch entschieden höhere Rangklasse
der XYiTerani von einer analogen Decoration (andere kann es ja gege-
ben haben) keine Spur vorhanden ist? Ich meine, eben diese Um-
stände zusammengenommen führen darauf, dass die zur Vertheilung
kommenden Marken nicht blosse P]hrenauszeichnungen waren, sondern
zugleich als urkundliche Beweismittel für einen praktischen Zweck dien-
ten. Wird man in die Klasse der veterani oder rudiarii aufgenommen
worden sein nach blosser Anciennetät oder vielmehr auf Grund des Ver-
dienstes? Wenn, wie doch nicht wohl zu zweifeln, das letztere, was
liegt dann näher als dass der Eintritt in die ehrenvolle Tensionirung'
von einer genügenden, d. h. also numerisch bestimmten Anzahl von Siegen
abhängig war? oder um mit den Horazischen Worten zu reden, dass
einer eben satis spectatus sein musste, um rüde donatus zu werden.
Kaum wird man sich demnach ein einfacheres Verfahren ausdenken
können, als dass, wer sich allmählich die festgesetzte Zahl von Marken
355
erworben hatte, unter Vorzeigung derselben sich zur Aufnahme in die
Veteranenklasse meldete, um mit ihnen sich als 'pensionsberechtigt'
auszuweisen. Natürlich musste man diese Ansprüche prüfen durch Con-
statirung des Thatbestandes, und wie konnte man das anders als durch
Nachschlagen der Listen, die über den Verlauf der munera ohne Zweifel
geführt wurden? wie aber dieses sicherer und bequemer als auf Grund
der Datirung, die auf den Marken selbst angebracht war? — Dieses
geordnete Geschäftsverfahren wird freilich nicht von Anfang an dage-
wesen sein, sondern sich erst mit dem ganzen Gladiatorenwesen selbst
und seiner Gesammtorganisation ausgebildet haben. Nichts hindert, dafür
als Zeitpunkt die Sullanische Periode anzunehmen und damit zugleich
Antwort auf die Frage zu geben, warum es keine vorsullanischen Tesseren
gibt, während sie doch dann auf einmal in so dichtgedrängter Folge
auftreten. So lange Gladiatorenspiele lediglich auf den zufälligen Anlass von
Todtenfeiern vorkamen — und bekanntlich war das vom Ausgange des
5. Jahrhunderts (490) noch sehr beträchtlich lange ausschliesslich der
Fall — kann überhaupt von einer festen Organisation nach Art der
spätem Zeit nicht die Rede sein. Dazu gehörte vor allem erst die Bil-
dung ständiger Fechterbanden (familiae) in geschlossenen ludi, von denen
uns als meines Wissens ältestes Beispiel (wenn auch gewiss nicht an
sich das älteste) der ludus C. Aureli Scauri um das Jahr 649 bei Va-
lerius Max. 2, 3, 2 erwähnt wird. Aber es musste begreiflicher Weise
schon eine Mehrzahl solcher ludi vorhanden, sie mussten zu einer all-
gemeinen Institution geworden sein, ehe sich ein förmliches System
entwickelte und zu normaler Geltung brachte, wie es sich in der Avan-
cements-Scala von Tirones, Spectati und Veterani ausdrückt. Etliche
Jahrzehnte mochten darüber sehr leicht hingehen und so eben die Sulla-
nische Zeit herankommen, ehe man der nunmehr festgestellten Ordnung
durch die Einführung genau datirter Tesseren Rechnung trug. Und
wissen wir denn, welches eigentlich der Zeitpunkt war, in dem der
Uebergang von gelegentlicher und privater Todtenfeier zu der ständigen
und amtlichen Staatsleistung eines allgemeinen Festspiels stattfand?
Ohne Zweifel hatte sich die Neuerung in der Ciceronisch-Cäsarisch-Pom-
pejanischen Epoche bereits vollzogen ; was steht also der Annahme ent-
gegen, dass etwa die vorangehende Sullanische gerade den W^endepunkt
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X. Bd. II. Abth. 4 9
356
bildete? So würde alles in den besten gegenseitigen Zusammenhang
treten und die Frage, warum keine vorsullanischen Tesseren existiren,
ihre sehr einleuchtende Erledigung durch innere Begründung finden.
Si quid novisti rectius istis, candidus imperti: si non, his utere mecum.
Nachträge
zu geben läge schwerlich Anlass vor, wenn nicht das schon 1863 ab-
geschlossene Manuscript Monate lang in der Druckerei geruht hätte.
Zu S. 294 Z. 24. Die Borghesi'sche Abhandlung des Giornale arcadico steht nicht im
zweiten, sondern im dritten Bande der Pariser 'Oeuvres completes', S. 335 — 866.
Zu S. 308 und Anin. Ein altes Beispiel von GN für CN ist erst kürzlich wieder aus der
Nekropole von Präueste an den Tag gekommen: s. Henzen im Bull. d. Inst. 1864 S. 22. Junge
Beispiele sowohl von GN = CN als von G = C sind in Provinzialinschriften der Kaiserzeit nichts
Seltenes und wohl grossentheils zurückzuführen auf die allgemeine Nachlässigkeit, die in der
graphischen Unterscheidung der beiden Zeichen C und G überhaupt zu herrschen pflegt. — Dem
in der Anm. erwähnten umgekehrten Falle, der in der Schreibung CNEVS vorliegt, lässt sich das
L CAIO eines Quadrans von COpiA (sie) zur Seite stellen, wenn auf die Lesung von L. Müller
'Description des monnaies antiques au Musee-Thorvaldsen' (Copenhague 1851) S. 354 n. 58 Ver-
las» ist. Dass in Or. 701. 3311 die Schreibungen CAIVS CAIVM nur auf Orelli'scher ünkritik be-
ruhen, ist gewiss.
Zu S. 337. Nur der litter arischen Vollständigkeit wegen mag eine Tessera des Thorwald-
sen'schen Museums in Kopenhagen erwähnt werden, welche in L. Müller's 'Description des antiquites
du Musee-Thorvaldsen' (1847) sect. I und II S 215 offenbar irrthümlich als Gladiatoren-Tessera
mit diesen Worten bezeichnet wird: 'Tessere de gladiateur, carree. De l'un cote est grave le nom
du gladiateur M " FLAV, de l'autre le numero III, Os. Long. 1 p. 9 1.' Also allem Anschein
nach doch nur eine zweiseitige Platte, wie es deren so viele gibt, kein cubischer Körper mit vier
Flächen: also auch keine Gladiatorentessera. Diess wurde schon bemerkt in Priscae Lat. epigr.
suppl. IV (Bonn 18G4; S. XFV, wo sich mittlerweile die drei Tesseren n. 6. 23. 31 besonders zu
publiciren Gelegenheit fand.
Beiträge
zur
Geschichte der Antikensammlungen
Münchens
von
Wilhelm Christ.
49^
Beiträge
zur
Geschichte der Antikensammlimgen Münchens
von
Wilhelm Christ.
Hin und wieder hört man die Meinung äussern, Werth und Bedeu-
tung einer Sammlung hänge einzig von ihrem Inhalt ab: umfasse sie
Stücke von wissenschaftlicher Bedeutung und künstlerischer Vollendung,
so zögen diese an und für sich das Interesse der Kenner auf sich ; und
enthalte sie nur mittelmässiges und unbedeutendes, so werde deren
Werth durch keinerlei Beigabe erhöht. So viel richtiges nun auch an
dieser Bemerkung ist, so bleibt es doch immer von Interesse das Ge-
wordene in seinem Entstehen und seinem Wachsen zu verfolgen, zumal
nicht selten ein Stück Culturgeschichte in den Erwerbungen der Samm-
lungen niedergelegt ist. Auch das ruhmvolle Andenken manches
erhabenen Beschützers von Kunst und Wissenschaft ist eng mit
der Geschichte wissenschaftlicher und künstlerischer Museen ver-
knüpft, und es ist mir speziell durch meine hier niedergelegten Forsch-
ungen gelungen , das hohe Verdienst eines erlauchten Fürsten für die
hiesigen Antikensammlungen aus dem Dunkel der Vergessenheit zu ziehen.
Noch eine weitere Wichtigkeit haben solche geschichtliche Aufzeich-
nungen und Nachweise bei Kunstsammlungen; denn hier hängt oft die
Frage über Aechtheit und Unächtheit eines Kunstwerkes von der Zeit
360
der Erwerbung ab, wie denn gerade mich die von Professor 0. Jahn ange-
regten Fi'agen über den Diskobol des k. Antiquariums zu weitergehenden
Forschungen auf diesem Gebiete veranlasst haben.
Liegen nun über eine Sammlung genaue Kataloge und fortlaufende
Aufzeichnungen der einzelnen Erwerbungen vor, so bedarf es nichts
weiter als einer Zusammenstellung des zerstreuten Materials, eine Arbeit,
welche wohl unter Umständen mühsam sein kann, die aber nicht mit
besonderer Schwierigkeit verbunden ist. lieber das Antiquarium liegen
aber solche Nachrichten erst seit dem zweiten Decennium dieses Jahr-
hunderts vor, das ist erst seit der Zeit, in welcher die Akademie der
Wissenschaften die Beaufsichtigung und Leitung der Anstalt übernommen
hat ; über die früheren Zeiten, in welche doch die eigentliche Gründung
der Sammlung fällt; findet sich weder ein fortlaufendes Journal, noch
ein umfassender Katalog, wenn man nicht in den unter den Büsten der
Seitenwände mit Goldbuchstaben geschriebenen Namen eine Art von
Verzeichniss finden will. Jene Notizen über die neueren Erwerbungen
des Antiquariums, die sich auf diö zum Theil werthvolle Antikensamm-
lung des ehemaligen Bischofs von Passau, Grafen von Thun,(I) die der
Mehrzahl nach unächten Bronzen und Terracotten des Fürstabtes von
Steiglehner, die ägyptische Sammlung von Sieber und die skandinavische
von Thomson , die germanischen Alterthümer von Pickel , Popp und
Redenbacher, die Ausgrabungen von Nordendorf, die Geschirre und Be-
trügereien von Rheinzabern und andere kleinere Ankäufe beziehen, sind
von dem verstorbenen Professor Jos. von Hefner in einer handschrift-
lichen Geschichte des Antiquariums fleissig zusammengestellt und werden
zu seiner Zeit bei der Herausgabe eines neuen Kataloges verwerthet
werden.
Die Erwerbungen der früheren Zeit umfassen theils Marmordenkmale,
theils Bronzen, deren Werth zwar ehedem überschwenglich gepriesen
wurde, jetzt aber durch das geläuterte Kunsturtheil unserer Zeit bedeu-
tend herabgedrückt ist (II). Ein Theil derselben und weitaus der be-
deutendste wurde, um dieses gleich vorauszuschicken, durch die Kunst-
liebe des Churfürsteu Karl Theodor hierher gebracht, dessen Verdienste
um die Antikensammlimgen Münchens bisher in vollständiges Dunkel
gehüllt waren. Die Anfänge des Antiquariums aber stammen aus der
361
Zeit des Herzog Albreclit V., dessen unermüdliclier Eifer für die Grün-
dung der Bibliothek, des Münzkabinetes und der Antikensammlungen
durch Schrift und Denkmal sattsam verherrlicht ist.
Ueber die Kunstaukimfe dieses Herzogs und die dabei gepflogenen
Verhandlungen liegen noch fünf im k, Reichsarchiv dahier aufbewahrte
Bände vor, welche die Correspondenz Albrecht V. mit den verschiedenen
Unterhändlern enthalten. Diese Sammlung ward bald nach dem Tode
des Herzogs angelegt und zeugt von dem hohen Interesse, welches man
damals an den neu nach München gebrachten Kunstschätzen nahm.
Leider verfuhr dabei der Sammler dieser Aktenstücke mit wenig Geschick
und Einsicht; denn einmal fehlen einige der wichtigsten Dokumente
namentlich über die näheren Umstände und die Preise der ersten Acqui-
sition in Rom, während alle jene widerwärtigen Intriguen und Faseleien
des Italieners Stoppio vollständig mitgetheilt sind; dann sind aber auch
die erhaltenen Briefe und Belege weder genau nach der Zeit, noch
durchgreifend nach einem andern vernünftigen Gesichtspunkt geordnet.
So liegen Verzeichnisse, die sich auf die gleichen Ankäufe oder die
gleichen Angebote beziehen, oft weit auseinander, und finden sich die
Verdeutschungen der wälschen Briefe der italienischen Unterhändler nur
selten neben ihren Originalen. Eine solche Unordnung konnte leicht,
wie wir gleich nachher sehen werden, zu bedeutenden Irrthümern Anlass
geben, und mahnt zur doppelten Vorsicht bei Benützung jener Papiere.
Ueberhaupt wäre es weit rathsamer gewesen, man hätte damals ein ge-
naues Verzeichniss der erworbenen Kunstwerke aufgestellt, und in dieses
die aus der Correspondenz sich ergebenden näheren Notizen über den
früheren Besitzer, über die Preise und dergleichen Dinge eingewoben.
Dann wäre man vollständig unterrichtet über das in jener Zeit Vor-
handene, während jetzt bei vielen Gegenständen des Antiquariums , die
sich in jener Correspondenz nicht erwähnt finden, doch immer noch die
Annahme offen bleibt, dass sie nichts destoweniger aus den Erwerbungen
Albrecht V. herstammen und dass sich nur die Belege über ihre Er-
werbung verzettelt haben. Nur über die zur Schatzkammer gehörigen
Kleinodien Gemmen und Edelsteine besitzen wir ein genaues Inventar
vom Jahre 1779, das auf die eigenhändigen Aufzeichnungen Albrecht V.
basirt ist (aufbewahrt im hiesigen Archivconservatorium), und über die
362
Schätze der eliemaligen Kimstkammer einen ausführlichen Katalog, den
Hofrath Fickler im Jahre 1598 im Auftrag des Herzogs Maximilian
anlegte (k. Staatsbibliothek cod. bavar. Nr. 2133). Die Gegenstände
der Schatzkammer liegen aber unserer Untersuchung ganz fern , und
auch die Kunstkammer diente nur zur Aufbewahrung von Bronzen,
Münzen, Gemmen, Gemälden und Elfenbeinschnitzereien, und umfasste
schon desshalb nichts von den im Antiquarium aufbewahrten Antiken,
weil sie schon längst erbaut und eingerichtet war, ehe zu jenem der
Grundstein gelegt wurde. Denn das Antiquarium ward laut einer über
dem Kamin angebrachten Inschrift erst unter Herzog Max im Jahre 1600
erbaut oder wenigstens eingeweiht, während der Bau der Kunstkammer
bereits unter dem Herzog Albrecht V. begonnen und schon im Jahre
1578 unter dessen Nachfolger Wilhelm vollendet worden war.
Doch kehren wir zu der erwähnten Correspondenz des Herzog
Albrecht V. mit seinen Unterhändlern zurück, so gebührt das Lob, diese
wichtigen Aktenstücke an das Licht der Oeffentlichkeit gezogen zu haben,
dem ehemaligen Reichsarchivdirektor Freiherrn von Freyberg, der im
Jahre 1832 in den bayerischen Annalen Nr. 31 ff, aus ihnen, freilich
ohne seine Quelle auch nur zu nennen, die wichtigsten Briefe und Ver-
zeichnisse mittheilte. Es liegt mir fern die Verdienste anderer auch
nur im geringsten schmälern zu wollen, aber ein genaueres Studium der
Sache hat mich belehrt, dass jene Mittheilungen unvollständig und un-
genau sind, und denjenigen, welcher dieselben nicht näher prüft, zu
ganz irrigen Vorstellungen verleiten müssen. Es verbreitet sich aber
jene Correspondenz über die mannigfachsten Erwerbungen, welche der
Herzog an Antiken, Münzen, Perlen, Korallen und Gemälden in Italien
und anderswo machen Hess , und enthält überdiess auch über Engagi-
rungen von Künstlern und Sängern manche interessante Notizen. Mich
selbst beschäftigt hier zunächst nur die Frage nach den ersten Anfängen
der Antikensammlungen Münchens und nach der ältesten Geschichte
des Antiquariums ; wesshalb ich mich auch in der Besprechung jener
Correspondenz lediglich auf diesen Theil der Erwerbungen beschränken
werde. Hier beruht nun der Hauptmangel der Mittheilungen des Frei-
herrn von Freyberg darin, dass er auch nicht die geringste Andeutung
davon gegeben hat, wohin die angekauften Stücke gekommen sind, und
4
363
was sich von ihnen noch erhalten hat. Und doch lässt sich mit aller
Bestimmtheit gerade von den bedeutendsten Acquisitionen nachweisen,
dass sie sich noch heutzutage und zwar im k, Antiquarium befinden.
Lässt sich nun auch dieser Mangel damit entschuldigen, dass der Ver-
fasser jener Mittheiluugen diese Seite der Betrachtung aus seiner Be-
sprechung absichtlich weggelassen hat, so bleiben doch noch andere
Irrthümer und Nachlässigkeiten, welche sich auf die ausgehobenen Doku-
mente selbst beziehen. So finden sich in den Akten von den zwei Sen-
dungen von Antiquitäten, welche Stoppio von Venedig am 2. Dezember
1566 und 26. Juli 1567 besorgte, einmal zwei SpezialVerzeichnisse und
dann noch zwei Gesammtverzeichnisse, wovon das eine in italienischer,
das andere in deutscher Sprache abgefasst ist. Diese Verzeichnisse Hess
V. Freyberg so abdrucken, als ob sie ganz verschiedene Dinge enthielten,
und schickte dem letzten noch die nur halbwahre Bemerkung voraus :
,,Am 26. Juli 1567 wurden von Stoppio in fünf Truhen folgende Anti-
quitäten aus Venedig an den Herzog abgesendet," während in der That
doch damals nur der letzte Transport in drei Truhen abgeschickt wurde.
In ähnlicher Weise lesen wir Seite 139 : ,, Bernhard Olgiati machte fer-
ners noch folgende Sammlung aus Rom," aber was dann nachfolgt, ist
nichts anders als ein Theil jener Sammlung, die Strada in Rom angekauft
und verzeichnet hatte, und die dann später Olgiati von Rotn nach
Venedig transportiren Hess. Solche Unrichtigkeiten erregen natürlich
eine ganz falsche Vorstellung und lassen die Erwerbungen viel grösser
und reichhaltiger erscheinen , als sie es in der That waren. Eine ge-
nauere Vergleichung der verschiedenen Verzeichnisse hätte aber auch
den Verfasser vor manchen argen Irrthümern im Einzelnen geschützt.
So wird uns, um von den vielen Verstössen nur einen und den andern
herauszuheben, Seite 136 ein ganz neuer Name Julia Frusilla aufgetischt,
während in den übrigen Verzeichnissen ganz richtig der Name Julia
Drusilla der bekannten Frau des Kaisers Augustus zu lesen ist. So
wird ferner unter den in Rom gekauften Antiken auch 'ain khlains
haubt Prindis mit seiner Brust' genannt ; einen Prindis wird man aber
vergeblich in der alten Geschichte und in der alten Mythologie suchen ;
auf eine bessere Fährte führt schon ein zweites Verzeichniss , wo man
Abb. d,I Cl. (1. k.Ak d Wiss.X.Bd.II.Abth. 50
364
Pandis statt jenes Prindis liest, das einzig richtige aber enthält das
italienische Original, wo deutlich geschrieben steht: testa Paridis.
Meine Aufgabe war es daher, einmal genauere und verlässigere An-
gaben über die Erwerbungen Albrecht V. mitzutheilen, dann aber haupt-
sächlich den Nachweis zu liefern, dass ein grosser Theil jener damals
aufgekauften Antiken sich noch heutzutag im Antiquarium befindet.
Freilich war dieser Nachweis zum Theil sehr schwierig, weil die An-
gaben jener italienischer Unterhändler zu unbestimmt sind und nament-
lich jede genauere Bestimmung der Maasse, Brüche und Ergänzungen
vermissen lassen , und weil jene Ankäufe Albrecht V, erst von den
späteren Erwerbungen des Antiquariums geschieden werden mussten.
Aber einige durch hervorstechende Kennzeichen ausgezeichnete Stücke
Hessen sich doch bald mit Leichtigkeit erkennen, und waren diese einmal
festgestellt, so ergab eine genauere Betrachtung derselben gewisse Merk-
male des Geschmacks und der Restaurationsweise der einzelnen Italiener
an die Hand, die auf die Wiedererkennung auch anderer Acquisitionen
mit Sicherheit führten. Dazu kamen denn noch einige äussere Erken-
nungszeichen, welche, wie namentlich bei den Bronzen, mit völliger
Sicherheit die Erwerbungen Albrecht V. von den spätem unterscheiden
Hessen, wovon unten näher gehandelt werden soll.
Die erste und zugleich weitaus bedeutendste Erwerbung also, die
Albrecht V. an Antiken machte, rührt aus Rom her. Von welchen
Besitzern und zu welchen Preisen dieselbe erstanden wurde, darüber
vermissen wir leider jede Angabe ; nur aus einer gelegentlichen Bemer-
kung ersehen wir, dass der Ankauf von dem . Architekten Jacob Strada
besorgt wurde. Nach der Abreise desselben von Rom machte der Ge-
schäftsträger des Herzogs Dr. Castellino in seinen Briefen einzelne vage
Bemerkungen über die Sammlung und sandte am 7. Juli 1567 ein von
Strada angelegtes Verzeichniss derselben an den Herzog heraus. Nicht
lange nachher schickte Bern. Olgiati sämmtliche Stücke in 38 Truhen
verpackt nach Venedig, damit sie von da nach München befördert würden.
Alle Kisten gelangten auch glücklich in Bayerns Hauptstadt an, denn
dass auch die acht Kisten, welche zuletzt von Rom abgingen, und von
denen Fugger, der den Transport von Venedig nach München leitete,
in einem Briefe an den Herzog bemerkt, dass sie noch unterwegs seien,
365
später richtig an ihrem Bestimmungsort eintrafen, können wir noch
durch ein ganz verlässiges Zeichen erhärten. Es fanden sich nämhch
in jenen acht Truhen nach einem detailirten Frachtbrief, der in den
Akten aufbewahrt ist, folgende vier grosse Marmorstatuen: zwei Merkure,
ein junger Herkules und ein Mark Aurei mit einem ausgearbeiteten
Panzer. Von jenen vier Statuen ist aber sicherlich eine, nämlich die
letzte, noch in einer Nische des Antiquariums erhalten, so dass also an
der späteren Ankunft auch jener letzten acht Truhen nicht zu zweifeln
ist. Auch ist wohl mit Sicherheit anzunehmen , dass mit den Kisten
auch alle von Strada verzeichneten Stücke angekommen sind. Zwar
liegen zwei Verzeichnisse vor, an denen Fugger und Herzog Albrecht
durch Randzeichen bemerkten, was ihnen abzugehen schien. Aber von
den meisten dieser angestrichenen Nummern können wir bestimmt nach-
weisen, dass sie doch in München irgendwann müssen angekommen sein,
mochten nun Fugger und der Herzog sich im Einzelnen nicht überall aus-
gekannt haben, oder mochten die als fehlend bezeichneten Stücke später
noch nachgefolgt sein. So ist in dem zweiten von dem Herzog durch-
gesehenen Verzeichniss bei vielen Stücken, welche Fugger als abgehend
bezeichnet hatte, ausdrücklich an dem Rand bemerkt, dass sie wirklich
vorhanden seien, wie von der Ephesischen Diana, den vier Grabmonu-
menten^ den Köpfen des Vespasian Titus Seneca u. a. ; und erhellt auf
der andern Seite aus dem heutigen Bestände des Antiqnariums , dass
viele Kunstwerke, welche auch nach des Herzogs Meinung nicht vor-
handen waren, doch irgendwann nach München gelangt sein müssen.
Dieses gilt insbesondere von dem knieenden König Prusias , von dem
Standbild der Asia mit dem Löwen zu ihren Füssen, den zwei Steinen,
worauf Historien gehauen, dem Abgott aus Porphyr oder rothem Stein,
und der historia Herculis auf einem glatten Stein , die sich alle in der
heutigen Sammlung noch nachweisen lassen, denen aber der Herzog
seine zweifelnden Ringelchen vorgesetzt hatte. Von mehreren andern
Stücken endlich ist die von Strada gegebene Beschreibung nicht genau
genug, um sie unter den jetzt noch vorhandenen Marmorarbeiten des
Antiquariums mit Sicherheit wiederzufinden , oder liegt auch der Ver-
dacht nahe, dass sie wegen ihrer Unbedeutendheit späterhin verschleu-
dert wurden.
50*
O 1-»
G6
Weniger aufgeklärt ist der andere Umstand, dass in dem Fracht-
brief des Bern. Olgiati einige Werke verzeichnet sind, die sich bei Strada
nicht finden, so dass man leicht zu der Annahme verleitet werden könnte,
dass die Geschäftsführer des Herzogs nach der Abreise des Strada noch
weitere Erwerbungen gemacht hätten. Aber der Herzog, der selbst jene
Abw^eichung des ursprünglichen Verzeichnisses und des begleitenden
Frachtbriefes bemerkt hatte, äusserte in einem Briefe die Vermuthung,
es möchte vielleicht das eine für das andere genommen sein ; und ge-
rade diese Bemerkung muss uns jene Annahme als höchst bedenklich,
ja als geradezu unrichtig erscheinen lassen. Und in der That scheint
nur in einer Verwechselung oder vielmehr in einer verschiedenen Be-
zeichnung der Grund jener Abweichung zu liegen. Was war denn auch
bei der damaligen Sucht jeder Statue und jeder Büste gleich einen be-
stimmten Namen, gleichwie welchen, zu geben leichter, als dass dasselbe
Stück der eine so, der andere anders taufte ? bei einer Statuette bin ich
sogar noch im Stande die Verwechselung in Folge der verschiedenen
Benennung bestimmt nachweisen zu können. In dem Frachtbrief des
Olgiati finden wir nemlich als Inhalt der 28. Kiste verzeichnet: Ain
Kopff Vitellii khlain mit Klaider von sohwartzem Stain und der Prust,
ain Kopff Heliogabali mit seiner Prust, aine Figur so ain hasen an
ainem Arm und ain Aenten in der andern Handt hat, so Milonis Cro-
toniati Verehrung gewest, die er seiner Buelschaft geschankht ; ain Kopif
Claudii Neronis schwartz. Von diesen vier Stücken kehrt keines in dem
Verzeichniss des Strada unter derselben Benennung wieder; am interessan-
testen aber ist die Figur mit dem Hasen und der Ente ; die sollte man
denken sei so charakteristisch, dass sie in keiner Beschreibung ver-
kannt werden könnte ; in Wahrheit findet sie sich aber auch bei Strada,
aber hier unter der Bezeichnung : una statuetta di Vertumno di longezza
di un braccio, tiene un coniglio. So sehen wir also , dass man in der
kurzen Zeit zwischen dem Ankauf und der Absendung der Statuette
nicht blos für dieselbe einen andern Namen ersann, sondern auch einen
halben Roman erdichtete.
Ueber jene Ankäufe in Rom liegen abgesehen von zwei Fracht-
briefen, einmal zu 17 und dann zu 8 Truhen, zwei deutsche Verzeich-
nisse vor, von denen das eine Randbemerkungen von Fugger, das
367
andere solche von Herzog Albrecht enthält. Das letztere hat v. Freyberg
a, a. 0. S. 138 ff. abdrucken lassen, dabei aber die Zusätze des Herzogs
nicht ganz genau wiedergegeben. Beide Dokumente weichen nur in
unbedeutenden Einzelheiten von einander ab, gehen aber nach einer
ausdrücklichen Bemerkung auf das Original von Strada zurück. Nun
finden wir aber in den Akten noch ein italienisches Verzeichniss , das
entweder Strada oder Castellino von Rom herausgeschickt hatte, und
von dem wir allen Grund haben anzunehmen, dass es das in jenen
deutschen üebersetzungen erwähnte Originalverzeichniss sei. Dieses
theilen wir daher in den Beilagen (III) mit und bezeichnen dabei mit
Sternchen diejenigen Stücke , welche sich heutzutage in dem Antiqua-
rium befinden.
Einige Jahre später machte Strada im Auftrage des Herzogs eine
zweite Reise nach Italien und ging dabei über Padua und Mantua nach
Venedig , ohne dieses Mal Mittelitalien und Rom zu berühren. Sein
Hauptaugenmerk war dabei auf die Vorbereitungen zum Bau und zur
Ausschmückung der herzoglichen Residenz gerichtet, daneben machte er
aber auch bei einem gewissen Zeno und Bembo Ankäufe von einigen
Statuen, Köpfen, Reliefs und Bronzen. Es liegt über diese zweite Reise
von Strada , abgesehen von einzelnen Briefen , eine sehr ausführliche
Rechnung vor, von der ich unter Beil. IV den auf die Erwerbung von
Antiken bezüglichen Abschnitt aushebe.
Ausserdem haben wir noch einen Brief des Herzogs, worin Strada
den Auftrag erhält nach einer Reihe von Antiquitäten zu trachten, und
worin zugleich die Preise verzeichnet sind , welche von den Besitzern
verlangt und von dem Herzog angeboten wurden (abgedruckt bay. An-
nalen a. 0. S. 146). Es gehört dieses mit zu den wunderlichen Sonder-
barkeiten, die uns bei jenen Erwerbungen so oft aufstossen: der Herzog
wählt in seinem Schloss zu München die Statuen und Köpfe aus , die
angekauft werden sollen , und setzt deren Preis fest , ohne dieselben je
gesehen und ohne etwas weiters von ihnen erfahren zu haben, als jene
ganz verschwommenen ungenauen Notizen, welche seine Unterhändler
ihm überschickt hatten. Ob nun Strada jenen Aufträgen nachgekommen
ist, und ob die Besitzer sich zu den gemachten Angeboten verstanden
haben, darüber fehlt jede Andeutung in der Correspondenz des Herzogs.
368
Wohl aber beleliren uns die Antiken des Antiquariums , dass einzelne
von jenen Stücken sicherlich erworben wurden. So wird unter anderm
Strada beauftragt, zwei in Stein gehauene Panzer anzukaufen ; diese hat
man aber später zu zwei statuae loricatae ergänzt, um sie in den grosssen
Nischen zu beiden Seiten des Kamins aufzustellen. Die Ergänzungen
derselben sind von Gyps und plump ausgeführt, die Köpfe, die man
ihnen aufsetzte, sind zwar antik, gehörten aber ursprünglich nicht zu
den Körpern. Vielleicht wurde bei dieser Gelegenheit auch der vorzüglich
gearbeitete Kopf des Jupiter Ammon erworben, der in unserer Zeit aus
dem Antiquarium in die Glyptothek versetzt würde (Beschreibung der
Glyptothek Nr. 81), Doch ist mir, offen gestanden, jener Kopf zu
vortrefflich, als dass ich seine Erwerbung in jene Zeit versetzen möchte.
Denn Strada war zwar unter den Unterhändlern des Herzogs entschieden
der kenntnissreichste und ehrlichste, indem er fern von lächerlicher
Prahlerei oft genug erklärte , dass ein und das andere Stück modern
sei, und sich nicht selten damit begnügte einen Kopf einfach für rö-
misch auszugeben, ohne ihm gleich den Namen irgend eines berühmten
Feldherrns oder Kaisers beizulegen. Aber die mancherlei Ergänzungen
hat doch auch er oft genug verschwiegen oder übertuscht, und
Werke von hoher künstlerischer Vollendung suchen wir doch auch unter
seinen Ankäufen vergeblich. Mehr Wahrscheinlichkeit hat es für sich,
dass damals unter dem 'Bild ainer Göttin mit gibsin Kopf die merk-
würdige Statue einer Athene im streng hieratischen Styl erworben ward,
welche später in das Kamin unter das alte Gerumpel geworfen und
daraus erst in neuerer Zeit wieder hervorgezogen wurde (V). Denn eben
dieser Umstand und der gypsene Kopf, den diese Statue früher trug,
machen es sehr unwahrscheinlich, dass dieselbe erst unter Karl Theodor
oder König Maximilian I, nach München gekommen sein soll.
Weit geringeren Werth als die von Strada gemachten Erwerbungen
haben jene Ankäufe, welche ein gewisser Stoppio in Venedig besorgte.
Dort hatten nämlich viele unter den Nobili kleinere Kunstgallerien von
ihren Ahnen ererbt, die jetzt bei dem immer zunehmenden Zerfall der
Wohlhabenheit der edlen Geschlechter feil stunden, und dorthin wurden
auch zu Schiff von Morea und Greta Kunstwerke mancherlei Art ge-
bracht. Jener Stoppio aber war einer jener gewissenlosen italienischen
369
Unterhändler, der andere stets herabsetzte, von sich das grösste Auf-
heben machte , in der That aber nichts wusste noch leistete , sondern
nur den Herzog um sein Geld prellte. Wie schlecht es mit Ankäufen
bestellt war, die in seine Hände gelegt waren, sieht man schon daraus,
dass es ihm z, B. gar nicht darauf ankam einen Tiberius mit einem
Antoninus zu verwechseln, und dass er Köpfe von Priamus Dido Helena,
von was man nur wünschte, anbot. Selbst als der Herzog seinen Un-
muth über die schändlichen Betrügereien der beiden ersten Sendungen
nicht zurückhielt und ihm irgend einen neuen Ankauf ohne seinen aus-
drücklichen Befehl zu machen verbot, wusste der verschlagene Italiener
unter den nichtswürdigsten Vorspiegelungen die Kunstliebe des Herzogs
zu reizen und ihm neue Geldmittel abzupressen. Nach Briefen des
Herzogs befanden sich unter den von ihm herausgeschickten Antiqui-
täten eine grosse Anzahl von blossen Nachbildungen, und selbst diese
waren noch nicht einmal von Marmor, sondern von Gyps. Wir können
daher füglich einen Theil der Erwerbungen jenes Stoppio in jenen Zopf-
gestalten wieder finden, die jetzt zum grössten Theil in die Rumpel-
kammer gebracht sind. Möglicher Weise befanden sich aber auch unter
denselben ein und das andere gute Stück , das später in den Nischen
aufgestellt oder an den Seitenwänden angebracht wurde. Aber einen
Anhaltspunkt zur Bestimmung derselben bieten dabei die unsinnigen
Verzeichnisse des Stoppio nicht , wesshalb ich es für unnütz gehalten
habe dieselben nochmals abdrucken zu lassen.
Das sind die grossen Ankäufe von Antiken, welche der Herzog
Albrecht V. machen Hess ; ausserdem finden wir in der Correspondenz
noch einzelne kleinere Acquisitionen und Schenkungen verzeichnet. So
erwarb unter anderm ein gewisser Ott in Venedig um 200 Kronen ein
Grabmonument für den Herzog, auf dem die Amazonen in erhabener
Arbeit dargestellt waren. Der Käufer that damit sehr geheim und
wichtig, leider aber hat sich von demselben keine Spur mehr erhalten.
Auch von Constantinopel brachte ein Kaufmann Ross dem Herzog eine
Schüssel von terra sigillata mit, auf der sich aber keine weitere Dar-
stellung befunden zu haben scheint.
In den letzten Jahren seiner Regierung wandte sich der Fürst, als
sein Schatz durch die verschwenderischen Ankäufe bereits erschöpft war,
370
an weltliche und geistliche Würdenträger mit dem Ersuchen, durch Ver-
ehrungen von Kunstwerken zur Verherrlichung und Vergrösserung seiner
Sammlung etwas beizutragen. Aber die röniischen Cardiuäle scheinen
harthörig gewesen zu sein und mit ihren Geschenken sehr zurückgehalten
zu haben. Von besonderem Interesse ist es dabei, dass dem Herzoff
auch eine von Michel Angelo gefertigte Copie der Büste des Scipio
Africanus von dem Cardinal von Trient versprochen wurde (VI). Aber
auch bei ihr scheint es bei dem Versprechen geblieben zu sein; denn
unter einem der Köpfe der Seitenwand ist zwar die Inschrift P. Cor-
nelius Scipio Africanus angebracht; aber derselbe trägt keines der be-
kannten Merkmale des Kopfes von jenem berühmten Kömer, weder das
glatt abgeschorene Haupthaar noch die Narbe über den Schläfen , und
ist überdiess nicht von neuem sondern von antikem Meisel gearbeitet.
Diese Sculpturen und was sonst noch Herzog Albrecht V. aufkaufen
oder anfertigen Hess, ohne dass sich eine Aufzeichnung davon in jenen
Papieren findet, ward vorläufig bunt durcheinander zusammengestellt,
um später in einem eigenen Museum eine passende Aufstellung zu er-
halten. Denn die Kunstkammer, auf deren glänzenden Ausbau der
Herzog seine ganze Aufmerksamkeit richtete , war zur Aufnahme jener
'Sculpturen von vorneherein nicht angelegt. Die Errichtung eines An-
tikenmuseums war dem Herzog Maximilian vorbehalten, der bei dem
erweiterten Ausbau der Residenz einen herrlichen Saal im schönsten
Renaissancestyl zur Aufstellung der antiken Marmorwerke bestimmte.
In Urkunden und Büchern aus der Zeit jenes Fürsten trägt dieser Saal
schon den Namen Antiquarium, und dass derselbe schon bei seiner An-
lage zu dem bezeichneten Zwecke bestimmt war , zeigt die über dem
Haupteingang angebrachte Inschrift SACRAE VETVSTATI DICATVM.
Die Mehrzahl der Kunstwerke nun , und zwar gerade der bessere Theil
derselben, ward zur dekorativen Ausschmückung des Saales verwandt,
was den grossen Nachtheil hat, dass von den Statuen die Rückseite
nicht leicht gesehen werden kann , und eine Aenderung in der ver-
kehrten Aufstellung der Statuen und Büsten nicht möglich ist, ohne
den ganzen Charakter des Baus zu alteriren. Ueberdiess waren ja nur
wenige ganze Brustbilder und noch wenigere ganze Figuren aus Italien
gebracht worden; es galt also zuerst die vielen verstümmelten Köpfe
371
zu ergänzen und aus den vielen Bottichen und Köpfen erst ganze Fi-
guren zusammenzufügen, oder durch sonstige Restaurationen zu gewinnen.
Diese Ergänzungen konnten aber kaum unkundiger und ungeschickter
gemacht werden; nur zur Ergänzung der Brust an den Büsten verwen-
dete man wenigstens zum grössten Theil Marmor, zu allen übrigen Er-
gänzungen bediente man sich einer Gypsmasse. Aber über das Material
Hesse sich noch eher hinwegsehen , wenn nicht die Ausführung gar zu
schlecht und unwissend wäre ; namentlich sind zwei Apollo mit der Geige
in der Hand, von denen nur der Leib alt ist, wahrhaft abschreckende
Zerrgestalten. Dazu kömmt, dass man viele Statuen und Köpfe, um
den Unterschied des kleinen alten Theils und der vielen neuen Zusätze
zu verdecken, entweder mit einer schwarzen P'arbe überzogen, oder ge-
radezu mit Tünche angestrichen hat. Was die Anordnung und Auf-
stellung im Einzelnen anbelangt, so hat man in den Nischen zwischen
den Fensterbögen und zu beiden Seiten des llaupteingangs und des
gegenüberliegenden Kamins die zum grössten Theil ergänzten Statuen
aufgestellt, unter denen eine Ephesische Diana, ein tanzender Satyr,
eine Muse, ein Merkur und Marc Aurel die bedeutendsten sind (VII).
Unter den Fenstern wurden in zwei Reihen übereinander je drei männ-
liche und drei weibliche Brustbilder längs der Seiten wände vertheilt;
andere Büsten von untergeordnetem Werthe füllen die kleinen Nischen
zwischen den Ansätzen der Bögen und an den beiden Schmalseiten des
Saales. Was sich so nicht unterbringen Hess, fand seine Stelle auf den
Marmorsitzen der beiden Langseiten und im Saale selbst, darunter be-
fanden sich namentlich die kleineren Statuetten, welche in die grossen
Nischen nicht passten, und die zahlreichen Lamjjen und Vasen von
Marmor und Alabaster, von denen jedoch keine von antikem Ursprung
zu sein scheint. Am meisten Aufmerksamkeit und Bewunderung unter
allen Gegenständen des Antiquariums fanden in jenen Zeiten die unter
den Fenstern aufgestellten Büsten von berühmten Männern und Frauen
des Alterthums. Sicherlich aber waren es nicht die Bildwerke selbst,
sondern nur die darunter gesetzten Namen, die so lange dem Zuschauer
imponirten. Denn der Kunstwerth der meisten jener Brustbilder ist ein
sehr unbedeutender, und namentlich ist von der Mehrzahl der Frauen-
köpfe nur ein ganz kleiner Theil antik und von Marmor. Moderne
Abb. d. I. Cl. d. k. Ak. d. Wiss. X, Bd. II. Abth. 5 1
372
Copien von antiken Originalen sind darunter nur wenige, indem aller-
dings die männlichen Köpfe mit wenigen Ausnahmen aus dem Alterthum,
wenn auch aus einer schlechten Kunstperiode herrühren; indess begegnen
uns doch, wie bemerkt, auch einige moderne Nachahmungen in Marmor
sowohl wie in Erz (VIII). Trotz des vielen Geldes nämlich, welches
Herzog Albrecht V. auf die Erwerbungen von Antiken verwandt hatte,
scheint es doch an grösseren Köpfen gefehlt zu haben, die man an
jenen Stellen passend hätte anbringen können, wesshalb frisch angefer-
tigte Copien die Lücken ausfüllen mussten. Den grössten Humbug
hatte aber der damalige Antiquarius Schölling mit den unter den Büsten
in Goldbuchstaben geschriebenen Namen getrieben, indem kaum 12 unter
den 192 Büsten den darunter geschriebenen Personen entsprechen. Es
galt eben einmal — denn ob die Idee von Schölling ausging oder dem-
selben aufoctroyirt war , lässt sich nicht entscheiden — eine Gallerie
von berühmten Kaisern, Kaiserinnen und Feldherrn des Alterthums her-
zustellen, und da wurden ohne weiteres Bedenken berühmte, oder doch
für berühmt gehaltene Namen unter die verschiedenen Brustbilder ver-
theilt. Am nachlässigsten verfuhr Schölling bei den höher gestellten
und desshalb auch der genaueren Beobachtung mehr entrückten Büsten
von Frauen, indem darunter nicht blos Namen von Kaiserinnen vor-
kommen, die gar nicht existirten, sondern auch unter eine moderne
Bronzebüste, auf deren unterem Theile der Name DIDIA deutlich ein-
gegraben ist, sich ein ganz anderer Titel LOLLIA CALIGULAE UXOR
gesetzt findet. In der Bezeichnung der männlichen Köpfe war zwar
Schölling etwas vorsichtiger, doch vermochte er auch hier nicht Köpfe
von ganz verschiedenem Kunstcharakter auseinander zu halten und glaubte
griechischen Köpfen von Philosophen und Dichtern eine Ehre zu erweisen,
wenn er darunter den Namen irgend eines späten römischen Kaisers
setzte. Die Schuld dieser Verkehrtheit darf durchaus nicht auf die ita-
lienischen Unterhändler am wenigsten auf Strada geladen werden. Denn
der hatte weit bessere Kenntnisse in der Ikonographie und Kunstge-
schichte, wie sich noch speziell an einem dem Lucius Verus nicht un-
ähnlichem Kopfe nachweisen lässt, dessen wahrscheinliche Benennung
Strada mit Bleistift an der Seite bemerkt hat, den aber der Antiquarius
unter Herzog Maximilian Marcus Aemilius Lepidus taufte. Merkwürdiger
373
Weise nahm man lange Zeit an diesen total falschen Bezeichnungen gar
keinen Anstand, sondern schwur auf sie wie auf das Evangelium. Bälde
dichtete sogar in gläubigster Befangenheit auf die Büsten der grossen
Männer im Antiquarium eine schwungvolle Ode (Silv. 1. V. od. V), in der
Romulus Ancus Brutus und Nero eine Hauptrolle spielen.
Bronzen waren, die erwähnten Büsten an den Seitenwänden abge-
rechnet, in den Räumen des Antiquariums anfänglich nicht aufgestellt;
da aber ein Theil derselben zu den von Albrecht V. erworbenen Antiken
gehörte, und seit dem Jahre 1808 das Antiquarium auch die Bronzen
in seine Räume aufgenommen hat, so will ich schliesslich auch noch
von der Geschichte jener Bronzen dasjenige mittheilen, was ich ermit-
teln konnte. An Bronzen hatten die Unterhändler Strada, Stoppio,
Castellino, so viel wir aus den Verzeichnissen ihrer Erwerbungen ersehen,
nur weniges gekauft. Andere Bronzen waren sicherlich bei den bedeu-
tenden Acquisitionen von Medaglien inbegriffen, welche der Herzog in
seinen späteren Lebensjahren mit viel leidenschaftlicherem Hange betrieb.
Diese Bronzen sollten mit den Münzen, Gemmen und Gemälden die Säle
der Kunstkammer zieren, deren Bau und Ausmalung dem Architekten
Strada übertragen war. lieber den Inhalt der Kunstkammer aber sind
wir weit besser als über das Antiquarium durch den Katalog von Fickler
unterrichtet, den ich oben schon erwähnt habe. In demselben füllen
die Bronzen, oder genauer gesprochen, die metallenen Stücke, die Num-
mern 2293 bis 2586 aus. Darunter befinden sich einige in Bayern
selbst gefundene germanische und römische Alterthümer, ferner eine
ziemlich grosse Anzahl von solchen Bronzen, die ausdrücklich als antik
ohne Angabe ihrer Herkunft oder ihres Fundortes bezeichnet sind, und
endlich eine Menge von Stücken , welche man selbst damals in jenen
unkritischen Zeiten nicht als acht zu bezeichnen wagte. Die Beschrei-
bung der einzelnen Stücke ist ziemlich eingehend und genau, nur fehlen
leider die für die Wiedererkennung so wichtigen Angaben der Grössen-
maasse.
Der Kunstkammer drohten bald grosse Verluste in dem dreissig-
jährigen Kriege, indem die Schweden bei der Einnahme der Stadt im
Jahre 1632 auch die Residenz und hauptsächlich die Räume der Kunst-
kammer plünderten. Vieles wurde damals in der Stadt verzettelt, was
51*
374
eine später von dem Cliurfürsten eingesetzte Commission nicht mehr
aufzufinden vermochte, vieles aber auch von dem Herzog Wilhelm von
Weimar in seine Schlösser nach Thüringen geschleppt (IX). Aber immerhin
gibt uns die Schilderung Pallavicino's vom Jahre 1667 noch einen hohen
Begrift' von dem Glanz und dem Reichthum der Kunstkammer. Den
eigentlichen Ruin fand diese mehr grossartige als werthvolle Sammlung
erst in den Regierungsjahren des Churfürsten Max Emanuel. Denn
unter ihm wurden nicht blos bedeutende Theile der Sanmilung, nament-
lich von alten Münzen verpfändet und verkauft, es wurden auch im
Jahre 1704 vor dem Anmarsch der Oesterreicher alle transportablen
Schätze der Kunstkammer verpackt und in entlegenen Städten in Sicher-
heit gebracht. Diese Kisten sind zwar sicherlich nicht alle ganz ver-
loren gegangen, aber nur weniges scheint in die Kunstkammer zurück-
gekommen zu sein. Denn von nun an verschwindet so ziemlich der
Name der einst so gefeierten Kunstkammer ; in den Hofrechnungen wird
sie zwar noch lange fortgeführt, aber ein stets wiederkehrendes Null
bei diesem Posten zeigt, dass man weder auf ihre Vermehrung, noch
ihre Erhaltung etwas verwandte. Im Jahre 1729 war sie schon derart
verschollen, dass Keyssler in seinen Reisen durch Deutschland ihrer
unter den Münchener Sehenswürdigkeiten gar keine Erwähnung thut.
Was von Bronzen sich in derselben noch fand, wissen wir genau aus
einem im hiesigen Archivsconservatorium aufbewahrten Inventarium der
Kunstkammer vom Jahre 1778. Danach befanden sich damals in der-
selben nur noch etliche zwanzig Stück von Bronz oder Messing, die
alle zusammen zu noch nicht 100 Gulden geschätzt wurden. Die zwei
bedeutendsten unter ihnen, die Copien der Ringer {avfmXsxofisvoi) in
Florenz und des Farnesischen Stieres besitzt jetzt das Antiquarium ;
wohin die übrigen gekommen , vermag ich nicht zu sagen , ist auch in
der That ohne alles Interesse.
Räthselhafter Weise befinden sich aber in dem Antiquarium noch
mehrere Bronzen, die sich in den Zeiten des Churfürsten Max in der
Kunstkammer befunden hatten , die aber in den erwähnten Inventaren
von 1778 nicht mehr aufgeführt sind. Wahrscheinlich waren dieselben
unter Max Emanuel an einen andern Ort gewandert, und wurden erst
im Anfange dieses Jahrhunders mit Bronzen anderer Sammlungen in
375
das Antiquarium übergesiedelt, lieber ihre Identität mit den ehema-
ligen Stücken der Kunstkammer kann kein Zweifel obwalten , da uns
hierüber der Katalog von Fickler vollständig aufklärt. Ich habe näm-
lich um dieses Sachverhältniss aufzuklären und festzustellen , den be-
treffenden Abschnitt jenes Kataloges genau durchgegangen, und bin da
zunächst auf zwei Stücke gestossen , die einen festen Anhaltspunkt an
die Hand gaben. Das eine war ein Postament mit der griechischen
Inschrift O MEOYJOTHI JI0NY202, das andere ein Kopf, der als Lampe
diente, und in den man das Oel durch eine als Klappe dienende Haar-
locke hineinschüttete. Diese beiden Stücke Hessen sich unter den heu-
tigen Bronzen des Antiquariums nicht wohl verkennen , wiewohl ich be-
merken muss , dass jenes Postament ehemals ein 'beklaidt und gekrönt
Weibsbild^ heutzutage aber einen Merkur trägt. Nachdem ich nun aber
so einmal die feste Ueberzeugung gewonnen hatte, dass das Antiquarium
noch heute Reste jener Bronzeabtheilung der alten Kunstkammer berge,
gelang es mir bei wiederholter Durchsicht noch eine Reihe von Bronzen
des Antiquariums auf Numern des Fickler'schen Verzeichnisses zurück-
zuführen. Den vollständigen Bestand des Restes der alten Kunstkammer
zu ermitteln, glückte mir aber erst durch eine Wahrnehmung, die sich
mir im Verlaufe der Untersuchung aufdrängte. Die grossen Bronze-
büsten des Antiquariums nämlich, von denen ich oben Erwähnung ge-
than habe, sind sämmtlich schwarz angestrichen, mit derselben schwarzen
Farbe waren ferner sämmtliche kleineren Bronzen überzogen , deren
Vorkommen in dem Katalog von Fickler ich erkannt hatte , endlich
hatte der Churfürst Maximilian in einem Schreiben an Pappenheim (IX)
ausdrücklich als Kennzeichen des aus der Kunstkammer entwendeten
Brustbildes einer Frau die schwarze Farbe bezeichnet. Also, so schloss
ich, müssen alle Bronzen aus der Kunstkammer schwarz angestrichen
gewesen sein , und nachdem ich nun eine Aussonderung sämmtlicher
schwarz angestrichener Bronzen vorgenommen hatte, fand ich auch die
Richtigkeit jener Annahme an der Hand des Kataloges von Fickler be-
stätigt. Es stammen somit beiläufig 30 Bronzen des Antiquariums aus
der Kunstkammer und demnach auch wahrscheinlich aus den alten Er-
werbungen des Herzogs Albrecht V. Von hervorragender Bedeutung
ist keine von ihnen; ob wenigstens die eine oder andere von ihnen
o r» f»
0( b
acht, das ist antik, sei, wage ich nicht zu behaupten (X). Die Bronze-
statuette des Diskobol findet sich bestimmt nicht darunter, so dass also
von einer Erwerbung desselben im 16. oder auch nur 17. Jahrhundert
keine Rede sein kann.
Die so gewonnenen Resultate der Untersuchung waren nun desshalb
noch von einer besonderen Wichtigkeit, weil sie die Anzeigen von einer
grösseren bedeutenderen Erwerbung lieferten, deren Andenken bisher
ganz verschollen war. Zieht man nämlich diejenigen Gegenstände ab,
welche seit dem Jahre 1808 erworben sind, und über deren Erwerbung
uns noch genaue Nachrichten zu Gebote stehen, und ferner diejenigen,
welche aus den Ankäufen Albrecht V. herrühren, so bleibt noch eine
ziemlich bedeutende Anzahl von Kunstwerken übrig, welche die eigent-
lichen Perlen der Sammlung im königlichen Antiquarium bilden und
ebenso sehr durch ihr künstlerisches Interesse, als durch Vollendung
ihrer Form unsere Aufmerksamkeit auf sich lenken. Es besteht dieser
Theil der Sammlung theils aus Bronzen, theils aus Marmorwerken, welche
sich von den mittelmässigen und zum grössten Theil roh zusammen-
geflickten Erwerbungen Albrecht V. auf das vorth eilhafteste abheben.
Unter den Bronzen sind am vorzüglichsten eine Pallas im strengen er-
habenen Styl , ein Herkules in gedrungener aber jugendlicher Haltung,
ein Zeus mit sanftem Gesichtsausdruck und von feinster Modellirung,
ein Apollo mit dem Lamm in der Hand in herbem ägyptisirenden Styl,
ein Diskobol in verschränkter Stellung mit seitwärts gewandtem Gesicht,
ein sich kitzelnder Satyr mit vorgestrecktem linken Fuss und einem
Rhyton in der rückwärts gewandten Linken, eine Venus mit Attributen
der Isis, ein jugendlicher Poccilator in halb tanzender Stellung, ein
kleiner vortrefflicher Kopf des Cäsar, eine reizende aber schwerlich an-
tike Reliefdarstellung der von dem Widder getragenen Helle, und die
Platte eines Weihrauchkästchens mit einem von zwei Centauren gehal-
tenen Kranz von Fruchthörnern. Ausserdem befinden sich unter den
Bronzen noch eine Menge von Herkulesstatuetten mit Keule und Löwen-
haut und von Priesterinnen mit der Opferschale in der vorgehaltenen
Rechten, viele Figürchen des Merkur, der Minerva und der Fortuna,
einige etrurische Spiegel, mehrere Henkel mit Widderköpfen, der Griff
einer Cista und ähnliche Dinge (XI).
I
377
Unter den Marmorarbeiten begegnen uns allerdings viele mehr oder
minder freie Nachahmungen antiker Kunstwerke, wie ein dornausziehen-
der Knabe, eine säugende Wölfin mit Remus und Romulus, ein liegender
Genius des Schlafes, eine Europa auf dem Stier, ein auf dem Schlauche
liegender Bacchus mit einem Panther, der einen Kantharus in seinen
Tatzen hält, eine sitzende Nymphe neben einem flötenspielenden Pan,
ein bogenspannender Cupido, eine grosse Marmorvase mit wunderlichen
Schnörkeln und räthselhaften Inschriften, und andere mehr. Aber es
sind darunter auch unzweifelhafte Antiken von hohem Werthe. Unter
diesen nenne ich vor allem ein trunkenes Weib mit der epheubekränzten
Weinflasche zwischen den Füssen, einen alterthümlichen Candelaberfuss
mit sechs weiblichen Figuren, eine Statue der Spes im hieratischen Styl
und einen jugendlichen Kopf des Paris, von denen die drei letzten in
die Glyptothek versetzt wurden (Katal.-Nr. 43, 46 und 135), um dort
mitten unter griechischen und ausgewählten Sculpturen einen würdi-
geren Platz zu haben. Zweifeln könnte man schon eher an der Aecht-
heit bei einem jüngst von v. Lützow veröffentlichten Diskus mit der
Relief dar Stellung des löwenwürgenden und verwundeten Herkules und
einer fein durchgearbeiteten Statuette einer ruhenden Amazone. Bei
vielen andern Stücken, wie z. B. bei der oben erwähnten Athene im
hieratischen Styl, und bei den Reliefdarstellungen eines von nackten
Knaben dargebrachten Opfers und eines trunkenen von Satyren aufge-
richteten Herkules bleibt es zweifelhaft, ob sie schon in den Erwer-
bungen Albrecht V. einbegriffen sind, oder ob sie erst später in das
Antiquarium versetzt wurden (XII).
Von wem stammen nun diese Erwerbungen her? Diese Frage be-
schäftigte mich lange, bis verschiedene Fäden mich zu einem Ziele hin-
führten. Von Albrecht V. , dem Begründer der Antikensammlung in
München, können sie nicht herrühren, dagegen sprechen entschieden,
wie wir gesehen haben, die von dem Herzog gepflogenen Correspondenzen.
Dagegen spricht aber auch der Charakter jener Kunstwerke, deren Aus-
wahl ein viel reiferes und geläuterteres Kunsturtheil voraussetzt. Also
ging meine Vermuthung dahin, dass sie von irgend einem der nachfol-
genden Herzöge oder Churfürsten herrühren müssten. Um hierüber
genaueres zu ermitteln, galt es die jährlichen Rechnungsnachweise der
378
Hofkammer nachzuschlagen, denn hier mussten die Kosten der Erwer-
bungen eingetragen sein, wenn dieselben nicht etwa, was doch ganz
unwahrscheinlich, einem der Churfürsten sollten zum Geschenke gemacht
worden sein. Ich liess mir auch die Mühe nicht verdriessen sämmt-
liche vorhandene Jahrgänge der Hofrechnungen bis zum Jahr 1801
durchzugehen, fand aber hier nirgends was ich suchte. Denn obgleich
unter der Rubrik 'Kunstkammer' und 'gemeine Ausgaben' einige kleinere
Erwerbungen notirt waren, so fand ich doch von den erwähnten Kunst-
wei'ken nirgends eine Spur. Zwar vermochte ich aus diesen zeitrau-
benden und langweiligen Nachforschungen keinen ganz sicheren Schluss
zu ziehen , weil in jenen Hofrechnungen einige Jahrgänge fehlten , also
man immer annehmen konnte, dass gerade in jene Jahre die Erwer-
bungen gefallen seien. Indess über dieses Bedenken hob ein anderer
Umstand glücklich weg. Wir haben nämlich vom Jahre 1792 Briefe
eines italienischen Sprachlehrers Alberti, worin von den Merkwürdig-
keiten Münchens, und besonders von seinen wissenschaftlichen Anstalten
und seinen Kunstsammlungen gehandelt ist. Darin wird auch des Anti-
quariums mit seinen Büsten und seinen aus Albrecht V. Zeit stammenden
Kunstschätzen gedacht; von den zuvor erwähnten Bronzen und Sculp-
turen aber ist darin auch nicht die mindeste Andeutung. Und doch
war Alberti viel zu gut bewandert und zeigte viel zu guten Geschmack,
als dass ihm so bedeutende Werke hätten entgehen können.
Dass jene Erwerbungen wenigstens nicht vor der Zeit Karl Theodors
gemacht sein konnten, darauf führten auch zwei Urkunden vom Jahre
1768 und 1778, in denen ein vollständiges Inventar von der Kunst-
kammer und der churfürstlichen Residenz aufgenommen ist. Nach ihnen
fanden sich allerdings in den churfürstlichen Gemächern eine grosse
Anzahl von Bronzen, aber von keiner wird die antike Herkunft ange-
merkt und die meisten waren von bronce doree. Wollte man aber auch
verwegen genug sein, um unter den daselbst aufgeführten Statuetten
des Jupiter und der Minerva unsere oben gerühmten Bronzen zu ver-
stehen, so bleibt es doch immerhin ausser allem Zweifel, dass die über-
wiegende Mehrzahl der erwähnten Bronzen und sämmtliche oben ge-
nannten Marmorwerke in jenen Inventarien nicht gefunden werden können.
Auf der andern Seite gab mir eine Bronze einen Fingerzeig, dass
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ein Theil wenigstens jener Erwerbungen gegen das Ende des vorigen
Jahrhunderts gemacht sein müsse. Es hatte nämlich bekanntlich im
vorigen Jahrhundert der Graf Caylus eine grosse Sammlang von ägyp-
tischen, etrurischen, griechischen und römischen xilterthümer zusammen-
gebracht , die er in seinem umfangreichen Werke : Recueil d'antiquites
egyptiennes, etrusques, grecques, romaines et gauloises. Paris 1761 —
1767 beschrieben und zum grössten Theil abgebildet hat. Einen Theil
und gerade den werthvollsten seiner Sammlung überliess der edle Graf
schon zu seinen Lebzeiten dem Cabinet des medailles, ein anderer Theil
aber ging nach seinem Tode in andere Hände über. Dabei muss ein
und das andere Stück auch in unsere Sammlung gekommen sein ; bei
einigen, wie bei den Statuetten eines Osiris einer Isis eines Horus eines
Hercules Romanus einer Priesterin der Hera eines Poccilator eines Tigers,
könnte dieses in Zweifel gezogen werden, weil sich ähnliche Darstellungen
oft wiederholt finden; bei einem Stück aber stimmt Gestalt Zeichnung
und Grösse so , dass jeder Zweifel ausgeschlossen ist. Es schreibt
nämlich Caylus tom IV pl. LXXXVI, 1 also : II a fallu les soins et l'amitie
du P. Paciaudi pour rassembler les morceaux epars de cette belle
acerra Ce monument, dont il m'a rendu possesseur, est complet
ä la reserve de la partie platte, qui couvroit le dessus et qui tenait ä
deux mouvements de charniere, dont on voit encore les places. La
repetition des reliefs de ce monument ne demande que le dessein et
l'explication de deux des quatres, dont cette acerra ou ce thuribulum
est compose. La plaque principale, celle qui est la plus ornee, est remplie
par le buste d'un Romain .... ce buste est entoure par deux cornes
d'abondance disposees de facon que les fieurs et les fruits, dont elles
sont remplies, couronnent la tete et que les deux extremites inferieures
sont renouees par un ruban : cette espece de bordure est soutenue par
la main de deux Centaures places de chaque cote; ils ont chacun une
femme assise sur leur Croupe et cette attention, qu'ils ont pour soutenir
le Portrait, ne les occupe point assez pour les empecher d'embrasser
de la main qui leur reste libre, ces jeunes Nymphes Les Centaures
ont l'air empresse, car on voit une lyre aux pieds de Tun et un cha-
lumeau ou dessous de l'autre. — La seule difference, que l'on pouisse re-
marquer dans les deux plaques des grands cötes, consiste dans le buste;
Abh. d. I. Cl. d. k. Ak. d Wiss. X. Bd. II. Abth. 52
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la place , qu'il occupe sur l'une , est nue dans l'autre ; mais eile est
toujours eiivironnee des cornes d'abondance et soutenue par les memes
Centaures, dont l'action et les attributs sont absolument pareils et
doivent etre sortis du meme moule. Diese zweite Platte besitzen wir
nun im Antiquarium, und die üebereinstimmung mit der ausführlichen
Beschreibung ist so evident, dass jedes Bedenken schwinden muss.
Waren demnach die in Frage stehenden Alterthümer zum Theil
wenigstens in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erworben
worden, findet sich aber von ihnen in München selbst in den neunziger
Jahren noch keine Spur, so müssen dieselben aus der Zeit Karl Theodors
stammen und unter ihm oder König Maximilian I. von Mannheim über-
ge